Kulturinstitution Museum

Bildung aus dem Glaskasten

Es gibt den postmodernen Zweifel an der Geschichte der Emanzipation. Bildung hat in diesem Sinne auch ihre schlichte Ausrichtung zum Guten verloren.

Professorin Dr. Karen van den Berg
Lehrstuhl für Kunsttheorie & inszenatorische Praxis
 
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    Zur Person
    Professorin Dr. Karen van den Berg

    Professorin Dr. Karen van den Berg hat den Lehrstuhl für Kulturtheorie und inszenatorische Praxis an der Zeppelin Universität inne. Sie studierte Kunstwissenschaft, Klassische Archäologie und Nordische Philologie in Saarbrücken und Basel, wo sie auch promovierte. Von 1993-2003 war sie Dozentin für Kunstwissenschaft am Studium fundamentale der Privaten Universität Witten/Herdecke. Seit 1988 realisiert sie als freie Ausstellungskuratorin zahlreiche Ausstellungsprojekte in öffentlichen Räumen und in Kunstinstitutionen – zuletzt mit den Ausstellungsreihen „Politics of Research“ und „Pari Mutuel“ im Flughafen Berlin Tempelhof.
    Ihre Forschungsschwerpunkte sind Theorie des Inszenierens und Ausstellens; Kunst und Öffentlichkeit; Kunstvermittlung und Politik des Zeigens; Kunst und Emotionen (insbesondere Kitsch und Schmerz); Rollenmodelle künstlerischen Handelns; Altern und künstlerische Alterswerke; Soziale Effekte von Bildungsarchitekturen.

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    Factbox
    Und wer hat's erfunden?

    Die Bestände heutiger Museen gehen oftmals aus privaten Wunder- oder Kunstkammern von Adeligen oder kirchlichen Würdenträgern hervor.

    Eins der ersten Gebäude, welches für eine solche Sammlung entstand und damit als Museuumsbau gesehen werden kann, ist die Kunstkammer der Wiener Hofburg aus dem 16. Jahrhundert. Weitere öffentlich zugängliche Gebäude folgten. Erst im 19. Jahrhundert kam es im deutschen Sprachraum zu Neugründungen. Dabei entstanden beispielsweise das städelsche Kulturinsititut in Frankfurt oder die Kunsthalle Bremen. Eine andere Möglichkeit für Gründungen von Museen sind Vereine, die oft in kleinem Stil und auf lokaler Ebene tätig werden.

    Häufig wird in Museen investiert, um die internationale Bekanntheit einer Stadt und deren Tourismus zu stärken. Museen, wie der Louvre in Paris oder das Tate in London ziehen dabei besonders viele Besucher an. Unter den zehn meistbesuchten Museen der Welt befindet sich keines in Deutschland.

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Bildung ist wichtig, da sind sich alle einig. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Über den Begriff der Bildung wird heutzutage leidenschaftlich gestritten. Dabei ist er kaum systematisierbar, ohne klare Semantik und lässt sich in seiner deutschen Bedeutung nur in wenige andere Sprachen übertragen. Seit Wilhelm von Humboldt den Begriff vor rund 200 Jahren prägte, ist er Gegenstand gesellschaftlicher Diskussion „Mehr denn je sehen wir uns konfrontiert mit öffentlichen Debatten zum Bildungssystem, zur Bildungsgerechtigkeit, zur Bildungskrise“, konstatiert die Kunstwissenschaftlerin und ZU-Professorin Karen van den Berg. „Und das nicht zuletzt, weil Bildungsfragen heute zunehmend mit Wirtschaftsinteressen verknüpft zu sein scheinen.“


Dieser wirtschaftliche Fokus würde Humboldt wohl kaum gefallen, denn seine Vorstellung von Bildung sei eine andere gewesen. Er habe Bildung als Prozess verstanden, um den eigenen Platz in der Welt und die individuellen Verbindung mit dieser zu finden. So strebe jedes menschliche Wesen aufgrund der ihm gegebenen Vernunft danach, seine Fähigkeiten zur Vollendung zu bringen. Im Zentrum stünden Selbstbestimmtheit und die Entwicklung einer Persönlichkeit. „Bildung in Humboldts Sinne ist also nicht das Erwerben von Wissen, Bildungstiteln oder symbolischem Kapital, wie es der französische Soziologe Pierre Bourdieu beschreiben würde“, stellt van den Berg klar. „Bildung ist vielmehr eine existentielle Grundbedingung des Menschen. Sie bezieht sich auf eine Verbesserung der menschlichen Verhältnisse, die vom Einzelnen ausgeht.“

Dieses vom bürgerlichen Subjekt Ende des 18. Jahrhunderts ausgehende Bildungs- und Gesellschaftsverständnis stehe heute allerdings unter Ideologieverdacht: „Es gibt einen postmodernen Zweifel an der Geschichte der Emanzipation. Bildung hat ihre schlichte Ausrichtung zum Guten verloren. Sie steht nicht mehr für das Wahre und Gute, sondern allenfalls für das Versprechen, sich selbst dem schmerzhaften Prozess zu unterwerfen, die eigene Position in der Welt zu hinterfragen.“ Bildung beschreibe also auch die Bemühung, Abstand von sich selbst zu nehmen und nicht der Illusion zu erliegen, dass Wissen mit Existenzsicherung einhergehe.


„Dass Museen durch bürgerliche Gesellschaften herausgebildet wurden, hat damit zu tun, dass hier ganz spezifische Formen der Weltaneignung entworfen und ermöglicht werden“, erklärt van den Berg. Museen seien Orte mit sehr eigentümlichen Ritualen, strikten Regeln und nicht selten autoritärer Atmosphäre. Demut scheine genauso ein mögliches Lernziel zu sein, wie die geschichtlichen Hintergründe der einzelnen Exponate. Zwar gebe es keinerlei Qualifizierung oder Zertifikat für das erlangte Wissen. Jedoch verdeutliche der Umgang mit den Exponaten die Fähigkeit des menschlichen Subjektes zur Reflektion und Kommunikation dieses Vorgangs. Im tieferen Sinne handle es sich beim Betrieb der Institution Museum um eine Selbstvergewisserung, die der Weltaneignung diene.

Auch im National History Museum in London sind Zeigepraktiken vielfältiger geworden. Doch bestimmte Gegenstände kann man auch heute nur mit Hilfe digitaler Doppelgänger interaktiv begreifen.
Auch im National History Museum in London sind Zeigepraktiken vielfältiger geworden. Doch bestimmte Gegenstände kann man auch heute nur mit Hilfe digitaler Doppelgänger interaktiv begreifen.

„Wenn man das Museum nicht als natürliche Ordnung betrachtet, sondern als eine, die zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt mit dem Aufkommen eines spezifischen Verständnisses von gesellschaftlichem Wissen zusammenhängt“, sagt van den Berg, „dann scheint deutlicher, dass das Museum nicht nur eine besondere Rhetorik des Zeigens bereithält. Sondern mehr noch auch eigene Wissens- und Erfahrungsformen erzeugt.“ Diesen „musealen Zeigemodi“ seien fünf Charakteristika gemeinsam.


Zunächst handle es sich bei Museen um „Regime des Schweigens“. In Museen herum geführt zu werden, sei die Ausnahme. Der Zeigende, also der Entwickler der präsentierten Ausstellung, bleibe in der Regel unsichtbar. Deshalb habe sich – die zweite Eigenschaft der musealen Zeigemodi – eine spezielle Rhetorik des Zeigens herausgebildet: Rahmen, Sockel und Displays transformieren Dinge in Exponate.

Als dritter Aspekt komme das Gebot hinzu, dass die Exponate meist nicht berührt oder benutzt werden dürfen: „Ausgestellte Dinge können normalerweise nur betrachtet werden; ihre Inszenierung ist lediglich auf die Augen ausgerichtet, womit man sie gewissermaßen aus der Welt nimm.“ Die Ausstellungsräume würden durch Vitrinen beherrscht, das entferne die Exponate weiter vom Betrachter und unterstreiche deren Bedeutung.


Diese Rhetorik des Wertes stellt für van den Berg das vierte Charakteristikum dar. „Großzügige Räume, Beleuchtungsarrangements oder weiße Wände signalisieren, dass diese Dinge wichtig sind und sie bewahrt werden müssen; sie sind wertvoll und kein Müll“, beschreibt van den Berg den Aufbau von Museen. Die daraus resultierende Distanz zu den Gegenständen verdeutliche, dass hier Dinge erhalten und konserviert würden. Dies erwirke ein emphatisches Verständnis für die Rarität und Originalität dieser Gegenstände. Jene Wertschätzung durch den Betrachter – die fünfte und letzte Eigenschaft der musealen Zeigemodi – würde durch Bestätigung von Experten noch bestärkt.

Ein kurzer Abriss der Geschichte des Museums


In Museen bekomme man Exponate nie zur bloßen Betrachtung serviert, sondern immer eingebettet in bestimmte Deutungsspektren: „Im Museum wird stets etwas als etwas gezeigt. Die Puppe ist nicht nur Spielzeug, sondern Exempel für eine Epoche“, erklärt van den Berg. Zwar entwerfe die Anordnung der Objekte bereits Narrationen entworfen, doch letztendlich könne der Besucher immer noch selbst entscheiden, ob er sich diesem Deutungsspektrum anschließen wolle.

„Diese Offenheit der Aneignung ist alles andere als trivial“, betont van den Berg. Zeigen könne man immer nur mit einer bestimmten Wirkungsabsicht. Nur so mache der Modus des Zeigens unter Abwesenden Sinn, denn in Museen werde immer eine subjektive Weltaneignung adressiert. Dass in diesem Zusammenhang mit einer Nichtkalkulierbarkeit des Besucherverhaltens zu rechnen ist, gehöre zu den Besonderheiten des informellen Bildungsortes Museum.



Titelbild:  Benoit Theodore (CC BY-NC-SA 2.0)

Text: Cristiano Maia (CC BY-NC 2.0)

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