Best Thesis Award

Wissenschaft? Nicht eingeladen!

Öffentliche wissenschaftliche Politikberatung ist vom Diskurs abhängig, intransparent und nur für eine medienerprobte Wissenschaftler-Elite möglich.

Henry Schmees
Best-Thesis-Award-Gewinner
 
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    Zur Person
    Henry Schmees

    Henry Schmees studierte Public Management and Governance im Bachelor an der Friedrichshafener Zeppelin Universität. Bei seiner Graduierung im März 2014 wurde Schmees für seine Abschlussarbeit mit dem BestThesis-Award für seinen Studiengang ausgezeichnet.  

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    Dossier
    Das Ende öffentlicher wissenschaftlicher Politikberatung? | Die „Entwissenschaftlichung“ öffentlicher Diskurse in politischen TV-Talk-Shows am Beispiel der Vermögensteuer
    Henry Schmees
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Zum Weiterlesen: Die Bachelor-Thesis von Henry Schmees


Seine Motivation ziehe er aus einem starken Interesse an dem Wirkungsgefüge von Politikberatung und medialer Öffentlichkeit: „Die Vorstellung von Politikberatung als Altherrentreffen im Hinterzimmer des Bundeskanzleramtes halte ich oft für antiquiert. Massenmedien und die Vernetzung der Bürger führen dazu, dass Politiker sich Diskussionen öffentlich stellen müssen – und in diesem Kontext auch beraten werden können“, erklärt Schmees. Als konkretes Beispiel für seine Arbeit hat er sich hierbei die Diskussion über eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer ausgesucht.

„Es gab kaum ein so politisch kontroverses und gleichzeitig ökonomisch diffiziles Thema wie die Vermögensteuer: Deswegen habe ich eine hohe Präsenz von Wissenschaftler in den Talk-Shows vermutet, die erklären und Ratschläge abgeben: Dies war nicht so – und ich habe mich gefragt warum“, beschreibt er die Eingrenzung seines Themas. Gerade bei der Diskussion über eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer in Deutschland könne die Beobachtung der „Entwissenschaftlichung“ ideal festgemacht werden. Seit ihrer Aussetzung 1997 intensiv diskutiert, erreichte die Debatte im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 einen neuen medialen Höhepunkt. Und sobald es ums Geld geht, wird in der Medienöffentlichkeit oft populistisch diskutiert, weiß Schmees: „Vertreter der FDP, der CDU und die Mehrzahl der Inhaber von Familienunternehmen malen unterschiedliche Schreckensszenarien an die Wand, sehen aber alle ähnlich den deutschen Mittelstand gefährdet und Gleichheitsgrundsätze elementar verletzt. Initiativen wie umFAIRteilen und Attac und das linke Parteienspektrum der Bundesrepublik Deutschland fordern: 'starke Schultern müssen auch mehr tragen' und sprechen sich für eine 'Reichensteuer' aus“, beschreibt er das grundlegende Meinungsspektrum.

Einmal wöchentlich kommen in diesem Studio Maybrit Illner und ihre Gäste zusammen. Auch ihre Sendung ist eines der Beispiele, die Schmees in seiner Arbeit anführt - Denn Wissenschaftler vermissen wir im ZDF-Format allzu häufig.
Einmal wöchentlich kommen in diesem Studio Maybrit Illner und ihre Gäste zusammen. Auch ihre Sendung ist eines der Beispiele, die Schmees in seiner Arbeit anführt - Denn Wissenschaftler vermissen wir im ZDF-Format allzu häufig.

Aber wer ist eigentlich dazu in der Lage, die wirklichen Konsequenzen, Chancen und Risiken einer Vermögenssteuer kompetent darzulegen? „Glaubt man dem Phänomen der Gesellschaftstransformation in Deutschland hin zu einer Wissensgesellschaft, ist die Antwort eindeutig: Es müssten Wissenschaftler sein, deren Forschung sich direkt mit dem Thema der Vermögensteuer befasst“, erläutert Schmees den Betrachtungsgegenstand seiner Forschung. Gleichzeitig fällt im deutschen Fernsehen aber schnell auf: „Den Satz 'Wir begrüßen Herrn Professor Doktor...' vernimmt man in politischen Talk-Shows nur selten.“ Warum hört man gerade bei der Diskussion um die Vermögensteuer so wenig von den ausgewiesenen Fachleuten, den Wissenschaftlern - verlieren diese öffentlich an Bedeutung? Gibt es vielleicht nur mediale Stellvertreter, die sich vorher von diesen Fachleuten diskret briefen lassen oder fremdes Wissen rezitieren? Diese Fragen zu beantworten, setzte sich Schmees als Ziel seiner Arbeit: „Ich wollte mehr über die Hintergründe des öffentlichen Bedeutungsverlusts wissenschaftlichen Wissens erfahren und die Kommunikation dieses Wissens durch Wissenschaftler beschreiben“, erklärt er. 


Insgesamt vier Monate hat Schmees sich mit dieser Thematik beschäftigt. Dementsprechend vielfältig ist auch sein methodisches Vorgehen: Um die Auffassung der Präsenz und die ideale Rolle von Wissenschaftlern in TV-Polit-Talks zu analysieren, befragte Schmees in Leitfadeninterviews Redaktionsleiter, Experten und Wissenschaftler selbst. Abgerundet wird seine Arbeit durch eine Analyse der Gäste und eine Inhaltsanalyse der Sendungen.

„Öffentliche wissenschaftliche Politikberatung ist vom Diskurs abhängig, intransparent und nur für eine medienerprobte Wissenschaftler-Elite möglich. Der Diskurs der Vermögensteuer ist aber so politisiert, dass die Intermediäre und Wissenschaftler gegenüber Politkern weniger eingeladen werden“, fasst Schmees eine wesentliche Beobachtung zusammen. 


Überraschend seien die eklatanten Systemkonflikte des Medien- und des Wissenschaftssystems über die Rolle von Wissenschaft in der Öffentlichkeit. „Die Entwissenschaftlichung öffentlicher Diskurse in politischen TV-Talk-Shows ist durch die Medienmacht der Redaktionen und die überwiegende öffentliche Isolation der Wissenschaft zu begründen.“ Die Gründe dafür sind vielfältig: So nennt Schmees den „Popularisierungsdrang“, die „Fernsehtauglichkeit“ und die „Streitfähigkeit“ von Wissenschaftlern die dem Interesse der Wissenschaftler, ihr Wissen professionell zu vermitteln, deutlich gegenüberstünden. 


Vorsätzlich diskriminiert werden Wissenschaftler im deutschen Fernsehen aber trotz allem nicht: Auch Journalisten folgen nur ihrer eigenen Rationalität. Wer als Wissenschaftler heute im Fernsehen präsent ist, der ist für Schmees Teil einer „medienerprobten und -affinen Elite“, erklärt er: „Nur wer neben oder statt Wissen auch Meinungen und Handlungsempfehlungen öffentlich kommunizieren kann und will, der schafft es in die Talkshows von heute.“

Auch in amerikanischen Talk-Runden sind kaum Wissenschaftler anzutreffen. Und auch wenn hier Politiker zu Gast sind, geht es oft weniger um Inhalte, sondern mehr um "bunte Themen" rund um Familie und Leben.
Auch in amerikanischen Talk-Runden sind kaum Wissenschaftler anzutreffen. Und auch wenn hier Politiker zu Gast sind, geht es oft weniger um Inhalte, sondern mehr um "bunte Themen" rund um Familie und Leben.

Die Art und Weise, wie die Politik und Gesellschaft heute in diesen medialen Arenen beraten wird, habe sich dadurch verändert: Wissenschaftliches Wissen verliere gegenüber verschiedenen Formen der Expertise an Bedeutung. Die Plätze der Wissenschaftler nehmen betroffene Privatpersonen, Gewerkschaftschefs, Unternehmer, Journalisten und Prominente ein. Lediglich die Politikberater wissenschaftlicher Institute mit einem Schwerpunkt auf angewandter Forschung hätten heute noch ihren Ursprung im System der Wissenschaft.

Für Schmees sind diese Ergebnisse seiner Beobachtung kritisch zu bewerten. Denn durch die Entfernung wissenschaftlichen Wissens, würden „politische TV-Talk-Shows zum Nährboden intransparenter wissenschaftlicher Politikberatung“, fasst Schmees seine Meinung zusammen: „Es ist schwer zu entscheiden, ob ein medial aktiver Wissenschaftler in einem Diskurs Wissen instrumentalisiert, etwa zugunsten einer Agenda selektiv kommuniziert, oder eine rein erklärende Position einnimmt.“ Gerade deshalb stehen die Aussagen von Wissenschaftlern in TV-Polittalks unter Generalverdacht, erklärt Schmees: „Wissenschaftler können nicht mehr wie in der Habermas’schen Vorstellung nur Wissen oder Expertise kommunizieren. Problematisch dabei ist, dass man sich nicht sicher sein kann, ob ein Wissenschaftler eine fachliche Meinungsäußerung als Deckmantel der Verfolgung eigener oder fremder Interessen nutzt – und im Sinne Roger A. Pielke’s als „Stealth Issue Advocakt“ agiert“.

Die Diskussion der Wiedereinführung der Vermögensteuer stellt dabei sogar einen Sonderfall dar: „Das Thema ist auch jenseits von Wahlkämpfen stark politisiert. Deshalb ist eine kontroverse und strittige Diskussion zwischen Politikern schon mal garantiert“, beschreibt Schmees das Feld der Gäste in politischen Talkrunden. Zudem seien viele Politiker gleichzeitig auch Steuerexperten: „Wissenschaftler haben dann leider keine prinzipielle Daseinsberechtigung, weder als Erklärer noch als strittige Vertreter oder Unterstützer einer Position“, stellt er fest. Und so sei bei diesem Thema öffentliche wissenschaftliche Politikberatung zumindest in politischen TV-Talk-Sendungen de facto nur schwer möglich.

Doch trotz aller Kritik und Entwicklungen beruhigt Schmees am Ende: „Von einem generellen Ende öffentlicher Politikberatung in politischen TV-Talk-Shows kann man nicht sprechen“, erklärt er. Im Gegenteil sei die mediale Arena je nach Diskurs sogar besonders effektiv und attraktiv, wenn man nach den medialen Spielregeln spiele. Weiterhin sei aber fraglich, inwiefern Wissenschaftler dann tatsächlich eine Agenda verfolgen und weniger unabhängig erklären.

„Ich fürchte, dass diese Entwicklung, diese Problematik vielen Adressaten der Beratung, sowohl den Politikern als auch den Zuschauern, nicht bewusst ist, wenn sie wieder einschalten zu Anne Will, Maybrit Illner und Co.“ Und wer dieser Aussage von Schmees folgt, der beobachtet von nun an noch ein wenig kritischer die Aussagen derjenigen, die am Sonntagabend nach dem Tatort eingeladen sind.


Titelbild: Je-str / Wikimedia Commons
Bilder im Text: Flominator / Wikimedia Commons

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