Wissenschaft und Internet

Fake-Paper auf Konferenz

Natürlich gibt es auch vermeintlich wissenschaftliche Konferenzen, bei denen von vornherein klar ist, dass ein Manuskript mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genommen wird.

Jun.-Prof. Dr. Mark Mietzner
Juniorprof. für Finanzierung am Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen
 
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    Zur Person
    Jun.-Prof. Dr. Mark Mietzner

    Mark Mietzner studierte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main Betriebswirtschaftslehre. 2008 promovierte er an der European Business School (EBS) in Oestrich-Winkel über „Changes in Corporate Governance and Corporate Valuation“. Vor seinem Wechsel an die ZU war er an der Technischen Universität Darmstadt tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Themen aktivistische Aktionäre, Corporate Governance sowie die sogenannten „Special Purpose Acquisition Companies (SPACs)“, also börsennotierte Gesellschaften ohne eigenes operatives Geschäft mit dem Ziel von Unternehmensübernahmen, und „Credit Default Swaps (CDS)“, die Kreditderivate zum Handel von Ausfallrisiken von Krediten.  

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    Zum Ausprobieren: Der Paper-Generator SCIgen

    Wer selbst zum Autor eines Fake-Papers werden möchte, kann sich an der Online-Eingabemaske von SCIgen versuchen. Das "Original" unter den Paper-Generatoren lieferte seit 2005 tausende von Nonsens-Texten, die ihren Weg in unzählige Publikationen von seriöses Fachverlagen fanden. Wer will, wird hier in Sekundenschnelle zum Autor. ZU|Daily übernimmt allerdings kein Gewähr für die Richtigkeit der Veröffentlichung. 

    Zum Weiterlesen: Fake-Paper aktueller den je

    Wie erst im Februar 2014 bekannt wurde, fanden über 120 Nonsens-Texte ihren Weg in seriöse, wissenschaftliche Publikationen. Das Nature-Magazin deckt in einem Hintergrundtext die Zusammenhänge auf und sprach mit dem französischen Wissenschaftler, der dem Generator auf der Spur ist.  

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Die Schreibblockade: Der Alptraum nicht nur für Autoren oder Journalisten, sondern auch für Wissenschaftler und Studenten. Denn immer wieder müssen auch sie in wissenschaftlichen Abhandlungen ihre neusten Erkenntnisse schriftlich festhalten und ihren Professoren am Semesterende oder ihren Kollegen auf Konferenz präsentieren. Drei Studenten wollten mit einem Scherz abhilfe schaffen. Doch statt für ein Lächeln zu sorgen, haben sie 2005 gleich eine ganze, seriöse Konferenz vorgeführt.

Zum Ausprobieren: Der Paper-Generator SCIgen


Bis zu fünf Autoren können am Fake-Paper mitschreiben. Nur einen Mausklick später steht das fertige Produkt zum PDF-Export bereit. Einfach - und gerade deshalb für die Wissenschaft gefährlich.
Bis zu fünf Autoren können am Fake-Paper mitschreiben. Nur einen Mausklick später steht das fertige Produkt zum PDF-Export bereit. Einfach - und gerade deshalb für die Wissenschaft gefährlich.

Jeremy Stribling, Max Krohn und Dan Aguayo heißen die kreativen Köpfe hinter dem Paper-Generator, der seit Jahren immer wieder für Schmunzeln und Aufregung sorgt. 2005 entwickelten die drei Informatik-Studenten am amerikanischen Massachusetts Institute of Technology eine Software zum Generieren wissenschaftlicher Artikel. Zwar können Computer mittlerweile Unmengen von Daten speichern und berechnen, selbst intellektuell aktiv werden klappt aber noch immer nicht. "Der Algorithmus setzt Worte, Satzteile, Graphen, Diagramme und fiktive Literaturangaben zufällig zu einem neuen Text zusammen. Dieser sieht zwar ganz hübsch aus, ist aber ein Zufallsprodukt und auch völlig Sinn frei", erklärt Mietzner die simple Funktionsweise des Programms.


Denn schließlich greifen wissenschaftliche Publikationen immer wieder zu langen Sätzen, den gleichen Schlagwörtern und verschachtelten Formulierungen. SCIgen hieß dann schließlich das Ergebnis der drei Studenten: Eine Software, die in Sekundenschnelle automatisch unsinnige Texte erzeugt, Grafiken zusammenwürfelt und Literaturverzeichnisse erfindet. Sieht höchst wissenschaftlich aus - ist er aber nicht.

Mit ihrem Scherz stießen die Amerikaner eine ganze Welle von "gefakten" Papern auf wissenschaftlichen Konferenz an: Im Jahr 2005 reichten die drei zwei ihrer vollkommen unsinnigen Texte für die 9. World Multi-Conference on Systemics, Cybernetics and Informatics ein. Doch bereits wenige Tage später wurden die Arbeit ungeprüft von einem Wissenschaftler akzeptiert und zugelassen. Schnell wurde die Geschichte öffentlich, auch die Organisatoren der Konferenz bekamen Wind vom Schwindel und zogen die Zulassung zurück. Durch den hohen Zeitdruck auf Konferenzen sei es durchaus üblich, dass ein Teil der Arbeiten ungeprüft akzeptiert werde, hieß es. "Auf guten Konferenzen wird das anonymisierte Manuskript normalerweise von ein bis zwei Referees begutachtet und anhand verschiedener Kriterien, wie zum Beispiel thematische Relevanz, Methodik oder Erkenntnisgewinn, hinsichtlich seines wissenschaftlichen Beitrags eingestuft. 

Nicht selten bekommen die Autoren auch kleinere Hinweise, wie sie ihren Beitrag verbessern können. Daran kann man eigentlich auch sehr schön erkennen, wie intensiv sich die Gutachter mit dem Text auseinandergesetzt haben. Bei einer Fachzeitschrift sind ein bis zwei Referee Reports, die zum Teil mehrere Seiten umfassen und detaillierte Verbesserungsvorschläge geben, die Regel. Die Hausaufgaben der Gutachter sind meistens sehr umfangreich und auch ein genaues Befolgen der Ratschläge ist kein Garant für die Annahme des Beitrags.", erklärt Mietzner den ordnungsgemäßen Ablauf, sobald eine Arbeit bei einer Tagung oder einem Fachmagazin eingereicht wird.

Zum Weiterlesen: Fake-Paper aktueller den je


Auch die ZU|Daily-Redaktion hat sich auf die Schnelle an einem Fake-Paper versucht. Ansehnlich ist das Ergebnis auf jeden Fall geworden - Allerdings zweifeln wir bereits leicht an der Sinnhaftigkeit der Überschrift.

Doch damit nicht genug: Die Studenten meldeten sich trotzdem für weitere Konferenzen an, und präsentierten ihre Arbeit unabhängig von der Veranstaltung in einem Hotel - vor einem Zuhörer. In Albert-Einstein-Kostüm und mit Lachanfall. Trotzdem stoßen die Amerikaner seit Jahren mit ihrem Projekt auf Nachahmer. Ein Paper über eine vollkommen erfundene Methode für Online-Versandhandel wurde erst Ende 2013 auf einer Fachtagung in China präsentiert. Der Inhalt: Bunte Sätze und Begriffe ohne Sinn und Verstand. Denn in China gelang das, was die Studenten vom MIT nicht geschafft hatten. Mit Hilfe der IEEE, einem weltweiten Berufsverband von Ingenieuren, wurde der Tagungsband der Konferenz veröffentlicht. Mit an Bord: Das Paper aus dem Generator. 


Hunderte solcher Nonsens-Texte fand der französische Wissenschaftler Cyril Labbé in den vergangenen Jahren in den Veröffentlichungen wissenschaftlicher Fachverlage. Unter anderem auch beim deutschen Springer-Verlag, der für zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verantwortlich ist. Zur Überprüfung hat der Franzose einen Algorithmus geschrieben, der generierte Paper automatisch erkennt. Aber möglicherweise kratzt er damit nur an der Spitze eines Eisberges: Denn Labbé hat längst nicht alle Publikationen überprüfen können - und sein Algorithmus erkennt auch nur Veröffentlichungen des Programms SCIgen.

Woher kam aber die Motivation der Studenten? Mit ihrem simplen Tool wollten die Nachwuchswissenschaftler anprangern, wie selten Fachkonferenzen heute Einreichungen überprüfen. Auch Mietzner kann diesen Eindruck widerspiegeln: "Natürlich gibt es auch vermeintlich wissenschaftliche Konferenzen, bei denen von vornherein klar ist, dass ein Manuskript mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genommen wird." Die Gründe dafür sind vielfältig: Konferenzen werden öfter aus finanziellen Gründen veranstaltet, wenn Wissenschaftler hohe Gebühren für ihre Teilnahme zahlen müssen. Auch in Online-Publikationen, die frei lesbar sind, müssen Beträge gezahlt werden, damit Texte veröffentlicht werden.

So sind Paper-Generatoren also ein kleiner, aber nicht zu ignorierender Teil der Welt der Wissenschaft geworden. Vielleicht könnte der Generator auch für den verzweifelten Studenten am Ende der Prüfungsphase zur willkommenen Hilfe werden. Ganz so leicht klappt das aber nicht, entgegnet Mietzner mit einem Augenzwinkern: "Zu Glück lesen wir die Hausarbeiten unserer Studenten und dann fällt schnell auf, ob es sich um einen sinnfreien Zufallstext handelt." Was aber tun, wenn die zündende Idee für das nächste Paper einfach nicht kommen will? Statt zum Generator greift Mietzner dann lieber zum eigenen Kopf. Denn Tüfteln, Überlegen und Diskutieren machen für ihn den Reiz der Wissenschaft aus: "Bei mir sind es häufig empirische Befunde, die widersprüchlich erscheinen oder Rätsel aufgeben und damit meine Neugierde wecken. Da kommt es schon mal vor das mich ein Problem derart fesselt, dass ich bis spät in die Nacht über den Auswertungen hocke oder mit den Kollegen darüber diskutiere." Kopf an und Computer aus - dieses Motto funktioniert also auch noch in der Welt von heute. Und somit steht fest: Unsere Behauptung "Fake-Paper auf der Konferenz" ist wirklich wahr. Klingt komisch - ist es auch.


Titelbild: ainarastrom / flickr.com
Bilder im Text: Eigene Screenshots / SCIgen.com

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