Shitstorms

Straftaten in 140 Zeichen

von Professor Dr. Dirk Heckmann | Zeppelin Universität
08.09.2012
Sie betrachten die Twitterwelt wie ihr Wohnzimmer, bestenfalls als Stammtisch, wo man solche Dinge straffrei äußern dürfte.

Professor Dr. Dirk Heckmann
 
  •  
    Zur Person
    Professor Dr. Dirk Heckmann

    Professor Dr. Dirk Heckmann arbeitet und forscht am Zentrum für Recht, Sicherheit und Vertrauen in elektronischen Prozessen am Deutsche Telekom Institute for Connected Cities der Zeppelin Universität.

  •  
    Mehr ZU|Daily
    Im Auge des Shitstorms
    Ob Bankenrettung oder Euro-Krise: Politiker sind es gewohnt, sich im Auge des Sturms wiederzufinden. Neuerdings geht es nicht mehr um politische Inhalten, sondern öffentliche Äußerungen, die der Netzgemeinde nicht passen.
  •  
     
    Hä...?
    Haben Sie Fragen zum Beitrag? Haben Sie Anregungen, die Berücksichtigung finden sollten?
    Hier haben Sie die Möglichkeit, sich an die Redaktion und die Forschenden im Beitrag zu wenden.
  •  
    Teilen


Markus Rhomberg hat im ZU|Ruf "Im Auge des Shitstorms" die Entwicklungsstufen solcher öffentlichen Erregungsstürme beschrieben und Gegenmaßnahmen skizziert: die Entwicklung beobachten, im Frühstadium einzugreifen versuchen und Gegen- beziehungsweise Vorsorgemaßnahmen zu entwickeln. Wie aber steht es mit dem Recht als Schutzfaktor, zur Verhinderung schädlichen Verhaltens oder zumindest zu dessen Sanktionierung? Das Recht ist schließlich kein internetfreier Raum, oder?


Die juristische Beurteilung von Shitstorms fällt auf den ersten Blick leicht, erweist sich dann aber doch als symptomatisch für den Steuerungsverlust des Rechts im Internetzeitalter. Zunächst ist festzustellen, dass nicht wenige Tweets, die im Rahmen solcher Shitstorms abgesetzt werden, schlicht den Tatbestand einer strafbaren Beleidigung (§ 185 StGB), ggf. auch den einer Üblen Nachrede (§ 186 StGB) oder Verleumdung (§ 187), auch und besonders einer solchen gegen Personen des öffentlichen Lebens (§ 188 StGB) darstellt. Sogar der Spezialfall der Verunglimpfung des Bundespräsidenten (§ 90 StGB) wurde virulent. Die prägenden Tatbestandsmerkmale wie jene der Ehrverletzung, der Verächtlichmachung oder Herabwürdigung werden bei einzelnen Tweets inmitten solcher Shitstorms zweifellos erfüllt.


Nur: Davon lassen die Täter sich nicht beeindrucken. Sie betrachten die Twitterwelt wie ihr Wohnzimmer, bestenfalls als Stammtisch, wo man solche Dinge (vermeintlich) straffrei äußern dürfte. Oder eben als Ausdruck der Meinungsfreiheit, vielleicht auch zur demokratisch wichtigen politischen Willensbildung. Das wäre auch zutreffend, wenn und soweit solche Tweets keine Persönlichkeitsrechte verletzen würden, weil sie dann eben grundrechtlich nicht mehr geschützt sind. So wenig wie unfriedliche Demonstrationen.

Twitter

Und dann ist da noch der Streisand-Effekt. Beleidigende oder verunglimpfende Tweets vor Gericht zu bringen, könnte den üblicherweise schnell abebbenden Shitstorm im Einzelfall zu einem Tsunami ausarten lassen. Das Prinzip „Wo kein Kläger da kein Richter“ sollte dennoch nicht als Unwetterversicherung verstanden werden. Erste Gerichtsurteile liegen zumindest außerhalb von Deutschland bereits vor. So verurteilte ein britisches Gericht den Absender eines Tweets, in dem dieser leichtfertig einen Kricketspieler der illegalen Spielabsprache bezichtigt hatte. Nun muss er an diesen mehr als 100.000 Euro Schadenersatz zahlen. Und dies obwohl seinem Twitter-Account gerade einmal 65 Personen folgten.


Der begrenzte Radius schützt also nicht vor erheblichen Sanktionen, wie der Richter süffisant feststellte: „Heutzutage verbreitet sich das Gift viel schneller“. Zumindest für den angloamerikanischen Raum wird Twitter bereits als „neuer Markt für Beleidigungskläger bezeichnet“. Ein britischer Student wurde kürzlich wegen rassistischer Tweets gar zu einer Haftstrafe verurteilt.


Aber das sind Ausnahmefälle, die die Regel der faktischen Folgenlosigkeit strafbarer Tweets bestätigen; Twitter kennt kaum Rücksichtnahme. Eine traurige Regel, die keinen Bestand haben sollte. Anders als der dringend reformbedürftige Urheberschutz steht der Persönlichkeitsschutz, zumal als Schutz der Schwächeren im Internet, nicht auf einer allgemein anerkannten Streichliste. Gerade um der weit überwiegenden Zahl fairer Twitterer wegen sollten die schwarzen Schafe nicht unbehelligt bleiben. Dies aber nicht unbedingt durch polizeilichen Rundumschlag gegen Shitstorm-Provokateure. Neben konsequenter Strafverfolgung auf berechtigten Antrag gilt es den Sturm im Keim zu ersticken, so wie man Großfeuer mit Gegenfeuern bekämpft: Man sollte sich auch auf Twitter öfter mal auf die Seite der Opfer stellen. Mit Verve, Kreativität und Empathie.


Mein Fazit in 140 Zeichen: Freiheit gibt es im Internet nur, wenn sie mit Fairness einhergeht. Hasstweets sind kein Ausdruck von Freiheit, sie bescheinigen Dummheit.



Grafik: Andreas Fachner

7
7
 
Leserbrief

Haben Sie Anmerkungen zum Beitrag?
Ihre Sichtweise ist uns wichtig! Der Leserbrief gelangt direkt in die Redaktion und wird nach Prüfung veröffentlicht.
Vielen Dank für Ihr Verständnis!

Antwort auf:  Direkt auf das Thema antworten

 
Zeit, um zu entscheiden

Diese Webseite verwendet externe Medien, wie z.B. Videos und externe Analysewerkzeuge, welche alle dazu genutzt werden können, Daten über Ihr Verhalten zu sammeln. Dabei werden auch Cookies gesetzt. Die Einwilligung zur Nutzung der Cookies & Erweiterungen können Sie jederzeit anpassen bzw. widerrufen.

Eine Erklärung zur Funktionsweise unserer Datenschutzeinstellungen und eine Übersicht zu den verwendeten Analyse-/Marketingwerkzeugen und externen Medien finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.