Gedanken zu Kuba

„Den Sozialismus in seinem Lauf...“

Im 58. Jahr sind die großen Errungenschaften der Revolution nicht zu leugnen. Dennoch existiert ein gespaltenes Wirtschaftssystem, von dem einige Kubaner profitieren, andere aber ausgeschlossen sind: Profitorientierter Kapitalismus von Kleinunternehmern und im Tourismussektor existiert neben unrentablen sozialistischen Staatsbetrieben.

Prof. Dr. Wolfgang Muno
Vertretungsprofessur des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Wolfgang Muno

    1968 in Mainz geboren, studierte Muno Politik, Ethnologie und öffentliches Recht in Mainz und Venezuela. Danach hat die Region ihn nicht mehr los gelassen – es folgten Forschungsaufenthalte in Venezuela, Argentinien, Uruguay und auch Thailand.
    Er forscht vor allem zu Entwicklung und Unterentwicklung, warum einige Länder dieser Welt reich sind, andere arm, einige Länder gut funktionierende Demokratien haben, andere große politische Probleme, was Entwicklung fördert oder behindert.
    Nach seiner Promotion 2003 lehrte er in Koblenz, Würzburg und Erfurt. Seit Herbst 2014 ist er Vertretungsprofessor für Internationale Beziehungen an der Zeppelin Universität.  

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Die Kommunistische Partei Kuba (PCC) wurde erst einige Jahre nach der Revolution 1965 gegründet, kontrolliert aber bis heute alle Lebensbereiche der Kubaner. Schulen und Universitäten, Betriebe und Medien sind staatlich beziehungsweise werden von der Partei kontrolliert, die Komitees zur Verteidigung der Revolution (Comité de Defensa de la Revolución, CDR) fungieren als Nachbarschaftswächter – oder besser: als Blockwarte. Bis 2008 war Fidel Castro Staats- und Parteichef und zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte, seitdem regiert sein Bruder Raúl. 2013 kündigte Raúl an, nicht über die bis 2018 andauernde Amtszeit als Staatschef regieren zu wollen. Auf dem vergangenen Parteitag der PCC im April 2016 bekräftigte er dies, zugleich wurde er aber für weitere fünf Jahre – also bis 2021 – zum Parteichef gewählt. Zudem wurden alle wichtigen Ämter mit treuen Parteigenossen besetzt, sodass die Partei und damit das Land weiterhin fest in den Händen der Castros bleiben. Damit ist Kuba eine Gerontokratie, mit dem 85-jährigen Raúl an der Spitze und dem fast 90-jährigen Fidel, der immer noch sehr präsent ist und mit Kommentaren und Reden in den Parteizeitungen die Linie vorgibt. Opposition und Kritik wird in dem kommunistischen Einparteienstaat nach wie vor nicht geduldet.
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Der mexikanische Diktator Porfirio Diaz soll gesagt haben: „Armes Mexiko! So nah an den USA, so fern von Gott.“ Die atheistischen Kader in Kuba würden diesen Spruch nicht exakt wiederholen, die Problematik trifft aber auch auf Kuba zu. Nach der Unabhängigkeit von Spanien, die 1898 mit US-amerikanischer Unterstützung erlangt wurde, stand Kuba unter politischer, wirtschaftlicher und militärischer Kontrolle des großen Nachbarn im Norden. Der US-Senator Orville Platt ließ in die kubanische Verfassung das „Platt Amendment“ integrieren, ein Anhang, der den USA jederzeit das Recht auf Intervention einräumte. Im Laufe der Jahre wurde Kuba de facto eine Kolonie, seit der Prohibition ein Tummelplatz für Glücksspiel, Prostitution und die Mafia.


Die Revolution beendete diese einseitige Beziehung, Kuba enteignete US-Besitz und wandte sich der Sowjetunion zu. Die USA verhängten 1962 Wirtschaftssanktionen, die bis heute in Kraft sind. Aus Sicht Kubas ist „el bloqueo“ ein Verstoß gegen das Völkerrecht (eine Vielzahl von Resolutionen der Vereinten Nationen stützen diese Position), dennoch ließen sich die USA nicht beirren und hielten an den Sanktionen fest. Mehrere Versuche, die kubanische Revolution zu beenden und/oder Fidel Castro durch Attentäter beseitigen zu lassen, scheiterten – es werden sogar Versuche mit vergifteten Zigarren kolportiert, aber hier weiß niemand so genau, was Legende und was Wahrheit ist. Berühmt ist die Schweinebucht-Invasion im April 1962, bei der von der CIA unterstützte Exil-Kubaner einen Invasionsversuch starteten, der aber von den Kubanern rasch und problemlos abgewehrt wurde.


Im Oktober 1962 schließlich brachte die Kuba-Krise die Welt an den Rand eines Dritten Weltkrieges: Die Sowjets hatten Nuklearraketen auf Kuba stationiert, die von den USA als direkte Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen wurden. In der US-Regierung wurde eine Invasion Kubas diskutiert, John F. Kennedy entschied sich aber für einen Deal mit Nikita Chruschtschow – die Sowjets zogen die Raketen ab, im Gegenzug garantierten die USA die Unversehrtheit Kubas und zogen zudem Raketen aus der Türkei ab.


Bis zur jüngst erfolgten Annäherung unter Obama war Kuba spätestens seit der Kuba-Krise als Feindesland zementiert und die Castros galten als Staatsfeinde. Im Sommer 2015 wurde die US-Botschaft in Havanna wieder eröffnet. Aber nach wie vor ist das Verhältnis sehr angespannt und kompliziert. Ein wichtiger Streitpunkt ist die US-Basis Guantánamo (von den USA seit 1903 gepachtet) Kuba sieht dies als Neokolonialismus und fordert die Rückgabe.

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Die kubanische Wirtschaft steht auf sehr wackeligen Beinen. Nach der Revolution brachen die Beziehungen zu den USA – dem Haupthandelspartner – komplett zusammen. Die Hinwendung zur Sowjetunion führte zu einem Tauschhandel im Rahmen des kommunistischen COMECON-Systems, Kuba exportierte seinen Zucker in die sozialistischen Bruderstaaten und wurde im Gegenzug mit allem Nötigen versorgt. Die Bevölkerung erhielt alles Lebensnotwendige mit der Lebensmittelkarte „libreta“ zugeteilt, die sozialistische Planwirtschaft regierte das Land.


Mit den Zusammenbruch des Kommunismus brachen Anfang der 1990er-Jahre harte Zeiten für Kuba an, in der Wirtschaftskrise („periodo especial“) reagierte die Partei mit harten Sparmaßnahmen, öffnete aber auch schließlich das Land für den Tourismus, um an notwendige Devisen zu gelangen. Mit dem Linksruck in Lateinamerika wiederum eröffneten sich neue Spielräume für Kuba – beispielsweise im Rahmen des regionalen Bündnisses ALBA (Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestro América – Tratado de Comercio por los Pueblos).


Paradebeispiel sind die Beziehungen zu Venezuela: Der damalige venezolanische Präsident Hugo Chávez wollte Venezuela als Regionalmacht etablieren und begann, Öl zu Sonderkonditionen zu exportieren. Wichtigstes Element der Öldiplomatie war „Petrocaribe“, in dessen Rahmen Abkommen mit etlichen Staaten der karibischen Region abgeschlossen wurden. Kuba erhält seitdem mehr als 90 000 Barrel Öl pro Tag, im Gegenzug arbeiten etwa 30 000 Kubaner als Ärzte, Lehrer, Krankenschwestern, aber auch als Berater des Militärs, der Polizei und des Geheimdienstes, um das venezolanische Regime zu stärken.


Damit ist Kubas Wirtschaft erneut von Abhängigkeit geprägt. War es zuerst die koloniale Abhängigkeit von Spanien, danach die neokoloniale von den USA, später dann die vom kommunistischen Bruder Sowjetunion, so ist Kuba derzeit von den Öllieferungen Venezuelas abhängig. Da Venezuela aber derzeit wirtschaftlich, sozial und politisch am Rande des Kollapses steht, sieht es nicht gut aus für Kubas Zukunft.

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Mit den notwendigen Anpassungen in den 1990er-Jahren und dem aufkommenden Tourismus wurde ein doppeltes Währungssystem eingeführt. Es gibt den nationalen Peso und den „Peso Convertible“ (CUC). Ein CUC ist etwa einen Euro wert und entspricht ungefähr 25 Pesos der „Moneda nacional“. Während Grundnahrungsmittel wie Brot, Eier oder Bananen spottbillig sind und auf den freien Bauernmärkten Obst und Gemüse nur ein paar Centavos nacionales kosten, lassen sich viele Produkte nur noch in CUC bezahlen oder sind astronomisch teuer für Kubaner. Ein Liter Milch kostet im staatlichen Supermarkt 2 CUC, ein Kilo Mehl 1 CUC, ein Liter Öl 2 CUC, ein Bier circa 1 bis 2 CUC und ein Essen in einem Restaurant fünf bis zehn CUC. Da das Durchschnittseinkommen bei umgerechnet etwa 20 Euro im Monat liegt (selbst Ärzte oder Professoren verdienen unwesentlich mehr) und Staatsangestellte in „Moneda nacional“ bezahlt werden, sind Kubaner auf Devisen beziehungsweise CUC angewiesen, wenn sie mehr als nur das Allernötigste haben wollen.


Ein Teil der Kubaner überlebt durch Zahlungen von Verwandten aus dem Ausland, insbesondere aus den USA. Obama hat die Möglichkeit von „Remittances“ liberalisiert und sich so sehr viele Sympathien bei der „Cuban Community“ in den USA, aber auch in Kuba erworben. Ein anderer Teil der Kubaner versucht, als Kleinunternehmer Kapitalismus inmitten des Sozialismus zu leben, als Taxifahrer, Kellner oder durch Prostitution an Geld zu kommen. Schließlich gibt es einen dritten Teil der kubanischen Bevölkerung, die weder Verwandte noch Kontakte zu Touristen haben – also die Verlierer des Systems!


Das Stadtbild Havannas zeigt ganz deutlich die Spaltung. Wo Geld zu machen ist, werden die wunderschönen Kolonialbauten und die neoklassizistischen Gebäude der Republik Kuba restauriert, direkt daneben (und insbesondere abseits der Touristenmeile) dominieren baufällige Häuser, die in Deutschland von jeder Behörde wegen Einsturzgefahr geschlossen würden, von den Kubanern aber bewohnt werden müssen.

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Wenig Hoffnung setzen die Kubaner auf China. Ähnlich wie in seinen Beziehungen zur gesamten Region Lateinamerika hat China die Intensität seiner Wirtschaftskooperation mit Kuba in den letzten anderthalb Dekaden enorm gesteigert. Dieser relative Zuwachs darf allerdings den Blick darauf nicht verstellen, dass Kuba nach wie vor kein Haupthandelspartner Chinas ist, auch nicht in der Region (lediglich in der Subregion Karibik). Während der Handel mit Brasilien 2012 einen Umfang von 84 Milliarden US-Dollar besaß, erreichte der chinesisch-kubanische Handel die Marke von gerade mal zwei Milliarden US-Dollar. Damit ist China zwar nach Venezuela der zweitgrößte Handelspartner für Kuba (2011 gingen etwa 13 Prozent aller kubanischen Exporte – maßgeblich Nickel und Zucker – nach China). Chinas Interesse an der Ausweitung der Austauschbeziehungen scheint dabei aber maßgeblich von rein ökonomischen Interessen geprägt zu sein und ist weit davon entfernt, Subventionen wie die damalige Sowjetunion oder Venezuela zu bieten.


Trotz einer Rhetorik, die eine sozialistische Bruderschaft suggeriert, geht es China um Profite, was auch die Kubaner wissen. „Die Chinesen sind sehr deutlich. Sie werden kein Wohltäter sein, wie es die Sowjetunion war. Ein chinesischer Diplomat sagte mir ganz offen: ,Unsere Beziehungen müssen zum gegenseitigen Vorteil sein oder sie werden nicht funktionieren‘“ – so Mauro García Triana, ehemaliger kubanischer Botschafter in China.

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Ein unterschätztes Problem liegt in der demographischen Entwicklung Kubas. Die Gerontokraten Fidel und Raúl Castro zeigen, wie agil die älteren Kubaner sind, und auch die 90jährigen Musiker des „Buena Vista Social Club“ waren beeindruckend. Aber die kubanische Gesellschaft weist eine niedrige Geburtenrate auf und überaltert zunehmend, nicht zuletzt auch aufgrund der relativ guten medizinischen Versorgung. Leben heute etwa elf Millionen Menschen in Kuba, so werden es 2025 genauso viele sein, dabei steigt der Anteil der über 60-jährigen auf über 25 Prozent. In wenigen Jahrzehnten wird Kuba die älteste Gesellschaft in den Amerikas haben.


Zudem gibt es eine doppelte Migration. Einerseits eine Landflucht, das heißt insbesondere die jüngere Bevölkerung verlässt die ländlichen Regionen und zieht nach Havanna (und vielleicht noch in einige Touristenzentren wie Varadero), da nur dort wirtschaftliche Perspektiven existieren. Damit werden entlegene Regionen des Landes entvölkert beziehungsweise überaltern noch stärker als der nationale Durchschnitt suggeriert. Andererseits gibt es eine „echte“ Landflucht, ein Gros der Kubaner suchen ihr Heil und ihre Zukunft im Ausland, und dabei sind es erneut die jüngeren, die gehen. In den USA leben bereits etwa 2 Millionen Cuban Americans, viele zieht es auch nach Europa. Vielleicht passt eine überalterte Gesellschaft dann noch besser zu den teilweise wunderschön restaurierten alten US-Straßenkreuzern aus den 1950er-Jahren, die das Straßenbild Havannas prägen und abends am Malecón – der Strandpromenade – mit Touristen cruisen.


Fazit: Im 58. Jahr sind die großen Errungenschaften der Revolution nicht zu leugnen. Kuba hat eine kostenlose Gesundheitsversorgung, zudem ist Bildung kostenfrei und hat ein beachtliches Niveau! Gleichzeitig existiert ein gespaltenes Wirtschaftssystem, von dem einige Kubaner profitieren, andere aber ausgeschlossen sind: Profitorientierter Kapitalismus von Kleinunternehmern und im Tourismussektor existiert neben unrentablen sozialistischen Staatsbetrieben. Die Kommunistische Partei hat Kuba nach wie vor fest im Griff und die Weichen gestellt, auch die nächsten Jahre an der Macht zu bleiben. Aber die Abhängigkeit von Devisen ist greifbar und nicht zuletzt die Krise des wichtigsten Verbündeten Venezuelas wirft große Schatten auf die sonnenüberflutete Karibikinsel.

Titelbild:

| Prof. Dr. Wolfgang Muni / Zeppelin Universität


Bilder im Text:

| Prof. Dr. Wolfgang Muno / Zeppelin Universität (Bild 1 bis 4)

| Ba-Su / pixabay.com (CC0 Public Domain)

| stestu / pixabay.com (CC0 Public Domain)


Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Wolfang Muno

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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