Eröffnung des Louvre Abu Dhabi

Humanismus als Trophäe

Das sehr spezifische und voraussetzungsreiche museale Ritual der schweigenden Betrachtung und Urteilsbildung, das zu Recht auch als Übung der Demokratiefähigkeit gedeutet wurde, wird in Abu Dhabi in ein exklusives Luxuserlebnis transformiert: Das selbsternannte Weltmuseum scheint eher ein Erlebnispark bürgerlicher Kultur, als dass es einen konkreten Begriff des Humanen entwerfen würde.

Prof. Dr. Karen van den Berg
Lehrstuhl für Kunsttheorie & Inszenatorische Praxis
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Karen van den Berg

    Professor Dr. Karen van den Berg ist Professorin für Kunsttheorie und Inszenatorische Praxis an der Zeppelin Universität. Sie studierte Kunstwissenschaft, Klassische Archäologie und Nordische Philologie in Saarbrücken und Basel, wo sie auch promovierte. Von 1993 bis 2003 war sie Dozentin für Kunstwissenschaft am Studium fundamentale der Privatuniversität Witten/Herdecke. Seit 1988 realisiert sie als freie Ausstellungskuratorin zahlreiche Ausstellungsprojekte in öffentlichen Räumen und in Kunstinstitutionen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Kunst und Öffentlichkeit, Kunstvermittlung und Politik des Zeigens, Kunst und Emotionen, Rollenmodelle künstlerischen Handelns sowie die sozialen Effekte von Bildungsarchitekturen.  

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Genau 20 Jahre nach der denkwürdigen Eröffnung der Dependance des New Yorker Guggenheim-Museums in Bilbao beginnt wohl eine neue Ära in der Museumsgeschichte: So wird der vom französischen Stararchitekten Jean Nouvel entworfene und kürzlich eröffnete Louvre Abu Dhabi den Blick auf die Institution Museum verändern. Das liegt nicht nur an der imposanten, lichtdurchfluteten und extrem fotogenen Architektur und dem edlen Arrangement der Exponate, von denen dieser Tage Bilder durch alle Medien gehen.


Was bei dem Bau am Arabischen Golf mit seiner fünf Fußballfelder großen ikonischen Kuppel vor allem zu denken gibt, ist der extrem ambitionierte Anspruch des Großprojektes als Welt- und Universalmuseum und seine affirmative Schönheit. Der Louvre in Abu Dhabi verdankt sich dabei keineswegs allein kulturellen und philanthropischen Interessen. Auch steckt hinter dem Projekt mehr als die Hoffnung auf die symbolische Aufwertung der Stadt durch die Imagearchitektur und prestigeträchtige Exponate. Selbstverständlich war das Projekt in den Emiraten vom sogenannten „Bilbao-Effekt“ inspiriert, also von dem Versprechen, durch eine spektakuläre Museumsarchitektur Touristen anzuziehen: Schließlich ist dieser Effekt weltweit zum Mantra von Stadtplanern geworden.

Der neue Kunsttempel der Vereinigten Arabischen Emirate ist das erste arabische Museum mit universellem Anspruch: Auf mehr als 6.000 Quadratmetern sollen hier die Geschichte der Menschheit erzählt und die Gemeinsamkeiten der Kulturen betont werden. Das Projekt wurde im März 2007 zwischen Abu Dhabi und Frankreich besiegelt – die Scheichs bezahlten rund eine Milliarde Franken für den Namen „Louvre“, Leihgaben und Expertise. Der Bau verzögerte sich aber um mehrere Jahre, die Eröffnung musste mehrfach verschoben werden.
Der neue Kunsttempel der Vereinigten Arabischen Emirate ist das erste arabische Museum mit universellem Anspruch: Auf mehr als 6.000 Quadratmetern sollen hier die Geschichte der Menschheit erzählt und die Gemeinsamkeiten der Kulturen betont werden. Das Projekt wurde im März 2007 zwischen Abu Dhabi und Frankreich besiegelt – die Scheichs bezahlten rund eine Milliarde Franken für den Namen „Louvre“, Leihgaben und Expertise. Der Bau verzögerte sich aber um mehrere Jahre, die Eröffnung musste mehrfach verschoben werden.

Museen gelten länger schon als Wirtschaftsfaktoren und ökonomische Treiber, aber am Golf wird dieses Konzept in eine neue Dimension katapultiert und geschieht unter veränderten Vorzeichen. Die Gründung des Louvre Abu Dhabi ist ein Milliardendeal. Hier geht es nicht – wie vor 20 Jahren in Bilbao – um ein privates amerikanisches Museum, das eine Filiale in Europa errichtet, sondern um den französischen Staat, der ein Kunstgeschäft der Superlative abgeschlossen hat. Dabei hat Frankreich nicht etwa seine Kunstschätze veräußert, sondern sein kulturelles Know-how.


Allein um den Markennamen „Louvre“ bis 2047 nutzen zu dürfen, zahlt das Emirat 400 Millionen Euro an Paris. Weitere 164 Millionen Euro kosten die Aufbauhilfe und die Schulung der Kuratoren durch das Louvre-Personal, 190 Millionen Euro die Dauerleihgaben aus Paris und 195 Millionen Euro die Wechselausstellungen, die bis 2026 geplant sind.

Der Louvre in Paris gilt als das Museum der Museen. Der Louvre am Golf will nun ein Weltmuseum und ein Universalmuseum des 21. Jahrhunderts sein. Er will – so die Verantwortlichen – nicht mehr und nicht weniger als die Geschichte der Menschheit neu erzählen. „See humanity in a different light“ lautet das Motto, mit dem das Museum für sich wirbt. Das futuristische Gebäude liefert hierfür den extravaganten Rahmen, und auch das Arrangement der Exponate ist ungewöhnlich. In zwölf Kapiteln wird ein Narrativ der Menschheitsgeschichte umrissen. Das hoch ästhetische, aber wenig komplexe kuratorische Konzept fasst unter jedem Kapitel Exponate aus jeweils drei Kulturkreisen zusammen. Das Who is Who der französischen Kunst gibt hierbei den Ton an. Neben Manet, Monet und Degas trifft man auf Buddha-Köpfe aus China, Objekte aus dem Benin, neolithische Vasen aus der Golfregion Marawa, ein schillerndes Werk von Ai Weiwei und als Highlight Leonardo da Vincis „La Belle Ferronnière“.
Der „Original-Louvre“ residiert in Paris in der ehemaligen Residenz der französischen Könige. Das Museum ist mit etwa zehn Millionen Besuchern das meistbesuchteste und, gemessen an der Ausstellungsfläche, das drittgrößte Museum der Welt. Der Ursprung der Sammlung geht auf das 14. Jahrhundert zurück. Heute umfasst die Sammlung ungefähr 380.000 Werke, von denen etwa 35.000 Exponate auf einer Fläche von mehr als 60.000 Quadratmetern präsentiert werden. Besonders hervorzuheben ist die Qualität der griechischen und römischen Antikensammlungen, der Abteilungen der italienischen Renaissancemalerei und der flämischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts sowie der französischen Malerei des 15. bis 19. Jahrhunderts.
Der „Original-Louvre“ residiert in Paris in der ehemaligen Residenz der französischen Könige. Das Museum ist mit etwa zehn Millionen Besuchern das meistbesuchteste und, gemessen an der Ausstellungsfläche, das drittgrößte Museum der Welt. Der Ursprung der Sammlung geht auf das 14. Jahrhundert zurück. Heute umfasst die Sammlung ungefähr 380.000 Werke, von denen etwa 35.000 Exponate auf einer Fläche von mehr als 60.000 Quadratmetern präsentiert werden. Besonders hervorzuheben ist die Qualität der griechischen und römischen Antikensammlungen, der Abteilungen der italienischen Renaissancemalerei und der flämischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts sowie der französischen Malerei des 15. bis 19. Jahrhunderts.
Nun ist es im Emirat mit dem Humanismus nicht weit her. So berichtete „Human Rights Watch“ schon während der Bauarbeiten über die Arbeitsmigranten, die auf der Baustelle rechtlos unter unmenschlichen Bedingungen schufteten. Das Museum mit seinem elegant arrangierten Parcours bleibt daher ein Museum in einem Land, für das all jene Deutungsfreiheiten fremd sind, die die Künste in Europa schufen. Entsprechend wird das ganze Arsenal an Wissensformen, Diskursen und Praktiken, das die Franzosen importiert haben – also die Architektur, die Auswahl der Exponate, die Szenografie, die Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramme wie auch die Museumsdidaktik – auf einen ganz anderen Kontext treffen, der sich das eingekaufte Paket sicherlich auf seine Weise aneignen wird.

Kunstmuseen gelten in Europa als Orte der Bildung und Weltaneignung und als Institutionen, die dem aufgeklärten selbstbestimmten Subjekt einen Raum zur ästhetischen und kritischen Urteilsbildung bieten. Zur „Schule der Befremdung“ – wie Peter Sloterdijk das idealtypische Museum bezeichnete – wird Haus am Golf sicher nicht. Das sehr spezifische und voraussetzungsreiche museale Ritual der schweigenden Betrachtung und Urteilsbildung, das zu Recht auch als Übung der Demokratiefähigkeit gedeutet wurde, wird daher in Abu Dhabi in ein exklusives Luxuserlebnis transformiert: Das selbsternannte Weltmuseum scheint eher ein Erlebnispark bürgerlicher Kultur, als dass es einen konkreten Begriff des Humanen entwerfen würde. Der Humanismus wird zur symbolischen Hülse, er wird zur Beute, zum Fetisch, den man sich kauft, wie man sich eben einen Luxusartikel leistet. Die Hervorbringung eines kritischen Blickes, der sich irritieren lässt und in seiner Urteilskraft herausgefordert wird, ist dabei weniger gefragt.


Emmanuel Macron bezeichnete das Gebäude bei der Eröffnung denn auch stolz als „Tempel der Schönheit“. Laura Weißmüller nannte es in der Süddeutschen Zeitung als „unverschämt schön“. Ich darf gespannt sein, ob dieser Artikel schon reicht, um mir die Einreise in den Golfstaat zu verweigern.

Titelbild:

| Gabriel Jorby / flickr.com (CC BY-ND 2.0) | Link


Bilder im Text:

| Gabriel Jorby / flickr.com (CC BY-ND 2.0) | Link

| EdiNugraha / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Karen van den Berg

Redaktionelle Umsetzung: CvD

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