Verkehrspolitik

Chaostage bei der Deutschen Bahn

Die Politik ist gefragt, wirklich Verantwortung für das Verkehrssystem in Deutschland zu übernehmen. Sie scheint damit derzeit überfordert zu sein.

Prof. Dr. Alexander Eisenkopf
ZEPPELIN-Lehrstuhl für Wirtschafts- und Verkehrspolitik
 
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    Prof. Dr. Alexander Eisenkopf

    Alexander Eisenkopf studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Nach seiner Promotion über Just in Time-orientierte Fertigungs- und Logistikstrategien arbeitete und lehrte Eisenkopf in Gießen und Frankfurt. Seit 2003 ist Eisenkopf Professor an der Zeppelin Universität und Gastdozent an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf Mobilität und Transportunternehmen.

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Zum dritten Male im noch jungen Jahr 2019 wurde in der vergangenen Woche das Bahn-Management ins Verkehrsministerium einbestellt, um über die Zukunft der Deutschen Bahn zu beraten. Vorausgegangen war im vergangenen Herbst ein Brandbrief des Konzernvorstands an seine Führungskräfte, in dem dieser die besorgniserregende Lage des Unternehmens schonungslos benannte, ein Ausgabenmoratorium verordnete und zum Zusammenrücken im „Systemverbund“ aufforderte. Aufgeheizt wurde die Stimmung anschließend durch den vom Bundesverkehrsminister installierten „Bahn-Beauftragten“ und parlamentarischen Staatsekretär Enak Ferlemann, der in Interviews der Bahn vorwarf, sie produziere zu ineffizient und zu teuer; außerdem gäbe es ein massives Managementversagen. Die Rede war von einer Lehmschicht des mittleren Managements, die sich zwischen dem Vorstand und den operativen Ebenen ausgebreitet habe. Zuletzt forderte Ferlemann ebenfalls in der Presse, dass die Bahn von ihrer Strategie der Billigtickets abrücken sollte – eine angesichts seiner Rolle als parlamentarischer Staatssekretär beim BMVI höchst bemerkenswerte Äußerung zu geschäftspolitischen Fragen einer bundeseigenen Aktiengesellschaft.


Offensichtlich liegen die Nerven sowohl bei der Bahn wie auch im Verkehrsministerium blank. Die grottenschlechten Pünktlichkeitswerte des Fernverkehrs – nur drei Viertel der Züge sind im vergangenen Jahr pünktlich angekommen, wobei pünktlich bei der Deutschen Bahn etwa im Vergleich zur Schweiz sehr großzügig definiert ist – sowie die allfälligen Qualitätsprobleme werden in den Medien zunehmend skandalisiert. Da die Bahn die Menschen in Deutschland nicht nur physisch bewegt, haben solche Themen sehr schnell mediale Präsenz bis zur Seite 1 der Bild-Zeitung. Negativschlagzeilen und Horrormeldungen über die Zustände in dem bundeseigenen Unternehmen schaukeln sich auf. Der in der Diskussion stehende Schienenpersonenfernverkehr steht mit schätzungsweise 4,5 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2018 allerdings nur für etwa 10 Prozent des Konzerngeschäftes. Erheblichen Handlungsdruck generieren wohl auch die anderen Sparten, allen voran der Schienengüterverkehr. Das Ganze ist anscheinend so schlimm, dass die in diesem Jahr anstehenden Feierlichkeiten zum 25-jährigen Jubiläum der Bahnreform wohl eher still begangen werden. „Früher war mehr Lametta!“, um mit Loriot zu sprechen.


Da Politiker Negativschlagzeilen und mediale Empörung in ihrem Ressort mehr fürchten als der Teufel das Weihwasser, sieht man sich beim Eigentümer Bund zu hektischen Reaktionen gezwungen. Einem Verkehrsminister wie Andreas Scheuer, der gerne über alle Kanäle Erfolgsmeldungen verbreitet, kann nicht egal sein, was hier abläuft. Handlungsfähigkeit beweist man anscheinend, indem man nach Gutsherrenart den Bahnvorstand zum Frühstück einbestellt und im Gefecht der verbundenen Waffen einen Bahnbeauftragten von der Seitenauslinie Giftpfeile abschießen lässt, sich aber davon sofort distanziert. Zwar ist den Einlassungen von Herrn Ferlemann inhaltlich durchaus zuzustimmen: Die Bahn hat einen strategischen Fehler gemacht, auf die Billigstrategie der Fernbusse mit gleicher Münze zu antworten; so sind die Züge zwar voll, die Auslastung deutlich besser, aber am Ende bleibt nichts hängen, und die zu Stoßzeiten völlig überlasteten Kapazitäten tragen neben Mängeln bei Wartung und Instandhaltung erheblich zu den zahlreichen Verspätungen bei. Die Tatsache aber, dass ein hochrangiger, regierungsnaher Politiker dem Vorstand eines bundeseigenen Unternehmens öffentlich Ratschläge nicht nur zur Preispolitik gibt und der zuständige Minister innerhalb weniger Wochen den Vorstand dreimal zum Rapport einbestellt, zeigt, dass man in der Invalidenstraße 44 von einer guten Governance der Bahn nichts verstanden hat oder nichts mehr wissen will.

Regelmäßig lädt CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer den Bahnchef Richard Lutz zum Krisengespräch. Trotz aller Probleme bekannte er sich erst vor wenigen Tagen erneut klar zum Konzernchef: „Der Vorstandschef der Bahn macht einen guten Job. Über Richard Lutz gibt es keine Diskussionen“, sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Das Team Lutz muss die Bahn in den nächsten Monaten wieder fit machen.“ Der bundeseigene Konzern steht wegen Unpünktlichkeit und Servicemängeln bei vielen Fernzügen unter Druck. Die Finanzierung wichtiger Investitionen ist auch nach mehreren Spitzentreffen des Managements mit Scheuer vorerst offen. Zum generellen Kurs des Konzerns sagte Scheuer, Zuwächse bei den Fahrgastzahlen zeigten, dass die Bahn attraktive Angebote habe. „Wie teuer sie ihre Tickets anbietet, muss die Bahn selbst entscheiden. Ich habe das Vertrauen, dass die Preise attraktiv bleiben und noch mehr Menschen Bahn fahren.“
Regelmäßig lädt CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer den Bahnchef Richard Lutz zum Krisengespräch. Trotz aller Probleme bekannte er sich erst vor wenigen Tagen erneut klar zum Konzernchef: „Der Vorstandschef der Bahn macht einen guten Job. Über Richard Lutz gibt es keine Diskussionen“, sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Das Team Lutz muss die Bahn in den nächsten Monaten wieder fit machen.“ Der bundeseigene Konzern steht wegen Unpünktlichkeit und Servicemängeln bei vielen Fernzügen unter Druck. Die Finanzierung wichtiger Investitionen ist auch nach mehreren Spitzentreffen des Managements mit Scheuer vorerst offen. Zum generellen Kurs des Konzerns sagte Scheuer, Zuwächse bei den Fahrgastzahlen zeigten, dass die Bahn attraktive Angebote habe. „Wie teuer sie ihre Tickets anbietet, muss die Bahn selbst entscheiden. Ich habe das Vertrauen, dass die Preise attraktiv bleiben und noch mehr Menschen Bahn fahren.“

Jetzt rächt sich, dass die Verkehrspolitik mehr als ein Jahrzehnt lang die Zügel hat schleifen lassen und keine realistische Vorstellung davon entwickelt hat, was man mit dem Bahnsystem in Deutschland und der Deutschen Bahn AG im Besonderen eigentlich vorhat und wie das zu bewerkstelligen ist – von der in den allfälligen Sonntagsreden erhobenen Forderung, dass Güter (und natürlich auch Personen) auf die Bahn gehörten, natürlich abgesehen. In der Ära Mehdorn hat die Bahn dieses Vakuum trefflich ausgenutzt und seinen Plan vorangetrieben, als global aufgestellter Mobilitäts- und Logistikkonzern an die Börse zu gehen. Glücklicherweise wurde dieses von Großmannssucht geprägte Vorhaben im Jahr 2009 von der Finanzkrise ausgestoppt. Die anschließenden Aufräum- und Wiederbelebungsarbeiten gestalteten sich schwierig und langwierig. Insgesamt wird man das Gefühl nicht los, dass das Bahnsystem noch heute an den Spätfolgen des Mehdornschen Börsenkurses leidet.


Von besonderem bahnpolitischem Desinteresse geprägt war die Ära von Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Man ließ den netten und verbindlichen Herrn Rüdiger Grube machen, wobei Milliardenabschreibungen auf die Buchwerte der unter Mehdorn erworbenen ausländischen Beteiligungen nicht zu spontanen Frühstückseinladungen in die Invalidenstraße führten. Weißwurst hätte dem Hanseaten Grube, der seinerzeit von Cornelia Poletto bekocht wurde, wahrscheinlich auch nicht geschmeckt. Dafür wurde Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla in das Bahn-Management eingeschleust – zunächst als Generalbevollmächtigter, da der direkte Durchmarsch in den Vorstand doch zu viel Widerstand bei den wenigen, zumindest etwas mit Scham ausgestatteten Verantwortlichen auslöste.


Offenbar waren die wirtschaftlichen Probleme des angeschlagenen Staatskonzerns aber bereits 2016 so drängend, dass der Bund eine Kapitalerhöhung in Höhe von 1 Milliarde Euro gewährte und seine Dividendenforderungen von 2017 bis 2020 um kumuliert 1,4 Milliarden Euro reduzieren wollte, auch um die Diskussion um eine ansonsten notwendige Teilprivatisierung der Tochtergesellschaften Arriva und Schenker zu vermeiden. Im Wahlkampf waren damit die Bahn und das wirtschaftliche Versagen des Bahn-Managements zunächst einmal aus der Schusslinie, also das politische Ziel erreicht. Mit einem Masterplan Schienengüterverkehr und dem Versprechen, die Trassenpreise zu halbieren, versuchte Dobrindt zum Ende der vergangenen Legislaturperiode dann sogar noch, bei den Bahnfreunden in der Republik zu punkten.

Im Zuge der schwierigen Regierungsbildung im vergangenen Frühjahr wurde leider die durchaus in der Luft liegende Idee verdrängt, sich noch einmal grundsätzlich mit der Bahn zu beschäftigen und eine sogenannte Bahnreform 2.0 anzugehen. Die Missstände lagen ja auch vor einem Jahr auf der Hand: Massive Qualitätsprobleme im Fernverkehr, rote Zahlen und eine extrem schwache Geschäftsentwicklung im Güterverkehr; ein Logistikunternehmen Schenker (16 Milliarden Umsatz!), das im Vergleich mit den direkten Wettbewerbern hinsichtlich aller relevanten Kennzahlen schwach aussieht und eine Infrastruktur, die kurioserweise auskömmliche Gewinne aufweist, aber finanziell allein am Tropf des Bundes hängt.


Über Jahre hinweg hatte das Management in dem formell privatisierten Unternehmen in staatlichem Eigentum, das nur ungenügend über den Kapitalmarkt und nur bedingt durch Wettbewerb kontrolliert wird, diskretionäre Handlungsspielräume und Informationsvorteile. Diese konnten zur Sicherung umfassender Subventionen und Regulierungen, zur Befriedung der Mitarbeiter sowie zur Expansion in riskante Projekte genutzt werden, da letztlich der Staat sowohl die Spielregeln für den Markt festlegt, die Finanzmittel für die Infrastruktur bereitstellt und als Eigentümer haftet – aufgrund der grundgesetzlichen Verpflichtungen aus Art. 87e GG sozusagen als „lender of last resort“.


Die in diesem institutionellen Rahmen zu erwartenden Fehlentwicklungen sind empirisch zu belegen. So hat die Bahn es geschafft, dass die Zuschüsse für den Nahverkehr, die sogenannten Regionalisierungsmittel, von 7,3 auf 8,2 Milliarden Euro pro Jahr stiegen und ab 2017 regelmäßig dynamisiert wurden; erhöht wurden auch die öffentlichen Mittel für die Ersatzinvestitionen (Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung). Man war also erfolgreich in der Beschaffung von Subventionen, hat sogar die Rekapitalisierung durchgesetzt und zuletzt die Trassenpreisabsenkung für den Schienengüterverkehr. Außerdem wurde geschickt darauf hingewirkt, zukünftige Regulierungsvorgaben auf europäischer und nationaler Ebene zu entschärfen. Ihre Mitarbeiter hat die Führung mit recht üppigen Lohnsteigerungen mit auf den Weg genommen. Dies hat auch dazu beigetragen, dass die Produktivität des Bahnbetriebes in Deutschland seit 2008 per saldo nicht gestiegen ist. Es ist nur wenige Jahre her, dass man bis 2020 einen Umsatz von 70 Milliarden Euro erreichen wollte – jetzt steht man vor einem Schuldenberg von 20 Milliarden Euro, im Wesentlichen aufgrund der internationalen Expansion, denn die Infrastruktur wurde und wird ja vollumfänglich vom Bund finanziert.

Die Bahn will ihr fortwährendes Imageproblem – trotz immer mehr Kunden – in den Griff bekommen. Denn zwischen Pannen und Verspätungen gibt es nun gute Nachrichten vom Konzern: Es werden mal wieder neue Züge angeschafft. Das Angebot im Fernverkehr soll mit zusätzlichen ICE ausgebaut werden, berichtete Personenverkehrsvorstand Berthold Huber der Deutschen Presse-Agentur. Bereits 2019 kommen 15 neue ICE 4 in die Flotte, zehn neue Doppelstock-Intercity (IC) werden angeschafft – ebenfalls dieses Jahr. Bestellt würden jetzt außerdem 23 neue Eurocity-Züge. Insgesamt sollen bis 2024 somit 200 neue Züge für mehr als 6 Milliarden Euro in die Flotte kommen. Damit wolle die Bahn die erfreuliche Tendenz fortschreiben, „dass so viele Menschen wie niemals zuvor mit unseren ICE und IC-Zügen fahren“, sagte Huber.
Die Bahn will ihr fortwährendes Imageproblem – trotz immer mehr Kunden – in den Griff bekommen. Denn zwischen Pannen und Verspätungen gibt es nun gute Nachrichten vom Konzern: Es werden mal wieder neue Züge angeschafft. Das Angebot im Fernverkehr soll mit zusätzlichen ICE ausgebaut werden, berichtete Personenverkehrsvorstand Berthold Huber der Deutschen Presse-Agentur. Bereits 2019 kommen 15 neue ICE 4 in die Flotte, zehn neue Doppelstock-Intercity (IC) werden angeschafft – ebenfalls dieses Jahr. Bestellt würden jetzt außerdem 23 neue Eurocity-Züge. Insgesamt sollen bis 2024 somit 200 neue Züge für mehr als 6 Milliarden Euro in die Flotte kommen. Damit wolle die Bahn die erfreuliche Tendenz fortschreiben, „dass so viele Menschen wie niemals zuvor mit unseren ICE und IC-Zügen fahren“, sagte Huber.

Ernsthaftes Nachdenken über die Zukunft der Bahn täte demnach Not, ist aber in der aktuell hektischen Betriebsamkeit nicht vorgesehen. Es würde ja bedeuten, dass ein Minister öffentlich zugeben müsste, dass eine wirklich spürbare Veränderung des Marktanteils zu Gunsten der Schiene, die klimapolitisch irgendeine Relevanz hat und nicht nur Symbolpolitik ist, sehr viel Zeit und erhebliche Ressourcen braucht. Wer von der Bahn in ihrem jetzigen Zustand bis 2030 eine Verdopplung der Fahrgastzahlen fordert, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht, dem ist zumindest hartnäckige Realitätsverweigerung zu attestieren. Wer eine Zusammenlegung von Fern- und Nahverkehr betreibt beziehungsweise den Konzernvorstand um die Chefs der operativen Töchter Cargo, Fernverkehr und Regio erweitern will, behebt nicht einen Konstruktionsfehler, sondern wickelt mal eben rasch die Bahnreform von 1994 ab. Und wer, wie der Verkehrsminister, von einem Schienengipfel im Sommer phantasiert, auf dem besprochen werden soll, wie die Ergebnisse des „Zukunftsbündnisses Schiene“ umgesetzt werden, damit alles gut wird, glaubt vielleicht auch noch an den Osterhasen.


Mit einem Fünf-Punkte-Programm, wie es bei einem der Frühstückstreffen verabschiedet wurde, wird keines der grundsätzlichen Probleme gelöst, so zielführend und notwendig die Maßnahmen im Einzelnen auch auf die operativen Ebene sein mögen. Weitere Milliarden aus dem Bundeshaushalt vermeiden vielleicht eine Verschärfung der Krise, kaufen aber zunächst nur Zeit. Statt medienwirksamen Aktionismus zu entfalten, sollte sich das Verkehrsministerium besser intensiv um die folgenden fünf Punkte kümmern:


1. Die gewünschte Rolle der Bahn im bundesdeutschen Verkehrssystem ist politisch zu diskutieren, zu klären und zu präzisieren. Das ist keine einfache Fragestellung. Geht es darum, in Deutschland (und möglicherweise auch in Europa) pünktlich und effizient Schienenverkehr zu betreiben oder um einen global diversifizierten Mobilitäts- und Logistikkonzern? Will die Politik tatsächlich im Sinne der propagierten Verkehrswende den Marktanteil des Schienenverkehrs spürbar erhöhen? Dies dürfte dann massive zusätzliche öffentliche Mittel (Subventionen) erforderlich machen. So sind von den bis 2030 für Infrastruktur- und Digitalisierungsmaßnahmen erforderlichen 80 Milliarden Euro auf Basis der Haushaltslinien derzeit nur rund ein Viertel finanziert. Diese Lücke und die finanziellen Herausforderungen sind der Öffentlichkeit klar zu kommunizieren.


2. Eine Revitalisierung und das gewünschte Wachstum des Bahnsystems bedürfen nicht nur zusätzlichen Geldes, sondern auch deutlich mehr Effizienz und Innovation. Die Produktivität des Systems muss massiv steigen, damit es auf Dauer erfolgreich sein kann, auch wenn dies gegebenenfalls harte Entscheidungen mit sich bringt. Nur ein unternehmerischer Antritt – nicht aber der Staat – schafft Wachstum und Innovation auch im Schienenverkehr. Die Politik muss daher weiterhin auf Wettbewerb auf den Schienenverkehrsmärkten setzen und nicht auf mehr Staatsnähe. Dies beinhaltet auch, dass mittelfristig das Ziel einer Trennung von Infrastruktur und Transportsparten der Deutschen Bahn, das heißt die Selbständigkeit der Transportsparten wieder ins Auge genommen werden sollte.

3. Besondere Aufmerksamkeit erfordert die Governance der Deutschen Bahn AG. Ein von der Politik dominierter Aufsichtsrat, die direkte Vorgabe von Mengenzielen und Quoten an den Vorstand und Einmischungen in das operative Geschäft entsprechen nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensführung für ein privatwirtschaftlich agierendes Unternehmen und tragen nicht dazu bei, die Deutsche Bahn AG im Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten erfolgreicher zu machen. Dies heißt allerdings nicht, dass Milliarden öffentlicher Mittel für die Infrastruktur wie bisher ohne wirklich sanktionsbewehrte Kontrollen und Effizienznachweise vergeben werden. Die Entwicklung eines adäquaten Anreizsystems für ein privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen in öffentlichem Eigentum ist eine nicht-triviale Aufgabe, der man sich stellen muss.


4. Hinsichtlich der Bereitstellung der Infrastrukturmittel bestehen massive Fehlanreize. Da Investitionen in das Schienennetz seit Langem fast ausschließlich vom Bund finanziert werden, hat sich seit 1994 ein sogenannter Shadow Asset Value von mehr als 100 Milliarden Euro im Bahnsystem aufgebaut. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Infrastruktur, die von der Bahn und ihren Wettbewerbern genutzt wird, aber nicht in der Bilanz der Infrastrukturgesellschaft auftaucht, da sie über verlorene Zuschüsse finanziert wurde, die nicht aktiviert werden dürfen. Da im operativen Geschäft hierfür keine Abschreibungen (und Zinsen) verdient werden, wird die Schieneninfrastruktur systematisch auf Verschleiß gefahren. Man muss kein Hellseher sein, um zu prognostizieren, dass die im Rahmen der derzeit gültigen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung vom Bund jährlich gezahlte Summe vom 3,9 Milliarden Euro sich in den nächsten Jahren drastisch weiter erhöhen wird.


5.
Wenn es beim Geschäftsmodell der Deutschen Bahn um effizienten und marktorientierten Schienenverkehr in Deutschland geht, ist insbesondere die Existenzberechtigung der Geschäftsbereiche DB Schenker und DB Arriva Im DB-Konzern zu hinterfragen. Es besteht hinreichend Evidenz dafür, dass solche Konglomerate eher Werte vernichten als Mehrwert schaffen. Die im Branchenvergleich eher schwache Performance von DB Schenker bestätigt dies eindrucksvoll. Eine Veräußerung dieser Tochtergesellschaften sollte jedoch aus einer Position der Stärke heraus und nicht mit dem Rücken zur Wand erfolgen, um kurzfristig Finanzlöcher zu stopfen.


Alles in allem stehen harte politische Entscheidungen an, wie das Bahnsystem Deutschlands in Zukunft aussehen soll, welche Rolle die Deutsche Bahn AG dabei spielt und was das Ganze den Steuerzahler kosten darf. Diese Grundsatzentscheidungen dürfen nicht an Grüppchen von Verbänden mit wohlklingenden Namen („Zukunftsbündnis Schiene“), Expertenkommissionen oder externe Managementberater delegiert werden. Davon haben wir bereits genug. Die Politik ist gefragt, wirklich Verantwortung für das Verkehrssystem in Deutschland zu übernehmen. Sie scheint damit derzeit überfordert zu sein.

Titelbild: 

| herbert2512 / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

| INSM / Flickr.com (CC BY-ND 2.0) | Link

| Tama66 / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Alexander Eisenkopf

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm 

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