Nachdenken über Rugby

Bizarrer Riese

Neben heimelige Nostalgie sollte die Frage treten, wie sich denn Rugby als junger Riese gegenüber dem FIFA-Imperialismus des global auch immer erfolgreicheren alten Medienriesen Fußball positionieren sollte. Vielleicht ja gerade durch die Betonung seiner bizarren Züge.

Prof. Dr. Hans Ulrich Gumbrecht
Gastprofessur für Literaturwissenschaften
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Hans Ulrich Gumbrecht

    Der gebürtige Würzburger Professor Dr. Hans Ulrich Gumbrecht ist ständiger Gastprofessor für Literaturwissenschaften an die Zeppelin Universität. Er studierte Romanistik, Germanistik, Philosophie und Soziologie in München, Regensburg, Salamanca, Pavia und Konstanz. Seit 1989 bekleidete er verschiedene Professuren für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften der Stanford University. Einem breiteren Publikum ist er bereits seit Ende der 1980er-Jahre durch zahlreiche Beiträge im Feuilleton vor allem der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung sowie durch seine Essays bekannt. Darin befasst er sich immer wieder auch mit der Rolle des Sports. Gumbrecht ist bekennender Fußballfan und Anhänger von Borussia Dortmund. 

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Dass Sport zwar oft „schön“ anzuschauen ist, aber gewiss nicht mehr, wie man in Deutschland früher so gerne sagte, „die schönste Nebensache“ der Welt, hat sich in den vergangenen Jahren herumgesprochen. Gemessen an der Zeit, die ein großer Teil der siebeneinhalb Milliarden Menschen täglich damit zubringt, Sport zu praktizieren oder Sport live und in den Medien zu verfolgen, lässt er sich durchaus mit gesellschaftlichen Dimensionen wie der Politik, der Erziehung oder sogar der Berufstätigkeit vergleichen, die als „marginal“ einzuschätzen niemandem in den Sinn käme. Und trotz der beinahe flächendeckenden und sich stets für erbaulich haltenden Empörung, die angesichts der Einkünfte weniger Athleten in einigen Sportarten als ein globaler Basso continuo aufkommt, sollte man auch die Kommentare jener prominenten Wirtschaftsexperten registrieren, denen zufolge der Sport – selbst angesichts von Spitzengehältern und Höchstprämien im englischen Fußball oder im amerikanischen Basketball – längst noch nicht das Potenzial seines faktischen Marktwerts ausgeschöpft hat.


Auf diese Situation, an die wir uns noch kaum gewöhnt haben, obwohl sie sich schon seit einigen Jahrzehnten abzeichnet, sollten die Sozial- und Geisteswissenschaften mit der Erarbeitung von neuen Begriffen und Modellen für den gegenwärtigen Status des Sports reagieren – und zwar nicht nur für den Sport als vielfältig relevantes „Symptom“ sondern eben vor allem als zentrales Versatzstück unserer heutigen Wirklichkeit. Mit der Einschätzung des Mannschaftssports „Rugby“ als exzentrisch-komplexem Phänomen innerhalb der gegenwärtigen Sportszene (besonders im Vergleich zum beinahe allgegenwärtigen Fußball) lasse ich mich von einer Prämisse leiten, die wohl auch unter den wirklichen Kennern anerkannt und beliebt ist. Sie in hoffentlich konvergierenden Perspektiven und fast aphoristischer Verdichtung einige Schritte weiterzuführen, ist das Leitmotiv der fünf folgenden Reflexionen.

Eine Partie Rugby wird in der Regel mit 15 Spielern pro Team bestritten und dauert 80 Minuten – unterteilt in zwei gleichlange Halbzeiten. Ziel des Spiels ist es, mit Hilfe des eigenen Körpers die Vorteilslinie zu überqueren und somit mehr Punkte als der Gegner zu erzielen. Zum Erzielen von Punkten ist es den Spielern erlaubt, den Ball zu passen (nur nach hinten), mit dem Ball zu laufen oder diesen zu kicken. Die Verteidiger hingegen haben die Möglichkeit, diese Versuche durch körperliche Angriffe, sogenannte Tacklings, zu verhindern. Um die Gesundheit der Spieler zu schützen dürfen Tacklings nur im Rahmen der Regel ausgeführt werden. Im Gegensatz zu den bekannten Sportarten in Deutschland ist es im Rugby möglich, auf verschiedene Weisen Punkte zu erzielen.
Eine Partie Rugby wird in der Regel mit 15 Spielern pro Team bestritten und dauert 80 Minuten – unterteilt in zwei gleichlange Halbzeiten. Ziel des Spiels ist es, mit Hilfe des eigenen Körpers die Vorteilslinie zu überqueren und somit mehr Punkte als der Gegner zu erzielen. Zum Erzielen von Punkten ist es den Spielern erlaubt, den Ball zu passen (nur nach hinten), mit dem Ball zu laufen oder diesen zu kicken. Die Verteidiger hingegen haben die Möglichkeit, diese Versuche durch körperliche Angriffe, sogenannte Tacklings, zu verhindern. Um die Gesundheit der Spieler zu schützen dürfen Tacklings nur im Rahmen der Regel ausgeführt werden. Im Gegensatz zu den bekannten Sportarten in Deutschland ist es im Rugby möglich, auf verschiedene Weisen Punkte zu erzielen.

1. Häufiger, entschiedener und meist auch prägnanter als bei anderen Mannschaftssportarten ist unter Freunden des Rugbys von speziellen „Werten“ die Rede, und nicht nur ich vermute, dass diese Neigung aus der Grundstruktur und damit den Regeln des Spiels hervorgegangen ist. Ein ebenso populäres wie banales Mythologem veranschaulicht ja seinen Ursprung in der Gestalt eines Spielers, der den Ball, entgegen dem Einverständnis, ihn prinzipiell mit dem Fuß zu bewegen, in die Hände nahm und so sein Spiel gewann. Anders als Fußballspieler ist der Rugbyspieler also nur unter der Bedingung vom Ball zu trennen, dass Akte der Gewalt erlaubt sind, und „Gewalt“ bedeutet hier – durchaus drastisch – das Besetzen von Räumen mit Körpern gegen den Widerstand anderer Körper.


Wo Gewalt im Spiel ist, steigt aber unvermeidlich das Risiko physischer Verletzungen und auch psychischer Erniedrigung, und darauf hat der Rugbysport in zweierlei Weise reagiert: einmal durch die zentrale Rolle des Schiedsrichters als einer nicht in Frage zu stellenden und mit formeller Höflichkeit zu behandelnden Respektsperson, die solche Risiken minimieren soll; vor allem jedoch durch Formen von Solidarität, Selbstkontrolle und auch Geselligkeit, welche die beiden gegeneinander kämpfenden Mannschaften übergreifend und in verschiedenen gemeinsamen Ritualen vor und nach dem Spiel bestätigend gefeiert werden. Sie genau vergegenwärtigen jene „ritterlichen Werte“ die Rugby – mehr als Spiele mit geringerem individuellen Risiko – zu einem Sport der sozialen Eliten, aber auch vergleichsweise kleiner lokaler Gemeinschaften gemacht haben, in denen nach Ende des Spiels keine Chance auf ein Abtauchen in wechselseitige Anonymität besteht (und man deshalb zu seinen Aktionen stehen können muss). Die gemeinsamen Werte erklären, warum Rugby in seinen beiden Sozialdimensionen so erstaunlich lange ein Amateursport geblieben ist – und möglicherweise sind sie auch der Grund, warum (anders als vor allem beim Fußball) potenzielle Spannungen zwischen verschiedenen Zuschauergruppen (ganz im Gegensatz zum Geschehen des Spiels) fast nie in Gewalt umschlagen.


2. Aus dem Ballhalten mit den Händen und der auf sie reagierenden Lizensierung von Gewalt ergibt sich zugleich die spezifische Schönheit des Rugbyspiels. Sie entfaltet sich im Kontrast zwischen dem „Gedränge“ (wechselseitiger Fast-Neutralisierung von kollektiver Gewalt, die zu extrem spannungsgeladenen Momenten mit geringer Bewegung und geringer visueller Transparenz führt) und der Befreiung aus dem Gedränge durch den plötzlichen Umschlag in durch Dynamik und Schnelligkeit unwiderstehlich wirkende Angriffe, mit ihrer vorwärtsgerichteten Diagonalbewegung über das Feld (die sich aus der Vorschrift ergibt, Pässe allein in Rückwärtsrichtung, also seitlich zu spielen). Erst vor dem Hintergrund des Gedränges mit seiner spezifischen Raum- und Zeitstruktur erreicht der Angriff im Rugby jene spezifisch explosive, aber auch eigenartig erleichternde Wirkung.

3. Selbst die Exzentrizität der Rugbygeschichte ist aus seinen Werten (und über die Werte vermittelt aus seiner Lizensierung von Gewalt) entstanden, doch um diese historische Exzentrizität zu erfassen, bedarf es zunächst des Umwegs über eine kurze Vergegenwärtigung der Normalversion moderner Sportgeschichten. Sie setzt ein mit zwei gegenläufigen Innovationen in gemeinsamer chronologischer und räumlicher Nähe zu der englischen Jahrhundertschwelle von 1800. Einmal mit dem (Wieder-)Beginn (seit der Antike) von Berufssport-Ereignissen (um die 20.000 Zuschauer sollen damals zu Boxkämpfen in London gekommen sein); zum anderen, wenig später, mit der aus einem neuen Bildungsbegriff begründeten Höherbewertung des Sports in den Lehrplänen der gesellschaftlich distinguierten Colleges.


Aus diesen kontrapunktischen Anfängen ergaben sich eineinhalb Jahrhunderte der Spannung und Konkurrenz zwischen einerseits (ethisch verbrämtem und tendenziell elitärem) Amateursport, wie er vor allem zur „Olympischen Bewegung“ des Baron de Coubertin führte, und andererseits dem sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem in den Mannschaftssportarten differenzierend und expansiv entwickelnden Berufssport (emblematisch für ihn war die Entstehung der Fußballweltmeisterschaft ab 1930 aufgrund des Professionalismusverdachts gegenüber den in den 20er-Jahren die Olympiaden dominierenden Teams aus Uruguay und Argentinien). Eine Konvergenz der beiden Pole „Amateursport“ und „Berufssport“ zur heutigen Zentralstellung des Sports setzte erst im späten 20. Jahrhunderts ein (wichtigstes Symptom: eine wachsende Toleranz der Olympischen Bewegung gegenüber Berufssportlern), wahrscheinlich vorbereitet durch die wachsende therapeutische Relevanz des Gesundheitssports, der als ein neuer Markt auch Sportlern weniger populärer Disziplinen (etwa der Leichtathletik) die wirtschaftliche Matrix der Professionalisierung eröffnete.


Rugby erscheint vor diesem Hintergrund in drei historischen Momenten exzentrisch: zum ersten erreichten die Rugbyregeln (einschließlich der Differenzierung seiner beiden Formen für sieben und für 15 Spieler) schon vergleichsweise früh (nämlich seit Mitte des 19. Jahrhunderts) weitgehende Stabilität und sind bis heute besonders konservativ geblieben. Zum zweiten wurde das erste Drittel des 20. Jahrhunderts – als Endzeit eines Typs von westlichem Heldentum – in mehreren Hinsichten zu einer Hochzeit des Rugby, die – anders als beim Fußball, aber ähnlich wie beim Boxen oder dem Stierkampf – keine unmittelbare Fortsetzung fand (die 20er- und 30er-Jahre waren etwa die Zeit, als Rugby in Rumänien und Deutschland seinen nie wieder erreichten Zenit durchschritt – während sich ein ähnlich singulär gebliebener nationaler Rugbyhöhepunkt in Portugal erst Ende des 20. Jahrhunderts einstellte). Vor allem aber setzte die sich heute in der französischen Liga (als Äquivalent zum „Premiership“ im englischen Fußball) konzentrierende Entwicklung zur internationalen Professionalisierung des Rugby extrem spät, nämlich erst gegen Ende des 20. Jahrhundert, ein, mit den gegenläufigen Auswirkungen eines dramatischen globalen Popularitätsgewinns und einer ebenso deutlichen Nostalgiebewegung, paradoxerweise selbst unter jugendlichen Rugbyanhängern.

Der Legende nach soll Rugby während eines Fußballspiels in der gleichnamigen Stadt entstanden sein. Als der Mannschaft von William Webb Ellis 1823 eine Niederlage bevorstand, packte dieser den Ball mit den Händen und legte ihn ins Tor des Gegners. Obwohl berechtigte Zweifel am Wahrheitsgehalt der Geschichte bestehen, ist der Pokal der Rugby-Union-Weltmeisterschaft nach William Webb Ellis benannt. 1863 wurde der englische Fußballverband Football Association (FA) mit dem Ziel gegründet, die noch vielfältigen Fußballregeln zu vereinheitlichen. Aufgrund von Streitigkeiten über Regeländerungen zogen sich einige Vereine aus dem Verband zurück und gründeten am 26. Januar 1871 mit der Rugby Football Union (RFU) einen konkurrierenden Verband, der in der Folgezeit nach und nach die Regeln der Rugby School standardisierte. Bereits am 27. März desselben Jahres fand in Edinburgh zwischen Schottland und England das erste Länderspiel statt.
Der Legende nach soll Rugby während eines Fußballspiels in der gleichnamigen Stadt entstanden sein. Als der Mannschaft von William Webb Ellis 1823 eine Niederlage bevorstand, packte dieser den Ball mit den Händen und legte ihn ins Tor des Gegners. Obwohl berechtigte Zweifel am Wahrheitsgehalt der Geschichte bestehen, ist der Pokal der Rugby-Union-Weltmeisterschaft nach William Webb Ellis benannt. 1863 wurde der englische Fußballverband Football Association (FA) mit dem Ziel gegründet, die noch vielfältigen Fußballregeln zu vereinheitlichen. Aufgrund von Streitigkeiten über Regeländerungen zogen sich einige Vereine aus dem Verband zurück und gründeten am 26. Januar 1871 mit der Rugby Football Union (RFU) einen konkurrierenden Verband, der in der Folgezeit nach und nach die Regeln der Rugby School standardisierte. Bereits am 27. März desselben Jahres fand in Edinburgh zwischen Schottland und England das erste Länderspiel statt.

4. Als noch exzentrischer – und enigmatischer – beeindruckt mich die kulturelle Geografie des Rugbys. Mit der Grundstruktur der meisten anderen Sportarten konvergieren eigentlich nur der britische Ursprung und die erste Phase seiner Verbreitung innerhalb des Commonwealth. Dieser Ursprung erklärt jedoch keinesfalls flächendeckend die heutige Tatsache, dass Rugby – wohl als einzig international präsenter Sport – seine größte Popularität und seine bemerkenswerteste Talentdichte auf der südlichen Halbkugel erreicht (in Neuseeland und Australien, aber auch in Südafrika, Argentinien, Madagaskar und einigen Gesellschaften des südlichen Pazifik).


Dieses Faktum hat meines Wissens ebenso wenig eine von breitem Konsens bestätigte Deutung gefunden wie die isolierte Resonanz des Rugby in zwei – beileibe nicht allen – Nationen mit romanischen Sprachen und bemerkenswerter Fußballexzellenz nämlich in Frankreich und Argentinien (zweimal zwei Weltmeistertitel) – wobei man für Argentinien als Erklärung immerhin eine politikgeschichtlich gesehen paradoxe Anglophilie des Erziehungssystems ins Feld führen kann. Als wie durchaus erstaunlich die Existenz einer französischen Rugbykultur eigentlich anzusehen ist, wird wohl allein durch ihre massive Komplexität als kulturelles Phänomen verdeckt. Schließlich gehört zur Kulturgeografie des Rugby eine (wohl durch die Soziologie seiner Werte bedingte) Tendenz zur Zweipoligkeit: Lebhafte nationale Rugbykulturen entwickeln sich sowohl in den Metropolen (und geschichtlich gesehen: in ihren Bildungseliten) als auch in jeweils begrenzten Regionen mit ihren besonderen Varianten von Unabhängigkeitsstolz (etwa im französischen Südwesten gegenüber der Rugbytradition von Paris, aber auch in der argentinischen Zweipoligkeit zwischen Buenos Aires und Tucumán).


5. Rugby gehört zu jenen – eher seltenen – Sportarten, die eine literarisch inspirierende Wirkung entfaltet haben. Die Beobachtung allerdings, dass dies offenbar – noch einmal – mit seinen soziologisch elitären Werten zu tun hat, lässt sich nicht verallgemeinern. Denn als nordamerikanisches Äquivalent der Literaturinspiration durch Sport gilt ausgerechnet der Baseball, jener nationale Mannschaftssport also, dessen Geschichte nie an die Lehrpläne der Colleges gebunden war und dessen Spieler nach dem gängigen Stereotyp als ungebildet gelten (ich vermute, dass das literarische Potenzial des Baseball eher von seiner spezifischen Temporalstruktur herrührt, von der extremen Kondensation und Komplexität ereignisgeladener Momente „inmitten eines Ozeans“ ereignisarmer Phasen). Rugby hingegen hat – wohl vor allem in Frankreich und während seiner großen Zeit im frühen 20. Jahrhundert – zahlreiche Literaten unter zweierlei Gattungsvoraussetzungen fasziniert. Einmal als allegorisches Medium der Reflexion über die Umformung und Dekadenz traditionellen Heldentums; aber auch als vielfarbiges Genrebild und mithin als Vergegenwärtigung bestimmter Idiosynkrasien von regionaler Kultur.

Vor dem Hintergrund solch nationalkultureller Traditionsmuster hat die mittlerweile ins Globale drängende mediale Berichterstattung über Rugby als Berufssport – vor allem im Blick auf die Weltmeisterschaften und auf die französische Liga – offenbar noch nicht zu einer Stabilität in neuen diskursiven Formen gefunden. Global ambitionierte Rugbyexperten können es sich kaum mehr leisten, etwa den neuseeländischen oder den südwestfranzösischen Konnotationen des Spiels zu frönen. Auch darauf haben die Freunde des Spiels mit kritischer Nostalgie reagiert – doch der erstaunliche Aufstieg von „Rugby Global“ in der Sportszene des frühen 21. Jahrhunderts lässt sich gewiss nicht mehr aufhalten oder gar umkehren. Deshalb sollte neben heimelige Nostalgie die Frage treten, wie sich denn Rugby als junger Riese gegenüber dem FIFA-Imperialismus des global auch immer erfolgreicheren alten Medienriesen Fußball positionieren sollte. Vielleicht ja gerade durch die Betonung seiner bizarren Züge (zum Glück haben etwa die Namen und die Spielkleidung von Rugbymannschaften bisher ihren eigenen Stil bewahrt) und auch die aus ihnen hervorgehenden diskursiven Unsicherheiten, zu denen gewiss der Kontrast zwischen in einigen Fällen extrem intensiver und andernorts kaum existierender Rugbyresonanz in den romanischen Kulturen gehört. Rugby als vergangenheitsbewusster und zugleich zukunftsoffener Widerstand gegen die Verflachungseffekte kultureller Globalisierung – auch im Sport?

Titelbild: 

| Edgar Pimenta / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

| Quino Al / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link

| Olga Guryanova / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Hans Ulrich Gumbrecht

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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