Internationale Organisationen

USA, WHO, SOS?

Austritte aus internationalen Organisationen zerstören diese nicht, wenn sich die verbleibenden Mitglieder auf gemeinsame Ziele verständigen können. Manchmal mag es gar zu Vitalisierung führen, wenn damit fundamentale Differenzen über die Politik der internationalen Organisation beigelegt werden können.

Nele Kortendiek
Akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen
 
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    Zur Person
    Nele Kortendiek

    Nele Kortendiek ist seit September 2019 Postdoc am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen. Sie studierte Politikwissenschaft an den Universitäten Bremen und Genf und absolvierte das Masterprogramm International Relations Theory an der London School of Economics and Political Science. Von 2014 bis 2018 war sie Doktorandin an der TU Darmstadt und dem Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“. Während ihrer Promotion zum Einfluss internationaler Organisationen auf die Global Governance internationaler Migration hat sie Feldforschung in Griechenland, Brüssel, Genf, Valletta und Warschau durchgeführt. Im Herbst 2016 führte sie ein Forschungsaufenthalt ans Centre on Migration, Policy, and Society (COMPAS) der Universität Oxford und im Frühjahr 2019 arbeitete sie als Gastwissenschaftlerin am WZB Berlin. Gemeinsam mit Lisbeth Zimmermann leitet sie derzeit das DFG-geförderte Forschungsprojekt „Offene oder geschlossene internationale Organisationen? Reaktionen auf Betroffenenkontestation“, das Politikwandel in internationalen Organisationen untersucht. 

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Während einige BeobachterInnen davor warnen, dass die Handlungsfähigkeit der Organisation ohne die USA stark eingeschränkt sein wird, scheinen Abgesänge verfrüht. Zwar waren die USA bisher der größte Geldgeber der WHO, andere Mitgliedstaaten und private Spender haben jedoch signalisiert, dass sie ein starkes Interesse daran haben, die WHO am Leben zu erhalten. So haben Deutschland und Frankreich bereits zugesagt, ihre Zahlungen an die WHO zu erhöhen.


Dennoch verweist der US-Austritt auf zwei grundlegende Probleme der WHO und anderer internationaler Organisationen. Erstens sind die meisten internationalen Organisationen von freiwilligen Spenden abhängig, da ihre Grundfinanzierung begrenzt ist; kaum eine internationale Organisation verfügt über üppige grundständige Haushalte aus festen jährlichen Mitgliedsbeiträgen; zahlreiche internationale Organisationen, so etwa das UN-Kinderhilfswerk (UNICEF) oder eben die WHO, sind darauf angewiesen, dass ihre Mitglieder Jahr für Jahr bereit sind, ihnen finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen, wobei viele dieser Mittel zweckgebunden sind und nur für bestimmte Projekte ausgegeben werden dürfen. Diese Zweckgebundenheit bedeutet nicht nur, dass diese Organisationen nicht frei über ihr Handeln bestimmen beziehungsweise oft ihre Aufgaben nur bedingt erfüllen können, sondern auch, dass sie permanent Ressourcen darauf verwenden müssen, Gelder neu einzuwerben.

Am 29. Mai 2020 war es soweit: Inmitten der Corona-Krise verkündete US-Präsident Donald Trump den Abbruch der Beziehungen seines Landes mit der Weltgesundheitsorganisation WHO. „Wir werden heute unsere Beziehung zur Weltgesundheitsorganisation beenden“, sagte Trump bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus. Die der UN-Sonderorganisation bisher zur Verfügung gestellten US-Finanzmittel würden künftig an andere globale Gesundheitsprojekte gehen. Unklar ist, ob Trump die Mitgliedschaft der USA bei der WHO sofort und eigenhändig beenden kann. In der Resolution des US-Kongresses aus dem Jahr 1948 zum Beitritt zur WHO heißt es, dass die USA sich das Recht für einen Rückzug vorbehielten – allerdings mit einer zwölfmonatigen Kündigungsfrist. Voraussetzung ist demnach auch, dass die USA alle ausstehenden Beiträge an die WHO gezahlt haben. Trump warf der WHO im Zuge seiner Austrittsrede vor, unter der Kontrolle der Regierung in Peking zu stehen, obwohl die USA ein Vielfaches der Mitgliedsbeiträge Chinas bezahlten. Die WHO habe sich notwendigen Reformen verschlossen. Die chinesische Regierung beschuldigte der US-Präsident, die Verbreitung des Coronavirus nicht verhindert zu haben.
Am 29. Mai 2020 war es soweit: Inmitten der Corona-Krise verkündete US-Präsident Donald Trump den Abbruch der Beziehungen seines Landes mit der Weltgesundheitsorganisation WHO. „Wir werden heute unsere Beziehung zur Weltgesundheitsorganisation beenden“, sagte Trump bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus. Die der UN-Sonderorganisation bisher zur Verfügung gestellten US-Finanzmittel würden künftig an andere globale Gesundheitsprojekte gehen. Unklar ist, ob Trump die Mitgliedschaft der USA bei der WHO sofort und eigenhändig beenden kann. In der Resolution des US-Kongresses aus dem Jahr 1948 zum Beitritt zur WHO heißt es, dass die USA sich das Recht für einen Rückzug vorbehielten – allerdings mit einer zwölfmonatigen Kündigungsfrist. Voraussetzung ist demnach auch, dass die USA alle ausstehenden Beiträge an die WHO gezahlt haben. Trump warf der WHO im Zuge seiner Austrittsrede vor, unter der Kontrolle der Regierung in Peking zu stehen, obwohl die USA ein Vielfaches der Mitgliedsbeiträge Chinas bezahlten. Die WHO habe sich notwendigen Reformen verschlossen. Die chinesische Regierung beschuldigte der US-Präsident, die Verbreitung des Coronavirus nicht verhindert zu haben.

Darüber hinaus eröffnet die mangelnde Grundfinanzierung privaten Geldgebern die Möglichkeit, Einfluss auf die Arbeit von internationalen Organisationen, also öffentliche Akteure der internationalen Politik, zu nehmen. Die verschwörungstheoretischen Vorbehalte gegenüber philanthropischen Einrichtungen und privaten Spendern wie der Bill & Melinda Gates Stiftung sind zwar maßlos überzogen, gleichwohl gibt es berechtigte Einwände gegenüber einem Ungleichgewicht aus privaten und öffentlichen Geldgebern, da staatliche Mittel in der Regel demokratisch legitimierten Rechenschaftsmechanismen unterworfen sind. Ohne die USA als Mitglied verschiebt sich die Finanzierung der WHO weiter in Richtung privater Geber.


Zweitens agieren internationale Organisationen immer in einem Spannungsfeld zwischen den Interessen ihrer Mitgliedstaaten, die ihre Souveränität oft ungern zähmen lassen wollen, und globalen Herausforderungen, die autonomer Handlungsmacht bedürfen. Konkret bedeutet dies, dass diese Organisationen sich auf der einen Seite nicht zu stark gegen ihre Mitglieder stellen können, da diese sonst Mittel kürzen oder eben austreten, sich häufig auf der anderen Seite aber gerade über Staateninteressen hinwegsetzen müssen, um effektiv auf globale Probleme reagieren zu können. Dies gelingt mal mehr, mal weniger gut.


In der Covid-19-Krise hat die WHO insgesamt eher zurückhaltend gehandelt und erst spät eine Pandemie ausgerufen. Auch hat sich die Organisation zu rücksichtsvoll gegenüber ihrem Mitgliedsland China verhalten, indem sie dieses in ihrer Reaktion auf den Ausbruch als „transparent“ und „verantwortungsvoll“ lobte. Natürlich ist auch hier der Vorwurf Trumps, die WHO würde als „Marionette Chinas“ agieren, stark übertrieben. Dennoch macht die Reaktion der USA deutlich, dass ein zu zögerliches Handeln seitens einer internationalen Organisation gegenüber ihren Mitgliedern letztlich zu finanziellen Einbußen und dem Verlust von Glaubwürdigkeit führen kann. Diese Organisationen müssen also ständig die paradoxen Anforderungen von proaktivem, autonomem Handeln einerseits und Rücksicht gegenüber Staateninteressen andererseits ausbalancieren.

Es wäre voreilig, daraus den Schluss zu ziehen, dass grundsätzlich immer mehr supranationale Sanktionskraft für internationale Organisationen wie die WHO nötig ist, um mögliche nächste Pandemien erfolgreich zu bekämpfen. Eine globale Expertokratie ohne demokratisch-konstitutionelle Kontrolle erscheint hier eher als Dystopie. Und doch sollte eine der Lehren aus der Covid-19-Krise sein, IOs vor allem finanziell unabhängiger aufzustellen, damit sie wirkungsvoll globalen Herausforderungen begegnen können. 


Die WHO steht aktuell im Schlaglicht der Weltöffentlichkeit. Ihre Probleme sind jedoch weder neu noch außergewöhnlich. Der Austritt der USA aus der WHO mag kein gutes Signal für die internationale Zusammenarbeit sein. Aber im Vergleich mit ähnlichen Austritten in der jüngeren Vergangenheit zeigt sich, dass dies nicht das Ende gemeinsamer globaler Problembearbeitung bedeutet. Auch andere internationale Organisationen müssen Austritte verkraften, die nicht immer einfach zu kompensieren sind: So der Austritt der USA aus der UNESCO sowie Großbritanniens aus der Europäischen Union. Dies zerstört diese Organisationen nicht, wenn sich die verbleibenden Mitglieder auf gemeinsame Ziele verständigen können. Manchmal mag es gar zu Vitalisierung führen, wenn damit fundamentale Differenzen über die Politik der internationalen Organisation beigelegt werden können.

Titelbild: 
| Kendal / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bild im Text: 

| Viarami / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Lisbeth Zimmermann 

und Nele Kortendiek


Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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