Prostitution

Kann Sex Gegenstand von Arbeit sein?

Den Fokus auf die Selbstbeschreibung ,Sexarbeiter*in‘ und der damit einhergehenden Tätigkeit der ,Sexarbeit‘ zu legen, ergab sich für mich aus der Kritik selbsternannter Sexarbeiter*innen, dass ein öffentliches Auftreten stets nur vor dem Hintergrund der von außen zugewiesenen Rolle als ,Prostituierte‘ möglich ist. Was verbirgt sich aber hinter dieser Rollenkonstruktion durch die Selbstbeschreibung als ,Arbeiter*in‘ und der Proklamation Sex als Arbeit?

Leoni Awischus
, ZU-Alumna und Trägerin des Best Bachelor Thesis Awards
 
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    Zur Person
    Leoni Awischus

    Leoni Awischus studierte Communication, Culture and Management an der Zeppelin Universität. In ihrer Bachelorarbeit widmete sie sich der Frage, ob Sex Gegenstand von Arbeit sein kann. 

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Wie bist Du auf das Thema Deiner Bachelorarbeit gestoßen?

Leonie Awischus: Ausgangspunkt meiner Arbeit war die Beobachtung, dass der Diskurs um die (Ent-)Kriminalisierung von Sexarbeit/Prostitution (in Deutschland) sich in zwei öffentlich wahrnehmbare Lager zu teilen scheint: Auf der einen Seite befinden sich diejenigen, die sich als Sexarbeiter*innen bezeichnen und solche, die sich mit ihnen solidarisieren. Gemeinsam setzen sie sich für die Entkriminalisierung der Erwerbstätigkeit, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Frauen, Männer und Transmenschen sowie für eine gesellschaftliche Anerkennung – „Sexwork = Work“ – ein. Auf der anderen Seite befinden sich die Befürworter*innen einer Kriminalisierung, die überwiegend den Begriff „Prostitution“ anstatt „Sexarbeit“ verwenden. Diese legen ihren Fokus darauf, dass bei Sexarbeit/Prostitution – ihnen zufolge – generell nicht von einer Freiwilligkeit gesprochen werden kann.


Den Fokus auf die Selbstbeschreibung „Sexarbeiter*in“ und der damit einhergehenden Tätigkeit der „Sexarbeit“ zu legen, ergab sich für mich aus der Kritik selbsternannter Sexarbeiter*innen, dass ein öffentliches Auftreten stets nur vor dem Hintergrund der von außen zugewiesenen Rolle als „Prostituierte“ möglich ist. Was verbirgt sich aber hinter dieser Rollenkonstruktion durch die Selbstbeschreibung als „Arbeiter*in“ und der Proklamation Sex als Arbeit?


Könntest Du für die Leser kurz den Inhalt zusammenfassen?

Awischus: Ich denke, eine übergeordnete Frage, die dieser Arbeit innewohnt, ist: Welche Aussagen lassen sich daraus ableiten, wenn Sex Arbeit ist? Sex als Arbeit zu bezeichnen und zu verstehen verlangt zunächst nach einer Einordnung des Begriffes von Arbeit: Kann denn Sex Gegenstand von Arbeit sein? Dies ist eine der ersten Fragen, die ich versucht habe, zu beantworten. Nicht zuletzt auch, um den Versuch einer Erklärung für die Betonung des Arbeitsbegriffes zu unternehmen. Darüber hinaus habe ich mich auch der Frage gewidmet, ob Sex Gegenstand von Beruf und Ausbildung sein kann. Dabei habe ich mich von der Annahme leiten lassen, dass die drei Konzepte – Arbeit, Beruf und Ausbildung – nicht getrennt voneinander zu betrachten sind, da diese maßgeblich das Arbeitsleben des 21. Jahrhunderts strukturieren. 


Die Selbstbeschreibung „Sexarbeiter*in“ findet im Anschluss an den begriffsbestimmenden Teil Beachtung. Als Pendant sind es hier die Sozialfiguren des Arbeitslebens – Arbeiter*innen, Berufstätige und Auszubildende –, die eine Heuristik bilden um die Selbstzeugnisse von Erwerbstätigen Sex* besser einordnen zu können und hinsichtlich der zu entnehmenden Betonung von „Arbeit“ zu befragen. Zur Kontextualisierung dieser Analyse widme ich mich in einem weiteren Kapitel der Genese wie Differenz der konzeptuellen Begriffe „Sexarbeit“ und „Prostitution“.


Ergänzend möchte ich hinzufügen, dass wenngleich die Selbstbeschreibungen „Sexarbeit“ und „Sexarbeiter*in“ den Kristallisationspunkt bilden, diese Arbeit auch verdeutlichen soll, dass Erwerbstätigkeit Sex* unter Anwendung der genannten Heuristik als Prisma der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts verstanden werden kann. So diskutiere ich Arbeit, Beruf und Ausbildung am konkreten Thema, das in Anbetracht der differierenden Lesarten immer auch über sich hinaus verweist. Dadurch erweisen sich die unterschiedlichen Aspekte von Sexarbeit/Prostitution nicht als für diesen Erwerb spezifisch, sondern stets als symptomatisch für einen größeren Kontext und geben Hinweise auf die gesellschaftliche Konstitution.

Was ist Sexarbeit und wie ist dieser Begriff entstanden?

Awischus: Der Begriff „Sexarbeit“ selbst geht auf die Sexarbeits-Aktivistin Carol Leigh zurück. Hier gibt es tatsächlich so etwas wie eine richtige Gründungslegende. Leigh prangerte im Jahr 1978 bei einer Konferenz von Women Against Violence in Pornography and Media in San Francisco an, dass zwar über Erwerbstätigkeit Sex* gesprochen wurde, jedoch nicht mit den Erwerbstätigen selbst. Ein Umstand, der in scharfem Kontrast zu einem der grundlegenden Axiome feministischen Denkens in den 1970ern stand: Feministische Politik geht von den eigenen Erfahrungen von Frauen aus. Fortgesetzt wird die Geschichte in der Teilnahme Leighs an einem Workshop, der den Titel „Sex Use Industry“ trug. Um den Fokus von der Inanspruchnahme der Arbeit – Sex Use Industry - hin zum (aktiven) Angebot der Arbeit zu verschieben und den Aspekt der Arbeit zu betonen, schlug Leigh vor den Workshop in „Sex Work Industry“ umzubenennen.

In Bezug auf meine Arbeit ist es jedoch nicht nur wichtig zu verstehen, was mit „Sexarbeit“ gemeint sein soll und welche Ambitionen diese Selbstbeschreibung verfolgt, sondern wie sich die Interaktion Sex vom Erwerb Sex unterscheidet. Hier musste ich feststellen, dass eine Differenz in der tatsächlichen Handlung auszumachen vergeblich ist, könnte das eine doch immer auch für das andere gelten. Ich plädiere hingegen dafür, dass der basale Unterschied auf den jeweiligen Tauschwert der Handlung zurückzuführen ist. Während der Tauschwert für die Interaktion Sex ganz unterschiedlicher Natur sein kann, beispielsweise Liebe, Essen oder ein Dach über dem Kopf, ist der Tauschwert in Bezug auf den Erwerb Sex immer gleich: Es ist Geld.

Wie hat sich die Selbstbeschreibung von Sexarbeit seither verändert?

Awischus: Ich weiß nicht inwieweit davon gesprochen werden kann, dass sich die Selbstbeschreibung als „Sexarbeiter*in“ verändert hat. Was ich jedoch während meiner Recherche feststellen konnte, ist, dass viele, die sich als „Sexarbeiter*innen“ bezeichnen, sich nicht ausschließlich mit der Bezeichnung als Arbeiter*in in Verbindung bringen. Vielmehr fallen im gleichen Atemzuge Beschreibungen wie: „Ich bin selbstständige Unternehmerin“ oder „Ich bin Philosophin und Sexarbeiterin“. Dies führt zu einer konflikthaften Mischung zwischen den unterschiedlichen Selbstbeschreibungen, da diese teils widersprüchliche Konnotationen mit sich führen. Während die Bezeichnung als Arbeiter*in für prekäre Arbeitsverhältnisse und den körperlichen Verschleiß durch die zu verrichtende Arbeit steht, schwingt bei der Bezeichnung als „Unternehmerin“ oder als „Philosophin und …“ ein ganz anderer Subtext mit. Hier ist es dann vielmehr der Wunsch nach Selbstverwirklichung durch die Arbeit oder ein unter Beweis stellen, dass der Sexarbeit/Prostitution selbstbestimmt nachgegangen wird, weil man auch noch etwas anderes kann.

Knapp drei Jahre nach seiner Einführung ist das Prostituiertenschutzgesetz in Deutschland weiterhin umstritten. Im vergangenen Jahr kam die Diakonie Hamburg zu dem Ergebnis: „Den Grundgedanken, die Prostitution zu legalisieren, die Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern sowie den Schutz vor Zwang und Menschenhandel zu stärken, unterstützen wir. Jedoch löst das Gesetz diese Ziele nur zum Teil ein und geht an der Lebensrealität vieler Betroffener vorbei.“ Positiv heben Befürworter des Gesetzes etwa die Durchsetzung der Kondompflicht und weitere Auflagen für Betreiber von Bordellen hervor. Jedoch zeigten Erfahrungen der Fachberatungsstelle Prostitution der Diakonie, dass viele Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sich nicht anmelden, da sie die Voraussetzungen nicht erfüllen. Sie haben etwa keinen geregelten Aufenthalt oder sind mit den bürokratischen Verfahren überfordert. Lobbygruppen wie die Diakonie Hamburg fordern daher die Rücknahme der Anmelde- und Ausweispflicht, die darüber hinaus eine Diskriminierung der Betroffenen darstellt. Stattdessen solle das leicht zugängliche, unabhängige und freiwillige Beratungs- und Hilfsangebot ausgebaut werden, heißt es. Ein Sexkaufverbot nach dem Vorbild skandinavischer Länder sei hingegen kontraproduktiv. Es zwinge zu verdeckter Arbeit und setze Betroffene verstärkt Gewalt und Ausbeutung aus.
Knapp drei Jahre nach seiner Einführung ist das Prostituiertenschutzgesetz in Deutschland weiterhin umstritten. Im vergangenen Jahr kam die Diakonie Hamburg zu dem Ergebnis: „Den Grundgedanken, die Prostitution zu legalisieren, die Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern sowie den Schutz vor Zwang und Menschenhandel zu stärken, unterstützen wir. Jedoch löst das Gesetz diese Ziele nur zum Teil ein und geht an der Lebensrealität vieler Betroffener vorbei.“ Positiv heben Befürworter des Gesetzes etwa die Durchsetzung der Kondompflicht und weitere Auflagen für Betreiber von Bordellen hervor. Jedoch zeigten Erfahrungen der Fachberatungsstelle Prostitution der Diakonie, dass viele Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sich nicht anmelden, da sie die Voraussetzungen nicht erfüllen. Sie haben etwa keinen geregelten Aufenthalt oder sind mit den bürokratischen Verfahren überfordert. Lobbygruppen wie die Diakonie Hamburg fordern daher die Rücknahme der Anmelde- und Ausweispflicht, die darüber hinaus eine Diskriminierung der Betroffenen darstellt. Stattdessen solle das leicht zugängliche, unabhängige und freiwillige Beratungs- und Hilfsangebot ausgebaut werden, heißt es. Ein Sexkaufverbot nach dem Vorbild skandinavischer Länder sei hingegen kontraproduktiv. Es zwinge zu verdeckter Arbeit und setze Betroffene verstärkt Gewalt und Ausbeutung aus.

Kann denn Sex Gegenstand von Arbeit sein?


Awischus: Ich müsste wohl sagen: Ja und Nein. Bei der Begriffsbestimmung von Arbeit, Beruf und Ausbildung bin ich einem formtheoretischen Ansatz gefolgt. So konnte ich einerseits die normativ geprägten Definitionen eines Arbeitsbegriffes, die einem stetigen Wandel unterliegen, vermeiden und zugleich feststellen, dass je nach Differenz (also Definition), Sex durchaus Gegenstand von Arbeit sein kann. Eine Präzision dieses möglichen Ja und Neins erhält man mit Blick auf zwei Strukturdeterminanten: Zertifikate und Arbeitsverträge. Beide Strukturelemente stellen zwar die Möglichkeit, Sex als Arbeit und als Lohnarbeit zu bestimmen, nicht in Frage, verweisen aber darauf, dass zwischen formal und informal qualifizierter Arbeit differenziert werden sollte. Liegt eine Qualifikation in Form eines Zeugnisses vor oder ein Arbeitsvertrag, dann handelt es sich um formal qualifizierte Arbeit, wenn nicht, dann um informal qualifizierte Arbeit. Da es weder eine Ausbildung im formalen Sinne zur Sexarbeiter*in/Prostituierten gibt und in den seltensten Fällen Arbeitsverträge vorliegen, sollte in Bezug auf Sexarbeit/Prostitution von informal qualifizierter Arbeit gesprochen werden. Um Arbeit handelt es sich dennoch. 


Inwieweit findet sich die Selbstbeschreibung als Sexarbeiter oder Sexarbeiterin in der Sozialfigur des Arbeiters wieder?

Awischus: Auf einer vielleicht eher basalen Ebene kann gesagt werden, dass die Selbstbeschreibung als „Sexarbeiter*in“ auf die prekären Arbeitsbedingungen verweist, die auch dem Arbeiterbegriff des 19. Jahrhunderts anhaften. Dieser beinhaltet jedoch auch die Konnotation als gemeinsamen Kampfbegriff. Und sich diese Deutung im Kontext des 21. Jahrhunderts anzuschauen, ist sehr spannend. So war eine erste Feststellung, dass die Sozialfigur des Arbeiters im 21. Jahrhundert weiblich ist. Ich erkenne diese vor allem in der sogenannten „Care-Arbeit“, die in ihrer gesellschaftlich geringen Wertschätzung sowohl hinsichtlich der schweren körperlichen Arbeit, des sozialen Status als auch mit Blick auf die Bezahlung ein ausbeuterisches Arbeitsumfeld darstellt. Hinzu kommt, dass diese Arbeit vor allem der privaten Sphäre zugerechnet werden kann. Die Entstehung des Ideals der Kleinfamilien gegen Ende des 19. Jahrhunderts führte dazu, dass die einstige Professionalität der Hauswirtschaft zu einer Selbstverständlichkeit und zu einem Akt der Liebe gegenüber Mann und Familie mutierte. Eine gemeinsame öffentliche Stimme zu finden im Sinne des Arbeiterbegriffes als Kampfbegriff, ist angesichts globaler Betreuungsketten und der nach wie vor bestehenden privaten Sphäre, in der die Arbeit verrichtet wird, extrem schwierig.


An dieser Stelle klinkt sich die Selbstbeschreibung „Sexarbeiter*in“ ein. Die Bezeichnung von Erwerbstätigen Sex* als Sexarbeiter*innen steht symbolisch für eine Agenda: die Anerkennung von Sex als Arbeit und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Dass dabei eine programmatische Nähe zur „Care-Arbeit“ gesucht wird, ist einerseits streitbar, da man die Tätigkeiten allein aus moralischen Gründen schon nicht gemeinsam verhandeln möchte. Andererseits könnte der Versuch, „Sexarbeit“ als Teil des Spektrums von „Care-Arbeit“ zu begreifen, den Blick für den eigentlichen Skandal der Arbeiterin öffnen: Der schonungslose körperliche Verschleiß, die harte Arbeit, der Eindruck, 200 Jahre zurückgeworfen worden zu sein.

Auf diese Selbstbeschreibung hat die Politik etwa mit dem im Jahr 2017 in Kraft tretenden Prostituiertenschutzgesetz reagiert, das sowohl eine Anmeldepflicht und Ausweispflicht als auch eine verpflichtende Gesundheitsberatung vorsieht: Warum stößt das Gesetz dennoch bei den Erwerbstätigen Sex* auf Ablehnung und Kritik?

Awischus: Es handelt sich dabei um eine Maßnahme, die vor allem von Erwerbstätigen Sex* dahingehend stark kritisiert wird, als dass die verpflichtende Gesundheitsberatung das Stigma der Sexarbeiter*in/Prostituierten als Krankheitsherd wieder bestärkt. Und auch die Anmeldepflicht wirkt sich negativ auf den Arbeitsalltag aus, da die Grenze zwischen Legalität und Illegalität verschärft wird. Erwerbstätige, hier wieder insbesondere Frauen, machen weniger von ihrem Rechtsschutz Gebrauch, wenn sie nicht gemeldet sind, da rechtliche Konsequenzen gefürchtet werden. So scheint sich auch hier der Effekt sozialpolitischer Maßnahmen seit dem 19. Jahrhundert in Bezug auf Sexarbeit/Prostitution zu wiederholen, wonach staatliche Interventionen mit der Zielsetzung gesellschaftliche Verhaltenserwartungen umzusetzen, das Prinzip der Inklusion und Exklusion bestätigen. 


Was sagt die Erwerbstätigkeit Sex* über die gegenwärtige Arbeitswelt aus?

Awischus: Ich würde behaupten, dass sie Fragen aufwirft: Wie wird man in Zukunft mit der Diskrepanz gesellschaftlicher Anerkennung hinsichtlich körperlicher und geistiger Arbeit umgehen? Wie wird sich das Spannungsverhältnis zwischen Arbeiter*innen und Berufstätigen entwickeln, wenn die Ablehnung von Selbstverwirklichung im Beruf sich der gesellschaftlichen Konvention entzieht und zwischenmenschlich sanktioniert wird? Wie wird Gesellschaft damit umgehen, dass in Zukunft ein Arbeiten auf selbstständiger Basis mehr und mehr präferiert wird und sich die Frage des Risikos in zunehmend anderen Kontexten stellt? Wird Bildung die Antwort darauf sein - mehr Qualifikation, mehr Individualisierung? Und wie soll der Tatsache begegnet werden, dass im Gegenzug zunehmender Individualisierung alles ökonomisiert werden kann, also entpersonalisiert?

Titelbild: 

| Reproductive Health Supplies Coalition / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

| Maru Lombardo / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link

| Jean Carlo Emer / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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Leserbrief
Arbeit greift bei Weitem zu kurz/Chance vertan
Mark Herzog | 09.11.2020

Mir fehlen hier – um als vollumfänglich wissenschaftlich zu gelten – wesentliche Aspekte:

1. Wird es Zeit, sich einmal mit der soziologischen Evolution des Geschlechterverhältnisses zu befassen. Nicht um Entschuldigungen zu finden dafür, dass Männer es scheinbar höchst erregend finden, Frauen zu beherrschen, sondern um zu verstehen, was und wie dies vor dem Hintergrund der Emanzipation der Frauen angepasst und geändert werden kann. Auch hierin sehe ich Optionen, Einfluss auf die Nachfrage für käuflichen Sex zu nehmen.

2. Zitat „...dahingehend stark kritisiert wird, als dass die verpflichtende Gesundheitsberatung das Stigma der Sexarbeiter*in/Prostituierten als Krankheitsherd wieder bestärkt. Und auch die Anmeldepflicht wirkt sich negativ auf den Arbeitsalltag aus, da die Grenze zwischen Legalität und Illegalität verschärft wird.“

An dieser Stelle liegt im Prinzip der fast EINZIGE Vorteil des Prostitutionsschutzgesetzes. Begreift man nämlich diese genannten Vorgaben als Chance, Zwangslagen zum einen und ausbeuterische Unterstellungsverhältnisse (Mietwucher für Stundenzimmer) zum anderen überhaupt zu erkennen, kann eine Ablehnung nur dem Vorschub der stattfindenden Ausbeutung selbst geschuldet sein.

Ebenso vermisse ich zumindest in dem Artikel (und es ist zu vermuten, dass die Arbeit selbst darauf gleichfalls nicht eingeht) die Relation zur menschlichen Würde insbesondere als Frau und die zur modernen Gleichberechtigung. Stattdessen wird auf das immer währende Mantra der Sexarbeitslobbyisten eingegangen – die Stigmatisierung.

Zuletzt hat die Arbeit auch den entscheidenden Fehler, dass die gesundheitlichen Folgen der „Sexarbeit“, die in internationalen Studien hinlänglich diskutiert sind, völlig unberücksichtigt bleiben. Auch dies muss bei der Frage, ob eine Beschäftigung mit Einnahmefolge als Arbeit gelten kann, berücksichtigt werden.

Soweit die Autorin auf sonst in Arbeitsverhältnissen übliche Ausbildung und Fortbildung eingeht, fehlen der Aspekt der nicht möglichen Kariere und Querverweise auf artverwandte „Berufe“ mit den zugehörigen Ausweich- Entwicklungsoptionen speziell im Alter.

Fazit: Die Arbeit greift bei Weitem zu kurz.


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