Relationale Ökonomie

Alles eine Frage der Sichtweise

Ein Interview von Prof. PhD Adrian Zicari
31.10.2022
Die Produktion von Gütern in globalen Wertschöpfungsketten, die Herstellung und Beschaffenheit von Nahrungsmitteln und Kleidung, die Bewertung von individuellen und öffentlichen Verkehrskonzepten, um nur einiges zu nennen, sie alle sind heute keine einfachen Tauschtransaktionen mehr, sondern relationale Transaktionen.

Prof. Dr. Josef Wieland
Lehrstuhl für Institutional Economics und Transcultural Leadership
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Josef Wieland

    Prof. Dr. habil. Josef Wieland ist Inhaber des Lehrstuhls für Institutional Economics, Organisational Governance, Integrity Management & Transcultural Leadership an der Zeppelin University Friedrichshafen. Zugleich ist er Direktor des Leadership Excellence Instituts Zeppelin (LEIZ). Zuvor war er langjähriger Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Hochschule Konstanz (HTWG). Bei der EMB-Wertemanagement Bau unterstützte er bei der Gründung im Jahr 1996 die Entwicklung des Konzepts und ist seitdem Berater dieser einzigartigen Brancheninitiative. Inzwischen zählt der EMB-Trägerverein bereits 205 Mitglieder, verteilt über ganz Deutschland und angrenzende Nachbarländer.

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    Factbox
    Zum Weiterlesen: Ökonomische Theorie der Governance wirtschaftlicher Transaktionen

    Relational Economics ist eine politische Ökonomie der Governance wirtschaftlicher Transaktionen moderner Gesellschaften. Das Buch analysiert die Mechanismen globaler Wertschöpfungsketten am Gegenstand der kooperativen Produktivität globaler Intra- und Inter-firm-Netzwerke, des dafür erforderlichen intersektoralen Stakeholder-Managements und deren transkultureller Führung. Aus der Diskussion dieser Zusammenhänge entwickelt es die kategoriale Taxonomie einer allgemeinen Theorie der Relation wirtschaftlicher Ereignisse. Deren analytische Grundeinheiten sind die relationale Transaktion und deren Formen der Governance, sowie die polykontextuale Kooperation wirtschaftlicher, politischer und zivilgesellschaftlicher Akteure und der dabei anfallenden und zu verteilenden Faktoreinkommen und relationalen Renten. Relationale Transaktionen sind, anders als der diskrete Tausch der Standardökonomie, dynamische Attraktoren multipler sozialer Kontexte und Entscheidungslogiken als immanente Faktoren der Wertschöpfung. Sie sind nicht die Ausnahme, sondern das Charakteristikum moderner Ökonomien und ihrer globalen Netze.

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Prof. PhD Adrian Zicari: Was sind die Kerngedanken der relationalen Ökonomie?

Prof Dr. Josef Wieland: Die relationale Ökonomie ist eine politische Ökonomie, die sich für die Bedingungen und Möglichkeiten privater und öffentlicher, ökonomischer und gesellschaftlicher Wertschöpfung interessiert. Ihr Kerngedanke ist, dass diese Wertschöpfung durch die Kooperation von Stakeholdern und deren Ressourcen und Interessen in und mit Unternehmen geschieht.


Anders als in der Standardökonomie stehen daher nicht der Markt, sondern die wirtschaftliche Organisation – vor allem Unternehmen und deren Transaktionen – im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Gelingende Kooperation und deren möglichst reibungslose Fortführung sind in modernen Gesellschaften eine wesentliche Quelle von Wertschöpfung.

Zicari: Für welche Forschungsthemen interessieren Sie sich besonders?

Wieland: Das Management von sektorübergreifenden Stakeholder-Beziehungen in Unternehmen ist zentral – und in diesem Zusammenhang natürlich auch relationale Führungskonzepte. Die Resilienz und Innovationsfähigkeit von regional-globalen Produktionsnetzwerken ist ein weiteres Thema und die damit verbundenen Herausforderungen kultureller Komplexität und Kommunikation.
Ökonomisch geht es dabei um die Bildung und Beschaffenheit der entsprechenden individuellen und kollektiven produktiven Assets und deren relationale Kosten.


Zicari: Was bedeutet das praktisch?

Wieland: Stakeholder- und Wertemanagement, relationale Geschäftsmodelle und Innovation, Integrity und Compliance Management, das strategische und operative Management der SDGs, gemeinsame Wertschöpfung und Nachhaltigkeitsrechnung, transkulturelles Management und Führung in Netzwerken sind einige der Anwendungsfelder.


Was wir heute erleben, ist das permanente Andocken von ethischen und gesellschaftlichen Logiken an vormals rein wirtschaftliche Produkte und Prozesse. Die Produktion von Gütern in globalen Wertschöpfungsketten, die Herstellung und Beschaffenheit von Nahrungsmitteln und Kleidung, die Bewertung von individuellen und öffentlichen Verkehrskonzepten, um nur einiges zu nennen, sie alle sind heute keine einfachen Tauschtransaktionen mehr, sondern relationale Transaktionen.

Zum Weiterlesen: Ökonomische Theorie der Governance wirtschaftlicher Transaktionen


Zicari: Ist die relationale Ökonomie ein vollständig neuer Ansatz?


Wieland: Es gibt vor allem in der Soziologie, der Psychologie, der Pädagogik und der Wirtschaftsgeographie seit vielen Jahren den Ansatz der relationalen Sichtweise. Es gibt auch Forschungen zu relationalen Verträgen und relationalen Renten in der Ökonomie des Regierens, in der Organisationsökonomie und in der Theorie der ressourcenbasierten und dynamischen Fähigkeiten des Unternehmens.


Mein Buch zu diesem Thema ist im Jahre 2018 auf Deutsch und 2020 auf Englisch erschienen. Die erste Konferenz dazu haben wir im Jahre 2019 in Friedrichshafen organisiert und dieses Jahr findet sie mit einem PhD-Workshop gemeinsam mit der ESSEC in Cergy statt.

Zicari: Welche Rolle spielt Vertrauen in der relationalen Ökonomie und in den wertschöpfenden Netzwerken?

Wieland: Vertrauen ist grundlegend, aber es ist kein Ereignis, sondern das Ergebnis eines Interaktionsprozesses. Vertrauen ist ein Kapital der Kooperation, es wird langsam aufgebaut, aber kann sehr schnell zerstört werden.

Zicari: Das CoBS (Council on Business & Society) befasst sich unter anderem mit geschäftlichen Ökosystemen, Stakeholder-Theorie und Unternehmensethik. Wie sind diese Themen mit dem relationalen Ansatz verbunden?

Wieland: Wenn man das Unternehmen als einen Nexus von Stakeholder-Ressourcen und -Interessen versteht, sind diese Themen integrale Bestandteile der relationalen Ökonomie. Aus dieser Perspektive geht es aber nicht um Stakeholder-Management im herkömmlichen Sinne, sondern um das produktive und wertschöpfende Zusammenspiel von regionalen und globalen Stakeholder-Ressourcen und -Interessen.


Aus wirtschaftlicher Sicht sind Stakeholder Investoren, die materielle und immaterielle Ressourcen in ein Kooperationsprojekt investieren – und sie erwarten natürlich eine materielle oder immaterielle Rendite. Es geht um die Steuerung von relationalen und sektorübergreifenden Organisationen und Transaktionen und die damit verbundene Innovation neuer Produkte und Prozesse.

Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine sorgen weltweit für Umdenken: Statt Zusammenarbeit stehen die Zeichen vielerorts auf Lagerbildung – verschiedene Studien beobachten eine Tendenz zur Deglobalisierung. Für die Logistik- und Transportbranche zeigt das etwa eine aktuelle Studie der Marktforschungsgesellschaft PwC. Fusionen und Übernahmen im Transportsektor sind demnach ein Gradmesser für die internationale Verflechtung in der Weltwirtschaft. Besonders hatte China dabei eine zentrale Rolle gespielt – doch war zuletzt abgeschlagen: Im ersten Halbjahr 2022 waren chinesische Logistikunternehmen nur an 15 Prozent aller weltweiten Übernahmen und Zusammenschlüsse beteiligt, der niedrigste Stand seit zehn Jahren. Eine Abkopplung der EU und Deutschland von China, die Vergeltungsmaßnahmen von der chinesischen Seite nach sich zöge, käme Deutschland knapp sechsmal so teuer wie der Brexit. Das ist das Ergebnis einer Analyse des ifo Instituts im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. „Deglobalisierung macht uns ärmer. Unternehmen sollten sich nicht ohne Not von wichtigen Handelspartnern abwenden, sondern parallel auf Vorleistungen aus anderen Ländern setzen, um einseitige und kritische Abhängigkeiten von bestimmten Märkten und autoritären Regimes zu verringern“, sagt Lisandra Flach, Mitautorin der Studie. Die größten Verlierer eines Handelskrieges mit China wären die Automobilindustrie mit 8,47 Prozent Wertschöpfungsverlust, Transportausrüstung produzierende Unternehmen mit einem Minus von 5,14 Prozent sowie der Maschinenbau mit 4,34 Prozent weniger Wertschöpfung.
Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine sorgen weltweit für Umdenken: Statt Zusammenarbeit stehen die Zeichen vielerorts auf Lagerbildung – verschiedene Studien beobachten eine Tendenz zur Deglobalisierung. Für die Logistik- und Transportbranche zeigt das etwa eine aktuelle Studie der Marktforschungsgesellschaft PwC. Fusionen und Übernahmen im Transportsektor sind demnach ein Gradmesser für die internationale Verflechtung in der Weltwirtschaft. Besonders hatte China dabei eine zentrale Rolle gespielt – doch war zuletzt abgeschlagen: Im ersten Halbjahr 2022 waren chinesische Logistikunternehmen nur an 15 Prozent aller weltweiten Übernahmen und Zusammenschlüsse beteiligt, der niedrigste Stand seit zehn Jahren. Eine Abkopplung der EU und Deutschland von China, die Vergeltungsmaßnahmen von der chinesischen Seite nach sich zöge, käme Deutschland knapp sechsmal so teuer wie der Brexit. Das ist das Ergebnis einer Analyse des ifo Instituts im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. „Deglobalisierung macht uns ärmer. Unternehmen sollten sich nicht ohne Not von wichtigen Handelspartnern abwenden, sondern parallel auf Vorleistungen aus anderen Ländern setzen, um einseitige und kritische Abhängigkeiten von bestimmten Märkten und autoritären Regimes zu verringern“, sagt Lisandra Flach, Mitautorin der Studie. Die größten Verlierer eines Handelskrieges mit China wären die Automobilindustrie mit 8,47 Prozent Wertschöpfungsverlust, Transportausrüstung produzierende Unternehmen mit einem Minus von 5,14 Prozent sowie der Maschinenbau mit 4,34 Prozent weniger Wertschöpfung.

Zicari: Während in vielen Gesellschaften Forderungen nach einer Deglobalisierung lauten werden, scheinen sie weiter ein Befürworter der Globalisierung zu sein.

Wieland: Deglobalisierung kann vieles bedeuten, aber sie geht aus der Sicht der relationalen Ökonomie mit massiven Wohlfahrtsverlusten einher. Dies wird durch die makroökonomische Forschung zum International Trade und den Globalen Wertschöpfungsketten bestätigt. Die Ökonomien Europas sind tief in die Weltwirtschaft integriert.


Deglobalisierung bedeuten die Reduzierung des für alle zugänglichen Kooperationskorridors und der damit verbunden Einkommens- und Rentenpotenziale. Was das praktisch bedeutet, bekommen wir gerade täglich vorgeführt. Degloblisierung – so wie sie von Populisten gefordert wird – ist ein Weg in die Armut, und zwar sowohl für die Industrie- als auch für die Entwicklungsländer. Was wir brauchen, sind resilientere und innovativere Governance-Strukturen für regional-globale Wertschöpfungsnetzwerke. Dazu werden wir auf der Konferenz in Cergy ein paar Ideen vortragen.

Zicari: Können Sie erklären, was in diesem Zusammenhang Ihr Projekt der Transkulturellen Karawane bedeutet?

Wieland: Es handelt sich um eine Form des COIL (Cooperative International Learning), welche wir am Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ gemeinsam in einer internationalen Allianz von Universitäten aus einer ganzen Reihe von Ländern organisieren. Wir wollen durch kooperatives internationales Lernen das Verständnis und den produktiven Umgang mit kultureller Differenz einüben. Wir wollen, dass unsere Studierenden durch kooperatives internationales Lernen kulturelle Unterschiede verstehen und produktiv mit ihnen umgehen können. Im Kern geht es um die Fähigkeit, in gemeinsamen Projekten neue kulturelle Gemeinsamkeiten zu entdecken oder zu generieren.

 
Zu diesem Zweck schreiben wir jährlich studentische Forschungsprojekte aus, in denen Studierende aus aller Welt gemeinsam zu den transkulturellen Herausforderungen der globalen Welt forschen. Dies tun wir seit 2016 und die bisherigen Themen waren unter anderem Best Practices in der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit und Hybridität in Asien, transkulturelle Gemeinschaften in Subsahara-Afrika, transkulturelles Lernen in Brasilien und die Erfahrungen der chinesischen Belt and Road Initiative in verschiedenen europäischen Ländern.


Die Studierenden führen gemeinsam empirische Projekte in den jeweiligen Ländern durch, diskutieren diese aus interdisziplinären theoretischen Perspektiven und veröffentlichen die daraus resultierenden Beiträge in einem Buchprojekt. Das ist die relationale Sichtweise, die wir in der Lehre an der Zeppelin Universität umsetzen.

Zicari: Das hört sich großartig an. Wer finanziert dieses Initiative?

Wieland: Am Anfang, also 2015, gab es nur die Idee und jede Menge Engagement. Wir haben dann Mittel dafür eingeworben bei großen, aber auch mittelständischen Unternehmen. Unterstützung bekamen wir auch von der Zeppelin Universität und der Zeppelin Universitätsgesellschaft e.V. Es geht vor allem um Übernachtungs- und Reisekosten und die Kosten für die Konferenzen, die virtuell, aber auch in Präsenz stattfinden. In diesem Jahr haben wir auch einen großen Zuschuss von einer staatlichen Stiftung erhalten, der uns helfen wird, die nächsten drei Jahre zu organisieren.


Für die Studierenden ist dieses Programm sehr attraktiv. Für mich ist es neben der Ausbildung vor allem eine theoretische und praktische Übung in der Fähigkeit zur friedlichen und für beide Seiten vorteilhaften globalen Zusammenarbeit. Die wirtschaftlichen und geopolitischen Turbulenzen, die wir heute erleben, unterstreichen die grundlegende Bedeutung dieses Projektes.


Dieser Artikel ist am 26. September unter dem Titel „Cooperating in Value-Creating Networks: A relational view“ auf CoBS Insights erschienen. Professor PhD Adrian Zicari, ist Teaching Professor an der ESSEC Business School.

Titelbild: 

| Christian Lue / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bild im Text: 

| Galen Crout / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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