Familie und Beruf

„Gemeinsam ist doch weniger einsam“

von Dr. Angelica V. Marte und Laura Maria Trattner | Zeppelin Univeristät
27.08.2021
Um die Belastung der Frauen zukünftig zu reduzieren, müssen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber noch familienfreundlicher und auch die innerfamiliäre Arbeitsteilung noch partnerschaftlicher werden. Wenn die Pandemie eines zeigt, dann, dass wir uns davon ohne Gegensteuerung immer mehr entfernen.

Dr. Angelica V. Marte (l.) und Laura Maria Trattner
Gastwissenschaftlerin und Senior Lecturer am Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ und Alumna des Bachelorstudiengangs „Sociology, Politics and Economics“
 
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    Zur Person
    Dr. Angelica V. Marte und Laura Maria Trattner

    Dr. Angelica V. Marte ist ausgebildete systemische Beraterin, Wissenschaftlerin und Führungskräfteentwicklerin. Sie arbeitet seit 1996 mit internationalen Unternehmen und Universitäten als Expertin für die Themen „Global Leadership“, „Networks“ und „Diversity“ und als Executive Coach. Sie publizierte und forschte dazu unter anderem an der Universität Witten/Herdecke, der MIT Sloan School of Management und der Universität Zürich. Aktuell ist sie Unternehmerin sowie Gastwissenschaftlerin und Senior Lecturer am Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ an der Zeppelin Universität und an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Sie engagiert sich als Beirätin an der Donau-Universität Krems (Department für Interaktive Medien), im Supervisory Board des Schweizer Beratungsunternehmens DOIT- Smart und seit 2013 als zertifzierte Lehrtrainerin für systemisches Coaching am Zentrum für systemische Forschung und Beratung (zfsb) in Heidelberg.


    Laura Maria Trattner schloss im Frühjahr 2021 ihr Bachelorstudium in „Sociology, Politics and Economics | SPE“ an der Zeppelin Universität ab. Während ihres Studiums setzte sie den Schwerpunkt zunehmend auf Soziologie, wobei sie sich besonders für die Rolle der Frau in der Familie und in Organisationen interessierte. Im Rahmen ihres Auslandssemesters an der Örebro Universitet (Schweden) hatte sie die Möglichkeit, innovative Aspekte der dort gelehrten Gender Studies kennenlernen zu dürfen. Darüber hinaus war sie über vier Semester am Leadership Excellence Institute Zeppelin | LEIZ angestellt. Infolgedessen übernahm Laura Maria Trattner gemeinsam mit einer Kommilitonin die studentische Projektleitung des Transcultural Leadership Summit 2019 zum Thema „Europa“. Im Herbst 2021 wird sie ihr Masterstudium der Sozialen Innovation an der FH Salzburg beginnen.

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Die empirisch fundierten Grundtendenzen der von Laura Maria Trattner durchgeführten Studie „Auswirkungen der Coronapandemie auf Mütter in Führungspositionen im Gesundheits- und Sozialbereich“ lassen sich so zusammenfassen: Die tief im Habitus verwurzelten und daher unkenntlich gemachten Strukturen der weiblichen Fürsorge und Rücksichtnahme einerseits und der männlichen Verantwortungsübernahme andererseits setzen sich gegen die naheliegenden Solidarstrukturen des Gemeinsamen in der Krise scheinbar durch.


Mit ihrer Studie möchte Trattner auf spezifische, aktuelle Probleme der Corona-Pandemie aufmerksam machen. „Die Krise fungiert als Katalysator für die Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Arbeitsortes, ein Umstand, der von den Befragten positiv im Sinne der Vereinbarkeit und negativ im Sinne der permanenten Erreichbarkeit und Isolierung im Homeoffice betrachtet wurde. Durch den Anstieg des Arbeitspensums im Privaten verstärkte sich die Mehrfachbelastung der Frauen, wodurch bereits vorherrschende Strukturen der innerfamiliären Arbeitsteilung zu Tage traten.“


Dr. Angelica V. Marte stellte schon während der Betreuung der Arbeit und der Analyse der Studienergebnisse fest: „Was mich am meisten überrascht hat, ist die weitere Zuspitzung der Unvereinbarkeit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nicht nur in Organisationen finden wir heute dieses Kernproblem, sondern logischerweise auch in der Gesellschaft: How together are we in this together? Wenn diese Solidaritätsprozesse in Familien nicht für beide Elternteile passend gelöst werden können, wie sollen das Organisationen schaffen – und umgekehrt? Das ist ein sich gegenseitig eskalierend stabilisierender Faktor.“

Die von Trattner interviewten Frauen haben in den vergangenen eineinhalb Jahren unterschiedlichste Herausforderungen bewältigt, wobei sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als besonders anspruchsvoll gezeigt hat. Wie Schmieder und Wrohlich herausfanden, übernahmen 93 Prozent aller Eltern in Deutschland im April 2020 die Kinderbetreuung ohne Unterstützung von außen.


Durch diesen Wegfall der Fremdbetreuung und den Anstieg der Arbeitsbelastung traten etablierte Strukturen der familiären Arbeitsteilung ans Licht – worin Frauen bis heute selbstverständlich den Großteil der Verantwortung tragen. Nur bei denjenigen Vätern, welche im Zuge der Pandemie von zu Hause arbeiteten oder bei denen sich die Erwerbsarbeit im Zuge von Corona reduzierte, erhöhten sie die von ihnen geleistete Sorgearbeit. Da Väter nun mehr Zeit mit ihren Kindern verbrachten, intensivierte sich die Vater-Kind-Beziehung merklich. Dies sind die erfolgversprechenden Aspekte gegen einen Geschlechterkampf und für ein solidarisches Miteinander.


Arbeiteten beide Elternteile in Vollzeit, dann übernehmen Mütter bis heute selbstverständlich den Großteil der Sorge- und Haushaltsarbeit, oft auch um ihre Partnerinnen beziehungsweise Partner nicht noch zusätzlich zu belasten. Eine aktuelle Studie von Hering Schuppener (2020) beziffert diese Selbstverständlichkeit auch gesellschaftlich: In Interviews, Podcasts und Medienberichten ist das Thema Familie bei Frauen 2,5 mal mehr ein Thema als bei männlichen Befragten. Für Mütter in Führungspositionen im Gesundheits- und Sozialbereich hat sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als größte Herausforderung der Pandemie dargestellt. Aufgrund ihrer systemrelevanten Tätigkeiten und dem verbundenen Anstieg des Arbeitsumfangs war es für die Frauen keine Option, ihre Stundenanzahl zu reduzieren und sich auf die Betreuungsarbeit zu fokussieren.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Rollenbild der Mütter in Deutschland sehr stark gewandelt, wie eine Auswertung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zeigt. Wollten im Jahr 1998 noch 26,3 Prozent der Frauen im Alter zwischen 25 und 54 Jahren mit minderjährigen oder volljährigen Kindern keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, lag dieser Anteil im Jahr 2018 nur noch bei 12,4 Prozent. Gleichzeitig ist im letzten Jahrzehnt auch eine starke Tendenz weg von der kleinen Teilzeit mit weniger als 20 Stunden in der Woche und hin zur Vollzeit oder vollzeitnahen Teilzeit zu beobachten. Allerdings unterscheiden sich die Erwerbswünsche je nach sozioökonomischem Hintergrund stark. So wollten Mütter ohne berufsqualifizierenden Abschluss im Jahr 2018 mit 25,4 Prozent mehr als dreimal so häufig keiner Erwerbstätigkeit nachgehen wie Mütter mit Hochschulabschluss mit 8,0 Prozent. Ebenso findet sich ein derartiges traditionelles Rollenbild auch bei zugewanderten Müttern und Müttern mit drei und mehr Kinder besonders oft. Auch wollen Mütter mit gutverdienenden Partnern unter sonst gleichen Bedingungen häufiger in Teilzeit und seltener in Vollzeit arbeiten. Überdies zeigt sich auch über ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung noch ein so starkes Ost-Westgefälle, dass die Anforderungen an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als strukturell unterschiedlich einzustufen sind.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Rollenbild der Mütter in Deutschland sehr stark gewandelt, wie eine Auswertung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zeigt. Wollten im Jahr 1998 noch 26,3 Prozent der Frauen im Alter zwischen 25 und 54 Jahren mit minderjährigen oder volljährigen Kindern keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, lag dieser Anteil im Jahr 2018 nur noch bei 12,4 Prozent. Gleichzeitig ist im letzten Jahrzehnt auch eine starke Tendenz weg von der kleinen Teilzeit mit weniger als 20 Stunden in der Woche und hin zur Vollzeit oder vollzeitnahen Teilzeit zu beobachten. Allerdings unterscheiden sich die Erwerbswünsche je nach sozioökonomischem Hintergrund stark. So wollten Mütter ohne berufsqualifizierenden Abschluss im Jahr 2018 mit 25,4 Prozent mehr als dreimal so häufig keiner Erwerbstätigkeit nachgehen wie Mütter mit Hochschulabschluss mit 8,0 Prozent. Ebenso findet sich ein derartiges traditionelles Rollenbild auch bei zugewanderten Müttern und Müttern mit drei und mehr Kinder besonders oft. Auch wollen Mütter mit gutverdienenden Partnern unter sonst gleichen Bedingungen häufiger in Teilzeit und seltener in Vollzeit arbeiten. Überdies zeigt sich auch über ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung noch ein so starkes Ost-Westgefälle, dass die Anforderungen an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als strukturell unterschiedlich einzustufen sind.

Sie waren gezwungen, beides unter einen Hut zu bringen. Die pandemiebedingte Abkehr von der Präsenzkultur wurde als Möglichkeit zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Führungsposition betrachtet, wobei andererseits auch die Nicht-Trennbarkeit von Arbeit und Freizeit stark kritisiert wurde. Generell ließ sich eine starke Erschöpfung unter den Befragten wahrnehmen. Insgesamt wünschten sie allesamt Freizeit, Entspannung und die Rückkehr in eine gewisse Normalität, wobei sie den regulären Schulbetrieb als Grundvoraussetzung dafür nannten.


Grundsätzlich lag es so jedoch so gut wie immer an den befragten Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten. Sie mussten sich ihre Arbeit so einteilen, dass sie ihre Kinder von den Betreuungseinrichtungen abholen konnten und standen daher im Hinblick auf ihre Führungsverantwortung oftmals unter Zeitdruck. Darüber hinaus berichteten die Interviewten von einem sich im Laufe der Pandemie noch verstärkenden schlechten Gewissen einerseits ihrer Erwerbsarbeit und andererseits ihren Kindern gegenüber. Immer kam jemand oder etwas zu kurz.


Im Zuge einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung, einer Abkehr von der vorherrschenden Vollzeitnorm und klassisch-stereotypen Rollenvorstellungen für Führungspositionen und durch den Ausbau des Betreuungsangebots könnten sich beide Elternteile beruflich entwickeln und solidarisch eine gemeinsame Lebensführung aufbauen. Gesellschaftliches, betriebliches und innerfamiliäres Umdenken stellt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus dem Blickwinkel beider Elternteile als gemeinsames Projekt in den Mittelpunkt.

Marte dazu: „Wir können auch in Familien auf organisationale inklusive Prozesse zugreifen. Denn komplexe Herausforderungen wie die Pandemie und ihre Folgen erfordern neue Resilienzkonzepte und vor allem ein neues Mit- und Füreinander, also Solidaritätsprozesse und -strukturen auch in Familien. Diese zeichnen sich durch gegenseitiges Vertrauen, Respekt auf Augenhöhe, gegenseitige Inspiration und eine gemeinsame Lebensführung aus.“ Ko-Kreation und Kollaboration in Meinungs-, Willens- und Entscheidungsprozessen geht über einen bloßen, familiären Dialog und wechselseitige Verständigung hinaus. Dazu braucht es auf der einen Seite mehr Respekt, Fehlertoleranz, Geduld, das Übertragen von gegenseitiger Verantwortung und auf der anderen Seite weniger Asymmetrie.


Das Fazit von Trattner aus ihrer Studie: „Um die Belastung der Frauen zukünftig zu reduzieren, müssen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber noch familienfreundlicher und auch die innerfamiliäre Arbeitsteilung noch partnerschaftlicher werden. Wenn die Pandemie eines zeigt, dann, dass wir uns davon ohne Gegensteuerung immer mehr entfernen. Gemeinsam ist doch weniger einsam.“

Titelbild: 

| Brooke Lark / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bild im Text: 

| Andrew Neel / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. Angelica V. Marte und Laura Maria Trattner

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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