Pionier des Monats Niklas Ehret

Wenn der Raum zum Begegnungsort wird

von Sebastian Paul
21.09.2023
Unsere Idee ist es, den Raum nicht nur für eigene Veranstaltungen zu nutzen, sondern ihn auch anderen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen für Aktionen oder Projekte zur Verfügung zu stellen.

Niklas Ehret
Pionier des Monats im September
 
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Als Sohn einer kunst- und kulturinteressierten Familie war es für Niklas Ehret selbstverständlich, die zahlreichen Museen und Sammlungen der einstigen Residenz- und heutigen documenta-Stadt Kassel gemeinsam zu erkunden und zu erleben – von Dinosaurier-Skeletten über die Alten Meister bis hin zu zeitgenössischer Kunst. „Die Kunstwelt hat mich bereits als Kind fasziniert und ist für mich nur mit guten Erinnerungen verbunden. Dabei haben meine Eltern immer darauf geachtet, mir und meinen Geschwistern den Zugang zu gegenständlicher und abstrakter Kunst zu vermitteln“, erinnert sich Ehret, der hinzufügt: „Zwar sind Kunstwerke aus vergangenen Epochen wie dem Barock oft zugänglicher, doch die moderne Kunst ist in meinen Augen reizvoller, weil sie politischer ist und mehr Freiraum für Interpretationen lässt.“


Die Kunst blieb für ihn aber vorerst Zeitvertreib und Freude an der Sache. Angespornt von motivierten Lehrkräften, interessierte er sich deutlich mehr für Politik und Wirtschaft. Dass er sich schließlich für den CME-Bachelor an der ZU entschied, hatte aber auch mit seinem Bruder zu tun: Zu der Zeit war Constantin Ehret noch CME-Student und mit seinem Studium rundum zufrieden. „Wenn ich bei meinem Bruder zu Besuch war, hat er mir immer seine Universität gezeigt und mich mit seinen Kommiliton:innen bekannt gemacht. Und schon damals hat mich interessiert, wie kritisch, aber auch offen Dinge hinterfragt und diskutiert worden sind“, erzählt Ehret.


Doch dann kam zwischen der Studienplatzzusage und dem Studienbeginn die erste Coronawelle, die seine Gedankenwelt aufrollte. „In meinen Gedanken nahm meine Leidenschaft für Politik mehr und mehr Raum ein. Und so kam ich zu dem Entschluss, dass der SPE-Bachelor doch besser zu mir passen könnte“, berichtet Ehret, der als Student der Soziologie, Politik und Ökonomie an der ZU startete.


Doch dann war da der Kurs mit dem Titel „Kulturgeschichte der Seuche“ im Zeppelin-Jahr, der seinen Fokus veränderte. „Besonders angetan war ich von der Bildgeschichte der Seuche und wie das Skelett als Symbol der Vergänglichkeit und des Todes vermehrt Einzug in die Kunst hielt“, erläutert Ehret, wie eben in Pieter Bruegels „Der Triumph des Todes“. Es war noch nicht zu spät, den Studiengang erneut zu wechseln – oder anders ausgedrückt: Genau das ermöglicht die ZU ihren Studierenden nach den ersten beiden Semestern. „Das Zeppelin-Jahr und die Universität haben mir sehr dabei geholfen, meinen eigenen Weg zu finden, der mich schließlich zum CCM-Bachelor führte“, sagt Ehret.


Dass Niklas Ehret sich an der ZU glücklich und wohlfühlt, zeigt sich auch an seinem Engagement für seine Mitstudierenden. Um kreativ tätige Studierende zu verbinden, gründete er mit weiteren Kommiliton:innen die studentische Initiative „Abstrakt“, um sich gemeinsam kreativ auszutoben und über Gott und die Welt auszutauschen. Um allen in der engen Universitätsgemeinschaft ein sicheres Umfeld zu bieten, initiierte er mit anderen Mitgliedern des „LAUT Kollektivs“ einen dauerhaften Consent Workshop für Erstsemester. „Dabei geht es darum, gemeinsam auszuloten, wo die Grenzen des Gegenübers und zwischen unerwünschtem und erwünschtem Verhalten liegen“, erklärt Ehret.


In einem von artsprogram-Kuratorin Rahel Spöhrer geleiteten Kurs kam Niklas Ehret mit einer künstlerischen Ausdrucksform in Berührung, die ihn fesselte und nicht mehr losließ: dem Kuratieren. „Gemeinsam darüber nachzudenken, wie man in einem Raum Kunstobjekte anordnet oder Licht einsetzt, um verschiedene Wirkungen zu erzielen: Das hat mir eine Welt eröffnet, die ich nicht mehr verlassen wollte“, beschreibt Ehret. Da am Ende des Kurses eine studentisch kuratierte Ausstellung stand, bot sich ihm erstmals die Gelegenheit, das Gelernte anzuwenden. Der Titel der Ausstellung: „BETWEEN – sensing potential worlds“. „In Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstler:innen haben wir Besucher:innen eingeladen, in Sinneswelten einzutauchen, die während der Pandemie stark vernachlässigt wurden“, erklärt Ehret, der zusammen mit einer Kommilitonin, einer mexikanischen Künstlerin und der studentischen Kochinitiative „ZU|Tisch“ eine Foodart-Aktion kuratierte, die die Bodenseeregion durch den Geschmacks- und Geruchssinn erfahrbar und erlebbar machen sollte.


Niklas Ehret überlegte nicht lange, als ihn Rahel Spöhrer nach dem Kurs fragte, ob er die gerade offen gewordene Stelle als kuratorische Assistenz am artsprogram übernehmen möchte. „Die dabei anfallenden Arbeiten sind genauso abwechslungsreich wie die gezeigten Ausstellungen: vom Begleitprogramm über den Auf- und Abbau bis hin zur Künstlerbetreuung“, erwähnt Ehret. „Da kommt es dann auch schon mal vor, dass man mit der Kreissäge Holzlatten zuschneidet.“


Ebenfalls unter der Leitung von Rahel Spöhrer steht ein Kurs, der Studierende auf dem Weg zum Kulturfestival „Seekult“ berät, betreut und begleitet. „Knapp ein Jahr nach der studentisch kuratierten Ausstellung wollte ich mit dem studentisch organisierten Kulturfestival den nächsten Schritt wagen“, bemerkt Ehret, der zusammen mit Leonie Georg die Gesamtleitung übernahm. Dabei war es den beiden wichtig, auch einen anderen Schritt zu gehen. „Nachdem sich die Frage herauskristallisierte, was von Friedrichshafen übrigbleibt und was die Stadt braucht, wenn im Herbst der Tourismus abebbt und der See im Nebel verschwindet, waren zwei Neuerungen nötig: zum einen das Festivalzentrum komplett in die Innenstadt zu verlegen und zum anderen den Zeitraum von einem Wochenende im Oktober auf zehn Tage auszuweiten, um sich in der Stadt zu etablieren und mehr Menschen anziehen zu können“, erzählt Ehret.


Als neuer Standort wurde „Der Raum“ am Buchhornplatz 6 auserkoren, eine als Lager genutzte Fläche, die komplett renoviert werden musste. „Wir wollten mit dem Kulturfestival auch unbedingt das Verhältnis zwischen den Stadtbewohner:innen und den Studierenden thematisieren, reflektieren und stärken. Deshalb sind wir gezielt Kooperationen sowohl mit stadtbekannten Persönlichkeiten, aber auch mit lokalen Kunst- und Kulturinstitutionen eingegangen“, erwähnt Ehret. Das Seekult-Festival war nach zehn Tagen zu Ende, das Raum-Projekt besteht bis heute: Aus „Der Raum“ ist mittlerweile „Der Raum e.V.“ geworden. „Unsere Idee ist es, den Raum nicht nur für eigene Veranstaltungen zu nutzen, sondern ihn auch anderen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen für Aktionen oder Projekte zur Verfügung zu stellen“, erläutert Ehret.


Neue Impulse, wie ein Raum inszeniert, verwandelt und bespielt werden kann, holte sich Niklas Ehret zum einen bei einem Praktikum in der (Non-Profit-)Galerie Grolman in Berlin und zum anderen als Praktikant bei der niederländischen Künstlerin Jeanne van Heeswijk: „In der Oude Kerk hat sie einen kapellenartigen Raum gestaltet, der von Künstler:innen und zivilgesellschaftlichen Gruppen kreativ genutzt werden kann, um Erfahrungen und kollektive Ungewissheiten miteinander zu teilen und sich gegenseitig zu unterstützen“, bemerkt Ehret.


Sowohl in seiner Humboldt- als auch in seiner Bachelorarbeit soll es nun um sozial engagierte Kunst und das artsprogram-Jahresthema „Being Wrong“ gehen: „In westlichen Gesellschaften nimmt das Gefühl des gesellschaftlich Falschen zu. Wir wissen alle, dass etwas geschehen muss, um Gesellschaftskrisen wie soziale Ungerechtigkeit oder den Klimawandel aufzuhalten, doch es verändert sich kaum etwas. Das scheinbar neuere Gefühl, im allumfassenden Falschen zu leben, ist jedoch schon seit langer Zeit eine Lebensrealität für viele BIPoCs. In Werken von Autor:innen, die diese strukturell begründeten Erfahrungen beschreiben und aufarbeiten, möchte ich nach Umgangsformen und Überlebensstrategien suchen und danach fragen, wie die sozial engagierte Kunst diese Strategien nutzen und anwenden kann“, beschreibt Ehret.


Der Blick in seine eigene Zukunft verrät, dass er progressiven künstlerischen Praktiken verbunden bleiben möchte. Mögliche Adressen: das KW Institute for Contemporary Art in Berlin oder das BAK, basis voor actuele kunst in Utrecht.

Titelbild

| Constantin Ehret

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