Carlotta Nietzke studierte an der Zeppelin Universität Kommunikations- und Kulturwissenschaften und im Nebenfach Politik und Verwaltung. Ihre Bachelorarbeit „Krise des Journalismus? Der Wandel öffentlicher Kommunikation im Spiegel von Wissenschaft und Publizistik“ wurde im Fall Term 2012 mit dem Best Bachelor Thesis BA-Thesis Award ausgezeichnet.
Wie reagieren Journalisten auf die Internetkonkurrenz? Sie bezeichnen das Internet als „Debattierclub von Anonymen, Ahnungslosen und Denunzianten“, was aus dem „Absurditätenstadl“ heraus komme sei „Loser Generated Content“. Der Wunsch der Nutzer nach frei zugänglichen Informationen im Netz wird als "Freibier-Phänomen" gebrandmarkt. Laut Carlotta Nietzke ist die Berichterstattung deswegen so emotional, weil die strukturellen Entwicklungen der letzten Jahre den Journalismus in eine Identitätskrise gestürzt haben. Kern der im Diskurs sichtbar werdenden journalistischen Identität sei das Selbstbild von Welterklärern, die als Einzige qualitativ hochwertigen Inhalt produzieren und denen ein passives Publikum gegenüber sitzt.
In Ihrer Abschlussarbeit haben Sie herausgefunden, dass sich der Journalismus in einer Identitätskrise befindet.
Aber von vorn: Worin besteht denn die Identität von Journalisten?
Carlotta Nietzke: Die journalistische Identität beruht auf Vorstellungen von Normalität im Journalismus. Gerhard Schulze beschreibt diese Vorstellungen als Normalitätsmodelle, die auf Wiederholung und Routinen beruhen, gleichzeitig aber auch normative Komponenten besitzen. Das bedeutet, dass die beobachtete Normalität von den Beobachtern häufig auch als erwünscht beschrieben wird. Gängige Normalitätsmodelle im Journalismus sind beispielsweise der Journalist als Welterklärer, das Bild vom passiven Leser oder das Printprodukt als journalistisches Qualitätsmerkmal. Diese Vorstellungen des Normalen zeigen sich in den zentralen Thesen des Krisendiskurses. So wird etwa der Printjournalismus wiederholt mit Qualitätsjournalismus gleichgesetzt und dem gegenüber von einer „Verflachung im Internet“ gesprochen.
Woran machen Sie fest, dass diese Identität gestört ist?
Nietzke: Verschiedene gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Veränderungen haben die Normalitätsannahmen des Journalismus herausgefordert. Der maßgebliche Treiber dieser strukturellen Entwicklungen ist das Internet und die neuen Kommunikations- und Interaktionsformen, die es mit sich bringt. Manuel Castells nennt hier zum Beispiel die Mass Self-Communication. Sie ist ein Zusammenfluss individueller und öffentlicher Kommunikation, wie sie besonders in sozialen Netzwerken stattfindet. Hier können sich Nicht-Journalisten von passiven Lesen zu aktiven Prosumern entwickeln, sie sind also Verbraucher und Produzenten von Nachrichteninhalten gleichzeitig. Das journalistische Deutungs- und Vermittlungsmonopol wird dadurch massiv infrage gestellt. Durch das Internet ist der Ausschluss Außenstehender als ein Grundelement der beruflichen Identität im Journalismus nicht mehr wie bisher aufrecht zu erhalten.
Außerdem sind mit Suchmaschinen und News-Aggregatoren neue Akteure in das Nachrichtengeschäft eingestiegen. Diese produzieren keine eigenen Inhalte, sondern verteilen nur die Inhalte anderer. Sie greifen damit die Identität von traditionellen Journalisten an. Denn deren Kernaufgabe ist neben der Sammlung und Selektion von Nachrichten auch ihre Verteilung.
Medienmacher befinden sich in Herausforderungen, über die sie auch selbst nachdenken, schreiben und Öffentlichkeit herstellen. Ist das eine ungünstige Kombination?
Nietzke: Für sie selbst ist es natürlich günstig, da sie viel Aufmerksamkeit erhalten. Gleichzeitig sind sie in ihren Ausführungen von eigenen Interessen geleitet und argumentieren zum Teil stark emotional. Dies ist auch verständlich. Die Warnung vieler Journalisten im Krisendiskurs vor einer umfassenden Bedrohung des Journalismus kann man als Impuls zur Verteidigung der eigenen beruflichen Identität lesen. Allerdings hat diese starke Selbstbezogenheit dazu geführt, dass im Krisendiskurs bislang kaum Potenziale, sondern hauptsächlich die Gefahren der strukturellen Veränderungen thematisiert wurden. Dies ist aus gesellschaftlicher Sicht ungünstig. Dass sich das Normale mittlerweile schon weiterentwickelt hat, wird von den Krisendiagnostikern dabei nicht als neuer Entwicklungsschritt, sondern als dauerhafte Störung wahrgenommen und der Wunsch nach Rückkehr zur Normalität artikuliert. So zeigt der Diskurs um die Krise des Journalismus, dass Krisen immer auch Diskurs- und Wahrnehmungsphänomene sind.
Die alten Identitätsmodelle sind offensichtlich nicht mehr haltbar – zeichnen sich schon für Journalisten denn neue ab?
Nietzke: Das lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. In jedem Fall fordern die angesprochenen Veränderungen mehr Dialog zwischen Journalisten und Lesern sowie eine stärkere Einbindung dieser. Zur Entwicklung neuer Rollen im journalistischen Selbstverständnis bedarf es das Einlassen auf die neuen Strukturen und das Arbeiten im Netz. Das Führen konstruktiver Diskurse statt ideologischer Debatten rund um Print versus Pixel hat mittlerweile schon begonnen. Außer Frage steht ja ohnehin – trotz der grundlegenden strukturellen Veränderungen – die Bedeutung des Journalismus für die Gesellschaft. So wird der Journalismus der Zukunft voraussichtlich seine Form, nicht aber seine gesellschaftlichen Funktionen verändern.
Bild: Montgomery Cty Division of Solid Waste Services (Titel)