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Professorin Dr. Lucia A. Reisch, Jahrgang 1964, studierte in Hohenheim und Los Angeles (USA). Zwischen 1988 und 2004 war sie Assistentin am Lehr- und Forschungsbereich Konsumtheorie und Verbraucherpolitik der Universität Hohenheim, wo sie 1994 promovierte. 2006 erhielt sie einen Ruf als Professorin für interkulturelles Konsumverhalten und europäische Verbraucherpolitik an die Copenhagen Business School. Darüber hinaus ist sie seit 2011 DIW Research Professor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sowie ständige Gastprofessorin für Konsumverhalten und Verbraucherpolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.
Eines der ältesten und beeindruckendsten Beispiele, wie die geplante Obszoleszens als Strategie in der Industrie Einzug hält, ist auch einer der vermutlich ältesten Fälle: In der US-Automobilindustrie Anfang der 1920er Jahre kämpfte Henry Ford, der ein großer Anhänger von Qualität war und Gewinn lediglich als nebensächlich empfand, gegen Alfred Sloan, den Spitzenmanager von General Motors, welcher am MIT in Cambridge, Boston, ganz andere Vorgehensweisen erlernt hatte. Für ihn war Wettbewerb das gewinnbringende Stichwort und dieser wurde durch immer wieder neue Ideen am Leben gehalten. Eine davon war, die Lebensdauer der Autos zu verkürzen, damit neue Modelle nicht nur aus Prestige, sondern aus Notwendigkeit gekauft wurden. Ford war mit seiner Einstellung eine ganze Weile sehr erfolgreich: 1921 hatte sein „Model T“ einen US-Marktanteil von 61 %, obwohl bereits mehr als die Hälfte der amerikansichen Privathaushalte ein Atuo besaß. Doch Sloans Strategie funktionierte noch besser: Mit geschicktem Marketing senkte er trotz qualitativ schlechterem Produkt den Marktanteil von Ford erheblich.
„Murks - nein danke!“ So wehrt sich Stefan Schridde gegen kurzlebige Produkte. Er ist Initiator des gleichnamigen Verbraucherportals und fordert dort: „Zahllose Produkte gehen kurz nach Ablauf der Garantie kaputt. Dieser Murks muss aufhören!“ Die Webseite funktioniert dabei als eine Art digitaler Pranger. Das „Murksbarometer“ informiert, welche Produkte besonders oft unmittelbar nach Ablauf der Garantiezeit kaputt gehen. Wer meint, dass es sich dabei nicht um einen zufälligen Schaden, sondern um geplanten Verschleiß handelt, kann den Vorfall melden. Diese schwarze Liste gibt es zwar schon seit anderthalb Jahren, der Spitzenreiter Samsung kommt aber auf gerade einmal 16 Einträge; beim Konkurrenten Apple sind es sieben – Zahlen, die die Hersteller wohl kaum vor einer Empörungswelle zittern lassen dürften.
„Geplante Obsoleszenz“, das ist ein Vorwurf, der sich kaum beweisen lässt. Zwar legte die Bundestagsfraktion der Grünen kürzlich eine Studie vor, die den Elektro-Herstellern Absicht unterstellte. Doch selbst die Autoren der Studie, unter ihnen auch Stefan Schridde, räumten ein, dass echter Vorsatz „nur sehr schwer nachweisbar“ und „bewusst gewollter vorzeitiger Verschleiß sehr selten“ sei.
Trotz der schwierigen Beweisführung kämpft Schridde weiter gegen die Wegwerfgesellschaft – und bekommt dabei Unterstützung aus der Wissenschaft: „Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass Unternehmen, die auf langlebige Produkte setzen, weniger erfolgreich auf dem Markt sind, als jene die dies nicht tun“, sagt Professorin Dr. Lucia Reisch. „Eine der ältesten Geschichten ist die von Henry Ford und seinem Konkurrenten Alfred Sloan. Der geplante Verschleiß ist demnach etwa 100 Jahre alt.“
Gerade der Markt für elektronische Haushaltsgeräte sei weitgehend gesättigt. Wer kauft sich schon alle paar Jahre eine neue Waschmaschine? Kaum jemand – zumindest nicht, wenn das alte Gerät noch zuverlässig seinen Dienst tut. Und genau da würden nun manche Unternehmen ansetzen, so Reisch: Eine mögliche strategische Option sei es, für häufigere Wiederkäufe zu sorgen. Für den Hersteller mag es eine gute Werbung sein, wenn Waschmaschinen von Generation zu Generation weiter vererbt werden – aber Umsatz machen sie nur mit dem Verkauf. Also verändern sie den bisherigen Produktionsprozess, indem sie billigeres Material nutzen, den Verarbeitungsaufwand senken oder von vornherein Schwachstellen in das Produkt einbauen.
Doch diese Strategie kann gefährlich sein: „Auf funktionierenden Märkten führt eine Verschlechterung der Qualität zu Abwanderung oder Widerspruch der Kunden – solange bis die alte Qualität wieder hergestellt oder der Anbieter vom Markt verschwunden ist“, sagt Reisch. „Vor allem Markenhersteller wissen um den Wert ihrer Marke und setzen auf Qualitätsstrategien. Allerdings werden die Märkte zunehmend unübersichtlicher und intransparenter, sodass dieser Effekt häufig ausbleibt.“
Auch der kritische Blick von Warentestern helfe kaum: Weil echte Langzeittest sehr teuer seien, würden sich Produktvergleiche meist auf die Analyse aktueller Artikel beschränken. Um Obsoleszenz sichtbar zu machen, müsste man jedoch Produkte derselben Hersteller unterschiedlicher Jahrgänge miteinander vergleichen. Unternehmen setzten häufig auf einen schnellen Modellwechsel mit minimalen Änderungen – was die Intransparenz weiter fördere. Bereits getestete Artikel verschwänden wieder vom Markt und dieser Prozess beschleunige sich zunehmend.
Doch auch ohne absichtliche Manipulation gehen Produkte noch oft genug kaputt und müssen neu gekauft werden. Von „funktionaler Obsoleszenz“ spricht man, wenn einzelne Modellteile nicht mehr passen, Software und Hardware Probleme erzeugen oder keine Ersatzteile mehr erhältlich sind. Und dabei muss das Gerät nicht einmal defekt sein, um auf der Müllhalde zu landen: Die „psychologische Obsoleszenz“ durch Stil- und Modezyklen ist längst so selbstverständlich, dass sie uns nicht mehr auffällt.
Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Produkten. „Bei allen Gegenständen, deren Nutzen darin liegt, die eigene Identität zu definieren, spielt Haltbarkeit eine untergeordnete Rolle“, sagt Reisch und meint damit etwa Kleidung oder Mobiltelefone, die ohnehin regelmäßig neu gekauft würden. Auf wechselnde Moden und technische Neuerungen können sich aber nicht alle Hersteller verlassen. Produkte, deren Gebrauch nahezu unsichtbar sei, würden deutlich weniger bereitwillig ersetzt. Deshalb würden bestimmte technologische Innovationen bewusst nur stückweise umgesetzt, um die Produktzyklen zu verkürzen und die Kunden so zum schnelleren Neukauf zu bewegen.
Die natürlichen Ressourcen gehen zur Neige, die ökologischen Probleme wachsen – wie lässt es sich da rechtfertigen, den Konsum weiter anzuheizen und einer Wegwerfgesellschaft Vorschub zu leisten? Zwar gibt es viele Ideen zur Lösung des Problems – etwa staatliche Regelungen zur Mindestlebensdauer, eine Reparaturpflicht oder längere Garantiezeiten – doch Reisch will nicht allein die Hersteller in die Pflicht nehmen: „Ökologisch korrekter Konsum ist lediglich eine Nischenerscheinung unserer Gesellschaft. Aber beteiligt sind hier beide Seiten: Konsumenten und Produzenten.“
Jeder muss also bei sich selbst ansetzen und sein Verhalten hinterfragen. Brauche ich wirklich jedes Jahr ein neues Handy? Warum bin ich gerade dabei, mir das siebte Paar Schuhe zu bestellen, nur weil die in der Werbung so schick aussahen? Wenn Verbraucher sich diese und ähnliche Fragen nicht freiwillig stellen, könnten sie durch den Rohstoffmangel schon bald dazu gezwungen werden, prognostiziert Reisch. Andernfalls würden jene Unkenrufer Recht behalten, die schon heute behaupteten, Müllhalden seien die Altersvorsorge der Zukunft.
Titelbild: Christopher Sessums (CC BY-SA 2.0)
Text: Murks - nein danke! | Dick Jones/centennialbulb.org