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Medien und Politik

Wirklichkeit aus dem Baukasten

Man muss nicht drei Tageszeitungen lesen, um am aktuellen politischen Diskurs teilnehmen zu können.

Martin R. Herbers
 
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    Zur Person
    Martin R. Herbers

    Martin R. Herbers ist seit September 2012 Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaft. Er beschäftigt sich mit politischer Öffentlichkeit, politischer Unterhaltungskommunikation und visueller Kommunikation. Gegenwärtig promoviert er zur Produktion politischer Unterhaltungssendungen im deutschen Fernsehen.

    Von 2008 bis August 2012 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster tätig. Zuvor studierte er Kommunikationswissenschaft mit den Nebenfächern Psychologie, Deutsche Philologie und Betriebswirtschaftslehre.

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Gibt es eine Wirklichkeit, und wenn ja wie viele? Für einen überzeugten Naturwissenschaftler dürfte es keinen Zweifel geben: Selbstverständlich existiert Realität, und zwar genau eine einzige! Sozialwissenschaftler sehen das ein bisschen anders: „Wir müssen uns damit abfinden, dass es Realität nur im Plural gibt“, sagt Martin Herbers, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Zeppelin Universität.


Medien tragen dazu bei, Wirklichkeit zu konstruieren. Und wer schon einmal vor einem Zeitungskiosk stand, der weiß: Da liegen ganz schön viele Wirklichkeiten in der Auslage. Je nachdem, zu welchem Blatt man greife, erhalte man ein völlig anderes Bild von der Welt, so Herbers. „Die Schlagzeilen mögen ähnlich sein. Aber wie dann im Detail über ein Thema berichtet wird, da gibt es riesige Unterschiede zwischen den einzelnen Redaktionen. Da sieht man, dass es die eine, absolute Wahrheit definitiv nicht gibt.“

Grundsätzlich könne daran auch niemand etwas aussetzen. „Die Leser haben ja auch eine bestimmte Erwartungshaltung an „ihre“ Zeitung.“ Die FAZ ist konservativer als die taz, und das sei nicht nur legitim, sondern wichtig: Jedes Medium funktioniere wie ein Filter mit eigenen Kriterien der Selektion und Interpretation von Nachrichten. So könnten Zeitungen ihr Profil schärfen und sich ein Stammpublikum erarbeiten: „Das ist nicht nur aus Sicht der Journalisten notwendig. Auch die Leser können sich daran orientieren.“ Wer eine Bild-Zeitung kaufe, wisse schließlich, was ihn erwarte: Boulevard. Und genau deshalb greife er ja auch zur Bild und nicht etwa zur SZ.

Zeitungsstände neben einem Kiosk in New York.
Zeitungsstände neben einem Kiosk in New York.

Doch dass jeder sich über die Zeitung seine eigene „Realität“ aussucht, hat natürlich auch einen Haken. Denn durch die Vielfalt des Medienangebots steht der Leser vor einer großen Zahl selektiver Realitäten, aus denen er nun seine bevorzugte auswählen muss. Dabei könne man schon mal ins Rudern kommen, meint auch Martin Herbers.


Zusätzlich bedrohe diese Fragmentierung der Wirklichkeit den politischen Zusammenhalt der Gesellschaft dann, wenn keine gemeinsame Grundlage für verbindliche Regeln und Gesetze mehr bestehe. Genau das sei eigentlich Aufgabe der Politiker – doch die müssten den Bürger ja auch erreichen, und dazu bräuchten sie nun mal die Medien. „Jeder Politiker muss zuerst seine Zielgruppe identifizieren und sich dann ein Medium suchen, das genau diese erreicht“, sagt Herbers. Das könne eine bestimmte Zeitung oder ein bestimmter Rundfunksender sein, aber ebenso ein ausgewählter Journalist.


Auch einzelne Persönlichkeiten könnten durch Charisma, Kompetenz oder Humor großen Einfluss auf den Zuschauer nehmen: „Die Medienkonsument – und damit die Wähler – identifizieren sich mit solchen Meinungsmachern und lassen sich von ihnen beeinflussen. Aus Sicht der Politiker gilt es deshalb, die richtigen Meinungsmacher auf ihre Seite zu bringen.“ Dabei suche sich jedes Publikum seine eigenen Kanäle und der Politiker müsse entscheiden, welchen er am besten nutzen kann um potenzielle Wähler zu erreichen.

Kai Diekmann, einer der polarisierendsten Männer der deutschen Medienlandschaft.
Kai Diekmann, einer der polarisierendsten Männer der deutschen Medienlandschaft.

Und was bedeutet das alles für den Leser, für den Bürger, für mich? Wenn jedes Medium eine eigene Wirklichkeit konstruiert, brauche ich dann mehrere Zeitungen im Abo, wenn ich mir eine fundierte Meinung bilden will? „Man muss nicht drei Tageszeitungen lesen, um am aktuellen politischen Diskurs teilnehmen zu können“, beruhigt Herbers, schränkt jedoch sogleich ein: „Wer seine Rolle als Bürger adäquat ausfüllen will, sollte sich mit einem gewissen Maß an Informationen auseinandersetzen.“


Wichtiger als die Vielzahl der Quellen sei das Bewusstsein für den eingeschränkten, womöglich einseitigen Blick der Medien auf die Welt: „Man sollte sich über ihre Qualität, die jeweiligen Filter und Selektionsprozesse im Klaren sein. Sonst läuft man Gefahr, sich allzu sehr von der Sichtweise der Journalisten beeinflussen zu lassen und diese nicht mehr zu hinterfragen.“ Zwar bleibt es immer noch fraglich, ob es die eine, einzig wahre Wirklichkeit gibt und ob man sie erkennen kann – aber zumindest konstruiert man sich dann bewusst seine eigene Wirklichkeit und übernimmt nicht unhinterfragt die der Medien. Und das ist ja auch schon mal was.


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