GENERIS-Preis 2014

Soziologische Theorie des Flirts

Es zeigt sich, dass der Flirt eine Möglichkeit bereithält, mit der von spezifischen Auslösereizen entkoppelten Sexualität des Menschen öffentlich umzugehen.

Dipl.-Soz. Luise Heinz
Akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeine Medien- & Kommunikationswissenschaft
 
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    Dipl.-Soz. Luise Heinz

    Luise Heinz studierte Soziologie an der Technischen Universität Dresden, wo sie auch ihre Diplomarbeit zur "Soziologie des Flirts" schrieb. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich vor allem mit Prozessen der Veränderung von Rezeptionsverhalten sowie mit Intimsemantik. Seit Oktober 2014 ist sie an der Zeppelin Universität als Akademische Mitarbeiterin für den Lehrstuhl für Allgemeine Medien- & Kommunikationswissenschaft tätig und arbeitet zudem am DFG-Forschungsprojekt "Mediatisierte Medienrezeption" mit.  

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Luise Heinz versucht in ihrer Diplomarbeit ein in der Forschung bisher vernachlässigtes Phänomen – abseits eines sozialpsychologischen oder ratgeberdominierten Zugangs – theoretisch greifbar zu machen. „Bislang findet sich das Thema ,Flirt‘ im soziologischen Diskurs eher verhandelt als Initiationsphase der Zweierbeziehung oder einer sexuellen Interaktion. Diese Sichtweise wird dem Umstand nicht gerecht, dass der Flirt in den seltensten Fällen auf eine solche hinausläuft und vielmehr den ihm zugeschriebenen Wert häufig in sich selbst findet“, erläutert Heinz. Forschungsleitend war demnach die Frage, ob sich die Interaktionsform des Flirts als Antwort auf konkrete soziale Problemstellungen lesen lässt.

Auch im Tierreich wird fleißig geflirtet - meist unter Einsatz körperlicher Attraktivität - und männlichen Attributen, die keinen anderen Sinn haben, als die Weibchen zu beeindrucken. Aber auch einige Rituale lassen sich sehen: So baut der Seidenlaubvogel für seine Auserwählte eine Laube, in deren Vorhof er möglichst viele bunte Gegenstände drapiert - bevorzugt in blau. Der Kragenparadiesvogel hingegen legt eine flotte Sohle auf's Parkett und versucht seine potenzielle Partnerin durch seine Tanzkünste zu begeistern - für uns Menschen verbreitet er allein durch seine "Smiley-Optik", die durch seine Musterung entsteht, gute Laune.
Auch im Tierreich wird fleißig geflirtet - meist unter Einsatz körperlicher Attraktivität - und männlichen Attributen, die keinen anderen Sinn haben, als die Weibchen zu beeindrucken. Aber auch einige Rituale lassen sich sehen: So baut der Seidenlaubvogel für seine Auserwählte eine Laube, in deren Vorhof er möglichst viele bunte Gegenstände drapiert - bevorzugt in blau. Der Kragenparadiesvogel hingegen legt eine flotte Sohle auf's Parkett und versucht seine potenzielle Partnerin durch seine Tanzkünste zu begeistern - für uns Menschen verbreitet er allein durch seine "Smiley-Optik", die durch seine Musterung entsteht, gute Laune.

Um diese Frage mehr ansatzweise als abschließend zu beantworten, wurden vor allem drei soziologische Forschungslinien bemüht. Zunächst wurde aus einer historisch-vergleichenden Perspektive und mit Blick auf die Prozesse der weiblichen Vergesellschaftung nach 1900 die Genese des Flirts aus der Form der Koketterie rekonstruiert. „Durch diesen ersten Schritt konnte ich die grundlegende Beschreibung des Phänomens ,Flirt‘ hinsichtlich der Zahl der Beteiligten, seiner räumlichen Einbindung, seiner zeitlichen Verortung und der auftretenden Paradoxien abdecken“, beschreibt Heinz.

In einem nächsten Schritt folgte eine vertiefende Betrachtung der historisch-semantischen Entstehungs- und Funktionsbedingungen des „Flirts“ unter Einbeziehung der Systemtheorie nach Niklas Luhmann. „Im Rückgriff auf dessen Überlegungen war es mir möglich darzulegen, dass der Flirt weniger als Archetyp menschlicher Partnersuche zu fassen ist, sondern vielmehr als komplexes und ‚unwahrscheinliches’ System der Interaktion, das die historisch zu erschließenden ‚ernsten’ Momente der Liebessemantik aufnimmt, spielerisch transformiert und diese letztlich entlastet“, führt Heinz aus.

Wenn man die Angebetete dank gelungenen Flirts für sich gewinnen konnte, muss man sie anschließend auch halten. Ein Hilfsmittel: kleine Aufmerksamkeiten. Die Menge an "kitschigen" Dingen ist schier unendlich. Sei es etwas Süßes wie das Lebkuchenherz (das im Anschluss sowieso vor sich hingammelt) oder ganz klassisch eine Rose - das (Frauen-) Herz lässt sich meist erwärmen. Blickt man ein wenig genauer auf die Rose und ihren heutigen Einsatz kommt jedoch die Frage nach neuen "Flirtmechanismen" auf. Gerade ihr Einsatz bei der "Nacht der Rosen", bei der der "Bachelor" im Fernsehen wöchentlich "seine" Frauen auswählt, werfen die Frage auf, wie es weitergehen soll mit der ganzen Flirterei.
Wenn man die Angebetete dank gelungenen Flirts für sich gewinnen konnte, muss man sie anschließend auch halten. Ein Hilfsmittel: kleine Aufmerksamkeiten. Die Menge an "kitschigen" Dingen ist schier unendlich. Sei es etwas Süßes wie das Lebkuchenherz (das im Anschluss sowieso vor sich hingammelt) oder ganz klassisch eine Rose - das (Frauen-) Herz lässt sich meist erwärmen. Blickt man ein wenig genauer auf die Rose und ihren heutigen Einsatz kommt jedoch die Frage nach neuen "Flirtmechanismen" auf. Gerade ihr Einsatz bei der "Nacht der Rosen", bei der der "Bachelor" im Fernsehen wöchentlich "seine" Frauen auswählt, werfen die Frage auf, wie es weitergehen soll mit der ganzen Flirterei.

Abschließend unternahm Luise Heinz den Versuch einer minimalanthropologischen Begründung des „Flirts“. Aus diesem Blickwinkel wird er als eine Form verstanden, die unter den gesellschaftlichen Bedingungen einer großstädtischen Öffentlichkeit die Doppelnatur des Menschen zwischen Verhüllungs- und Offenbarungsbedürfnis zu stabilisieren vermag. „Es zeigt sich, dass der Flirt eine Möglichkeit bereithält, mit der von spezifischen Auslösereizen entkoppelten Sexualität des Menschen öffentlich umzugehen“, konstatiert Heinz.
In ihrer Diplomarbeit geht es Luise Heinz in erster Linie darum, „Ansätze zu einer soziologischen Theorie des Flirts“ darzulegen und nicht um eine abschließende Beantwortung der Fragestellung. Es geht ihr darum, die sozialen Mechanismen zu verstehen helfen, die den Flirt erfordern, ermöglichten und eventuell noch ermöglichen. „Die Unbestimmtheit der letzten Formulierung resultiert aus der Unsicherheit darüber, was den ,Flirt‘ heute insbesondere im Hinblick auf die Erweiterung der Kommunikation – ja man möchte fast sagen: der Person – ins Virtuelle ausmacht“, ergänzt Heinz. Diese Fragestellung soll im Zentrum der kommenden Forschungsarbeit zur medial vermittelten Intimkommunikation stehen, die Luise Heinz am Lehrstuhl für Allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaft an der ZU realisiert.

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TitelbildMiroslav Petrasko / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

Bilder im Text: Ulrich Ostermann / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)

Tanja Djordjevic / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)


Redaktionelle Umsetzung: Alina Zimmermann und Florian Gehm

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