DIe Zukunft der EU

Angst essen Europa auf

Um ein weiteres Erstarken rechtspopulistischer Parteien und einen Anstieg der Angst in der Gesellschaft zu verhindern, muss die Politik sich deutlicher für Chancengleichheit einsetzen.

Ole von Beust
Rechtsanwalt und Gesellschafter der von Beust & Coll. Beratungsgesellschaft
 
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    Zur Person
    Ole von Beust

    Ole von Beust ist Rechtsanwalt und Gesellschafter der von Beust & Coll. Beratungsgesellschaft. Von 1993 bis 2001 hatte er den Fraktionsvorsitz in der Hamburgischen Bürgerschaft inne und war von 2001 bis 2010 Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg. Daneben saß er im CDU-Bundesvorstand. Diesen berät er weiterhin, derzeit in der Zukunftskommission. Er verfügt über eine umfangreiche Medienerfahrung. Er ist Beiratsvorsitzender bei KuSBau und Senior Advisor bei Equaty Gate. Ole von Beust engagiert sich in diversen Aufsichtsräten, so der CH2 Contorhaus Hansestadt Hamburg AG, der Box Direct, berät im Beirat die Varengold Wertpapierhandelsbank AG und bringt seine Erfahrungen in den Nachhaltigkeitsrat der ECE ein. Seine Detailkenntnisse politischer Entscheidungsabläufe und sein auch zu Amtszeiten stets überparteilicher Ansatz, Probleme anzugehen, eröffnen ihm Zugänge zu den politisch relevanten Lagern. 

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Es sei die Aufgabe der amtierenden Politiker, sagte von Beust, ein Europa auf der Basis des Willens der Bürger zu formen – ein Europa, das die Menschen wollen. Zur Verteidigung Europas würden viel zu oft nur veraltete Bilder genannt werden, die zur Entstehung der Europäischen Union in den 1960er-Jahren geführt haben, ein Narrativ also, zu dem die meisten Menschen heute keine persönliche Verbindung und somit keinen Zugang mehr haben. Die Vereinigung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg oder die gemeinsamen Grundsätze in Artikel 6 seien vor allem für jüngere Menschen heute selbstverständlich.


Hätte Ole von Beust eine konkrete Lösung für dieses Problem, so würde er sich vor Aufträgen nicht mehr retten können. Denn seit Ende seiner Hamburger Amtszeit – von Beust lenkte die Geschicke der Hansestadt von 2001 bis 2010 – wirkt er als Unternehmensberater bei Roland Berger und ist als Gesellschafter bei der seiner eigenen Strategie- und Kommunikationsberatung tätig. Er selbst hatte früher nie Ambitionen gehegt, für eine europäische Institution zu arbeiten, und betont, dass Brüssel bei Politikern und Verwaltungsbeamten grundsätzlich keinen besonders guten Ruf habe. Grund dafür seien primär die Wiedereinstiegschancen auf Landesebene und nicht nur die Brüsseler Architektur.

 

Der politische Rechtsruck in mehreren europäischen Ländern, meint von Beust heute, sei auf die Unzufriedenheit mit der Europäischen Union zurückzuführen. Der gelernte Jurist ist der Überzeugung, dass die meisten Rechtswähler keine Angst vor den Flüchtlingen per se hätten, jedoch immer noch schockiert seien über den Moment der scheinbaren Hilflosigkeit, als 2015 mehr als eine Millionen Asylsuchende nach Europa kamen. Seitdem sei die Angst vor einem Kontrollverlust in Europa groß, und man suche Zuversicht bei Parteien mit Fokus auf das eigene Land. Aus Angst vor Verlusten in der eigenen Wählerschaft rückten Parteien aus der Mitte vermehrt nach rechts. Ob das richtig sei, kann Ole von Beust nicht beantworten, so funktioniere Politik in der Realität nun einmal.


Angst habe auch die „alte Mitte“, eine der Teilgruppen, in die von Beust die Bevölkerung teilt. Während die sogenannten „Neue Mitte“-Bürger von Welt sind, die aufgrund guter Ausbildung und ausgeprägter Fremdsprachenkenntnisse standortungebunden ihren beruflichen Weg gehen, versteht er die „alte Mitte“ als ein Milieu Abstiegsbedrohter. Wie in Heinz Budes „Gesellschaft der Angst“ beschreibt auch von Beust diese Schicht im Jahr 2017 als eine Gruppe derjenigen, deren gute Jobs in Zukunft wegfallen könnten und die beruflich wie privat an einen Ort gebunden sind. Auch wenn sie noch nicht von der Entwicklung betroffen sind oder es vielleicht auch gar nicht sein werden, sähen sie sich von der Globalisierung benachteiligt. Eine dritte Teilgruppe würden diejenigen bilden, die sich durch die fortschreitende Globalisierung und Digitalisierung tatsächlich in einer prekären Situation befinden und sich politisch nicht vertreten fühlen.

Um ein weiteres Erstarken rechtspopulistischer Parteien und einen Anstieg der Angst in der Gesellschaft zu verhindern, müsse die Politik sich deutlicher für Chancengleichheit einsetzen, findet von Beust. Beim Kriterium „soziale Durchlässigkeit“ stehe Deutschland in internationalen Rankings beständig weit unten, während „Akademiker sich weiter akademisch fortpflanzen würden“, so Beust. Also müsse man mit vermehrter Integration und gut ausgestatteten Ganztagsschulen anfangen, diesem Trend entgegenzusteuern. Es könne nicht sein, dass Kinder mit Migrationshintergrund fünfmal häufiger die Schule abbrechen als deutsche Kinder, „die sind ja nicht blöder“. Von Beust weiß, wovon er redet und wie schwer die Umsetzung sein kann. Den Versuch, mittels einer Schulreform in diese Richtung zu agieren, musste er mit dem Ende der von ihm geführten schwarz-grünen Regierung in Hamburg und seinem Rücktritt bezahlen.

Das Demonstrieren half alles nichts: Der Brexit, der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, ist beschlossene Sache. Doch mittlerweile zittert nicht nur das britische Volk, sondern auch die Wirtschaft vorm EU-Ausstieg: Der britische Notenbankchef Mark Carney stimmt die Briten nach dem Brexit auf eine Wachstumsdelle ein. Sollte es nicht gelingen, nach dem Ausscheiden aus der Europäischen Union ein Handelsabkommen abzuschließen, werde das Wachstum kurzfristig geringer ausfallen, sagte Carney in einem TV-Interview. Die Wirtschaft müsse sich neu orientieren, wenn sie einen deutlich geringeren Zugang zum EU-Binnenmarkt habe. Die Unsicherheit mache sich bereits bemerkbar: Angesichts der Stärke der Weltwirtschaft müsse das Wachstum bei den Investitionen eigentlich höher ausfallen. Die erste bittere Pille: Die britische Notenbank hat am Donnerstag erstmals seit 2007 die Zinsen erhöht, um die im Zuge des Pfundkursrückganges gestiegene Inflation in den Griff zu bekommen. Eine straffere Geldpolitik stärkt tendenziell die Währung und dämpft den Preisauftrieb.
Das Demonstrieren half alles nichts: Der Brexit, der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, ist beschlossene Sache. Doch mittlerweile zittert nicht nur das britische Volk, sondern auch die Wirtschaft vorm EU-Ausstieg: Der britische Notenbankchef Mark Carney stimmt die Briten nach dem Brexit auf eine Wachstumsdelle ein. Sollte es nicht gelingen, nach dem Ausscheiden aus der Europäischen Union ein Handelsabkommen abzuschließen, werde das Wachstum kurzfristig geringer ausfallen, sagte Carney in einem TV-Interview. Die Wirtschaft müsse sich neu orientieren, wenn sie einen deutlich geringeren Zugang zum EU-Binnenmarkt habe. Die Unsicherheit mache sich bereits bemerkbar: Angesichts der Stärke der Weltwirtschaft müsse das Wachstum bei den Investitionen eigentlich höher ausfallen. Die erste bittere Pille: Die britische Notenbank hat am Donnerstag erstmals seit 2007 die Zinsen erhöht, um die im Zuge des Pfundkursrückganges gestiegene Inflation in den Griff zu bekommen. Eine straffere Geldpolitik stärkt tendenziell die Währung und dämpft den Preisauftrieb.

Vielleicht auch deswegen, sagt er, könne dieses Ziel nur von ambitionierten Politikern erreicht werden, die mit ihrem Idealismus endlich wieder Diskussionen auslösen. Nicht nur Europa, sondern auch dem Bundestag fehle der Streit als Methodik, Dinge zu verändern. Es führe zu nichts, „wenn sich mit einem Kilometer Radius um das Café Einstein in Berlin ein Common Sense unter Politikern etablieren würde“, um dann im Bundestag nicht mehr streiten zu müssen. Von Beust geht so weit, dass er für eine begrenzte Anzahl an Legislaturperioden plädiert: Mit der Zeit und den vielen Kompromissen würde man seinen Idealismus verlieren, das habe er selbst erlebt. Ob dieser Streit durch den Einzug der AfD in den Bundestag gewährleistet ist, sei fraglich. Dazu müsste die neue Fraktion erst einmal parlamentarisch arbeiten wollen, was derzeit in den Landesparlamenten noch nicht sichtbar geworden sei.


Die aktuellen Jamaika-Verhandlungen seien eine Chance für die deutsche Politik, dass nach den vermehrt emotionalen Wahlkämpfen endlich Inhalte verhandelt werden. Trotz traditionell kühlem hanseatischem Understatement hat sich von Beust am Ende seines Vortrages in Rage geredet. Angesichts dieser Leidenschaft gibt es vielleicht trotz der vielen Herausforderungen eine Zukunft für Europa.

Titelbild: 

| Duncan Hull / flickr.com (CC BY 2.0) | Link


Bilder im Text: 

| Lennard Kritzler / Zeppelin Universität

Ilovetheeu / Eigenes Werk (CC BY-SA 4.0) | Link


Redaktionelle Umsetzung: CvD

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