Globalisierung

Quo vadis, Nationalstaat?

Globale Probleme überfordern die nationalstaatliche Problemlösungskompetenz und die Reichweite nationalstaatlicher Steuerung.

Professor Dr. Helmut Willke
 
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    Professor Dr. Helmut Willke

    Professor Dr. Helmut Willke ist Inhaber des ZU-Lehrstuhls für Global Governance und hat zudem Gastprofessuren in Washington, D.C., Genf und Wien inne. Der studierte Rechtswissenschaftler und Jurist lehrte zuvor in Bielefeld und wurde 1994 mit dem Leibnizpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet. Willke forscht schwerpunktmäßig in den Bereichen globale Netzwerke und Steuerungsregime, sowie System- und Staatstheorie.

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    Dr. Heribert Dieter

    Dr. Heribert Dieter ist Mitglied der Forschungsgruppe „Globale Fragen" der Stiftung Wissenschaft und Politik und ehemaliger Ko-Direktor der „Warwick Commission on International Financial Reform". Seit 2006 lehrt er als Privatdozent an der Freier Universität in Berlin. Seine Hauptforschungsgebiete sind internationale Wirtschaftsbeziehungen, Globalisierung und Regionalismus und die Neugestaltung des internationalen Finanzsystems.

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Die Kontrahenten des Abends: Professor Dr. Helmut WIllke und Dr. Heribert Dieter
Vorgestellt: Diskutant Dr. Heribert Dieter


Scheinbar entscheiden heutzutage wenige große Staaten und Unternehmen über die wirtschaftlichen Vorgänge in der Welt. Institutionen wie die Europäische Union übernehmen mehr und mehr Macht und seit der Bewilligung des dauerhaften Stabilitätsmechanismus sogar Kompetenzen in der Fiskalpolitik, einer früheren Königsdisziplin der Mitgliedsstaaten. Währenddessen gibt es auf der Welt 194 von den Vereinten Nationen anerkannte Nationalstaaten. Strategien des Erhalts und Ausbaus nationalstaatalicher Entscheidungskompetenz und gemeinsamer, global wirkender Einflussnahme stehen sich hierbei kontrovers gegenüber - so auch Experten wie Professor Dr. Helmut Willke vom Lehrstuhl für Global Governance der Zeppelin Universität und Dr. Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Mitte September gaben sie sich beim Diskussionsformat „RedeGegenRede“ der Zeppelin Universität am Berliner Hauptstadtcampus einen Schlagabtausch der Argumente.

Einerseits ist in der Debatte der Ansatz auszumachen, dass Systeme instabil würden, wenn sie einem gemeinsamen Ansatz folgten. Heribert Dieter ist Vertreter dieser These: „Trotz aller Bemühungen wird man es nie schaffen, einen krisenfesten gemeinsamen Punkt zu finden", formulierte er in Berlin. Auf der anderen Seite wird in Zusammenarbeit ein Garant für Stabilität gesehen. Für Helmut Willke, seit Jahren Verfechter internationaler Lösungsstrategien, seien es globale Probleme, die die Einrichtungen internationaler und globaler Koordination und Kooperation zwingend erforderlich machten. „Globale Probleme überfordern die nationalstaatliche Problemlösungskompetenz und die Reichweite nationalstaatlicher Steuerung“, so Willke im Zuge der Diskussion. In bestimmten Feldern sei ein „Rückzug auf Positionen der nationalstaatlichen Souveränität nicht nur aussichtslos, sondern destruktiv.“ Von besonderer Relevanz seien dabei ein globales Handelssystem, Finanzsystem, das globale Klima und die globale Wasser- und Energieressourcen, die auch im nationalstaatlichen Interesse zu schützen seien.

Dieter hingegen führte ins Feld, es gehe auch ohne Global Governance - den besten Beweis trete dabei die Volksrepublik China an. Obwohl das Land den Kapitalverkehr nicht liberalisiert habe, nehme das Land voll an der Globalisierung teil, stelle die Wirtschaftsmacht der Zukunft dar und beweise, dass es eine Möglichkeit gebe, sich „gegen die scheinbare Machtlosigkeit zu wehren“. Für Dieter ist das mittlerweile mangelnde Vertrauen in Global Governance eines der Hauptprobleme. Eine „temporäre Organisation von Global Governance in einer Welt von Nationalstaaten“ sei zwar möglich, räumt Dieter ein, das Problem sei aber, „dass viele Hoffnungen, die wir in Global Governance gesetzt hatten, einfach enttäuscht worden sind“. Dafür ließen sich auch weit abseits der Finanzwelt Beispiele finden - das brutale Scheitern des Kopenhagener Klimagipfels sei eines der herausragendsten. Dessen Ergebnislosigkeit lege nahe, dass Staaten keine Lektionen aus schwierigen Situationen extrahierten. Doch gerade das Lernen aus Krisensituationen sei von besonderer Bedeutung.

 

Eine zentrale Rolle in diesem Themenkomplex spielt für beide Experten der Lernfaktor. Für Willke stand fest: „Alle Hauptakteure können und sollten Myriaden von Lektionen aus der globalen Krise lernen. Eine massive Krise ist einer der besten Gründe für organisationales und institutionelles Lernen und diese Akteure sollten die Krise nicht ungenutzt verstreichen lassen.“ Mit Akteuren meinte Willke nicht nur Staaten und Finanzinstitutionen, sondern auch Unternehmen, Regulierungsinstitutionen und Beratungseinrichtungen.

Doch was zu lernen sei, das hängt freilich von den unterschiedlichen Interpretationen ab. In diesem Zusammenhang führte Dieter das Scheitern von Institutionen wie „Basel“ an: „Die gesamten Versuche auf supranationaler Ebene im ‚Baseler Ausschuss‘ zur Bankenregulierung waren ein großer Fehlschlag.“ Der Baseler Ausschuss wurde 1974 nach einer „Bankenpleite" in Deutschland ins Leben gerufen, um den gerade erst freigegeben Kapitalverkehr wieder zu regulieren. Laut Dieter habe sich von da an ein ganzes Regulierungssystem ergeben, „aber die internationale Regulierung hat nicht dazu beigetragen, die Intensität und Häufigkeit von Finanzkrisen zu verhindern."

Wenn die Realisierung einer weiter reichenden globalen Institution in die Ferne gerückt sein sollte, dann steht die Frage nach einem weltweiten Regelwerk – nach gemeinsamen Grenzen – für die internationale Finanzwelt aber weiterhin auf dem Tableau. Dieters Thesen gehen dabei auch über die Betrachtung der Finanzmärkte hinaus. Seine Maxime in der Bekämpfung von Krisen lautete, genau das Gegenteil von dem zu tun, was die G20 gegenwärtig anstrenge: „Ich plädiere dafür, im Bereich des Warenhandels globale Regeln zu haben und die Welthandelsorganisation wieder zu stärken und im Bereich der Finanzmarktregulierung stärker als in der Vergangenheit auf nationale und regionale Regulierungen zu setzen“, sagte Dieter und unterstrich damit den aufgeworfenen Wunsch starker Nationalstaaten. Unabhängig von weltweiten Institutionen sei laut Dieter Dieter das Hauptproblem effektive Regulierung. Und die Wendigkeit der globalen Finanzindustrie mache ein Regelwerk besonders schwer: „Finanzmärkte sind leider in einer Art und Weise ‚innovativ', die schon häufig an kriminelle Energie grenzt. Es ist erkennbar, dass in der Vergangenheit Versuche von Regulierungen vom Finanzsektor bewusst umgangen wurden. Vor diesem Problem steht globale Regulierung.“ Stattdessen will Dieter auf „Diversität in der Regulierung“ setzen und die Finanzmärkte voneinander trennen. Dazu müssten auch Kapitalverkehrsbeschränkungen wieder zugelassen werden, wie laut Dieter auch der Internationale Währungsfonds „in einem Anfall von Lernerfahrung“ festgestellt habe.

Die beiden Kontrahenten beim Abschluss-Plädoyer im bis auf den letzten Platz gefüllten Hauptstadtcampus

Für Willke jedoch lag zunächst das Problem in der generellen Regellosigkeit der Finanzmärkte: „Gegenwärtig gelten für das globale Finanzsystem überhaupt keine verbindlichen Spielregeln, nicht einmal die Regeln von Basel II sind von wichtigen Staaten wie den USA übernommen und implementiert worden.“ Allerdings, erläutert Willke, seien nun die Regeln von Basel III unterwegs, und auch die G-20 habe verbindliche Ziele erklärt - die tatsächliche Umsetzung stecke jedoch bestenfalls in den Anfängen. Gerade deshalb stehe es für Willke außer Frage, „dass eine brauchbare Verfassung des globalen Finanzsystems von besseren und umfassenderen und akzeptierten Regeln abhängt.“ Dabei reduziert er die Ziele solcher Maßnahmen auf zwei Hauptaussagen: „Wir brauchen ein Bündel von Regeln zur Verhinderung von systemischen Risiken und ein Bündel von Maßnahmen, um - analog zu den Regeln der WTO für das globale Handelssystem - ein globales, gerechtes Spielfeld herzustellen.“


Für Regeln plädierten in Berlin beide Experten. Doch auf welchen Ebenen diese ansetzen sollten, in diesem Punkt gehen die Ansichten weit auseinander. So wenig sich Prognosen über die Zukunft der Finanzmärkte machen lassen - laut Willke sei dies schlichtweg nicht möglich - so divers sind auch die Lösungsansätze. Zwar ist deutlich, welche Faktoren welche Gefahren auslösen und in welche Richtung sich die globale Vernetzung entwickelt, aber gerade das Finanzsystem ist von Risiken bedroht und von Gefahren durchsetzt, die künftige Prozesse nicht vorhersagbar machen. Sicher bleibt derweil nur der Zwispalt, in dem sich die Nationalstaaten befinden - sie müssen sich zwischen eigener Souveränität und globalem Regulierungsbedarf zurecht finden. Und ob hierbei gemeinsames Regelwerk oder eine Diversität in der Regulierung zum Zuge kommt, ohne Regeln werden die Herausforderungen nicht zu stemmen sein.


Bilder: Kristin Lawrenz

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Leserbrief
Europa als DAS Projekt
Maximilian Locher | 19.09.2012

Danke Fabian für Deinen Beitrag!

Nationalstaatichkeit basiert auf der Idee, dass Menschen aus bestimmten geografischen Gebieten exkludiert werden können. Das zieht weitere Exklusionen nach sich. Exklusionen aus Wohlstandsmodellen, Rechtssystemen... Europa stellt genau dieser Exklusion etwas entgegen. Den Gedanken, dass auf der Grundlage von Werten eine Inklusion höherer Ebene betrieben werden kann, der Nationalstaatlichkeit nichts bedeutet, sondern nur noch politische Gestaltung legitimierende Menschen.
Das ist der inkludierende Gedanke von Europa, welcher Global Governance erst praktikabel macht. Denn globale Regelungen, welche deswegen nicht entstehen, weil Kausalzusammenhäge in sehr komplexer Form sich nicht mehr an geografische Grenzen halten (siehe Klimawandel, Finanzmarktkrisen...) halten, werden erst in solidarischen Gemeinschaften gefunden.

Hier in Europa sind wir in einem solchen sehr harten Findungsprozess. Ist dieser aber erfolgreich, steht unserer Zukunft ein Modell zur Verfügung, auf dass ich heute schon hoffe.


Zukunft ohne Nationalstaaten?
Fabian Wolf | 17.09.2012

Um die Frage "Quo vadis, Nationalstaat" zu beantworten, hat diese Debatte offenbar auch nicht alle Möglichkeiten in Betracht gezogen. Von den Problemen einer "global governance" ist die Rede, von dem Zwist zwischen nationalstaatlichen Interessen und einer globalen Vernetzung.

Dass Nationalstaatlichkeit als Staatskonzept vielleicht schon ausgedient hat und unserer heutigen Gesellschaft gar nicht mehr gerecht wird, hat in dieser Diskussion offenbar nur wenig Beachtung gefunden.

Standortlogik und Nationalismus sind gerade in Zeiten der Krise ein Konzept, welches auf jeden Fall überdacht werden muss - schließlich steht gerade dieses Denken einer solidarischen Gesellschaft entgegen, welche heute dringend gebraucht wird.


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