Spieltheorie

Mathematik ist eben sexy

Vertrauen ist riskantes Verhalten, weil es eine einseitige Vorleistung beinhaltet und man so ausgebeutet werden kann. Es kommt daher auf die richtige Balance von Vertrauen und Misstrauen an.

Professor Dr. Joachim Behnke
 
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    Zur Person
    Professor Dr. Joachim Behnke

    Joachim Behnke ist Inhaber des ZU-Lehrstuhls für Politikwissenschaften. Er hat Theaterwissenschaft, Philosophie, Kommunikationswissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft studiert. Sein Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem bei Wahlsystem und Wählerverhalten. Außerhalb der Universität engagiert sich Behnke als Sprecher verschiedener Arbeitskreise in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft und ist als Stiftungsberater tätig. In seinem neuen kürzlich erschienenen Buch „Entscheidungs- und Spieltheorie" erläutert Behnke, die grundlegenden Konzepte.

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    Factbox
    Frank Schirrmachers Kritik an der Spieltheorie

    Der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beschreibt in seinem neuesten Buch "Ego. Spiel des Lebens" wie der Egoismus zum dominanten Prinzip der Zivilgesellschaft werden konnte. Während der Zeit des Kalten Krieges führte die Erfindung spieltheoretischer Modelle zur Konstruktion eines egoistischen nutzenorientierten Menschenbildes, mit denen man die Handlungen des Gegners vorauszuschauen versuchte. Mit dem Ende des Kalten Krieges gingen die Wissenschaftler vom Pentagon an die Wall Street und etablierten dort die Logik des Kalten Krieges. So wurden Menschen und Staaten zu Gefangenen in einem Spiel, dass von Maschinen und Algorithmen an Aktienmärkte gespielt wird und immer weiter in den Alltag vordringt. Das Ende des Spiels könnte laut Schirrmacher ein Ende der Demokratie bedeuten.

    Das Gefangenendilemma

    Die Erfinder des Spiels Merill Flood und Melvin Dresher wollten zeigen, dass die Verfolgung individueller Rationalität zu einem Schaden für das Kollektiv führen könnte. Deutlich wird das durch die Coverstory: Zwei Bankräuber, die das Verbrechen gemeinsam verübt haben, werden einzeln verhört. Beiden wird das Angebot unterbreitet, dass wenn der eine auspackt, während der Mittäter schweigt, er die Freiheit erhält, während der andere volle 10 Jahre Gefängnisstrafe bekommt. Gehen beide auf dieses Angebot ein, müssen jedoch beide für 5 Jahre ins Gefängnis. Halten beide dicht, werden sie maximal wegen illegalen Waffenbesitzes belangt und erhalten jeweils ein Jahr Gefängnisstrafe. Das Problem ist, dass das "Gestehen" eine dominante Strategie ist. Die individuell rationale Entscheidung führt also aus der Perspektive des Kollektivs zum schlechtesten Ergebnis. 

    (Quelle: Behnke, Joachim (2013): Entscheidungs- und Spieltheorie. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden.)

    Weitere Spiele: Chicken Game

    Das Chicken-Game ist ebenso wie das Gefangenendilemma ein paradigmatisches Spiel. Die Coverstory veranschaulicht das Problem: Zwei Jugendliche fahren mit dem Auto aufeinander zu, wer als erstes ausweicht, ist das "Chicken" - der Feigling. In diesem Spiel gibt es keine dominante Strategie aber zwei Gleichgewichte, die aus der Kombination der defektierenden und kooperierenden Strategie besteht. Die Frage ist nur, wer bereit ist der Feigling zu sein, um der Katastrope zu entgehen. Dieses Spiel eignet sich zur Darstellung der Bereitstellung von öffentlichen Gütern.

    (Quelle: Behnke, Joachim (2013): Entscheidungs- und Spieltheorie. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden.)

    Weitere Spiele: Assurance-Game

    Auch das Assurance wird durch eine Cover-Story illustriert: Jäger und Treiber sind auf Hirschjagd. Der Jäger wartet am Waldrand, während der Treiber den Hirsch aufscheuen und dem Jäger zutreiben soll. Dabei läuft ihm ein Hase über den Weg, und er ist versucht diesen zu jagen, statt auf den Hirschen zu warten, womit er unter Umständen einen geringeren Jagderfolg für Jäger und Treiber in Kauf nimmt. Auch hier gibt es keine dominante Strategie, je nach dem wie sich der eine Spieler verhält, sollte sich auch der andere verhalten. So entstehen zwei Gleichgewichte: gemeinsame Kooperation und gemeinsame Defektion. Obwohl das eine Gleichgewicht, dem anderen deutlich vorzuziehen ist, erweist sich das Problem des Spiels darin, dass sich dieses Gleichgewicht nicht so einfach einstellt.
    (Quelle: Behnke, Joachim (2013): Entscheidungs- und Spieltheorie. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden.)

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Die Spieltheorie ist eine Theorie der sozialen Interaktion. Was verraten Spiele darüber?

Professor Dr. Joachim  Behnke: Aus meiner Sicht so ziemlich alles, was an sozialen Interaktionen interessant ist. Von einem Spiel im Sinn der Spieltheorie sprechen wir immer dann, wenn das, was wir vor uns sehen, das Ergebnis des Ineinanderwirkens der Handlungen verschiedener Akteure ist und jeder dieser „Spieler“ sich vor seiner Entscheidung die Frage stellt, was wohl der oder die anderen Spieler machen werden und sich zugleich dessen bewusst ist, dass diese sich genau dieselbe Frage stellen. Insofern kann fast jede komplexe soziale Interaktion, bei der bewusste Entscheidungen getroffen werden, nach der Logik der Spieltheorie modelliert werden, sei es ein Strategiespiel wie Schach, die Partnerwahl oder das Hilfeverhalten bei Unfällen.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Spieltheorie einfach sexy sei. Warum ausgerechnet sexy?

Behnke: Spieltheorie ist sexy, weil es sich um eine Form von Mathematik handelt und Mathematik eben sexy ist. Mit ist allerdings klar, dass sich diese Einsicht noch nicht überall herumgesprochen hat. Tatsächlich aber verhält es sich mit Mathematik in der Wissenschaft ganz ähnlich wie mit Sex im Leben. Man kann ohne auskommen, manche müssen ohne auskommen und manchmal ist es ganz und gar fehl am Platz. Wenn Sie aber freiwillig die Entscheidung treffen, gänzlich ohne auszukommen, dann in offensichtlich totaler Ignoranz dessen, worum es dabei eigentlich geht.

Die Spieltheorie geht von rationalen Akteuren aus. Was heißt rational in diesem Zusammenhang und macht diese Annahme tatsächlich Sinn?

Behnke: Rational im Sinne des sogenannten Rational-Choice-Ansatzes – und Spieltheorie läuft innerhalb desselben – heißt ganz einfach nur, dass Sie bei Ihren Handlungen diejenigen auswählen, die Ihre Ziele, also Ihre Präferenzen, am besten zu verwirklichen versprechen. Das ist mehr oder weniger auch das, was Max Weber unter Zweckrationalität verstanden hat. Diese Annahme ist natürlich enorm sinnvoll, weil wir sonst vermutlich niemals in der Lage wären, Handeln als Handlungen – und eben nicht als simples Verhalten – sinnvoll zu interpretieren. Rationalität bezieht sich also auf die Wahl der Mittel und niemals auf die Präferenzen. Es ist leider eines der weitverbreiteten Missverständnisse, dass der Rational-Choice-Ansatz davon ausginge, dass die Menschen Egoisten seien. Der Rational-Choice-Ansatz bzw. die Spieltheorie sagen nur, dass Sie – wenn Sie ein Egoist sind – sich in einer bestimmten Situation wie ein Egoist verhalten sollten. Sie sagt aber genau nicht, dass Sie ein Egoist sein sollten. Selbst wenn Sie der größte Altruist auf Erden sind, ist es natürlich sinnvoll, sich rational zu verhalten, d.h. sich zu überlegen, wo Sie Ihre Ressourcen einsetzen sollten, um Ihre Ziele, das Wohlergehen der Anderen, am stärksten umzusetzen.

Frank Schirrmachers Kritik an der Spieltheorie


Besonders stark erforscht wird die non-kooperative Spieltheorie. Warum ist gerade diese interessant?

Behnke: Bei der „non-kooperativen“ Spieltheorie handelt es sich wohl um das zweite große Missverständnis im Zusammenhang mit der Spieltheorie. Zuletzt konnte man das an prominenter Stelle in Schirrmachers Buch „Ego“ wiederfinden, das von unglücklichen Missverständnissen leider geradezu lebt. Der Begriff „Non-kooperative Spieltheorie“ ist zugegeben äußerst unglücklich gewählt, weil er eben immer wieder zu diesem Missverständnis führt. Non-kooperative Spieltheorie beschäftigt sich mit Spielen, bei denen keine bindenden Absprachen möglich sind. „Lösungen“, die sich im Spiel ergeben, sind nicht extern vorgegeben und können nicht erzwungen werden, sondern ergeben sich durch die Struktur des Spiels selbst. Non-kooperativ heißt aber eben genau nicht, dass diese Lösungen nicht kooperativer Natur wären oder gar, dass Kooperation verboten oder im Sinne des Spiels nicht erwünscht sei. Ganz im Gegenteil dreht sich vermutlich der größte Teil der Spieltheorie um die Frage, welche Art von Arrangements Kooperation wahrscheinlicher machen.

Das Gefangenendilemma


Das Gefangenendilemma ist das bekannteste Spiel. Worin besteht das Dilemma und was vermag es bezüglich sozialer Interaktion zu erklären?


Behnke: Manche haben nicht zu Unrecht gesagt, dass das Gefangenendilemma für die Spieltheorie das ist, was die Drosophila für die Genforschung ist. Das Dilemma besteht darin, dass jeder der Spieler eine sogenannte dominante Strategie hat, die in Nicht-Kooperation besteht. Unabhängig davon, wie sich die anderen verhalten, ist die Nicht-Kooperation die bessere Strategie. Gleichzeitig aber ist es so, dass sich alle besser stellen, wenn jeder kooperiert. Das Verstörende daran ist, dass das, was das für das Kollektiv „Vernünftige“ zu sein scheint, nämlich zu kooperieren, nicht mit der individuellen „rationalen“ Entscheidung im Sinne des Rational-Choice-Ansatzes übereinstimmt. Das ist wohl unter anderem der Grund, warum manche glauben, dass Spieltheorie zynisch sei, weil sie Menschen ihre natürlich Neigung zur Kooperation aberziehe. Aber das ist Unsinn und verwechselt die Wirklichkeit mit dem Modell, das die Wirklichkeit abbilden soll. Menschen haben schon immer Gefangenendilemmata „gespielt“, lange bevor es die Spieltheorie gab. Und Menschen, die sich in einem „Gefangenendilemma“ kooperativ verhalten, haben sich nicht einen natürlichen Zustand der Unschuld erhalten und sich von der perfiden Logik der Spieltheorie freimachen können, sondern sie haben eben ganz einfach aus ihrer Sicht niemals ein Gefangenendilemma gespielt. Die Faszination und die Fruchtbarkeit des Gefangenendilemmas besteht eben darin, dass man mit seiner Hilfe viele reale Beobachtungen, die uns auf den ersten Blick absurd vorkommen, erklären kann, wie zum Beispiel die Rüstungsspirale im Kalten Krieg. Wettrüsten ist aber deshalb keine Erfindung von Spieltheoretikern, sie können es nur plausibel erklären.

Weitere Spiele: Chicken Game


Hält die Spieltheorie auch Erklärungen für die Lösungen sozialer Dilemmata bereit?

Behnke: Ja, dabei kann die Lösung manchmal auch die Schaffung des Dilemmas sein. Die Coverstory des Gefangenendilemmas bezieht sich auf die Unfähigkeit zweier Verbrecher dahingehend zu kooperieren, sich gegenseitig zu decken. Das Dilemma ist eines aus Sicht der Verbrecher. Aus Sicht der Gesellschaft ist die Nicht-Kooperation hier jedoch erwünscht. Auch Oligopolisten spielen ein Gefangenendilemma und auch hier besteht der gesellschaftliche Erfolg gerade darin, das Dilemma zu erhalten und die kooperative Strategie der Preisabsprache aus Sicht der Oligopolisten zu unterlaufen. In anderen Fällen besteht die gesellschaftliche Lösung des Dilemmas in der Herstellung der Kooperation. Das berühmteste Beispiel ist dabei wohl der Gesellschaftsvertrag bei Hobbes. Dieser beschreibt den Naturzustand in der Form eines Gefangenendilemmas und den Staat als Lösung. Die „Lösung“ ist dabei allerdings keine des Gefangenendilemmas selbst, sondern verwandelt dieses in ein anderes Spiel, bei dem Kooperation sinnvoll ist.

Ariel Rubinstein schrieb kürzlich in der FAZ, dass die Anwendung des Modells auf strategische und ökonomische Entscheidungen zu endemischem Misstrauen führt. Sehen Sie das ähnlich?


Behnke:
Rubinstein hat sich ja selbst um die Spieltheorie mit einigen wichtigen Beiträgen sehr verdient gemacht. Ich denke, dass man seine Kritik sehr differenziert sehen muss. Wo ich ihm zustimmen würde, ist die Ansicht, dass eine naive Eins-zu-Eins-Übertragung spieltheoretischer Modelle in die Praxis scheitert, sobald sie von einiger Komplexität sind. Deshalb ist die spieltheoretisch inspirierte Verschwörung, die Schirrmacher bei der Wall Street zu erkennen scheint, hanebüchen. Mag sein, dass da einige mit spieltheoretischen Modellen arbeiten. Dass einige von ihnen bzw. die Firmen, die sie beauftragt haben, damit erfolgreich waren, heißt aber nicht, dass diese Modelle funktioniert haben. Mit ziemlicher Sicherheit ist das gerade nicht der Fall. Ich glaube auch nicht, dass die spieltheoretischen Modelle bzw. das Denken in spieltheoretischen Modellen grundsätzlich zu mehr Misstrauen geführt haben. Das gegenseitige Misstrauen im Kalten Krieg war zum Beispiel substanziell gerechtfertigt, auch wenn es zu übertriebenen, paranoiden Formen kam. Aber blindes Vertrauen ist eben auch keine gute Überlebensstrategie, wenn die Akteure konträre Interessen haben.

Weitere Spiele: Assurance Game


Vertrauen ist riskantes Verhalten, weil es eine einseitige Vorleistung beinhaltet und man so ausgebeutet werden kann. Es kommt daher auf die richtige Balance von Vertrauen und Misstrauen an. Die Spieltheorie hat hier wichtige Beiträge geleistet, die erklären, unter welchen Umständen Vertrauen besonders gut gedeihen kann. Ein anderer Kritikpunkt lautet, dass die Spieltheorie geholfen hat, egoistische Grundorientierungen zu kultivieren. Dies scheint ja auch eine der Hauptstoßrichtungen bei Schirrmachers Bestseller zu sein. Bei aller Kritik an seinem Buch kann ich dieses Unbehagen in gewisser Weise nachvollziehen. Aber dabei muss man die Auswahl der Ziele von der rationalen Wahl der geeigneten Mittel unterscheiden. Wenn ich eine bestimmte Schweinerei begehen will, z.B. als Filialleiter der schwangeren Kassiererin unter einem Vorwand kündigen, um ihr nicht den Mutterschutz zu finanzieren, dann kann es schon sein, dass ich mit Hilfe der Spieltheorie eine Lösung finde, die besonders effektiv ist. Das heißt nun aber ganz bestimmt nicht, dass ich diese Schweinerei begehen soll. Möglicherweise lassen sich Schweinereien aber besser „legitimieren“ und gegenüber dem eigenen Gewissen rechtfertigen, wenn sie mit einer gewissen Raffinesse ausgeführt werden, so dass der strahlende Stolz über das handwerkliche Geschick bei der Ausführung die ethischen Skrupel zu einem unauffälligen weißen Rauschen zu verwandeln vermag. Die spieltheoretischen Modellierungen mögen daher den Investmentbankern geholfen haben, ihr Handeln, wenn nicht im Sinne einer Professionsethik so doch im Sinne einer Ethik der Professionalität zu rechtfertigen.

Behnke, Joachim: Entscheidungs- und Spieltheorie . Nomos Verlagsgesellschaft, 242 Seiten, ISBN-13: 978-3825237615

Cover Entscheidungs- und Spieltheorie
 

Titelbild: mcl131

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