Kunst

Die soziale Kraft

Viele künstlerische Interventionen beschränken sich auf inhaltliche Kritikformen, ohne die institutionelle oder repräsentative Ebene zu berühren oder gar zu verändern.

Professorin Dr. Sabeth Buchmann
 
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    Zur Person
    Professorin Dr. Sabeth Buchmann

    Professorin Dr. Sabeth Buchmann ist Kunsthistorikerin und -kritikerin. Sie ist Beiratsmitglied der Zeitschrift "Texte zur Kunst" und seit März 2004 Professorin für Kunstgeschichte der Moderne und Nachmoderne an der Akademie der bildender Künste Wien. Ein Jahr später wurde sie Vorstand des Instituts für Kunst- und Kulturwissenschaften.
    Im März 2013 hielt sie zu ihrem Buch „Denken gegen das Denken“ einen gleichnamigen Vortrag an der Zeppelin Universität.

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    Factbox
    Die IDCA und die Ausstelung "Panel 2" von Martin Beck

    In Martin Becks Ausstellung “Panel 2: Nothing better than a touch of ecology and catastrophe to unite the social classes…” in der Gasworks Galerie London wurden die Ereignisse der Internationalen Design Konferenz in Aspen (IDCA) 1970 und die Entwicklung der Aspen Movie Map als Hintergrund dafür verwendet, einen Raum zu schaffen, der die Zwischenbeziehungen von Kunst, Architektur, Design, Ökologie und sozialen Bewegungen aufzeigt.

    Die IDCA markierte 1970 einen Wendepunkt für das Design thinking. Das Thema der Konferenz, „Environment by Design“, brachte diverse Persönlichkeiten aus den USA, wie Eliot Noyes und Saul Bass, mit einer Gruppe französischer Designer und Soziologen, darunter Jean Baudrillard und Lionel Schein, zusammen. Schnell eskalierte die Konferenz in einem unlösbaren Konflikt über Kommunikationsformate und der potentielle Rolle von Design für den Umgang mit der Umwelt in einer sich rapide entwickelnden Gesellschaft.

    Der Künstler Sol LeWitt

    Der 2007 verstorbene Sol LeWitt war ein US- amerikanischer Künstler des Minimalismus und einer der wichtigsten Begründer der Konzeptkunst (engl. Conceptual Art), die er in seiner Publikation Paragraphs on Conceptual Art von 1967 als „begriffliche“ Kunst in Abgrenzung zur optisch orientierten „Wahrnehmungskunst“ definierte. Im Zentrum stehen in diesem Verständnis vor allem Idee und Konzept eines Kunstwerks.
    In ihrem Buch „Denken gegen das Denken“ setzte sich Sabeth Buchmann unter anderem anhand von Kunstwerken verschiedener Künstler, darunter Lewis, mit dem Verhältnis gesellschaftlicher Produktionscodes und künstlerischer Subjektivität auseinander. Obwohl Buchmann LeWitt als Künstler beschreibt, der sich sehr kritisch gegenüber den neuen Technologien äußerte, fand sie beeindruckende Parallelen zwischen seiner Arbeit und der Beschreibung einer neuartigen Rechenmaschine von Alan Turing: Letzterer beschreibt die Funktionsweise der Maschine damit, man müsse „nur jemanden mit einem Bleistift und einem Radiergummi und Instruktionen ausstatten“ – und genau das tat LeWitt, ohne Turings Beschreibung zu kennen, im Rahmen seines Kunstprojekts „Wall Drawings“: Am Anfang der Kunstwerke stand ein Set von Instruktionen, die nur mithilfe eines Bleistifts und eines Radiergummis von LeWitt selbst, aber auch von anderen Künstlern und Studenten, umgesetzt wurde.

    Die ContainerUni der Zeppelin Universität

    Die ContainerUni ist ein provisorischer Campus der Zeppelin Universität am /Fallenbrunnen 17/2 in Friedrichshafen. In einem intensiven Austauschprozess zwischen Künstlern, Architekten, Mitarbeitern und Studierenden entstand unter der Leitung der Künstler Margit Czenki und Christoph Schäfer ein komplexes Gesamtwerk, das die Grenzen von universitärer Lehre, Kunst und Architektur herausfordert und verschiebt. Die Seminar- & Aufenthaltsräume, sowie die Mitarbeiterbüros befinden sich in drei thematisch verschiedenen Gebäuden aus insgesamt 160 Containern und einem Hangar. Seit Herbst 2011 wurden dafür Wünsche und Ideen der Studierenden und Mitarbeiter gesammelt; die Umsetzung erfolgte seit August 2012 in einem von den Künstlern angeleiteten Seminar mit Studierenden. Am 25. Januar 2013 wurden die Gebäude offiziell eröffnet.

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Sie beschreiben Kunst als eine soziale Kraft, die mehr als Unterhaltung oder eine Abbildung der Gesellschaft sein kann. Geht es zu weit, zu vermuten, dass der Umgang von Kunst mit bestimmten gesellschaftlichen Spannungsfeldern auch Lösungen für diese aufzeigen kann?

Professorin Dr. Buchmann: Kunst greift auf jeden Fall in gesellschaftliche Prozesse ein. Es ist nur die Frage, ob sich dies bewusst intendieren lässt. Die Installation 'Panel 2 - Nothing better than a touch of ecology and catastrophe to unite the social classes' von Martin Beck zum Beispiel zeigt, wie sehr künstlerische und soziale Prozesse miteinander korrespondieren: entweder, indem künstlerische Praktiken gesellschaftliche Prozesse verstärken oder diesen entgegenwirken. Doch das tun sie nicht in eins zu eins, sondern oftmals auf transversale Weise und in Formen, die weder Künstler noch Wissenschaftler voraussehen können. Und auch wenn die transformierende Kraft der Kunst außer Frage steht, bedeutet das nicht, dass sie sich mit Ansprüchen und Forderungen überfrachten lässt. In meinen Augen ist es eher so, dass Kunst in ganz spezifischen Situationen und unter bestimmten Bedingungen Strukturen, Mechanismen und Rollenbilder aufbrechen und verschieben kann.

 
Die IDCA und die Ausstellung "Panel 2" von Martin Beck


Wenn dieser Einfluss unbewusst geschieht, ist er dann reiner Zufall und nicht vom Künstler intendiert oder gar beeinflussbar?

Buchmann: Wenn die Öko-Aktivisten auf der berühmt-berüchtigten Aspen-Konferenz von 1970 gefordert haben, man solle partizipativere, demokratischere Kommunikationsstrukturen schaffen, dann haben sie damit sicherlich nicht im Sinn gehabt, einem neoliberalen, auf flachen Hierarchien basierenden Kommunikationsmanagement Vorschub zu leisten. Wenn wir aber bedenken, dass einer der an den Protesten gegen die elitäre, weiße und männliche Designavantgarde beteiligten Aktivisten, der Architekt Michael Doyle, einige Jahre später gemeinsam mit David Straus, dem Gründer des Beratungsunternehmen Interaction Associates, das Buch „How to make meetings work“ publiziert hat, dann können wir solche Zusammenhänge erkennen. Ähnlich haben Konzeptkünstler aus dem Geist ihrer Zeit heraus agiert, das heißt eine demokratisierte, auf Information und Wissen basierende Vorstellung von Kunst durchgesetzt, die sich in dem einen oder anderen Punkt mit heutigen Formen der creative industries überschneidet. Solche Synergieeffekte entstehen, ohne dass sie jemand geplant hat. Die Frage ist nur: Werden sie reflektiert beziehungsweise wie wird mit ihnen umgegangen?

Heißt das, wir bewegen uns wieder auf ein Ideal des Künstlers zu, dass sich an der Idee des Universalgenies oder -gelehrten à la da Vinci orientiert?


Buchmann: Nein, mein Argument richtet sich ja gerade dagegen. Das moderne Kunst- und Wissenssystem ist ein völlig anderes als jenes der Renaissance. Zudem halte ich das Universalgenie für eine retrospektive Verklärung. Dort, wo es heute aufgerufen wird, trifft man allzu häufig auf wissens- und technikaffirmative Positionen.
Interessant finde ich jene künstlerischen Entwürfe, die sich mit ihrer Involvierung in die moderne Wissensgesellschaft im Sinne einer Differenzierung auseinandersetzen. Ein Künstler wie Sol LeWitt hat beispielsweise den Versuch unternommen, das Primat der Information mit der Methode der Intuition zu verknüpfen. Es geht dabei um die Gleichzeitigkeit von Bezugnahme und Unterscheidung, zum Beispiel hinsichtlich der Vormachtstellung natur- und technikwissenschaftlicher Forschung.

Der Künstler Sol LeWitt


Wenn die Kunst eigentlich ständig Enthierarchisierung, Kollektivierung und Entsubjektivitierung ausdrückt und die Umsetzung solcher Forderungen dadurch auch in der Politik und im Management vorantreibt, warum ist sie dann gleichzeitig so statisch, was die Struktur ihrer eigenen Institutionen betrifft?

Buchmann: Viele künstlerische Interventionen beschränken sich tatsächlich auf inhaltliche Kritikformen, ohne die institutionelle und/oder repräsentative Ebene zu berühren oder gar zu verändern. Die Biennalen sind dafür ein sehr gutes Beispiel – da hat sich eine Organisationsstruktur aus global agierenden Kuratoren etabliert, in die zwar ohne Unterlass kritische Inhalte hineingepumpt werden, aber ohne jeden Effekt auf die dahinter liegenden Interessen: Die reichen von Immobilienspekulation und Investorenarchitektur – ausgediente Industriehallen sollen für Kulturevents und andere Zwecke umgenutzt werden – bis hin zu mehr oder weniger offenkundigen Marketing-, Tourismus- und Gentrifizierungsprojekten. Gerade die sogenannten kritischen Institutionen – oder die, die sich dafür halten – laden gerne Künstler ein, deren tendenziell partizipative Projekte als radikal und provokativ gelten: Will Kulturmanagement als avanciert gelten, bedarf es offenbar eines ethischen und politischen Images.

Was könnte eine partizipativere Herangehensweise in der Kunst selbst denn bedeuten?

Buchmann: Wenn man sich das ContainerUni-Projekt auf dem ZU-Campus anschaut, dann ist das einfach ein tolles Beispiel dafür, wie man eine von einschlägigen Partizipationsdesigns abweichende Sprache verwenden kann, die eben nicht infantilisierend wirkt oder korporativer Ästhetik folgt. In dem Fall wurde die Idee des sozialen Kollektivs aus einer Zusammenarbeit von Künstlern - Margit Czenki und Christoph Schäfer - und Nicht-Künstlern möglich.
Trotzdem muss man sich aber auch hier fragen: Was bedeutet Partizipation im spezifischen Kontext einer Uni? Denn als Künstler kann und wird trotz Kollaboration nicht jede und jeder gelten. Was heißt dies für die Autorschaft? Und mit dem Verweis auf kreative Laienkultur ist es auch nicht getan. Denn warum soll gerade künstlerische Arbeit als eine gelten, die jeder und jede kann, wenn er oder sie will. Da lauert die Gefahr der Entwertung einer Praxis, die nicht von heute auf morgen entsteht oder erlernt werden kann.

Die ContainerUni der Zeppelin Universität


 

Was würden Sie sich von zeitgenössischer Kunst vor diesen Hintergründen wünschen?

Buchmann: Dass sie Spielräume für Praktiken schafft, die nicht innerhalb der herrschenden ökonomischen bzw. wissenschaftlich-rationalen Moral aufgehen und vielschichtigere Bilder des Subjektiven, auch im Sinne einer Aufwertung von Nicht-Arbeit und Nicht-Erfolg erzeugen. Die Kunst könnte ein Feld sein, innerhalb dessen sich nicht alles an Kriterien der Effizienz, der Relevanz oder des Mehrwerts bemessen lässt, ohne dabei in romantische und/oder humankapitalistische Ideen der unbezahlten, weil scheinbar unabhängigen und idealistischen Kreativität zu verfallen.



Bilder: Matthew Booth (Panel 2); Bertram Rusch (ContainerUni)

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