EU-Wirtschaftspolitik

Das Märchen von der Souveränität

Im Prinzip erleben wir die schleichende Entmachtung von Landtagen und Bundestagen durch abstrakte Regeln.

Peter Friedrich
Minister für Bundesrat, Europa und Internationale Angelegenheiten in Baden-Württemberg
 
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    Zur Person
    Peter Friedrich (Staatsminister)

    Seit 12. Mai 2011 ist Peter Friedrich Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten. Er vertritt die Belange Baden-Württembergs auf bundes- und europapolitischer Ebene in der Bundeshauptstadt Berlin, in Brüssel am Hauptsitz der Europäischen Union und auf internationalem Parkett.

    Als Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund nimmt er die Interessen des Südwestens gegenüber dem Bund wahr. Er ist Stimmführer für das Land Baden-Württemberg im Bundesrat. Als Europaminister und Vorsitzender des Europaausschusses im Bundesrat vertritt Minister Friedrich darüber hinaus an maßgeblicher Stelle die europapolitischen Interessen des Landes Baden-Württemberg. Friedrich wurde am 06. Mai 1972 in Karlsruhe geboren, ist studierter Diplom-Verwaltungswissenschaftler, verheiratet, zweifacher Vater und Mitglied in der SPD.

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    Factbox
    Zur Information: David Cameron und die EU

    Mit den einfachen Worten: „Es wird eine einfache Entscheidung: drinbleiben oder raus", kündigte Großbritanniens Premier David Cameron einen Volksabstimmung über den Verbleib Großbritanniens in der EU an. Im Falle seiner Wiederwahl im Jahr 2015 sollten die Briten bereits 2017 die Möglichkeit bekommen, der Union den Rücken zu kehren. Drei wesentliche Punkte sind es, die den Briten von heute am vereinten Europa stören: London ist nach wie vor Hauptschlagader der britischen Wirtschaft. Durch Regulierungen des Finanzsektors fühlt sich Cameron in seiner wirtschaftlichen Stärke bedroht. Gleichzeitig zählt Großbritannien zu den am stärksten deregulierten Ländern der EU. Strenge Auflagen im Arbeitsrecht aus Brüssel passen den konservativen Insulanern gar nicht ins Konzept. Zu dem kritisieren die Staatsmänner Immer wieder die Behäbigkeit der Union. Bürokratie hemmt das Wirtschaftswachstum, sagt Cameron und forderte in seiner Rede eine „flexiblere, offenere Union" mit fünf wesentlichen Maximen: Wettbewerbsfähigkeit, Flexibilität, mehr Souveränität, demokratische Gerechtigkeit und Verlässlichkeit.

    Zum Nachlesen: Baden-Württemberg in Europa

    Am 1. Januar 1987 hat Baden-Württemberg als eines der ersten deutschen Bundesländer ein Büro in Brüssel eröffnet. Seitdem ist die Region für die EU immer bedeutender geworden. Mit 10,8 Millionen Einwohnern ist das Bundesland größer als viele Vollmitglieder wie Portugal, Ungarn oder Schweden. Gleichzeitig ist auch die wirtschaftliche Leistungskraft von besonderer Bedeutung: Mit 33.700 Euro Bruttoinlandsprodukt je Einwohner liegt Baden-Württemberg im EU-Schnitt vor Belgien, Finnland und dem Gesamtschnitt der Bundesrepublik.  Die Erwerbslosen-Quote zählt mit nur 4,8 Prozent zu den niedrigsten aller Mitgliedstaaten. Auch der Lebensstandard, gemessen an Inflationsrate, Lebenserwartung und Faktoren wie PKW- und Breitband-Dichte zählt lokal, regional und national zu den Besten in Europa.  

    Zum Kennenlernen: Die ZU-Experten Jochum und Bernhagen

    Seit dem Herbstsemester 2012 ist Dr. Patrick Bernhagen Professor für Politikwissenschaft an der Zeppelin Universität. Bernhagen studierte Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft und Medienwissenschaft an der Phillips-Universität Marburg, dem Trinity College Dublin und der Duke University (USA). Seine wichtigsten derzeitigen Arbeitsgebiete sind Fragen der politischen Beteiligung von Bürgern und Unternehmen an den politischen Prozessen verschiedener Staaten und internationaler Organisationen. Professor Dr. Georg Jochum ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Steuer- und Europarecht und Recht der Regulierung. Seine Schwerpunkte liebgen bei europäischem Gemeinschaftsrecht und dort speziell dem Finanz- und Währungsrecht.

    Zur Information: Der Ausschuss der Regionen

    Der Ausschuss der Regionen wurde 1992 durch den Vertrag von Maastricht ins Leben gerufen und ist ein beratendes Organ aus 344 regionalen Vertretern, die gewährleisten sollen, dass regionale und lokale Sichtweisen in das große Gebilde der Europäischen Union eingebunden werden. Schärfster Kritikpunkt neben der fragwürdigen Zusammensetzung ist vor allem die rein beratende Funktion des Gremiums. Zusätzlich sind dem Ausschuss sechs Fachkommissionen untergeordnet, die spezielle Themen der regionalen Agenda behandeln. Gewichtigste Vertreter sind Deutschland, Frankreich, Italien, Vereinigtes Königreich, die jeweils 24 Mitglieder stellen. Deutsche Vertreter sind neben Bundes- und Landes-Gesandten auch Mitglieder der Kommunalen Spitzenverbände. In anderen Ländern werden allerdings auch Bürgermeister oder Stadthalter in den Ausschuss entstand. Wichtigste Themen sind der territorialer Zusammenhalt, die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die gemeinsamen Themenfelder Bildung, Jugend und Forschung und Umwelt, Klimawandel und Energie, sowie Außenbeziehungen und gemeinsame natürliche Ressourcen.

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    Mehr ZU|Daily
    Lasst das Volk entscheiden!
    Europa wird – nicht nur in Folge der Eurokrise – künftig enger zusammenarbeiten müssen. Und dafür wird auch die Bundesrepublik Kompetenzen nach Brüssel übertragen. Professor Dr. Patrick Bernhagen fragt: Was aber sagt dazu die Verfassung? Und: Wie sinnvoll wäre dies?
    Es fehlt an Illusionen
    Europa braucht eine gemeinsame Öffentlichkeit, betonen der Juniorprofessor für Politische Kommunikation Markus Rhomberg und der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier.
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Es hätte der große Tag von Angela Merkel werden können: Am 24. Januar 2013 landet der Helikopter der Bundeskanzlerin im Schweizer Davos. Jährlich treffen sich auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos in fast 1.600 Metern Höhe die Spitzen der Weltwirtschaft. Kurz bevor sich im Schneegestöber die Türen für das Weltwirtschaftsforum öffneten, grätschte jedoch Englands Premierminister David Cameron dem deutschen Regierungsoberhaupt in ihren mit Spannung erwarteten Parforceritt für eine gemeinsame Europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik.

„Es wird eine einfache Entscheidung sein: drinbleiben oder raus", hatte Cameron bei seiner Rede zur Europäischen Union wenige Tage zuvor postuliert. Er wolle einen besseren „Deal“ für Großbritannien, so seine Begründung für sein separatistisches Angebot: Im Falle seiner Wiederwahl wolle er im Jahr 2017 sein Staatsvolk über den Verbleib in der Europäischen Union abstimmen lassen.

Zur Information: David Cameron und die EU


Dabei beschäftigt nicht nur Staaten, sondern auch Regionen und Bundesländer die Frage nach der Eigenständigkeit. Peter Friedrich ist Minister für Europaangelegenheiten des Landes Baden-Württemberg und zerbrach sich seit Monaten den Kopf über die Position einer der größten und wirtschaftsstärksten Regionen in Europa. Im Januar stellte Friedrich seine neue europapolitische Strategie an der Zeppelin Universität vor. Doch nicht Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder die grenzübergreifenden Zusammenarbeit heizten das Gespräch an, sondern die Frage nach der Souveränität und der Mitsprache im großen Konstrukt „Europa“.

Zum Nachlesen: Baden-Württemberg in Europa


Baden-Württemberg zählt zu den solventesten Regionen der EU, ist wirtschaftlich besser gestellt als Finnland, Belgien oder Frankreich, doch muss sich in politischen Entscheidungen nicht nur der Bundes- sondern auch der Europaebene unterordnen. Wo bleibt die Souveränität? Auf die Frage nach den verbleibenden Kompetenzen der Länder antwortet Friedrich: „Ich sehe es nicht, dass die Landes- oder Regionalebene durch Europa ausgehöhlt wird. Im Gegenteil: Diese Ebene wird eher gestärkt." Trotzdem erklärt er, dass die Länder generell nur teil-souveräne Gliedstaaten seien, die beispielsweise überhaupt keine Haushaltsautonomie auf der Einnahmen-Seite hätten: „Wir können nur mit dem Bund verhandeln, wieviel die Länder letztlich bekommen.“ Aufgrund dieser eingeschränkten Souveränität sei es Friedrich „auch egal, ob die Körperschaftssteuer in Berlin oder Brüssel gemacht wird, solange es für uns auskömmlich ist.“ Ein pragmatischer Standpunkt, der so manchen Experten verwundert.

Professor Dr. Georg Jochum beschäftigt sich an seinem Lehrstuhl der Zeppelin Universität unter anderem mit Europarecht. Er kann die Argumentation des Ministers zwar nachvollziehen, merkt allerdings an, es sei „schon erstaunlich, dass die Länder unter den Bedingungen von Fiskalpakt und Schuldenbremse nicht mehr Haushaltsautonomie bei den Einnahmen, zum Beispiel in Form von eigenen Steuerquellen, einfordern.“ Ein Problem, das der Jurist Jochum dabei als gravierend einschätzt, ist die Legitimation: „Derzeit läuft die Abgabe von Souveränitätsrechten der Mitgliedstaaten darauf hinaus, dass diese Rechte einer demokratischen Mitwirkung entzogen werden und von der Regierungen in geheimer Runde verhandelt werden. “

Zum Kennenlernen: ZU-Experten Jochum und Bernhagen


Doch Friedrich sieht diese Situation ebenfalls durchaus kritisch: „Wir geben permanent Souveränität ab, aber sie kommt nirgendwo an", beschreibt Friedrich die Abgabe von Kompetenzen am Beispiel des Fiskalpakts. Er könne Umverteilungen nur dann zustimmen, wenn sie in eine vollkommen demokratisch legitimierte Hand weitergegeben würden. „Im Prinzip erleben wir die schleichende Entmachtung von Landtagen und Bundestagen durch abstrakte Regeln", so Friedrich. Die Frage der Haushaltskontrolle habe man nicht an das Europäische Parlament übertragen, sondern an eine „abstrakte Vertragsregel“, von der „wir alle wissen, dass sie nie funktionieren wird.“

Professor Dr. Patrick Bernhagen, Inhaber des ZU-Lehrstuhls für Politikwissenschaft, geht einen Schritt weiter und spricht sogar von einer Knebelung mit Verfassungsrang: „Zu den strukturellen Zwängen, mit denen sich nationale Gesetzgeber konfrontiert sehen, kommen in der Tat noch diverse gemeinschafts- und verfassungsrechtliche Knebel und halbautomatisierte Selbstbeschränkungen, wie Schuldenbremsen, mit denen man den strukturellen Beschränkungen gerade Herr werden will.“ Und auch Bernhagen bezweifelt, dass dies zu funktionieren vermag.

Zur Information: Der Ausschuss der Regionen


Trotzdem soll den Regionen auch auf Europäischer Ebene ein Ohr geliehen werden. Der Ausschuss der Regionen in Brüssel ist die entsprechende Repräsentanz, hat momentan aber fast 350 Mitglieder und ebenso viele Stellvertreter. Kritiker nennen den Ausschuss handlungsunfähig und bedeutungslos. Friedrich hebt das Hauptproblem des Ausschusses folgendermaßen hervor: „Der Ausschuss der Regionen hat zunächst das Problem, dass er rein beratend ist." Selten sei es gelungen, Vorschläge wirklich in politische Realität umzusetzen. Der Ausschuss sei nur der kleinste, gemeinsame Nenner regionaler Interesse, umschreibt Friedrich eine Sitzung im Gremium. Um regionale Interessen zu vertreten, sei dieses Zusammentreffen nicht der richtige Ort. „Sehr schön gesagt”, kommentiert Jochum: „Ich nehme mir heraus, dies noch härter zu formulieren: Der Ausschuss der Regionen kostet nur Geld und bringt nichts. Er sollte abgeschafft werden. Die Regionen machen ohnehin über ihre Vertretungen in Brüssel viel effektivere Lobbyarbeit.“

Denn auch im Detail schwächelt der Ausschuss: Gerade die Zusammensetzung kritisiert Friedrich als „sehr illuster". Bundesländer seien genauso Mitglied wie Städte und Regionen ohne Verwaltungsapparat, die nur auf dem Papier existierten. Ansonsten, führt Friedrich aus, müsse man sich fragen, ob man nicht auch noch ein Regionen- und Kommunalparlament brauche. „Wie viele Ebenen kann ich über parlamentarische Kammern abbilden?", fragt sich Friedrich gleichzeitig aber kritisch. Bernhagen rät von weiteren Institutionen dringend ab: „Auch die besten institutionellen Lösungen zur demokratischen Repräsentation im Mehrebenensystem stoßen an die Grenzen ihrer Effektivität, wenn die Zahl der Ebenen zu groß wird.“ Weiter erklärt er: „Wenn drei oder mehr Ebenen politischer Repräsentation miteinander verknüpft werden sollen, könnte man unter Umständen institutionelle Utopien in die Diskussion einbringen."

Die Verantwortung für den nun aus Deutschland kritisierten Ausschuss sieht hingegen Jochum vor allem bei den Deutschen: „Der Ausschuss ist auf die Initiative der deutschen Bundesländer zustande gekommen“, erklärt er. „Deutsche Ministerpräsidenten, die zehn Millionen Einwohner repräsentieren, sitzen neben luxemburgischen Dorfbürgermeistern gleichberechtigt nebeneinander“, problematisiert Jochum die Verteilung der knapp 350 Sitze. „Um es scherzhaft zu sagen“, so Jochum schließlich: „Die deutschen Landesregierungen, die dieses Gremium haben wollten, haben es auch verdient. Das wäre lustig, wenn es nicht durch den Steuerzahler finanziert würde.“

Bilder: Staatsministerium Baden-Württemberg (Presse), David Cameron auf dem Weltwirtschaftsforum 2013: World Economic Forum /swiss-image.ch/Photo by Moritz Hager

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