Organisierte Kriminalität

Methoden der modernen Mafia

Wahrscheinlich profitiert die Mafia wie kein anderer von der Globalisierung.

Lea-Katharina Rzadtki
 
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    Zur Person
    Lea-Katharina Rzadtki

    Lea-Katharina Rzadtki studierte an der Zeppelin Universität Kommunikation- und Kulturmanagement mit Politik- und Verwaltungswissenschaften im Nebenfach. Für ihre Bachelorarbeit machte sie einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt auf Sizilien. Im Moment ist sie Praktikantin bei der Hilfsorganisation ‚Care’. Vor dem Masterstudium möchte sie noch im außereuropäischen Ausland arbeiten.

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    Factbox
    Zur Entstehung der Mafia

    Man geht davon aus, dass die Mafia zur Zeit der italienischen Vereinigung um 1861 entstand. Das Leben damals war vor allem im Süden noch ländlich geprägt, der Übergang von der Feudalgesellschaft zur Republik verlief chaotisch, Besitzverhältnisse waren unklar, das ganze Land war im Umbruch. Hier hat die Mafia begonnen, bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Sie vermittelte zum Beispiel zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und Gruppierungen, hat für Landeigentümer die Bewachung von Land übernommen. Trotzdem konnte man auch zu der Zeit die Mafia nicht als wohltätige Organisation bezeichnen. Sie hat nicht aus Barmherzigkeit geholfen, sondern aus Eigeninteresse. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass organisiertes Verbrechen generell in solchen Situationen entsteht: Armut, relativ ländliche Strukturen und gesellschaftliche Umbrüche, in denen nicht klar ist, wer an der Macht ist und was darf. (Lea-Katharina Rzadtki)

    Zum Weiterlesen: "Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra"

    Die süditalienische Camorra mischt mit im internationalen Drogenhandel, verschiebt riesige Mengen Giftmülls in Italien, macht gewaltige Geschäfte mit der Herstellung billiger wie hochwertiger Textilien, hat praktisch das Monopol auf den Handel mit Zement und Geschäftsbeziehungen, die bis nach Deutschland, Schottland oder China reichen. Auf ihr Konto gehen jedes Jahr Hunderte von Toten.
    Der junge Journalist Roberto Saviano stammt selbst aus Neapel. Er hat unter Einsatz seines Lebens vor Ort recherchiert, Beweise geliefert und ein brillantes Buch geschrieben, das dem Leser den Atem nimmt. Die Macht der Camorra wie anderer Verbrecherorganisationen stützt sich auf Schweigen. Saviano hat diesem Schweigen die Macht des Wortes entgegengestellt. Damit hat er sich auch tödlicher Gefahr ausgesetzt, lebt seitdem an geheimen Orten und begibt sich nur unter dem Schutz von Bodyguards in die Öffentlichkeit. (dtv)

    Zum Film "Der Pate"

    Der Filmklassiker „Der Pate“ von Francis Ford Coppola erschien 1972 in den amerikanischen Kinos unter dem Originaltitel „The Godfather“. In drei Teilen wird die Geschichte der Corleones, eines der mächtigsten sizilianischen Mafia Clans in New York City erzählt. Die Geschichte beginnt im Jahr 1945 und erstreckt sich über zehn Jahre. Im Zentrum des Geschehens stehen Don Vito (Marlon Brando) und sein Sohn Michael Corleone (Al Pacino). Vito floh zuBeginn des 20. Jahrhunderts aus Sizilien nach New York, nachdem sein Vater von der dortigen Mafia umgebracht worden war. In New York steigt er zu einem mächtigen Mafioso auf. Sein jüngster Sohn Michael wollte eigentlich die kriminellen Geschäften seiner Familie hinter sich lassen. Doch anstelle friedlicher Versöhnungen passieren blutige Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Clans. Michael Corleone wird im Lauf des Geschehens zum gnadenlosen Mafia Boss. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Mario Puzo, der an der Verfassung des Drehbuchs beteiligt war.

    Zum Weiterlesen: „Mafia Export“

    „Mafia Export“ von Francesco Forgione stellt die Tätigkeitsfelder und internationalen Verflechtungen der modernen Mafia dar. „Forgione enthüllt die Mechanismen der weltweiten Mafia-Kolonialisierung und die unaufhaltsame Ausbreitung der kriminellen Schattenwirtschaft, die direkt vor unserer Haustür beginnt – in der kalabresischen Pizzeria um die Ecke, die der Mafia als Drogenumschlagplatz, Fluchtversteck und Geldwaschanlage dient.“ (Goldmann Verlag) Der Autor stammt aus Kalabrien, war Fraktionssprecher der Linkspartei Siziliens und Mitglied der regionalen Anti-Mafia-Kommission. 2006 bis 2008 leitete er die parlamentarische Anti-Mafia-Kommission unter der Regierung Prodi. Heute lehrt Forgione an der Universität L'Aquila die Soziologie der organisierten Kriminalität. Seit fünfzehn Jahren lebt er unter Polizeischutz

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    Dossier
    Challenging Invisibility – An Analysis of the Role of Civil Society in the Sicilian Antimafia in Recent Years
    Lea-Katharina Rzadtki
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Mafia-Filme wie „Der Pate“ bestimmen noch heute das Bild von der Mafia. Inwiefern entspricht es der Realität?

Lea-Katharina Rzadtki: Filme wie der Pate beziehen sich auf ein Bild der Mafia, das man wohl in den 50er, 60er Jahren verorten kann. In dieser Zeit starben viele Menschen, die mehr oder weniger mit der Mafia zu tun hatten. Die sogenannte blutige Phase der Mafia, die wohl am bekanntesten ist, kam etwas später vom Ende der siebziger bis Anfang der neunziger Jahre. Bis zu dieser Zeit lebten in Italien Politik und Mafia ziemlich ruhig nebeneinander und profitierten auch voneinander. Ab einem bestimmten Punkt hat dieses Zusammenleben nicht mehr funktioniert, die Mafia fühlte sich angegriffen und begann Machtspiele mit dem Staat. Sie wollte die Politik auf ihren Platz weisen, und hat daraufhin hauptsächlich staatliche Akteure angegriffen. Viele hohe staatliche Repräsentanten wurden getötet: Polizisten, Generäle, Staatsanwälte, Richter.

Zur Entstehung der Mafia


Wann begann die Zivilbevölkerung, gegen die Mafia aufzustehen?

Rzadtki: Im Abstand von eineinhalb Monaten wurden im Jahr 1992 Giovanni Falcone und Paolo Borsellino umgebracht. Die beiden Richter waren Vorreiter in der staatlichen Anti-Mafia Bewegung. Sie haben das juristische Instrumentarium entwickelt, um gegen die Mafia vorzugehen. Ihre Ermordung brachte in der Bevölkerung das Fass zum Überlaufen und sie ging vor allem in Palermo erst zu den Beerdigungen, später auch zu Demonstrationen auf die Straße. Während man vorher noch nicht einmal über die Mafia reden konnte ohne sich in Gefahr zu bringen, waren nun zum ersten Mal sichtbare Massen auf der Straße.


Welche Strategie verfolgt die Mafia heute?


Rzadtki: Heute arbeitet die Mafia wesentlich subtiler. In meiner Arbeit habe ich drei Säulen herausgearbeitet, auf denen die Macht der Mafia beruht. Das ist zum einen convenience, was man mit Zweckdienlichkeit und Vorteilhaftigkeit übersetzen kann. Dieses Konzept betrifft in erster Linie den ökonomischen Bereich. Mafias sind in gewisser Weise Unternehmen, die sehr profitorientiert agieren und dabei viel Geld machen. Gleichzeitig gibt es Machtmechanismen, die dafür sorgen, dass die Mafia nicht nur für sich selbst profitabel ist. Schutzgeld kann durchaus vielfältige Vorteile bringen. Zum Beispiel wenn die Mafia als Schutzgeld ein Transportunternehmen empfiehlt, das 20 Prozent günstiger ist, als ein Mitbewerber. Diese Mechanismen spielen der Mafia sehr viel Macht zu.

Zum Weiterlesen: "Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra"


Wie hält die Mafia im politischen Bereich ihre Macht?

Rzadtki: Das kann man mit dem Begriff coexistence, also friedliches Miteinander mit Politikern, gut erklären. Die Mafia ist kein Staat im Staat oder der größte Feind des Staates. Vielmehr leben beide, Staat und Mafia, stellenweise ruhig nebeneinander her, und beide Seiten profitieren voneinander. Das ist in Italien offensichtlicher als in anderen Ländern. Gleichzeitig ist der Mechanismus so normal, dass er gar nicht mehr wahrgenommen wird. Da wird eben statt des einen jemand anderer auf einen wichtigen politischen Posten berufen, der Kontakte zur Mafia hat. Für die Mafia umgekehrt ist es dank ihrer Kontakte in die Politik leichter, Sachen durchzubekommen oder zu verschleiern.

Wie verhält es sich mit der Bevölkerung?

Rzadtki: In ihr kann man die dritte Säule der Macht der Mafia verorten. Man spricht hier oft von connivance, was soviel wie stille Mitwisserschaft bedeutet. Hier greift das altbekannte Konzept von ‚nicht sehen, nicht hören, nicht sprechen’. Man muss nicht aktiv mafiös sein, es reicht sie gewähren zu lassen, nichts zu sagen. Jeder, der auf Sizilien nicht genau darauf achtet, wo er einkauft, unterstützt in gewisser Weise die Mafia.

Wie kann man durch Einkaufen die Mafia bekämpfen?

Rzadtki: Es gibt eine NGO namens Addiopizzo – pizzo ist Schutzgeld. Sie entstand 2005 aus einer Studentenbewegung und tritt vor allem für kritischen Konsum ein. Sie fordert die Gesellschaft auf, auch selbst etwas gegen die Mafia zu tun und die Verantwortung nicht auf Unternehmen und Politik abzuschieben. Sie haben eine Liste von Läden und Unternehmen aufgestellt, die kein Schutzgeld bezahlen. Viele dieser Läden erkennt der Konsument durch einen Aufkleber an der Tür, es gibt auch einen Stadtplan, auf dem alle eingetragen sind. Das heißt umgekehrt: Kaufe ich in einem Laden ein, der keinen Addiopizzo-Sticker an der Tür hat, fließen meine Ausgaben ziemlich sicher auch der Mafia zu. Das klingt vielleicht erst mal nach Peanuts, aber es verdeutlicht ein sehr grundlegendes Prinzip: Jeder ist mitverantwortlich.

Was sind die größten Herausforderungen der zivilen Anti-Mafia Bewegung?

Rzadtki: Zum einen die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen sozialen Bewegungen. Es gibt viele NGO, Organisationen, Komitees und Vereine, die gegen die Mafia arbeiten. Aber sie haben keine gemeinsame Plattform. Das ist erstaunlich, weil ihr Gegner ja doch recht deutlich ist, sie alle sind gegen die Mafia. Auch die Zusammenarbeit mit der institutionellen Anti-Mafia könnte enger sein. Wobei sich dazu natürlich beide Seiten aufeinander zu bewegen müssen.
Außerdem hat die Mafia trotz aller Erfolge der Anti-Mafia Bewegung noch immer ein enormes Machtpotential in der Gesellschaft. Zum Beispiel zahlen wohl 80 Prozent der Läden in Palermo noch immer Schutzgeld, ungefähr genauso viele Schüler glauben nach einer Studie der Universität Palermo nicht daran, dass die Mafia besiegt werden kann.

Zeigen Organisationen wie Addiopizzo, dass es heute nicht mehr gefährlich ist, sich öffentlich gegen die Mafia auszusprechen?


Rzadtki: Gefährlich ist immer relativ. Heutzutage sagt zwar niemand mehr „Ich bin für die Mafia“, was bis in die siebziger Jahre durchaus in etwas anderer Form passieren konnte. Auch Politiker, die bewiesenermaßen Kontakte zur Mafia haben, verkaufen sich als Vertreter der Anti-Mafia Bewegung. Doch die Mafia weiß natürlich, wer wirklich gegen sie arbeitet und wer das nur sagt. Es ist aber deutlich geworden, dass es der Mafia nicht weiterhilft, Menschen in der Öffentlichkeit aus dem Weg zu schaffen. Abgesehen davon ist es aber immer noch sehr schwer, wirklich gegen die Mafia zu sein. Es kann einem vieles in den Weg gestellt werden und raubt Möglichkeiten, das Leben frei zu gestalten. Und Bedrohungen sind sicherlich keine Seltenheit.
Aber in erster Linie ist die Mafia momentan darauf aus, sich möglichst unauffällig überall zu verbreiten. Wahrscheinlich profitiert die Mafia wie kein anderer von der Globalisierung.


Gilt das auch für Deutschland?


Rzadtki: Ja, Deutschland ist dafür ein gutes Beispiel. Weil die Mafia hier nicht so wie im "Paten" agiert, will  keiner glauben, dass es eine Mafia oder organisierte Kriminalität gibt. Das ist aber völliger Quatsch. Jeder Experte sagt einem, dass es die Mafia hier genauso gibt wie auf Sizilien, wenn auch in anderer Form. Hier ist sie weniger gesellschaftlich verankert, dafür vor allem wirtschaftlich und finanziell. Und das beschränkt sich ziemlich sicher nicht auf die Geschäfte in Deutschland lebender Italiener. 

Zum Film "Der Pate"


Was können wir von den Sizilianern lernen?

Rzadtki:
Da das Problem in Deutschland und anderen europäischen Ländern nicht anerkannt ist, kann man kaum konkrete Schritte gegen die Mafia aufzeigen. Auf politischer Ebene, insbesondere was die EU betrifft, muss natürlich versucht werden überhaupt eine gemeinsame Gesetzgebung zu finden. Auf gesellschaftlicher Ebene wäre ein erster Schritt wahrscheinlich schon ein Bewusstsein zu schaffen, dass es die Mafia auch hier gibt, dass sie also kein rein sizilianisches Problem ist.

Zum Weiterlesen: „Mafia Export“


Zum Download: Abschlussarbeit von Lea-Katharina Rzadtki


Bild: flickr (garryknight)

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