Maximallöhne

Genug ist genug!

Wenn wir auch nur einen Pfifferling auf die Idee der Produktivitätsentlohnung geben wird deutlich, dass kein Spitzenmanager solche Steigerungen glaubhaft darlegen kann, dass er 40, 50 oder 190-mal so erfolgsrelevant für sein Unternehmen ist, wie die durchschnittliche Arbeitnehmerschaft.

Dr. André Reichel
 
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    Zur Person
    Dr. André Reichel

    Dr. André Reichel ist studierter Betriebswirt und hat sich in seiner Doktorarbeit unter anderem mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt. Danach arbeitete er an der Universität Stuttgart, anfangs am Lehrstuhl von Erich Zahn, einem der Mitautoren von "Die Grenzen des Wachstums", der berühmten Publikation des Club of Rome. Seit 2011 ist Reichel Mitglied des European Center for Sustainability Research (ECS) an der Zeppelin Universität. Dort forscht er über die Postwachstumsökonomie und nachhaltige Wirtschaftsmodelle, außerdem interessiert er sich für Systemtheorie und Open Innovation. 

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Gerade wird auf der anderen See-Seite im Rahmen der Initiative "1:12" über Maximallöhne, also eine gesetzliche Regelung für die Obergrenze dessen, was ein Individuum an Einkommen erhalten kann, diskutiert. Was genau verbirgt sich hinter dieser „Formel“ und könnte so eine Idee auch europaweit Schule machen?


Dr. André Reichel: Hinter 1:12 verbirgt sich die Forderung, dass niemand mehr als das Zwölffache des niedrigsten Verdienstes in einem Unternehmen ausgezahlt bekommen darf. Die Begründung für genau dieses Verhältnis ist unmittelbar einleuchtend: Der am besten bezahlte Mitarbeiter eines Unternehmens sollte im Monat nicht mehr mit nach Hause nehmen, als das, was der am schlechtesten Bezahlte im ganzen Jahr verdient. Bekommt ein Top-Manager beispielsweise 300.000 Euro Brutto im Jahr, dann darf das niedrigste Gehalt in diesem Unternehmen 25.000 Euro nicht unterschreiten. Zum Vergleich: das mittlere Einkommen in Deutschland bei Angestellten liegt bei ungefähr 40.000 Euro Brutto im Jahr.


Damit ist im Übrigen keine Grenze nach oben gesetzt, lediglich das Verhältnis zwischen Basis und Spitze in einem Unternehmen soll damit gesetzlich festgelegt werden. Es ist auch kein einheitlicher Höchstlohn gefordert, jedes Unternehmen kann seine Spitze bzw. seine Basis selbst festlegen. Die entsprechende Schweizer Volksinitiative wurde am 24. November zur Wahl gestellt. In der nächsten Zeit wird sich auch in Europa insgesamt dazu eine Debatte einstellen. Schon gerade deswegen, weil überall sonst die Lohnspreizung viel größer ist als in der Schweiz. Während dort das oberste Einkommenszehntel 2,7-mal so viel verdient, wie das niedrigste, ist die Spreizung in Deutschland beim 3,3-fachen, in Großbritannien beim 3,6-fachen.

Bereits 2010 demonstrierten die Schweizer JungsozialistInnen für die Initiative 1:12. Sie fordern mehr Gerechtigkeit bei der Bezahlung in Unternehmen.
Bereits 2010 demonstrierten die Schweizer JungsozialistInnen für die Initiative 1:12. Sie fordern mehr Gerechtigkeit bei der Bezahlung in Unternehmen.

Ist es denn überhaupt noch vertretbar, dass sich Top – Manager trotz Wirtschaftskrise, Börsencrash und Erfolglosigkeit ihrer eigenen Firmen Gehälter in Millionenhöhe zahlen oder sollte ein gesetzlicher Höchstlohn eingeführt werden?


Reichel: Ökonomisch ist es recht unsinnig, das Verhältnis zwischen Basis und Spitze zu ignorieren, vor allem wenn hier die Schere seit Jahren deutlich auseinandergeht. In der Schweiz betrug 1984 das Verhältnis vom mittleren Einkommen zu durchschnittlichem Spitzenlohn 1:6, während es heute bei ungefähr 1:43 liegt. Für Deutschland hat Joachim Schwalbach von der Humboldt-Universität in Berlin für die 1995 ein Verhältnis von 1:14 errechnet, heute liegt es bei etwa 1:50. Für Aufsehen hat der Fall von VW-Chef Martin Winterkorn gesorgt, der 2011 mit 16,6 Millionen Euro einen Rekord bei den Dax-Vorständen vorweisen konnte. Das macht ein Verhältnis von 1:190 innerhalb von Volkswagen.


Wenn wir auch nur einen Pfifferling auf die Idee der Produktivitätsentlohnung geben wird deutlich, dass kein Spitzenmanager solche Steigerungen glaubhaft darlegen kann, dass er 40, 50 oder 190-mal so erfolgsrelevant für sein Unternehmen ist, wie die durchschnittliche Arbeitnehmerschaft. Ein solches Lohngefälle wird unternehmensintern immer schwerer zu vermitteln sein. Je größer die Schere auseinandergeht, umso unterschiedlicher sind die Interessen. Basis und Spitze leben und arbeiten in völlig anderen Realitäten, völlig anderen Unternehmen. Dieses Problem tritt im Übrigen nicht nur in Unternehmen auf, sondern gilt auch für die Gesellschaft als Ganzes.

International sind teilweise noch höhere als die in Deutschland gezahlten Gehälter üblich. Gerät Deutschland als Wirtschaftsstandort in Gefahr, wenn Gehälter gesetzlich reglementiert werden?


Reichel: Da muss man zunächst mal die Kirche im Dorf lassen. Für den Schweizer Fall hat eine Studie der Kolleginnen und Kollegen an der ETH Zürich ergeben, dass bei 96 Prozent aller Unternehmen die Lohndifferenz bei 1:8 oder darunter liegt. Bei 2,5 Prozent liegt sie im Bereich zwischen 1:8 und 1:12. Nur bei 1,5 Prozent aller Firmen ist die Spreizung der Gehälter und Löhne größer als 1:12. Von einer Begrenzung wären in der Schweiz lediglich 4400 Bezieher von richtig großen Einkommen betroffen. In Deutschland dürfte das Bild nicht viel anders ausschauen. Gleichzeitig erleben wir eine Höchstlohndebatte in einer Vielzahl von Ländern, interessanterweise auch und gerade in den Mutterländern des Kapitalismus: In Großbritannien und den USA. Die Verhältnisse geraten in Bewegung.


Würde zudem die von Ihnen unterstellte Logik der ökonomisch motivierten Vaterlandsflucht gelten, dann müssten zudem weltweit einheitlich niedrige Standards bei Löhnen, Steuern, Umwelt- und Sozialgesetzgebungen gelten. Das ist ganz offensichtlich nicht der Fall, also scheint dieser Zusammenhang so nicht gegeben zu sein. Es trifft wohl eher das genaue Gegenteil zu, wie sich zum Beispiel an der deutlich verschärfenden Umweltgesetzgebung in China und anderen Schwellenländern zeigt. 


Eine mehrheitlich als sozial gerecht empfundene Gesellschaft ist ein Standortvorteil, und zwar sowohl für diejenigen an der Einkommens- und Vermögensbasis, als auch für die an der Spitze.

VW-Chef Winterkorn verdiente mehr als 190-mal so viel, wie die schwächsten Verdiener im Betrieb. Seitdem stehen Manager-Gehälter immer wieder in der Diskussion.
VW-Chef Winterkorn verdiente mehr als 190-mal so viel, wie die schwächsten Verdiener im Betrieb. Seitdem stehen Manager-Gehälter immer wieder in der Diskussion.

In einer funktionierenden Marktwirtschaft sollten sich Lohnzahlungen eigentlich durch Angebot und Nachfrage regeln. Warum funktioniert der Markt für den Außenstehenden auf diesem Gebiet anscheinend nicht richtig?


Reichel: Märkte funktionieren immer nur, wenn sie ausreichend reguliert sind. Sie sind kein Urzustand, sondern eine kulturelle Errungenschaft, die politisch und rechtlich ausgestaltet werden muss. Und eine Stoppregel kennen sie nur, wenn die Folgen wirtschaftlichen Handelns internalisiert werden. Dies ist bei den Spitzengehältern offensichtlich nicht der Fall. Schon allein um Unternehmen und deren Anteilseigner zu schützen, sind hier Regelungen notwendig, um Exzesse zu verhindern. Wobei es Anzeichen gibt, dass sich Anteilseigner zu wehren beginnen.


In Großbritannien haben diese Auswüchse in den letzten Jahren einige Unternehmenschefs das Amt gekostet. Andrew Moss, der Vorstand des Versicherers Aviva, wurde von seinen Aktionären regelrecht vom Hof gejagt, als bekannt wurde, dass er trotz Gewinneinbruch ein sattes Plus von 6,5 Prozent bei seinem eigenen Gehalt – immerhin stolze 3,2 Millionen Euro – bekommen sollte. Der Guardian will eine „revolutionäre Stimmung“ bei Aktionären ausgemacht haben. Die weitere Entwicklung wird spannend sein.

Würde es nicht ausreichen, Gehälter weitgehend offenzulegen, damit z. B. bei den Aktionären eines Unternehmens ein größeres Interesse geweckt wird, auf die Höhe der Gehälter Einfluss zu nehmen?


Reichel: Offenlegung der Spitzengehälter allein reicht nicht, das sagt Ihnen nur, wieviel die Spitze verdient. Viel interessanter und auch entscheidungsrelevanter ist die Lohnspreizung im Unternehmen. Die US-Börsenaufsicht SEC will börsennotierte Firmen verpflichten, den Unterschied zwischen dem Gehalt eines einfachen Angestellten und dem des Vorstandsvorsitzenden zu veröffentlichen. Das wird sowohl den internen als auch den externen Druck auf der Gehaltsdebatte erhöhen. Aber ob allein Transparenz ausreichen wird, Gehaltsexzesse zu beenden und vor allem zu einer gerechteren Lohnspreizung zurückzukehren, wage ich zu bezweifeln. Sie wissen ja zum Beispiel auch, dass Fleischkonsum Ihrer Gesundheit und dem Klima schadet und essen es dennoch. Transparenz schafft die Voraussetzung für Aufmerksamkeit, für einen tatsächlichen Wandel braucht es aber eine massenhafte Diffusion neuer Praktiken. Um hier ein ebenes Spielfeld für alle Unternehmen zu schaffen, kann eine staatliche Regelung sehr nützlich sein. Die Diskussion um einen Höchstlohn bekommen wir jedenfalls nicht mehr vom Tisch.


Titelbild: 1:12.ch (Pressebilder)

Bilder im Text: JUSO Schweiz (CC BY 2.0) | Volkswagen AG (Pressebilder)

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Leserbrief
Markt ist nicht naturgegeben
Christian Fuchs | 02.12.2013

Mal wieder ein toller Text. Die häufigste Antwort auf die Frage, ob manche einfach zuviel erhalten, dürfte wohl sein: "Wenn der Markt das hergibt..." Vom Profifußballer bis zum Top-Manager denken wohl viele, dass ihr Gehalt dem Wert ihrer Arbeit entspricht. Gegen die verbreitete Ansicht, der Markt teile die Gehälter "gerecht" zu, anzugehen, dürfte noch einige Arbeit sein.


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