Femen

Oben ohne gegen das Patriarchat

Die Frauen von Femen haben eine international funktionierende Ikonographie des feministischen Protests erfunden. Das ist eine ganz eigene künstlerische Leistung

Professor Dr. Karen van den Berg
 
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    Zur Person
    Professor Dr. Karen van den Berg

    Professor Dr. Karen van den Berg ist Professorin für Kulturtheorie und inszenatorische Praxis an der Zeppelin Universität. Sie studierte Kunstwissenschaft, Klassische Archäologie und Nordische Philologie in Saarbrücken und Basel, wo sie auch promovierte. Von 1993-2003 war sie Dozentin für Kunstwissenschaft am Studium fundamentale der Privaten Universität Witten/Herdecke. Seit 1988 realisiert sie als freie Ausstellungskuratorin zahlreiche Ausstellungsprojekte in öffentlichen Räumen und in Kunstinstitutionen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Kunst und Öffentlichkeit, Kunstvermittlung und Politik des Zeigens, Kunst und Emotionen, Rollenmodelle künstlerischen Handelns sowie die sozialen Effekte von Bildungsarchitekturen.

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Nackte Brüste sorgen für Aufmerksamkeit. Erst recht, wenn es die Brüste von schönen, jungen Frauen sind. Das wissen Journalisten, die damit ihre Artikel beginnen. Das wissen Werber, die damit Produkte verkaufen. Und das wissen die Aktivistinnen von Femen, die damit Politik machen. Feministische Politik, ausgerechnet.

„Dass sich Menschen für ihre Überzeugungen ausziehen, ist nicht neu“, sagt Karen van den Berg, Professorin für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis an der Zeppelin Universität. Schon die Studentinnen der 68-Bewegung wollten mit nackten Tatsachen provozieren, etwa bei der Aktion Blanker Busen. Auch die Tierschutzorganisation PETA setzt mit ihrer Kampagne „Lieber nackt als im Pelz“ auf Freizügigkeit. „Aber so konsequent wie Femen hat noch niemand den eigenen Körper als Plakat für politische Botschaften verwendet.“

Nacktprotest ist keine Erfindung von Femen. Bevor die Unterstützerinnen der Tierschutzorganisation PETA Pelz tragen würden, ziehen sie sich lieber aus.
Nacktprotest ist keine Erfindung von Femen. Bevor die Unterstützerinnen der Tierschutzorganisation PETA Pelz tragen würden, ziehen sie sich lieber aus.

Seit fünf Jahren ziehen die Frauen von Femen in aller Öffentlichkeit blank. 2008 gingen junge Ukrainerinnen in Kiew auf die Straße. „Die Ukraine ist kein Bordell“, skandierten sie, voller Empörung über den um sich greifenden Sextourismus. Gekleidet waren sie dabei wie Prostituierte – und sofort sprangen die Medien darauf an. Eine Debatte entstand, und von da an war klar: „Sex sells!“

Wenig später folgte der erste Nacktprotest, diesmal gegen Internetpornos. Auch diese Aktion war ein Erfolg: Zwar empörte man sich über die Provokation der Aktivistinnen, aber ebenso wurde ihre Botschaft diskutiert. Seitdem sind die Frauenrechtlerinnen zu einer globalen Marke geworden, die Tagesschau berichtet regelmäßig, große Zeitungen drucken dankbar die Fotos der Auftritte. Frauenrechte sind immer noch das Kernthema, aber es geht auch gegen Putin oder Berlusconi, um Wirtschaft und Korruption.

"Ihr seid schuld an unserer Armut!" Das ist die Botschaft der Demonstrantinnen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.
"Ihr seid schuld an unserer Armut!" Das ist die Botschaft der Demonstrantinnen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.

Über eine solche, nicht feministisch-motivierte Protestaktion ist auch Karen van den Berg auf Femen aufmerksam geworden: „2012 waren sie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos und haben ‚Poor because of you!‘ geschrien. Drei halbnackte Frauen mitten im Winter, die kreischend an Absperrungen rütteln und ratlose Sicherheitskräfte, die nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen – das sind Bilder, die im Gedächtnis bleiben.“

Das YouTube-Video haben über eine halbe Million Menschen angeklickt. Für van den Berg eine der Voraussetzungen für den Erfolg von Femen. „Ohne das Internet wäre Femen gar nicht denkbar. Sie arbeiten ganz bewusst mit den Effekten und Verbreitungsmöglichkeiten der sozialen Medien.“ Die vier Gründerinnen, neben zwei Ökonominnen und einer Ikonenmalerin auch eine Journalistin, seien absolute Medienprofis: „Die haben einen bemerkenswerten Sinn für Inszenierungen und sind oft zum richtigen Moment am richtigen Ort. Das ist kein Zufall, sondern hochprofessionelles Agieren in der Medienöffentlichkeit.“

Mittlerweile gibt es mit Femen Germany auch in Deutschland einen eigenen Ableger, und in Paris haben die Aktivistinnen gar ein Trainingszentrum für Nacktprotest eingerichtet. In einer Art Bootcamp üben die Frauen dort, wie man sich öffentlichkeitswirksam auszieht oder gegen brutale Polizeibeamte wehrt. Die Strategie ist meist dieselbe: einen Fotografen bestellen, Oberkörper freimachen und dann schreiend losrennen. Je schriller, und ekstatischer, desto besser. Spätestens wenn die Sicherheitskräfte eingreifen und schwer bewaffnete Männer nackte Frauen abtransportieren, klicken die Kameras.

Oft wissen Polizisten nicht, wie sie mit den halbnackten, schreienden Frauen umgehen sollen. Ignorieren? Ihnen freundlich zureden? Oder die Handschellen klicken lassen?
Oft wissen Polizisten nicht, wie sie mit den halbnackten, schreienden Frauen umgehen sollen. Ignorieren? Ihnen freundlich zureden? Oder die Handschellen klicken lassen?

Dabei entstehen Bilder, die um die Welt gehen. Sie landen auf den Titelseiten der Zeitungen, werden auf Twitter geteilt und sorgen für empörte Facebook-Kommentare. „Diese rasende Verbreitung zeigt, wie wirksam die Bildsprache von Femen ist“, sagt van den Berg. „Bei ihren Aktionen vereinen sie Model-Posen, Erotik und Blümchenkitsch mit aggressivem, markigem Protest. Das irritiert und verstört, und ist deshalb so erfolgreich.“ Junge, barbusige Frauen mit Blumenkränzen im Haar – das stehe inzwischen ebenso selbstverständlich für Femen wie etwa die Guy Fawkes für die Anonymous-Bewegung. „Damit haben sie definitiv eine international funktionierende Ikonographie des feministischen Protests erfunden. Das ist eine ganz eigene künstlerische Leistung.“

Mit dieser Ansicht ist Karen van den Berg nicht alleine. Die Fotos von Femen verbreiten sich nicht nur in Medien und sozialen Netzwerken, sondern hängen mittlerweile auch an den Wänden von Ausstellungen. „Die Kunstwelt ist auf den Femen-Zug aufgesprungen“, beschreibt van den Berg eine Entwicklung, die sie selbst eher kritisch sieht: „Die gekonnte Inszenierung von Femen verdient Respekt. Aber im Rahmen von Kunst-Ausstellungen funktionieren die Filme nicht und werden harmlos.“

2012 hat die Berliner Biennale Revolutionskunst zum Thema gemacht und Videoinstallationen von Occupy-Camps oder den Femen-Aktionen gezeigt. Doch der Versuch, Widerstand als ästhetisches Phänomen zu präsentieren, führt für van den Berg in die Irre: „Da findet eine Domestizierung von politischem Protest statt, die ich alles andere als überzeugend finde. Ich glaube durchaus, dass Kunst politisch eingreifen sollte, aber nicht alles eignet sich als Ausstellungsobjekt. Die Fotos und Videos von Femen sind im Netz oder in der Tagesschau jedenfalls besser aufgehoben als auf der Biennale.“

Hochkultur trifft Popkultur: 2012 wurden auf der Berliner Biennale auch Fotos und Videos von Femen ausgestellt.
Hochkultur trifft Popkultur: 2012 wurden auf der Berliner Biennale auch Fotos und Videos von Femen ausgestellt.

Die Frauen von Femen können selbst wohl am wenigsten dafür, dass ihnen plötzlich der rote Teppich der Hochkultur ausgerollt wird. Kritik für ihre Aktionen ernten sie aus anderen Gründen. Während die markigen Konter von Seiten ihrer „Opfer“ kaum überraschen, stoßen die Oben-Ohne-Demos auch bei Feministinnen nicht auf uneingeschränkte Gegenliebe. Der Nacktprotest sei bloßes Theater, der dem Kampf für Frauenrechte einen Bärendienst erweise. Die Gruppe leiste keine inhaltliche Arbeit, sondern beschränke sich aufs Produzieren medienwirksamer Bilder. Doch deren Wirkung nutze sich zunehmend ab; gerade in sexualisierten westlichen Gesellschaften nähme man nackte Brüste doch nur noch mit einem Achselzucken zur Kenntnis.

Kritik, die Karen van den Berg nicht teilt. So habe die Femen-Aktion auf der diesjährigen Hannover Messe eine deutliche Botschaft vermittelt: „Beim Besuch von Putin sind plötzlich vier Frauen auf ihn zu gerannt. Ihre Protestschreie gingen durch Mark und Bein und sind übers Fernsehen direkt in die deutschen Wohnzimmer gedrungen. Solche Bilder brauchen keinen Kommentar, sie sprechen für sich. Femen formulieren keine konkrete politische Forderung, aber sie rütteln uns wach – und zwar auf eine nicht banale Art.“ Van den Berg hat kein Problem damit, dass bei Femen die Verpackung genauso wichtig wie der Inhalt ist. Aufmerksamkeit zu schaffen und die Öffentlichkeit auf Missstände hinzuweisen, sei ein völlig legitimes Ziel.


Den Vorwurf der Selbstinszenierung lässt sie nicht gelten. „Sich selbst und den eigenen Protest zu feiern, gehört ein Stück weit dazu. Jede gute Demo braucht einen gewissen Spaßfaktor.“ Allerdings übertreibe es Femen teilweise mit der Provokation. Anfang des Jahres demonstrierten Aktivistinnen in der berüchtigten Herbert Straße auf der Hamburger Reeperbahn gegen Sexarbeit und hielten dabei Schilder mit Parolen wie „Arbeit macht frei“ oder „Sex-Sklaverei ist Faschismus“. Für van den Berg eine verfehlte Aktion: „Das war eher peinlich. Ihr Protest ist grundsätzlich richtig, aber in der Herbertstraße werden sie keine der zwangsprostituierten Frauen antreffen, für deren Rechte sie sich einsetzen wollten. Mit derartigem Halbwissen stößt man wohl kaum eine kritische Diskussion an, sondern diskreditiert die Frauen, die hier arbeiten.

In dieselbe Kategorie fällt auch der „Topless Jihad Day“, mit dem Femen gegen die Unterdrückung muslimischer Frauen demonstrieren wollte – mit altbewährten Mitteln: nackten Brüsten. Die lautstärksten Kritikerinnen waren ausgerechnet muslimische Feministinnen, die als Gegenreaktion den „Muslimah Pride Day" initiierten. Mit Slogans wie „Nudity does not liberate me and I do not need saving“ wehren sie sich dagegen, als hilflose Gruppe dargestellt zu werden, die es von außen zu emanzipieren gelte.

Kolonialistisch sei dieses Verhalten, so der Vorwurf der Kritiker. Die Organisation würde die eigenen Wertvorstellungen ungefragt auf andere Gesellschaften übertragen. „Natürlich sind solche Aktionen problematisch“, sagt van den Berg. „Da merkt man, dass die Frauen von Femen teilweise zu wenig Hintergrundwissen haben. Sie sind nun mal Aktivistinnen mit einem ganz bestimmten kulturellen Hintergrund und berechtigten Anliegen und eben keine superinformierten Intellektuellen. Doch das ändert nichts daran, dass die ukrainischen Rebellinnen eine neue Form von Feminismus verkörpern – oder vielleicht sogar mit erfunden haben. Das ist eine echte Leistung, ohne Wenn und Aber.“



TitelbildAntoine Walter (CC BY-NC-SA 2.0)

TextMiel van Opstal | Irish Typepad | Dmitry Shakin | janinebeangallery | Wolf Gang (CC BY-NC-ND 2.0CC BY-SA 2.0 bzw. CC BY 2.0)

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