Die Suche nach dem Selbst

Überwachung. Fluch? Segen!

von Felix Lennart Hake | Redaktion
23.06.2014
Es dürfte zu bezweifeln sein, dass Sensordaten das Ende der Fragen bedeuten. Sie regen vielmehr immer wieder zur Selbstreflexion an.

Eryk Noji
Student Sozialwissenschaften
 
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    Zur Person
    Erky Noji

    Eryk Noji studiert im Master Soziologie an der Universität Jena, nachdem er dort bereits sein Bachelorstudium in Soziologie mit Psychologie als Nebenfach absolvierte. Sein thematischer Schwerpunkt liegt dabei im Bereich des sozialen Wandels und der soziologischen Zeitdiagnose. Im Rahmen seiner Masterarbeit befasst sich Noji mit dem Einsatz von Sensortechnologien zur persönlichen Selbstkontrolle am Beispiel der "Quantified Self"-Bewegung. Auf der ZUfo in Friedrichshafen präsentierte er Teile seiner Forschungsarbeit unter dem Titel: "Überwachungstechnologien in der Spätmoderne: Selbstüberwachung auf der Suche nach Authentizität".

    Noji ist einer der drei Gewinner des Speicherplatz-Awards, den ZU|Daily für die medienwirksame Präsentation der eigenen Forschung auf der studentischen Forschungskonferenz ZUfo 2014 ausgelobt hatte.

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    Factbox
    Website der deutschen Quantified-Self-Bewegung
    TED-Talk mit Gary Wolf
    The Quantified Self Movement as an Alternative Big Data Practice

    Literaturtipp von Eryk Noji

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Die Arbeit an seinem Forschungsprojekt war für Eryk Noji zu Beginn ganz spielerischer Natur, im wörtlichen Sinne. Für eine Hausarbeit beschäftigte er sich ausgiebig mit dem Phänomen „Gamification“, das spielerische Elemente wie Missionen, Highscores und Belohnungen auf nicht-spielerische Kontexte überträgt. Dann waren es die Enthüllungen Edward Snowdens und die Feststellung, dass der Widerstand gegen Überwachung gar nicht so groß ist, wie seinerseits erwartet, die Noji dazu brachten, unter dem Thema „Autonomie in der Spätmoderne“ zur Selbstüberwachung zu forschen. Seine Überlegung: „Vielleicht gibt es ja auch positive Aspekte der Überwachung. Empfinden die Menschen dabei eventuell so etwas wie Geborgenheit?“

Ehemalige US-Abhörstation auf dem Berliner Teufelsberg. Der NSA-Skandal wurde zum Inbegriff der Bedrohung durch staatliche Überwachung.
Ehemalige US-Abhörstation auf dem Berliner Teufelsberg. Der NSA-Skandal wurde zum Inbegriff der Bedrohung durch staatliche Überwachung.

Für den Soziologiestudenten bedeutete die Forschung vor allem digitale empirische Arbeit. Neben der theoretischen Literaturrecherche stand zu großen Teilen Internetrecherche auf der Agenda und so las sich Noji durch unzählige Foren der „Quantified Self“-Bewegung und analysierte die dort veröffentlichten Beiträge. Einen Selbstversuch, wie ihn schon so manch „QS“-Interessierter absolvierte, wollte er dann jedoch nicht auf sich nehmen. „Das ist gar nicht meine Art, ich habe keine so minutiöse Tagesplanung“, bemerkt Noji amüsiert. Zwar nutze er auch einen Schlaftracker auf seinem Smartphone, im Detail habe er die Daten aber noch nie analysiert. Wer dies tue, sehe die Ergebnisse, so der Forscher, vor allem als Bestätigung des eigenen Handelns an. Diese seien eine objektive Orientierungshilfe, um die Erreichung der eigenen Ziele einschätzen zu können. „Die Funktion des Feedbacks ist dabei elementar, um Handlungen selbst einschätzen zu können. Man stelle sich eine Welt vor, die nicht auf einen antwortet. Dann wüsste man überhaupt nicht, wo man steht, wer man ist.“

Selbstüberwachung ist längst keine Randerscheinung mehr. Die Überwachung von Körperfunktionen und Fitness wird dank moderner, unauffälliger Technik immer mehr zum gesellschaftlichen Trend.
Selbstüberwachung ist längst keine Randerscheinung mehr. Die Überwachung von Körperfunktionen und Fitness wird dank moderner, unauffälliger Technik immer mehr zum gesellschaftlichen Trend.

Es gilt also, diese statistischen Ergebnisse in einen ständigen Selbstanalyseprozess zu integrieren, folgert Noji. So aussagekräftig sie an sich sein mögen, die Daten müssten vor allem immer wieder zur Reflexion anregen, um sinnvoll eingesetzt zu werden. Die von ihm untersuchte Bewegung der Selbstquantifizierer sieht der Soziologe dabei als „Innovationspool“, der einen kreativen und reflektierten Umgang mit über sich selbst gewonnenen Daten ermöglicht. Spezielle Applikationen, die solche Sensordaten sofort auswerten und Handlungsempfehlungen geben, könnten dagegen den Analyseprozess hemmen, vermutet Noji und sieht hier noch weiteren Untersuchungsbedarf. Dort bemerkt er auch die große Schwachstelle der Vermessung des Ichs. Zwar könne sie einerseits die „Selbsstthematisierung“ unterstützen, es drohe aber auch ein „Leistungsimperativ“, der den Menschen zu einer ständigen Steigerung des eigenen Handelns zu zwingen vermöge.

Wer überwacht hier eigentlich wen? Mit einer zunehmenden Zahl an datensammelnden Sensoren wird es immer schwieriger, zwischen gewollter und missbräuchlicher Nutzung zu unterscheiden.
Wer überwacht hier eigentlich wen? Mit einer zunehmenden Zahl an datensammelnden Sensoren wird es immer schwieriger, zwischen gewollter und missbräuchlicher Nutzung zu unterscheiden.

Kritisch werde es vor allem dann, wenn Selbstquantifizierer wie Geheimdienste dieselben Mittel zur Datenerhebung nutzten. „Die Sensoren sind rein technisch gleich, nur der Anwendungskontext ändert sich“, merkt Noji kritisch an. So könnten Bewegungssensoren, die von Zivilbürgern zur Schrittüberwachung beim Sport genutzt würden, von Geheimdiensten missbraucht werden, um anhand der Erschütterungen des Handys zu erkennen, was der Nutzer auf der danebenliegenden Computertastatur schreibe. „Sensoren werden in der nächsten Zeit nicht weniger“, warnt der Nachwuchswissenschaftler, „es gilt also, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.“ Schließlich liefert Noji den passenden „Gefahrenhinweis“ zur Selbstvermessung gleich mit: „Es kommt - wie bei jeder Technologie - darauf an, was wir aus ihnen machen.“

Als gute Möglichkeit, das „wissenschaftliche Geschäft“ zu erproben, sieht Eryk Noji die Teilnahme an der ZUfo in einem durchweg positiven Rückblick. „Es war eine hilfreiche Erfahrung, mit der eigenen Forschung nicht im stillen Kämmerchen zu versauern, sondern sie nach außen zu tragen“, resümiert er. Schließlich sei auch der interdisziplinäre Kontext eine gelungene Übung gewesen, die eigene Forschung auch fachfremden Wissenschaftlern verständlich präsentieren zu können. 


Titelbild: Mike Mozart / flickr.com
Bilder im Text: Morgennebel / flickr.com; Lokan Sardari / flickr.com; Satish Krishnamurthy / flickr.com

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