Wirtschaftsethik

Homo sentimentalis

Wenn wir die Normalität der Krise annehmen, dann sind Universitäten, Management und auch Politik gefordert, sich diesen Homo sentimentalis genauer anzuschauen.

Professor Dr. Stephan A. Jansen
 
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    Zur Person
    Stephan A. Jansen

    Professor Dr. Stephan A. Jansen wurde im Mai 2003 zum Gründungspräsidenten und Geschäftsführer der Zeppelin Universität berufen. Im gleichen Jahr wurde er durch das Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg als Professor auf den Lehrstuhl für „Strategische Organisation & Finanzierung | SOFI“ ernannt. Mit 31 Jahren war er der jüngste deutsche Universitätspräsident. Nach einer Banklehre als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes absolvierte er ein Studium der Wirtschaftswissenschaft in Witten/Herdecke, an der New York University sowie Tokyo Keizai University mit Auszeichnung. 1997 bis 2003 schlossen sich weitere wissenschaftliche Stationen an der Stanford University sowie der Harvard Business School mit der Promotion (summa cum laude) an.

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    Factbox
    Zum Weiterlesen: Literatur-Hinweise

    Ellen Nyhus, Empar Pons: The Effect of Personality on Earnings. In: Journal of Economic Psychology, 26, 2005; S. 363-384.


    Eva Illouz: Gefühle in Zeiten des Kapitismus. Suhrkamp, 2006; 150 Seiten


    Joris Lammers, Diederik A. Stapel, Adam D. Galinsky: Power Increases Hypocrisy - Moralizing in Reasoning, Immorality in Behavior. In: Psychological Science, 21, 2010; S. 737-744


    Adam Smith (1759): The Theory of Moral Sentiments, or an essay towards an analysis of the principles, by which men naturally judge concerning the conduct and character, first of their neighbours and afterwards of themselves. London

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Kettenbrief und Domino. Das sind die beiden infektiösen wie kapitalen Krisenelemente des 21. Jahrhunderts – und die Spekulationen genau darauf. Es war die alte Idee des Kettenbriefs, mit denen die schlechten Kredite gut verpackt und weitergegeben wurden. Und es war die gut zu prognostizierende kalifornische Immobilienkrise, die zu einer erwartbaren Krise einzelner Banken führte, die wiederum aufgrund des verlorenen Systemvertrauens unter den Instituten in eine dann logische Finanz- und vor allem Geldmarktkrise mündete.

Das verlorene Systemvertrauen sollte dann durch staatliche Interventionen wie Stabilisierungsfonds zurückgewonnen werden, gegen die dann konsequent spekuliert wurde. Nun brauchen die Staaten selbst rettende europäische Fonds.

Wir winken zum Abschied vom finanzmarktliberalen Staatsverschuldungskapitalismus der Post-Bretton-Woods-Partygeneration, die das Wachstum zulasten der nächsten Generationen fremdfinanzierte. Und nun? Steigen zunächst einmal die Erwartungen – immer an andere.

An Business Schools ist die Krise des Kapitalismus auch eine Krise des Master of Business Administration, kurz: MBA, der nun heftig korrigiert wird: Zu Beginn Wirtschaftsethik für alle – zweistündig, gern montagmorgens und zum Abschied den hippokratischen Eid, diese ausgerechnet griechische Verlegenheitslösung für Mediziner. Folgt man dem Bamberger Soziologen Richard Münch und seinem aktuellen Buch „Akademischer Kapitalismus” hilft das nicht viel: Universitäten seien selbst dem Kapitalismus verfallen.

Das Management scheint ähnlich überfordert, dessen Corporate Governance auch. Im Top-Management wird immer häufiger gewechselt. Wirtschaftszeitungen lieben es, die Chefs nach Psychopathologien zu typologisieren. Magazine machen den Burnout als beschäftigungsbedingte Depression im schlechtesten Sinn gesellschaftsfähig – „Infarkt der Seelen“ und „Sinnerosionen“ heißt das dann. Gesucht wird nach Alternativen zu Gier und Angst, dem klassischen Zweitaktmotor des Kapitalismus.

Es stimmt also etwas nicht mehr in der Gefühlslage der Nation – und offenbar auch nicht mehr in der Gefühlslage des Kapitalismus selbst. Dabei hatte der nun gerade das „emotionale Kapital“ auch für das Marketing entdeckt, und die Veröffentlichung von privaten Gefühlen hat Konjunktur, ob freiwillig oder nicht. Was kommt nach der Kapitalismuskrise? Wird er nicht nur grüner, nachhaltiger und sozialer, sondern auch sentimentaler – und mit ihm das Management? Nur zwei theoretische Ausflüge und zwei empirische Studien für das Management im Post-Kapitalismuskrisen-Kapitalismus.

1776 erschien das Begründerwerk der Ökonomie: „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations". Aber 17 Jahre früher hat Adam Smith das viel bewegendere Buch auf seiner ersten Professur in Glasgow verfasst: „The Theory of Moral Sentiments, or an Essay towards an Analysis of the Principles, by which Men naturally judge concerning the Conduct and Character, first of their Neighbours and afterwards of themselves".

Smith war eben kein Ökonom, sondern Moralphilosoph, der sich mit einschlägigen Gefühlen beschäftigte. Und er erklärt in diesem zweibändigen Werk, warum es für Menschen überhaupt möglich sei, ein Gefühl der Sympathie füreinander zu empfinden. Er konstruiert die fiktive Figur des „unparteiischen Beobachters“ („impartial spectator") und geht von einer grundsätzlich sensiblen Kommunikation der Menschen aus, die sich gegenseitig genau beobachten, während sie miteinander umgehen. Wo das Prinzip der Sympathie ermöglicht, die Motive des anderen zu billigen oder nicht, erfüllt der unparteiische Beobachter die Funktion, seine eigenen Motive und sein eigenes Verhalten einer moralischen Bewertung zu unterziehen. Er beantwortet, gottgleich, die Frage: Welches Verhalten verdient moralische Billigung? Dafür brauche es nach Smith den Willen zur Empathie, die Bereitschaft, sich in die Rolle des anderen zu versetzen.

Schon früh erkennt Smith das Moment der Empathie als relevant für eine funktionierende Ökonomie an. Es geht dann aber mehr um das Beobachten von Entscheidungen, nicht das Entscheiden selbst. Und Smith glaubt weniger an den Homo oeconomicus als an den Homo sentimentalis.

Lassen wir einmal Max Webers religionssoziologisch inspirierte Arbeit über die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus beiseite, ebenso die Georg Simmelschen Analysen des Geisteslebens der Großstädter oder die Entfremdungstheorie von Karl Marx – wenden wir uns stattdessen einer zeitgenössischen Analyse dieses Homo sentimentalis zu. Sie stammt von der in Jerusalem lehrenden Soziologin und Anthropologin Eva Illouz, die zu „Konsum der Romantik“ publizierte. 2004 hielt sie in Frankfurt die Adorno-Vorlesungen über ihre Forschungen zur kapitalistischen Konsumgesellschaft, zu Medienkultur und der Frage, wie sich gesellschaftliche Einflüsse auf die Bildung von Emotionen auswirken. Ihre Hauptthese: Der Homo oeconomicus hat emotional aufgerüstet, während das emotionale Subjekt ökonomisch verfährt. Sie spricht von einem emotionalen Kapital: So werden Affekte zu einem Tauschmittel in der Ökonomie („Erlebnis Einkauf“, „Inszenierung von Dienstleistungen“).

Illouz sieht einen Trend hin zu emotionaler Authentizität und einem neuen emotionalen Kapitalismus. Die Gewinner sind demzufolge die klinischen Psychologen, die die Wirtschaftstauglichkeit von Personen mit „emotionaler Intelligenz“ und „emotionaler Kompetenz“ bewerten: Personen mit diesen Zuschreibungen verkaufen tatsächlich mehr – und für Führungskräfte seien Selbstkontrolle und Reflexivität besonders wichtig.

Wer macht Karriere und verdient ein hohes Gehalt? Beginnen wir mit der Intelligenzthese. Die legendäre Perry-Vorschulstudie, die sich in den sechziger Jahren mit einem gesonderten Förder-Programm für benachteiligte Kinder in den USA einsetzte, kam zu dem überraschenden Ergebnis: Das Programm führte nicht zu einem höheren Intelligenzquotienten, aber tatsächlich zu geringeren Verhaftungen und höheren Gehältern. Nach langer Analyse fiel auf: Man hatte nicht die Intelligenz der Kinder, sondern die Persönlichkeit gefördert. Darauf setzte die psychologische Persönlichkeitsforschung, die analysierte, wie Persönlichkeit, Gefühle und beruflicher Erfolg zusammenhängen.

In der Sozialpsychologie der USA war lange das Fünf-Faktoren-Modell prägend: 1. Offenheit für Erfahrungen, 2. Extraversion, 3. Gewissenhaftigkeit, 4. Verträglichkeit und 5. emotionale Stabilität. Die beste Kombination für Karrieren? Extrovertiertheit und Gewissenhaftigkeit. Und die Gehaltsentwicklung? Eine Studie von Ellen Nyhus und Empar Pons aus dem „Journal of Economic Psychology" zeigt einen überraschend klaren Befund: Emotionale Stabilität sorgt für Gehaltssteigerung.

Das Problem von Karrieren ist die Überzuversicht des Kandidaten und die Unausweichlichkeit, mit der er in den Beförderungsturnieren siegt (vgl. brand eins 10/2008 ). Aber wie sieht es mit der Moral aus, wenn man dann Macht hat? Es ist eine doppelbödige Verbindung: In einer aktuellen Studie der Kellogg School of Management und dem Institut für Verhaltensökonomik der Universität Tilburg hat sich folgende Formel bestätigt: Macht macht heuchlerisch. Konkret: Je höher die Karrierestufe, desto wahrscheinlicher ist es, dass man von anderen höhere moralische Standards einfordert als von sich selbst.

Wer öffentlich Wasser predigt, senkt die Wahrscheinlichkeit, von anderen hinterfragt zu werden. Ein Befund war eindeutig: Wer das Gefühl hat, Macht zu haben, lebt doppelzüngig, wer das Gefühl hat, Macht verliehen bekommen zu haben, lebt authentischer. Wer keine hat, lebt moralischer.

Krisen entstehen, wenn in einem Kapitalismus der Gefühle Emotionen unternehmerisch rational angeheizt werden (zum Beispiel die Gier der Konsumenten und Kapitalanleger) und gleichzeitig Wissenschaft und Management Gefühle in einem emotionalen Kapitalismus negieren (etwa durch Ausblendung der Angst oder der Sinnverluste in der Arbeit). Wir brauchen ein Management, das demütiger mit doppelbödiger Moralrhetorik umgeht, mutiger in der Empathie ist und kuratorisch, also sorgend um emotionale Stabilität, Extrovertiertheit und Gewissenhaftigkeit der Organisation und ihrer Mitglieder bemüht ist. Wenn wir die Normalität der Krise annehmen, dann sind Universitäten, Management und auch Politik gefordert, sich diesen Homo sentimentalis genauer anzuschauen. Die Hirnforschung ist schon wieder dran - und gibt Entwarnung: Empathiefähigkeit ist angelegt. Dann also mal: mit Gefühl.



Der Artikel erschien in der brand eins vom Oktober 2011.


Grafik: Andreas Fachner

Zum Weiterlesen: Literatur-Hinweise


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