Die Zukunft der Zinsen

Nullzinspolitik der EZB: Wer profitiert, wer verliert

Es könnte sein, dass trotz der EZB-Politik die Fliehkräfte innerhalb der Eurozone zunehmen werden und es keine Gewinner geben wird.

Prof. Dr. Marcel Tyrell
Lehrstuhl für Unternehmer- und Finanzwissenschaften
 
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    Prof. Dr. Marcel Tyrell

    Seit 2009 leitet Prof. Dr. Marcell Tyrell das Buchanan Institut für Unternehmer- und Finanzwissenschaften der Zeppelin Universität. Vorher lehrte er unter anderem an Universität Frankfurt, der University of Pennsylvania und der European Business School. Schwerpunktmäßig forscht er an Veränderungen von Finanzsystemstrukturen, mikro- und makroökonomischen Auswirkungen von Finanzkrisen und der Verschuldungsdynamik von Volkswirtschaften. 

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Die Hintergründe der Entwicklung belegen, dass die EZB sich momentan in einer äußerst schwierigen Entscheidungssituation befindet. Einerseits muss sie sich mit massiven Deflationsgefahren in der Eurozone auseinandersetzen. Mehrere Länder der Eurozone haben damit zu kämpfen, dass sie nicht in eine Deflationsspirale, das heißt in einen anhaltenden absoluten Rückgang des Preisniveaus geraten. Dies hätte fatale Folgen, wie sich unschwer in Japan beobachten lässt, die Mitte der 90er Jahre in eine ausgedehnte Deflation geschlittert sind, welche das Wirtschaftswachstum dort nachhaltig nahezu zum Stillstand gebracht hat. Andererseits gibt es in der Eurozone aber auch Länder wie beispielsweise Deutschland, denen es vergleichsweise gut geht und deren Inflationsrate (noch) positiv ist. Zusätzlich scheint sich in diesen Ländern die Gefahr von Spekulationsblasen zum Beispiel im Immobilienmarkt aufzubauen, die die Finanzstabilität gefährdet, wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in ihrem neuesten Jahresbericht betont. Die adäquate Politik zur Bekämpfung dieser Gefahren wären dann jedoch Leitzinserhöhungen.

Nicht alles ist gold, was glänzt. Im Frankfurter Hauptquartier reguliert die Europäische Zentralbank den Leitzins. Präsident der 1998 gegründeten Institution ist der Italien Mario Draghi.
Nicht alles ist gold, was glänzt. Im Frankfurter Hauptquartier reguliert die Europäische Zentralbank den Leitzins. Präsident der 1998 gegründeten Institution ist der Italien Mario Draghi.

Die EZB ist somit derzeit mit dem zentralen Zielkonflikt konfrontiert, ob sie als Notenbank ihre Geldpolitik eher an der Finanzsystemstabilität oder der Deflationsbekämpfung ausrichtet. Ihre jüngste Zinsentscheidung scheint darauf hinzudeuten, dass sie Bekämpfung der Deflationsgefahren als momentan vorrangig betrachtet, auch wenn dies in einigen Ländern der Eurozone die Finanzstabilität gefährdet.
Was bedeutet dies alles für die Masse der Sparer in Deutschland, also die nicht institutionellen Kapitalanleger? Sie müssen sich darauf einstellen, dass noch für einen längeren Zeitraum von mehreren Jahren das derzeitige Zinsniveau erhalten bleibt. Gerade für deutsche Sparer ist dies jedoch mit Geldentwertung verbunden, so lange die Inflationsrate sich noch im positiven Bereich bewegt. Um dieser Gefahr zu begegnen, könnten sie, wie teilweise in der jüngsten Vergangenheit auch geschehen, verstärkt in Immobilien und Aktien investieren.

Da man aber jetzt schon von teilweise inflationierten Preisen für diese Anlageformen ausgehen muss, kann diese Anlagestrategie ein hohes Risiko bedeuten. Anleihen könnten daher eine gute Alternative sein, sofern es zu einer Deflation kommt. Denn wenn die Rückzahlung der Anleihen recht sicher ist, wäre dann das Geld mehr wert als heute. Und wenn es darüber hinaus zu weiteren Zinssenkungen käme, könnte man sogar mit Kursgewinnen auf die Anleihen rechnen. So oder so ist es jedoch gerade für deutsche Anleger momentan schwierig, eine Anlagestrategie zu entwickeln, die es ihnen erlaubt, positive Realrenditen ohne hohe Risiken zu erwirtschaften.

"Zinsen abschaffen". Auch wenn die EZB den Leitzins seit Jahren immer weiter absenkt, an der Zeit, Zinsen abzuschaffen, ist es doch noch nicht. Aber auch Prof. Dr. Marcel Tyrell sieht keine kurzfristige Zinswende in naher Zukunft
"Zinsen abschaffen". Auch wenn die EZB den Leitzins seit Jahren immer weiter absenkt, an der Zeit, Zinsen abzuschaffen, ist es doch noch nicht. Aber auch Prof. Dr. Marcel Tyrell sieht keine kurzfristige Zinswende in naher Zukunft

Wer profitiert? Auf den ersten Blick die Banken. Sie können sich zu historisch einmalig günstigen Konditionen Geld bei der EZB leihen und dies anlegen. Wenn sie beispielsweise das geliehene Geld in Anleihen ausfallgefährdeter Eurozone-Länder investieren und darauf bauen, dass im Falle eines Ausfalls diese Länder gerettet würden, dann erreichen sie eine auskömmliche Marge auf das eingesetzte Kapital. Die Hoffnung der Zentralbank ist jedoch, dass ihre lockere Geldpolitik die Banken veranlasst, nicht in Staatsanleihen zu investieren, sondern die Kreditvergabe an Unternehmen zu erhöhen. Diese Hoffnung erwies sich jedoch gerade für die deflationsgefährdeten Länder als bisher trügerisch.

Zum zweiten profitieren von den historisch niedrigen Zinsen einige Euro-Staaten. So konnte beispielsweise im Juni die Finanzagentur des Bundes sechsmonatige Schatzanweisungen zu einem Zinssatz von minus 0,015 Prozent platzieren. Die Zinsbelastung auf Staatsschulden ist somit etwa in Deutschland äußerst niedrig. Dies ermöglicht einen beschleunigten Schuldenabbau, wenn die Gesamtwirtschaft weiterhin wächst. Da jedoch in anderen Ländern der Eurozone wie Frankreich und Italien eine Kombination von sinkender Inflation und abnehmender wirtschaftlicher Aktivität vorherrscht, ist es wahrscheinlich, dass diese Staaten trotz der niedrigen Zinsen nicht in der Lage sind, momentan ihre Schuldenlast zu reduzieren. Insofern könnte es sein, dass trotz der EZB-Politik die Fliehkräfte innerhalb der Eurozone zunehmen werden und es keine Gewinner geben wird.


Titelbild: Dennis Skley / flickr.com

Bilder im Text: Frank Friedrichs, Thomas Rassloff / flickr.com


Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Marcel Tyrell

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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