Adventskalender | Türchen 17

Was sagt uns Weihnachten eigentlich, heute?

Zunächst: keine frommen Sprüche, bitte!

Dr. Ramona M. Kordesch
Akademische Mitarbeiterin | Civil Society Center
 
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    Zur Person
    Dr. Ramona M. Kordesch

    Ramona Maria Kordesch wurde 1986 in Klagenfurt am Wörthersee geboren. Nach dem Studium der katholischen Theologie und der angewandten Relgionswissenschaften in Graz und Tübingen, fokussierte sie sich im Rahmen ihrer Promotion auf den interdisziplinären Dialog zwischen Theologie und Wirtschaft. Zusätzlich analysierte Kordesch im Rahmen ihrer Arbeit aktuelle wirtschafts-ethische Fragen der Kirche.

    Seit Mai 2013 arbeitet Kordesch an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und forscht dort als Mitglied des CiSoC's über innovatiove Systeme für Wohlfahrtsorganisationen im Rahmen einer Projekt-Kooperation mit dem Diözesancaritasverband Rottenburg-Stuttgart.  

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    Factbox
    Quelle "Ich will gegen das Geläut..."

    „Ich will gegen das Geläut der Leute / mein Geschweige stimmen“. Religiöses Liedgut. Text: Wilhelm Willms, Musik: Peter Janssens (1974)

    Quelle "Einer wird den Ball...

    Sachs, Nelly (1977): Gedichte. Hrsg. und Nachwort von Hilde Domin., Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag [BS 549], S. 83-84 

    Quelle "Lange haben wir..."

    Sachs, Nelly (1977): Gedichte. Hrsg. und Nachwort von Hilde Domin., Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag [BS 549], S. 17-18

    Quelle "Ökonomie des Geistes"

    Sedlacek, Tomas (2012): Die Ökonomie von Gut und Böse. München: Hanser Verlag

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Unweigerlich denkt man an ein Sprichwort, das sagt: „Sie sind so laut, als ob sie unrecht hätten“. Die „Stille Nacht“ wird vorzeitig lautstark verjubelt. Denn was bleibt selbst den widerständigsten Sinnen und Sinnagenten während lieblich-musikalischer Zwangsberieselung und frohlockender Schnäppchenjagd übrig, als sich „zielführend“ doch ein kurzes Weilchen kampflos zu ergeben. Und man muss, wenn auch ungewollt, zugeben: Weihnachten ist ein Ausnahmezustand dieser säkularen Welt (Doch: „haben“ wir eine andere „Welt“?)!

Lebkuchen, Dominosteine, Zimtsterne, Christstollen. In den Supermärkten beginnt die Weihnachtszeit in Kalenderwoche 35. Die Kunden wollen das so, argumentiert der deutsche Handelsverband. Dieses Foto wurde übrigens an einem 4. September aufgenommen.
Lebkuchen, Dominosteine, Zimtsterne, Christstollen. In den Supermärkten beginnt die Weihnachtszeit in Kalenderwoche 35. Die Kunden wollen das so, argumentiert der deutsche Handelsverband. Dieses Foto wurde übrigens an einem 4. September aufgenommen.

Sie, liebe Leser und Leserinnen, können sich selbst ein Bild über diesen „alle Jahre wieder (-kehrenden)" Ausnahmezustand machen. Vielleicht sind Sie sogar und immer noch – notgedrungen - mitten drin! Da hilft kein kritisch sein wollendes Lamentieren über „unsere Konsumgesellschaft“, denn es ist „unsere Welt“, von der wir zu glauben geneigt sind, dass wir keine „bessere haben“, denn – das wissen wir seit Voltaire und Sigmund Freud – „das Bessere ist der Feinde des Guten“. Was also tun, außer fromme Sprüche dagegen reißen zu wollen? 

Sondern: hören. Gegen das laute „Geläut“ der Leute hören!

Quelle "Ich will gegen das Geläut..."


Dazu verhilft keine moralische Entrüstung. Nein: Dazu fordert die Poesie heraus, die Dichtung. Die Dichtung bietet Anti-Moralistik an. Die Dichtung befreit von fragwürdig-lästiger Moralistik, sie gibt Mut zur Realität, ohne voreilig zu bewerten oder zu resignieren. Negative Resignation wäre hier „vorweggenommene Sinnlosigkeit“. 

Ich denke zum Beispiel an die jüdische, deutsch-schwedische Dichterin Nelly Sachs. In einem ihrer, nicht ausdrücklich auf Weihnachten geschriebenen Gedichte mit dem Anfang „Einer / wird den Ball / aus der Hand der furchtbar / Spielenden nehmen“ sagt sie am Ende: „Hier ist / Amen zu sagen / diese Krönung der Worte die / ins Verborgene zieht / und / Frieden / du großes Augenlid / das alle Unruhe verschließt / mit deinem himmlischen Wimpernkranz. Du leiseste aller Geburten“ .

Quelle "Einer wird den Ball..."


Die Lyrikerin Nelly Sachs wurde 1891 in Berlin geboren und starb 1970. 1940 emigrierte sie nach Stockholm. Für ihre Werke wie „Fahrt ins Staublose“, „Zeichen im Sand“ oder „Glühendes Rätsel“ erhielt sie 1966 den Nobelpreis für Literatur.
Die Lyrikerin Nelly Sachs wurde 1891 in Berlin geboren und starb 1970. 1940 emigrierte sie nach Stockholm. Für ihre Werke wie „Fahrt ins Staublose“, „Zeichen im Sand“ oder „Glühendes Rätsel“ erhielt sie 1966 den Nobelpreis für Literatur.

Das ist keine Ergebung (Resignation) ins Sinnlose, sondern Einladung, auf das dennoch Unerhörte zu hören, auf die „leiseste aller Geburten“. Und was sagt das im Blick auf heutiges Leben und Handeln, für heutige Alltagsrealität, (Zivil-) Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, Religion? Auch dazu hat Nelly Sachs in prophetischer Ahnung und Weisheit zuvor geantwortet und in dem Gedicht „Lange haben wir“ auch uns gesagt:

„Wenn wir auch auf einer Straße schreiten,
Darunter die Erde zum Schweigen gebracht wurde
Von einem Pflaster,
Verkaufen dürfen wir nicht unser Ohr,
O, nicht unser Ohr dürfen wir verkaufen.
Auch auf dem Markte,
Im Errechnen des Staubes,
Tat manch einer schnell einen Sprung
Auf der Sehnsucht Seil,
Weil er etwas hörte,
Aus dem Staube heraus tat er den Sprung
Und sättigte sein Ohr.
Presst, o presst an der Zerstörung Tag
An die Erde das lauschende Ohr,
Und ihr werdet hören, durch den Schlaf hindurch
Werdet ihr hören
Wie im Tode
Das Leben beginnt“

Quelle "Lange haben wir..."


Die Lyrikerin Nelly Sachs wurde 1891 in Berlin geboren und starb 1970. 1940 emigrierte sie nach Stockholm. Für ihre Werke wie „Fahrt ins Staublose“, „Zeichen im Sand“ oder „Glühendes Rätsel“ erhielt sie 1966 den Nobelpreis für Literatur.

Da wird mit dichterischen Worten Ökonomie im Lichte der Poesie, nicht ohne Religion gesehen, da wird Religion zur kritischen „Ökonomie des Geistes“ (nach Gregory Bateson) und des Lebens. 

Quelle "Ökonomie des Geistes"


Und dann ahnen wir, was Paulus in 2 Kor 8,9 – wiederum mit „anstößiger Weise“ alltagsnahen ökonomischen Kategorien gesagt – meint: „Denn ihr wisst, was Jesus Christus, unser Herr, in seiner Liebe getan hat: Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen.“


Das ist auch Weihnachten, ohne Kaufrauschrummel!
Hätten wir damit „gerechnet“?

Plädoyer für eine "Stille Nacht"
Plädoyer für eine "Stille Nacht"

Titelbild: Jason Mrachina / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
Bilder im Text: Astrid Kopp / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0); Marcus Wagenknecht / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0), Valentina_A / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0), Philipp Zieger / flickr.com (CC-BY-NC-SA 2.0)


Redaktionelle Umsetzung: Maria Tzankow

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