PEGIDA-Bewegung

Geschichten aus der Gruft

Dem diffusen Gemisch aus Ängsten und Vorurteilen auf Seiten von PEGIDA steht ein ebenso diffuses Gemisch aus Diagnosevorschlägen und Lösungsansätzen gegenüber.

Dr. Alexander Ruser
Akademischer Mitarbeiter am Karl-Mannheim-Lehrstuhl für Kulturwissenschaften
 
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    Zur Person
    Dr. Alexander Ruser

    Nach seinem Studium der Soziologie, Philosophie und südasiatischen Geschichte wechselte Ruser zunächst in die Praxis, bevor er 2010 zu "Rentenreformen in Deutschland und Großbritannien" promovierte. Nach Stationen in Mannheim und Berlin ist er nun Akademischer Mitarbeiter am Karl-Mannheim-Lehrstuhl für Kulturwissenschaften an der Zeppelin Universität.  

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Ich erhalte Briefe aus der Schattenwelt. Briefe von Jenseits des Grabes. Briefe aus Offenbach. Leider ist der Absender keine der bekannten und beliebten Institutionen mit Sitz in der südhessischen Metropole: beispielsweise das Deutsches Ledermuseum, der deutsche Wetterdienst oder die Monopolverwaltung für Branntwein. Der Absender, der sich selbst M. Mustermann nennt, spricht nach eigenem Bekunden für PEGIDA. 


Auslöser dieser, bis jetzt eher einseitigen Brieffreundschaft ist mein gemeinsam mit Markus Rohmberg verfasster ‚Nachruf’ auf die PEGIDA Bewegung. Das könnte zunächst überraschen. Handelt es sich bei besagtem Nachruf doch weder um eine ‚eiskalte Abrechnung’ noch um eine brisante Insiderrecherche. Genau genommen stand PEGIDA in unserem Beitrag exemplarisch für die Schwierigkeiten von Wissenschaft und Politik medial befeuerte Ausprägungen kurzfristiger, öffentlicher Empörungsblasen von langfristigen gesellschaftlichen Problemen zu unterscheiden und angemessen auf sie zu reagieren. Dem diffusen Gemisch aus Ängsten und Vorurteilen auf Seiten von PEGIDA steht ein ebenso diffuses Gemisch aus Diagnosevorschlägen und Lösungsansätzen gegenüber.

PEGIDA goes international. So hatte sich die Bewegung ihre Auswirkung mit dem Auftritt des niederländische Rechtspopulist Geert Wilders jedenfalls gewünscht. Doch statt den erwarteten 30.000 Anhängern tauchten lediglich 12.000 Demonstranten auf. Viele Medien spielten den Auftritt herunter, doch mit seinen Worten gelang es Wilders trotzdem, die Bewegung zu begeistern. So zeigte er sich voll des Lobes für die Demonstranten in Dresden. "In meinen Augen seid ihr alle Helden", rief er und hielt dann eine knapp halbstündige Rede. Darin warnte er vor Islamisierung, kritisierte die Politik, die das Problem angeblich verharmlose. Ob es half, sich in Dresden weiter zu etablieren, wird sich spätestens im Juni zeigen, wenn Tatjana Festerling als Oberbürgermeisterin kandidiert.
PEGIDA goes international. So hatte sich die Bewegung ihre Auswirkung mit dem Auftritt des niederländische Rechtspopulist Geert Wilders jedenfalls gewünscht. Doch statt den erwarteten 30.000 Anhängern tauchten lediglich 12.000 Demonstranten auf. Viele Medien spielten den Auftritt herunter, doch mit seinen Worten gelang es Wilders trotzdem, die Bewegung zu begeistern. So zeigte er sich voll des Lobes für die Demonstranten in Dresden. "In meinen Augen seid ihr alle Helden", rief er und hielt dann eine knapp halbstündige Rede. Darin warnte er vor Islamisierung, kritisierte die Politik, die das Problem angeblich verharmlose. Ob es half, sich in Dresden weiter zu etablieren, wird sich spätestens im Juni zeigen, wenn Tatjana Festerling als Oberbürgermeisterin kandidiert.

Um so mehr verwundert zunächst der Inhalt der Briefe. Es handelt sich keineswegs um Drohbriefe. M. Mustermann gibt sich redlich Mühe mir, dem fehlgeleitenden Soziologen Anlass und Ziele von PEGIDA zu erklären, zieht allgemein gegen einen medialen Verblendungszusammenhang zu Felde und hofft wohl insgeheim auf ein Einsehen von mir. Also warum sollten solche Briefe überhaupt einer Reaktion wert sein? Wären sie nur ein Rechtfertigungsversuch – egal ob überzeugend oder nicht – wäre die Sache nicht der Rede wert. Inhalt und Frequenz der Schreiben legen aber noch eine andere Interpretation nahe. Es ist dieser Aspekt der hier interessiert und zwar, weil er der Diagnose verständnisloser Vertreter aus Medien und Politik komplementär gegenübersteht: In dem Maße, indem sich die Medien keinen Reim auf PEGIDA machen können, geht es der Organisation mit den Medien. Frisch zur Welt gekommen sehen sie sich im Mittelpunkt einer Vielzahl widerstreitender Interpretationen werden verstanden und verteufelt und manchmal auch: vereinnahmt. Diese Hilflosigkeit spiegelt sich in den Erklärungsversuchen meines Brieffreundes wieder.

‚Moslems fordern religiöses Frauenschwimmen’ (07. April 2015) werde ich informiert, was zwar nicht stimmt (anscheinend möchte niemand Schwimmen zum Teil religiöser Praktiken von Muslimas machen), aber immerhin gut zur alarmistischen Überschrift ‚Eine freie Presse gibt es im (sic!) gegenwärtigen Zeitpunkt der Weltgeschichte nicht’ (19. März 2015) passt. Auch werde ich am 27. März 2015 dahingehend aufgeklärt ‚dass ‚dumme Leute (...) dumme Dinge (glauben). Man kann ihnen alles verkaufen – auch Eurorettung, Aufschwünge, den ESM und Klimawandel’. Bereits am 24. März wurde deutlich gemacht, dass Markus Rohmberg und ich selbst wohl zu diesen dummen Leuten gerechnet werden müssen. Ich zähle diese Beispiele nicht auf, um die Verteidigungsbereitschaft von PEGIDA zu demonstrieren, sondern lediglich den verblüffenden Eklektizismus der Themen und Argumentationen vorzuführen.
Interessant ist doch, dass man hofft den Autor eines Artikels, der im Kern den voreiligen und verworrenen Umgang von Wissenschaft, Politik und Medien mit einer Organisation, die krude, verworrene Thesen vertritt kritisiert, mit einem ebenso kruden Argumenten bekehren zu können.

Der Bart ist ab, stattdessen trägt er Sonnenbrille, kürzlich trat er sogar im Anzug auf. Der Fall von PEGIDA-Gründer Lutz Bachmann scheint nach nur wenigen Monaten vergessen. Nachdem auch seine Vorstrafen medienwirksam an die Öffentlichkeit geraten waren, musste er am 21. Januar 2015 das Handtuch werfen. Die Bewegung schien erledigt, doch wer sich freut, hatte sich wohl doch getäuscht. Schnell suchte Bachmann wieder den Kontakt zu seinen Anhängern. Bereits einen Monat nach seinem Rücktritt, sprach er wieder auf Kundgebungen, ist seitdem gern gesehener Gast bei Demonstrationen in anderen Städten und sprach im April auch vor dem groß angekündigten Auftritt von Geert Wilders. Es bleibt also abzuwarten, welche Bilder noch gefunden werden müssen, um Bachmann dauerhaft in die Schranken zu weisen.
Der Bart ist ab, stattdessen trägt er Sonnenbrille, kürzlich trat er sogar im Anzug auf. Der Fall von PEGIDA-Gründer Lutz Bachmann scheint nach nur wenigen Monaten vergessen. Nachdem auch seine Vorstrafen medienwirksam an die Öffentlichkeit geraten waren, musste er am 21. Januar 2015 das Handtuch werfen. Die Bewegung schien erledigt, doch wer sich freut, hatte sich wohl doch getäuscht. Schnell suchte Bachmann wieder den Kontakt zu seinen Anhängern. Bereits einen Monat nach seinem Rücktritt, sprach er wieder auf Kundgebungen, ist seitdem gern gesehener Gast bei Demonstrationen in anderen Städten und sprach im April auch vor dem groß angekündigten Auftritt von Geert Wilders. Es bleibt also abzuwarten, welche Bilder noch gefunden werden müssen, um Bachmann dauerhaft in die Schranken zu weisen.

Ich denke aber der Eklektizismus hat noch eine tiefere Bedeutung. Möglicherweise handelt es sich hier um ein kleines Lehrstück über das Schicksal einer sozialen Bewegung im status nascendi, die kaum entstanden und noch nicht gefestigt in den Fokus öffentlicher Berichterstattung gerät. Soziale Bewegungen bilden sich häufig aus einem bestimmten Anlass z.B. ein wahrgenommenes oder tatsächliches Problem, dass in der Wahrnehmung oder tatsächlich durch die etablierten Akteure nicht genug beachtet wird. Nun liegt es in der Natur der Sache, das solche Probleme zu Anfangs noch nicht klar umrissen sind. Auch die Mitglieder der neuen Organisation haben noch keine Linie gefunden. Die Bedeutung angrenzender oder verwandter Probleme ist noch nicht diskutiert.

Vielleicht lohnt es sich darüber nachzudenken welche Konsequenzen es für eine Bewegung haben kann, wenn solche normalen Findungsprozesse coram publico stattfinden. Dass, wie im Fall von PEGIDA ein wirres Bild, ein Konglomerat aus Vorurteilen, Ängsten, Verschwörungstheorien und Rassismen herauskommt, dass hoffentlich abschreckend wirkt muss niemand bedauern. Wenn aber jede soziale Bewegung, wie z.B. das Beispiel der Piraten-Partei zeigt Gefahr läuft ins Kreuzfeuer eines medialen Aufmerksamkeitsrambazambas zu geraten und nach kurzem Hype um so drastischer abzustürzen muss die Frage gestellt werden, welche neuen Formen politischer Beteiligung überlebensfähig sind. Es steht zumindest zu befürchten, dass die kurzfristige ‚Aktion’ zugunsten des langfristigen Aufbaus von ‚Struktur’ bevorzugt wird. 

 
Vielleicht bleibt als einziger Ausdruck sozialer oder politischer ‚Aktion’ dann wirklich nur noch der gefilmte Griff zum ‚Icebucket’: Das ist harmlos, wenn es sich um Eiswasser handelt. Gefährlich kann es werden, wenn es sich um ‚braune Sauce’ handelt.

Titelbild: Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-

Westfalen / flickr.com (CC BY-SA 2.0)

Bilder im Text: blu-news.org / flickr.com (CC BY-SA 2.0)


Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. Alexander Ruser

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm & Alina Zimmermann

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