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Selbstdistanzierung als Strategie

Unterwandernde Anführungszeichen

Der Umgang mit den Anführungszeichen im engeren wie weiteren Sinn will gelernt sein, und vermutlich ist es keine Lösung, postmodern alles nur noch als Zitat aufzufassen und Eigenes und Nicht-Eigenes unterschiedslos ineinanderfließen zu lassen.

Dr. Joachim Landkammer
Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis
 
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    Zur Person
    Dr. Joachim Landkammer

    Dr. Joachim Landkammer wurde 1962 geboren und studierte in Genua und Turin. Nach seinem dortigen Philosophiestudium, abgeschlossen mit einer Arbeit über
    den frühen Georg Simmel und einer ebenfalls in Italien durchgeführten Promotion über den Historikerstreit, hat Joachim Landkammer als Assistent und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. W. Ch. Zimmerli an den Universitäten Bamberg, Marburg und Witten/Herdecke gearbeitet. Seit 2004 ist er Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Zeppelin Universität und Verantwortlicher des ZU-artsprogram für den Bereich Musik.

    Joachim Landkammer arbeitet neben seiner Lehrtätigkeit und einer gewissen journalistischen Textproduktion an verschiedenen interdisziplinären Themen in
    den Anwendungs- und Grenzbereichen der Philosophie, der Ästhetik und der Kulturtheorie. Ein dezidiertes Interesse gilt dem Dilettantismus und der Kunst- und Musikkritik.  

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Sind so kleine Striche… Zwei unscheinbare winzige Häkchen nur, entweder so: „oder so: “ – und doch kann von ihrem Fehlen oder Vorhandensein sehr viel abhängen. Anführungszeichen – deutlicher im Englischen: „quotation marks“ – eröffnen der Sprache eine Meta-Ebene und ermöglichen dem Sprechenden eine Sprecherposition zweiter Ordnung, mit der er über das Sprechen anderer sprechen kann – beziehungsweise muss, wenn er deutlich machen will, dass er selbst nur der Bote, der Überbringer, nicht der Verantwortliche der Nachricht und nicht der Vertreter der wiedergegebenen Meinung ist. Das fremde Reden im eigenen Reden von diesem Reden zu unterscheiden, ist bekanntlich überall dort Pflicht, wo Texte von einem Autor präsentiert werden, die als Produkte eigenen und deswegen „originellen“ Nachdenkens wahrgenommen und bewertet werden wollen – also zum Beispiel in Hausarbeiten und anderen akademischen Texten. Deswegen können dort fehlende Anführungszeichen schon den Tatbestand des Plagiats erfüllen, wenn wörtliche Zitate aus anderen Publikationen sprachliche Einfälle des Zitierenden vortäuschen. Die oft scheinheilig dazugesetzte Nennung der „Quelle“ ist da zu wenig: Erst die an- und abführenden Satzzeichen legen restlos offen, was nur woanders im Wortlaut abgekupfert wurde.

Achtung, ich zitiere gerade nur! Die beschwichtigende Geste der „air quotes“ ist nicht nur amerikanischen Ex-Präsidenten-Gattinnen, sondern auch heutigen US-Präsidenten geläufig. Vielleicht ist es auch erst in der Ära einer totalen, nichts nie vergessenden Öffentlichkeit unabdingbar, beim Reden vor laufenden Kameras auch visuell deutlich zu machen, dass die/der, die/der hier gerade spricht, nicht selbst spricht.
Achtung, ich zitiere gerade nur! Die beschwichtigende Geste der „air quotes“ ist nicht nur amerikanischen Ex-Präsidenten-Gattinnen, sondern auch heutigen US-Präsidenten geläufig. Vielleicht ist es auch erst in der Ära einer totalen, nichts nie vergessenden Öffentlichkeit unabdingbar, beim Reden vor laufenden Kameras auch visuell deutlich zu machen, dass die/der, die/der hier gerade spricht, nicht selbst spricht.

Eine unliebsame Identifikation mit den realen Urhebern einer sprachlichen Wendung müssen aber auch andere Anführungszeichen-Vergesser befürchten. Am 8. Juli stand in der FAZ als großer Aufmacher-Titel der ersten Seite: „AfD-Spitze befürchtet Unterwanderung durch Rechtsextremisten“ – und erst im Text wurde das Verb „unterwandern“ dann deutlich per Anführungszeichen als wörtliches Zitat aus einem Schreiben des AfD-Vorstands gekennzeichnet. Nun wird es wohl wenig Leser dieser Zeile gegeben haben, die auch die Anführungszeichen-freie Headline nicht anders als mit Schmunzeln lesen konnten – und wahrscheinlich gleich mit vergleichbaren satirischen Titel-Variationen bei der Hand waren: „SPD-Vorstand in Panik: echte Linke an der Parteibasis aufgespürt!“, oder „Söder beunruhigt: viele Kirchgänger wählen CSU!“, oder „Skandal bei den Grünen: radikale Mülltrennungsbefürworter in den eigenen Reihen!“ – und so weiter. Gleichwohl hätten ein paar Anführungszeichen der Titelformulierung gut getan, wie der prompt eintreffende Protest vieler Politiker gezeigt hat; auch wenn FAZ-Mitherausgeber Jürgen Kaube in seiner am Tag darauf nachgeschobenen Feuilleton-Glosse natürlich Recht hat, wenn er darauf hinweist, dass die Distanzierung seiner Zeitung von dieser Formulierung aus dem Text selbst erkennbar war und dass man eben in einer Zeitung, anders als bei Twitter, schon mehr lesen müsse als nur die Überschrift.

Unabhängig von der Frage nach dem (politisch) korrekten Zitieren handelt es sich aber interessanterweise bei der Behauptung der „Unterwanderung“ selbst um eine selbst-distanzierende, „sich von sich selbst“ unterscheidende Maßnahme. Wenn eine Organisation behauptet, sie werde „unterwandert“, versucht sie eine Distanz herzustellen und einen Unterschied zu markieren zwischen dem „Eigenen“ (dem guten, demokratischen, gemäßigten AfD-Teil) und dem „Fremden“, eben diesen unterwandernd-eingewanderten „Rechtsextremisten“. Die AfD wiederholt also innerhalb der eigenen Sphäre (und konform mit ihrem verschwörungstheoretisch aufgeheizten Weltbild) ihre ja auch anderswo bewährt proklamierte Unterscheidung zwischen denen, die wirklich dazugehören, und denen, die unrechtmäßig dorthin eingeschlichen sind, wo sie nichts verloren haben (Systemtheoretikerinnen und Systemtheoretiker würden vielleicht vom „re-entry“ der Außenunterscheidung des Systems in seine Innenverhältnisse sprechen).


Die Glaubhaftigkeit solcher Aussagen lässt sich, was immer dazu der Verfassungsschutz womöglich auch noch zu sagen hat, an der moralischen Glaubwürdigkeit analoger Aussagen messen, die man ja nur allzu gut aus alltäglichen selbst-distanzierenden Rechtfertigungen kennt, wie etwa „Das bin/war nicht ich – das ist/war der Alkohol“. Wie gerne würde man oft sagen, man sei doch nur „unterwandert“ worden: vom Jähzorn, von der Wut, von der Angst, von der Liebe, überhaupt natürlich von allen „Emotionen“ – nur um ein besseres und heiles Ich klar separieren zu können von dem bösen Ich, das für jenen Unfug und Unsinn verantwortlich gemacht wird, den das unbescholtene gute Ich gleichzeitig aber rehabilitieren soll. Geteiltes Selbst, geheiltes Selbst: Solche Selbst-Distinktionen halten die eigentlich naheliegende, aber peinliche Frage fern, wie es denn geschehen konnte und ob es denn wirklich nur purer Zufall war, dass ausgerechnet dieses gute, unschuldige Ich so heimtückisch „heimgesucht“ wurde vom Alkohol oder von den bösen Gefühlen – so wie eben auch die „Unterwanderung“ der AfD (wenn das denn dann noch das richtige Wort ist) ohne eine ur-eigene, im innersten geistigen Zentrum dieser Partei situierte Attraktivität für Rechtsextreme nicht zu erklären sein wird.

Ein Verbot auf einem Schild als Zitat? Was soll uns das sagen, wenn uns die „Gänsefüßchen“ doch zunächst vor die schwierige Fragen stellen, wer das wann, wo, wozu, zu wem und mit welchem Recht gesagt haben könnte? Vielleicht ist es nur ein Beispiel aus einer Sammlung von witzigen behördlichen Stilblüten (Was soll bitte eine „winterliche Betreuung“ sein? Schaut da der Weihnachtsmann vorbei?). Vorschlag: nicht lang darüber nachdenken, sondern „in dieser Zeit“ einfach weiter skaten.
Ein Verbot auf einem Schild als Zitat? Was soll uns das sagen, wenn uns die „Gänsefüßchen“ doch zunächst vor die schwierige Fragen stellen, wer das wann, wo, wozu, zu wem und mit welchem Recht gesagt haben könnte? Vielleicht ist es nur ein Beispiel aus einer Sammlung von witzigen behördlichen Stilblüten (Was soll bitte eine „winterliche Betreuung“ sein? Schaut da der Weihnachtsmann vorbei?). Vorschlag: nicht lang darüber nachdenken, sondern „in dieser Zeit“ einfach weiter skaten.

Es ist eben so eine Sache mit der Selbst-Distanzierung. Der Umgang mit den Anführungszeichen im engeren wie weiteren Sinn will gelernt sein, und vermutlich ist es keine Lösung, postmodern alles nur noch als Zitat aufzufassen und Eigenes und Nicht-Eigenes unterschiedslos ineinanderfließen zu lassen. Das mit der Abhebung des Fremden vom Eigenen verbundene Wechseln auf die Meta-Ebene ist nichts als eine Methode, allerdings eine hocheffektive und vielseitig einsetzbare. Dies erhellt wohl am ehesten durch die Gegensätzlichkeit der Anwendungsfolgen bei jeder Form des Sich-von-Sich-Unterscheidens und des „Sich-selbst-in-Anführungszeichen-Setzens“: Wer in der Wissenschaft stillschweigend zitiert und behauptet: „Das sind meine Worte“ betrügt ebenso wie wer in der Parteipolitik lauthals auf die eigene Gefolgschaft deutet und ruft: „Das sind nicht meine Leute“.

Titelbild:
Prince Kassad / Eigenes Werk (Gemeinfrei) | Link

Bilder im Text: 

Gage Skidmore / Michelle Obama (CC BY-SA 2.0) | Link
Herzi Pinki / Eigenes Werk (CC BY-SA 4.0) | Link


Beitrag (mit Bildunterschriften): Dr. Joachim Landkammer
Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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Zeit, um zu entscheiden

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