Inflation

Im Geisterhaus der Geldpolitik

von Prof. Dr. Marcel Tyrell | Zeppelin Universität
08.12.2021
Sofern jedoch die Inflation hartnäckig ist, sollte eine Zentralbank durch eine stabilitätsorientierte striktere Geldpolitik frühzeitig ein Zeichen setzen, dass sie die Inflationsbekämpfung trotz aller neuer Abhängigkeiten ernst nimmt.

Prof. Dr. Marcel Tyrell
Gastprofessur für Economics of Financial Institutions
 
  •  
    Zur Person
    Prof. Dr. Marcel Tyrell

    Seit 2009 leitete Prof. Dr. Marcel Tyrell das Buchanan Institut für Unternehmer- und Finanzwissenschaften an der Zeppelin Universität. Vorher lehrte er unter anderem an der Universität Frankfurt, der University of Pennsylvania und der European Business School. Schwerpunktmäßig forscht er zu Veränderungen von Finanzsystemstrukturen, mikro- und makroökonomischen Auswirkungen von Finanzkrisen und der Verschuldungsdynamik von Volkswirtschaften. 2017 übernahm er den Lehrstuhl Banking and Finance an der Universität Witten/Herdecke und blieb der Zeppelin Universität als Gastprofessor für Economics of Financial Institutions erhalten.

  •  
    Mehr ZU|Daily
    Nur eine Illusion
    Leistungsvergleiche haben zu einer globalen Bildungsreform geführt. Damit verbunden ist die Erwartung, dass auch die durchschnittlichen Schülerleistungen besser werden. Die Folgen von Pisa und Co. überprüft nun ein Forschungsteam um ZU-Seniorprofessor Richard Münch.
    Investition in die Zukunft?
    Wer Compliance-konform handelt, hält sich an Recht und Gesetz. Doch die besten Regeln bringen nichts, ohne eine an Werten orientierte moralische Unternehmenskultur, erklärt ZU-Professor Dr. Josef Wieland.
    Das Comeback der Inflation?
    Ein Gespenst geht um in Europa: die Inflation. Wie real ist die Gefahr? Was kommt auf die Verbraucher zu? Und wie reagieren die Notenbanken? Eine tiefschürfende Analyse von ZU-Professor und Ökonom Alexander Eisenkopf.
  •  
     
    Hä...?
    Haben Sie Fragen zum Beitrag? Haben Sie Anregungen, die Berücksichtigung finden sollten?
    Hier haben Sie die Möglichkeit, sich an die Redaktion und die Forschenden im Beitrag zu wenden.
  •  
    Teilen

Die Inflation ist in Deutschland im November auf etwas über 5 Prozent gestiegen und damit so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Zudem lassen jüngste Äußerungen von führenden Zentralbankern wie Jerome Powell – dem Präsidenten der amerikanischen Notenbank Federal Reserve, der gerade vor seiner zweiten Amtszeit steht – erkennen, dass immer mehr Notenbanker die Gefahr sehen, dass sich die Inflation hartnäckiger hält als ursprünglich erwartet wurde. Auch die Zentralbanker in der Europäischen Zentralbank (EZB) werden zunehmend vorsichtiger in der Vorhersage, wie lange sich die im Gesamt-Euroraum auf fast 5 Prozent gestiegene Inflation auf hohem Niveau halten wird. Zwar betont EZB-Chefin Christine Lagarde weiterhin, dass ihres Erachtens die momentan zu beobachtende Inflationsrate nächstes Jahr relativ schnell wieder auf das angestrebte Niveau um die 2 Prozent sinken wird, allerdings konstatierte die EZB-Direktorin Isabel Schnabel erst kürzlich, es wäre voreilig zu behaupten, dass die derzeitige Preisdynamik im nächsten Jahr vollständig abklingen wird.


Sollten wir uns somit auf eine dauerhafte Inflation einstellen? Und wie könnte die vierte Welle der Corona-Pandemie sowie die unter Umständen sich durchsetzende neue Omikron-Variante des Coronavirus die Inflationsgefahr beeinflussen? Diesen Fragen widmet sich der folgende Beitrag.


Um der Beantwortung der Frage näher zu kommen, ob die mit der jetzigen Inflation verbundene Geldentwertung ein dauerhaftes Phänomen ist, lohnt es sich, die Ursachen der jetzigen Inflationsdynamik näher zu betrachten. Eine der Hauptursachen hat direkt mit der Corona-Pandemie zu tun. Nachdem das Virus sich im Frühjahr 2020 rasant gerade in den entwickelten Ländern verbreitete, kam es in der Folge zu einem plötzlichen starken Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität weltweit, der in vielen Länder rezessive wirtschaftliche Tendenzen hervorrief. Sowohl das gesamtwirtschaftliche Angebot an Gütern und Dienstleistungen als auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage brach ein. Der Rückgang des Angebots war dabei in erster Linie auch eine Folge der massiven Störungen globaler Lieferketten, während die geringere gesamtwirtschaftliche Nachfrage sich vorwiegend aus negativen Erwartungen und einer gestiegenen Unsicherheit hinsichtlich der zukünftigen wirtschaftlichen Zukunft sowie aus pandemie-bedingten Restriktionen der Konsummöglichkeiten privater Haushalte speiste.


Außergewöhnliche Maßnahmen der Geld- und Finanzpolitik – also neue Anleihen-Ankaufprogramme, eine lockere Geldpolitik und umfassende, durch Staatsverschuldung finanzierte Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen und Privathaushalte – wurden implementiert, um die negativen Angebots- und Nachfrageschocks abzufedern und zudem der Gefahr einer drohenden Deflation vorzubeugen. Dies alles hatte dazu beigetragen, dass der Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität in Grenzen gehalten werden konnte, sich keine Abwärtsspirale entwickelte und die Gesamtwirtschaft sich relativ schnell erholte. Fortschritte in der Pandemie-Bekämpfung durch die äußerst rasche Entwicklung von Impfstoffen gegen das Virus taten ihr Übriges dazu.

Es ist ein absoluter Preisschocker für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland: Im November 2021 stiegen die Verbraucherpreise hierzulande gegenüber dem Vorjahresmonat um 5,2 Prozent. Für die hohen Inflationsraten seit Juli 2021 verantwortlich sind unter anderem Basiseffekte, die auf die coronabedingte Senkung der Mehrwertsteuer vor einem Jahr und den damit einhergehenden sinkenden Preisen bei vielen Gütern zurückzuführen sind. Im Vergleich zum Vorjahr sind zudem die Preise für Mineralölprodukte und andere energieerzeugende Rohstoffe stark gestiegen. Die Inflationsrate errechnet sich aus dem Preisanstieg bestimmter Waren und Dienstleistungen, für die ein durchschnittlicher Endverbraucher in Deutschland im Jahresverlauf Geld ausgibt. Dieser zugrunde liegende Produktwarenkorb wird durch das Statistische Bundesamt definiert. Hierin enthalten sind unter anderem Ausgaben für Lebensmittel, Bekleidung, Miete, Strom, Telekommunikation, Freizeitausgaben und Rohstoffe (etwa Benzin, Heizöl) sowie staatliche Gebühren und Steuern.
Es ist ein absoluter Preisschocker für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland: Im November 2021 stiegen die Verbraucherpreise hierzulande gegenüber dem Vorjahresmonat um 5,2 Prozent. Für die hohen Inflationsraten seit Juli 2021 verantwortlich sind unter anderem Basiseffekte, die auf die coronabedingte Senkung der Mehrwertsteuer vor einem Jahr und den damit einhergehenden sinkenden Preisen bei vielen Gütern zurückzuführen sind. Im Vergleich zum Vorjahr sind zudem die Preise für Mineralölprodukte und andere energieerzeugende Rohstoffe stark gestiegen. Die Inflationsrate errechnet sich aus dem Preisanstieg bestimmter Waren und Dienstleistungen, für die ein durchschnittlicher Endverbraucher in Deutschland im Jahresverlauf Geld ausgibt. Dieser zugrunde liegende Produktwarenkorb wird durch das Statistische Bundesamt definiert. Hierin enthalten sind unter anderem Ausgaben für Lebensmittel, Bekleidung, Miete, Strom, Telekommunikation, Freizeitausgaben und Rohstoffe (etwa Benzin, Heizöl) sowie staatliche Gebühren und Steuern.

Allerdings war damit auch die Saat einer aufkeimenden Inflation ausgebracht. Mit den sich rasant bessernden Konjunkturaussichten im Jahre 2021 erhöhte sich schlagartig auch die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, ohne dass das Angebot gleichermaßen wachsen konnte – denn der Produktionsprozess ließ sich nicht ebenso schnell wieder friktionsfrei aufbauen. Lieferketten waren und sind weiterhin gestört, Lieferengpässe bei zentralen Produktionskomponenten wie Elektrochips führen dazu, dass Güter unfertig auf Halde stehen. In Verbindung mit stark gestiegenen Energiekosten ergab sich dadurch ein Preisdruck seitens der Anbieter von Gütern und auch Dienstleistungen, der maßgeblich zur jetzigen Inflation beitrug. In Deutschland wurde diese Entwicklung noch durch Sondereffekte wie das Auslaufen der Mehrwertsteuersenkung verstärkt. Zudem hat der Klimawandel sowie Maßnahmen zu dessen Bekämpfung tendenziell preistreibend gewirkt. Was bedeutet dies für die Zentralbankpolitik in der heutigen Zeit?


Grundsätzlich zeigt sich, dass insbesondere den Zentralbanken in entwickelten Ländern in den vergangenen zwei Jahrzehnten vermehrt gerade seitens der Politik eine zentrale neue Rolle zugedacht wurde, nämlich die eines Versicherers gegen gesamtwirtschaftliche Turbulenzen in schweren Finanz- und Wirtschaftskrisen. Diese Rolle haben sie aus vielfältigen Gründen, die von einem veränderten Selbstverständnis bis hin zu einem massiven Druck von Politik und Öffentlichkeit reichen, angenommen, was sie jetzt jedoch in ein Dilemma geraten lässt. Denn eine konsequente Inflationsbekämpfung, sofern die Inflation hartnäckig wäre, würde zum ersten eine Beendigung der Anleiheprogramme und zum zweiten eine Umkehr in der Zinspolitik mit Erhöhung der Leitzinsen erfordern. Dass dies mit negativen Effekten für das Wirtschaftswachstum einhergehen könnte – da es die Finanzierung von Staatshaushalten, Unternehmen und Privathaushalten verteuern würde – ist offensichtlich. In Verbindung damit, dass das neue Rollenverständnis von Zentralbanken eine größere Abhängigkeit von Regierungen und Finanzmärkten zur Folge hatte, befinden sich die Zentralbanken somit in einer schwierigen Abwägungssituation: Falls der Inflationsdruck nur vorübergehend ist, wäre eine strukturelle Veränderung der Geldpolitik kontraproduktiv und hätte gegebenenfalls langfristige nachteilige Folgen für die konjunkturelle Erholung.

Sofern jedoch die Inflation hartnäckig ist, sollte eine Zentralbank durch eine stabilitätsorientierte striktere Geldpolitik frühzeitig ein Zeichen setzen, dass sie die Inflationsbekämpfung trotz aller neuer Abhängigkeiten ernst nimmt. Dadurch kann sie die zukünftige Inflationserwartung beeinflussen, denn eine dauerhafte Inflation ist von Erwartungen getrieben. Wenn die Wirtschaftssubjekte in ihrer Mehrheit eine Inflation erwarten, werden sie ein Verhalten an den Tag legen, nämlich Kaufentscheidungen aufgrund der zukünftigen Geldentwertung vorzuziehen, welches dann aufgrund der großen Nachfrage genau den Preisdruck erzeugt, der ursprünglich erwartet wurde.


Diese selbsterfüllende Eigenschaft von Inflation macht die Erwartungssteuerung so zentral, aber auch so schwierig. Denn sobald sich Inflationserwartungen verfestigt haben, ist eine Lohn-Preis-Spirale nahezu unvermeidlich. Arbeitnehmer könnten höhere Löhne und Gehälter durchsetzen, um verlorene Kaufkraft zurückzugewinnen, worauf Unternehmen wiederum mit Preiserhöhungen reagieren würden, um die höheren Produktionskosten auszugleichen. Eine solche Lohn-Preis-Spirale hat in Deutschland deshalb noch nicht eingesetzt, weil nur wenige Lohnrunden momentan zur Verhandlung anstehen. Ein Großteil der Abschlüsse stammt aus der ersten Jahreshälfte 2021 – als noch keine hohe Inflationsgefahr gesehen wurde – und hat Laufzeiten von mindestens zwei Jahren.


Vor diesem Gesamthintergrund der Inflationsdynamik sieht es seit ungefähr vier Wochen so aus, als ob die amerikanische Federal Reserve die Wahrscheinlichkeit für eine Persistenz der Inflation höher einschätzt als die EZB und deshalb eine Umkehr in der Geldpolitik mit Macht einleitet, während die EZB (noch) eine gegenteilige Einschätzung vertritt und folgerichtig ihren bisherigen geldpolitischen Pfad beibehält. Allerdings sollten hochaktuell auch die vierte Pandemie-Welle sowie die Unsicherheiten in Bezug auf die Omikron-Variante ins Kalkül einbezogen werden. Die Heftigkeit, mit der die vierte Welle und ihre Folgen die wirtschaftliche Aktivität aktuell in vielen entwickelten Ländern negativ beeinflusst sowie das gesellschaftliche Leben beeinträchtigt, hat die meisten Menschen negativ überrascht. Zudem gibt die Omikron-Variante zu Befürchtungen Anlass, dass die Pandemiebekämpfung zunehmend schwieriger wird. Denkbar ist somit, dass diese negativen Entwicklungen eine zunehmende Unsicherheit seitens der Konsumenten zur Folge haben werden, die – wie zu Beginn der Pandemie – die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen stark reduziert. Die fehlende Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage würde sich damit reduzieren und den Preisdruck verringern.


Dies hängt allerdings davon ab, ob es zu einer generellen Kaufzurückhaltung kommt. Sofern die Privathaushalte – wie in Amerika zu Beginn der Pandemie – aufgrund der verschärften Pandemie-Situation sich im Konsum wieder stärker auf Güter und weniger auf personenbezogene Dienstleistungen konzentrieren, könnte dies aufgrund der Lieferengpässe zu stärker steigenden Preisen und damit zu zusätzlichem Inflationsdruck führen. Falls jedoch die wirtschaftlichen Aktivitäten insgesamt zurückgefahren werden, da Unternehmen und Konsumenten generell Kaufentscheidungen aufschieben, wäre es möglich, dass insgesamt Zeit gewonnen werden könnte, um Lieferengpässe abzubauen. Zudem würden dann – was man jetzt schon beginnt zu beobachten – die Energiepreise stark sinken. Der Inflationsdruck würde stark nachlassen und auch die Inflationserwartungen wären gedämpft.

Meines Erachtens verschiebt sich gerade in Europa die Tendenz in diese Richtung. Die Inflation ist dann auf kurze Sicht ein vorübergehendes Phänomen und die EZB hätte mit ihrer Zurückhaltung in Bezug auf Inflationsbekämpfung insgesamt richtig gelegen. Aber das bedeutet nicht, dass auf längere Sicht Inflationsgefahren gebannt sind. Ob sich die EZB aus der Umklammerung der Politik lösen kann, wird sich dann zeigen, wenn die Pandemie insgesamt erfolgreich bekämpft ist.

Titelbild: 

| Paul Fiedler / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bild im Text: 

| Jannik Selz / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Marcel Tyrell

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

2
2
 
Leserbrief

Haben Sie Anmerkungen zum Beitrag?
Ihre Sichtweise ist uns wichtig! Der Leserbrief gelangt direkt in die Redaktion und wird nach Prüfung veröffentlicht.
Vielen Dank für Ihr Verständnis!

Antwort auf:  Direkt auf das Thema antworten

 
Zeit, um zu entscheiden

Diese Webseite verwendet externe Medien, wie z.B. Videos und externe Analysewerkzeuge, welche alle dazu genutzt werden können, Daten über Ihr Verhalten zu sammeln. Dabei werden auch Cookies gesetzt. Die Einwilligung zur Nutzung der Cookies & Erweiterungen können Sie jederzeit anpassen bzw. widerrufen.

Eine Erklärung zur Funktionsweise unserer Datenschutzeinstellungen und eine Übersicht zu den verwendeten Analyse-/Marketingwerkzeugen und externen Medien finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.