Kuratorische Ersterfahrung

Brücke zwischen Solidarität und Radikalität

von Lilli Schreiber | freie Autorin
12.12.2022
Die Kursteilnehmer:innen sind sich einig, dass radikale Ansätze nur dann nachhaltig und vor allem fruchtbringend sind, wenn sie auf solidarischen Akten gründen, die ihrerseits nur durch Kollektivität hervorgebracht werden können.

Lilli Schreiber
ZU-Studentin im Bachelor-Studiengang „Communication, Culture and Management“
 
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    Zur Person
    Lilli Schreiber

    Nach zwei insgesamt sechsmonatigen Journalismuspraktika in den Lokalredaktionen der Appenzeller Zeitung und dem Ressort der Stadt St.Gallen innerhalb des Mantelteils des St.Galler Tagblatts befindet sich Lilli Kim Schreiber inzwischen in ihrem dritten Fachsemester des Bachelorstudiums „Communication, Culture & Management“ an der Zeppelin Universität. Neben ihrer bisher erbrachten Studienzeit arbeitet sie auch weiterhin als freie Journalistin für das St.Galler Tagblatt sowie seit kurzem auch für das universitäre Online-Magazin ZU|Daily. Innerhalb ihres Studiums schlägt Lilli Schreiber einen Mittelweg zwischen den Kommunikations- und Kulturwissenschaften ein und interessiert sich neben journalistischen Praktiken auch stark für qualitative Forschung im Bereich der Kultursoziologie. Gegenwärtig bringt sie sich in der Initiativenlandschaft der Zeppelin Universität mit der Organisation des jährlichen Literaturwettbewerbs „ZU LitContest“ und dem studentischen Online-Magazin „futurdrei“ ein.

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Im Rahmen des anwendungsbezogenen Kurses „Kuratorisches Praxisprojekt“ und über einen Zeitraum von rund drei Monaten hinweg haben sich die Studierenden unter der Leitung von ZU-Kunstwissenschaftlerin Professorin Dr. Karen van den Berg, artsprogram-Kuratorin Rahel Spöhrer und Massimiliano Mollona vom Institute of Radical Imagination in London mit dem Konzept einer eigenen Ausstellung beschäftigt.


Die wöchentlichen Sitzungen wurden ausschließlich in der White Box abgehalten – genauer gesagt in der aktuellen Installation „Sanctuary Dome“ der niederländischen Künstlerin Jeanne van Heeswijk, ein Zelt, das Teil des artsprogram-Jahresthemas „Weaving Dreams into Realities“ ist. Die Studierenden wurden dabei zunächst mit theoretischen Konzepten, Filmen, Texten und Diskussionen zum Oberthema „Moving Images–Radical Assemblies“ konfrontiert.


In den weiteren Sitzungen wurde intensiv in den sechs vorgegebenen kuratorischen Einzelgruppen – Film der Arbeiterklasse, Feministischer Film, Queeres Kino, Digitale Diaspora, Indigenität, Ökologie – gearbeitet, Konzepte entworfen und erste Recherchen zu potenziellen Künstler:innen betrieben. Parallel dazu haben sich die studentischen Kurator:innen in organisatorischen Teams zusammengefunden: von Gesamtleitung und Finanzierung über Technik und Raumplanung bis hin zu Kommunikation und Marketing sowie Eventplanung und Künstlerbeherbergung.

Die Ausstellung stand ganz im Sinne von „Moving Images“ im Zeichen der Videokunst. Doch das Konzipieren und Kuratieren einer auf das Medium Bewegtbild beschränkenden Ausstellung und besonders die Akquise potenzieller Künstler:innen erwies sich für die studentischen Kurator:innen als Herausforderung, zumal die inszenatorische Arbeit für einen Großteil der Kursteilnehmer:innen gänzlich Neuland bedeutete.

Die 22 Studierenden des von Rahel Spöhrer (2. v. l.) und Massimilano Mollona (l.) co-geleiteten Kurses „Kuratorisches Praxisprojekt“ haben während eines Semesters erste Erfahrungen und Einblicke in die inszenatorische und dramaturgische Arbeit für eine Kunstausstellung bekommen. Das Endprodukt zum Oberthema „Moving Images – Radical Assemblies“ war während zwei Abenden im Rahmen einer Vernissage mit zahlreichen Programmpunkten auf dem ZF Campus der ZU zu sehen.
Die 22 Studierenden des von Rahel Spöhrer (2. v. l.) und Massimilano Mollona (l.) co-geleiteten Kurses „Kuratorisches Praxisprojekt“ haben während eines Semesters erste Erfahrungen und Einblicke in die inszenatorische und dramaturgische Arbeit für eine Kunstausstellung bekommen. Das Endprodukt zum Oberthema „Moving Images – Radical Assemblies“ war während zwei Abenden im Rahmen einer Vernissage mit zahlreichen Programmpunkten auf dem ZF Campus der ZU zu sehen.

Zahlreiche Treffen sowohl der kuratorischen als auch der organisatorischen Teams brauchte es da, um das Kunstprojekt zu realisieren. In der Hochphase des Projektes, die vier Wochen vor der Ausstellungseröffnung startete, organisierte die Einzelgruppe „Film der Arbeiterklasse“ als Pre-Event ein Screening des Kinoklassikers „Trainspotting“ aus dem Jahre 1996, verfasste Poster sowie Saal- und Broschürentexte und entwarf ein gemeinsames Überkonzept, das die einzelnen kuratorischen Ausstellungsräume thematisch verknüpfte.


Eine eigens eingerichtete Task Force von Studierenden aus unterschiedlichen kuratorischen Einzelgruppen erarbeitete und erstellte ein gemeinsames Konzept, das auf dem Solidaritätsgedanken fußte und die gemeinschaftsstiftende Installation „Sanctuary Dome“ zum Herzstück der Ausstellung erklärte. An den beiden Ausstellungsabenden wurde das ehemals in Philadelphia (USA) erbaute Zelt unter anderem für Künstlergespräche mit dem Bildenden Künstler Jared João Alexander und dem Videokünstler Amilcar Packer sowie dessen Filmvorstellung öffentlich genutzt.

Rund drei Tage vor der Ausstellung begannen die kuratorischen Einzelgruppen ihre Ausstellungsräume einzurichten – neben der White Box auch den Turm der Turbulenzen, die Black Box und den Tunnel auf dem ZF Campus der ZU. Die in diesem Zuge ebenfalls temporär an der Zeppelin Universität aufgebaute Kunstbar samt DJ-Pult und mehreren Sitzgelegenheiten war zugleich Informationspunkt, Austauschort sowie Ausgangspunkt der von den Studierenden organisierten Führungen in deutscher und englischer Sprache.


Bei den Führungen durch die kuratierten Räume mit Werken von insgesamt 13 internationalen Künstler:innen, darunter berühmte Arbeiten von Videokünstler:innen wie Pippi Lotti Rist, Liane Brandon, Francois Knoetze oder dem Filmemacher Danny Boyle, durchliefen Besuchende eine nicht nur in sich thematisch, sondern auch visuell geschlossene Ausstellung – und das trotz der stark voneinander abweichenden angesprochenen sozialen Kämpfe –, die sich radikalerweise nicht nur mit dem Medium Film zufriedengab.


Neben mechanischen, gesanglichen oder ASMR-Soundinstallationen, Düsterheit oder Grellheit in den unterschiedlichsten Farben, Bildschirmen oder Leinwänden, Öl- oder Acrylgemälden deckte die studentische Ausstellung weitere Medien und potenzielle Bedeutungsträger ab. Die Varietät von „Moving Images – Radical Assemblies“ ließ die Betrachter:innen über die mit Tape fixierten Kabelhaufen und an die Wand geklebten Titel der Ausstellungsräume leicht hinwegsehen.

Die studentisch kuratierte Ausstellung kondensierte sich rund um die Installation „Sanctuary Dome“ der niederländischen Künstlerin Jeanne van Heeswijk. Die kuratorische Einzelgruppe „Feministischer Film“ bespielte die Fläche rund um den Dome mit Videoarbeiten der beiden feministischen Künstlerinnen Pippi Lotti Rist und Liane Brandon. Zusätzlich schickten die vier studentischen Kuratorinnen Besucher:innen auf eine historische Zeitreise durch die Geschichte feministischer Errungenschaften.
Die studentisch kuratierte Ausstellung kondensierte sich rund um die Installation „Sanctuary Dome“ der niederländischen Künstlerin Jeanne van Heeswijk. Die kuratorische Einzelgruppe „Feministischer Film“ bespielte die Fläche rund um den Dome mit Videoarbeiten der beiden feministischen Künstlerinnen Pippi Lotti Rist und Liane Brandon. Zusätzlich schickten die vier studentischen Kuratorinnen Besucher:innen auf eine historische Zeitreise durch die Geschichte feministischer Errungenschaften.

Die durchweg positive Resonanz schlug sich nicht zuletzt darin nieder, dass viele Besucher:innen die zu jedem Ausstellungsraum bereitliegenden Vision Cards nutzten. Die konzeptionelle Idee hinter den postkartengroßen und mit Fragen zu einem jeweils kuratorischen Unterthema bedruckten Karten war es, die Besucher:innen zu einer Art introspektiver Gedankenwerkstatt einzuladen.


Mit Fragen wie „Wo arbeiten wir als Gesellschaft hin?“ oder „Wie würden Sie als Frau gerne gesehen werden?“ nahmen die kuratierenden Studierenden die Besucher:innen mit auf eine radikale Suche nach Alternativen für bestehende Ungleichheiten, soziale Kämpfe und gegenwärtige Debatten. Die ausgefüllten Vision Cards wurden anschließend an eine der Fensterscheiben der Kunstbar angebracht und werden in die bevorstehende Publikation zur studentischen Ausstellung eingebunden.

Nicht nur das Realisieren der Ausstellung „Moving Images – Radical Assemblies“ hat die Studierenden stark herausgefordert. Insbesondere der Umgang mit den Themen und der Perspektiven, welche die ausschließlich weißen und privilegierten Studierenden bezüglich der größtenteils marginalisierten Gruppen eingenommen haben, wurden mehrfach überdacht und in einer kuratorischen Selbstreflexion aufgearbeitet.


Dass radikale Alternativen für bestehende Ungleichheiten, soziale Kämpfe und gegenwärtige Debatten in dieser Ausstellung nicht auf dem Servierteller gezeigt werden, dürfte jedem der Besucher:innen nach einem kurzen Blick in die Ausstellungsräume klar geworden sein. Da Radikalität etwas ist, was sehr stark positionsabhängig und in durchdachten Nuancen zu handhaben ist, haben sich die Studierenden bewusst dazu entschlossen, sich hier gemeinsam mit den Rezipient:innen auf die Suche nach Alternativen zu begeben. Die Kursteilnehmer:innen sind sich einig, dass radikale Ansätze nur dann nachhaltig und vor allem fruchtbringend sind, wenn sie auf solidarischen Akten gründen, die ihrerseits nur durch Kollektivität hervorgebracht werden können.

Titelbild: 
| Zalfa Imani / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

| Nikolas Beyer / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)


Beitrag (redaktionell unverändert): Lilli Schreiber

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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