Sie befinden sich im Archiv von ZU|Daily.

ZU|Daily wurde in die Hauptseite in den Newsroom unter https://www.zu.de/newsroom/daily/ integriert. Die neuesten Artikel seit August 2024 werden dort veröffentlicht. Hier finden Sie das vollständige Archiv aller älteren Artikel.

BürgerUniversität mit Gregor Gysi

Mauern einreißen

Wir Menschen haben die Neigung, zu sehen, was uns fehlt, nicht, was wir schon haben.

Gregor Gysi
Mitglied des Bundestages und langjähriger Fraktionsvorsitzender der Partei DIE LINKE im Bundestag
 
  •  
    Zur Person
    Gregor Gysi

    Gregor Gysi ist Präsident der Partei der Europäischen Linken, im Wahlkreis 84 Berlin-Treptow-Köpenick direkt gewählter Bundestagsabgeordneter und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Von 2005 bis 2015 war er zudem Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag. Von Ende 1989 bis 1993 war Gysi letzter Vorsitzender der SED-PDS und ihrer Nachfolgepartei PDS. Gysi wurde 1948 in Berlin geboren, lebt in Berlin-Pankow und ist Mitglied des 1. FC Union Berlin. 

  •  
    Mehr ZU|Daily
    Aus Solidarität ganz abschaffen!
    Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will den Solidaritätszuschlag für weite Teile der Bevölkerung abschaffen. Doch die Entlastung soll nicht für jeden gelten. ZU-Rechtsprofessor Georg Jochum sieht in dem Vorgehen einen Verfassungsbruch.
    Auf dem Gipfel der Demokratie
    Donald Trump, die AfD, rechte Demonstrationen. Naht das Ende der Demokratie? Tatsächlich spricht einiges dafür, dass der Gipfelpunkt der Demokratie erreicht ist. Was uns danach erwartet und welche Auswege noch bleiben, kommentiert ZU-Wissenschaftler Dietmar Schirmer.
    Wer braucht noch die East Side Gallery?
    Endspurt: Noch bis Ende Januar feilen ZU-Studierende an einem Konzept für eine nachhaltige Nutzung der East Side Gallery. Über das Praxisprojekt haben sie im November mit den Verantwortlichen in Berlin diskutiert.
  •  
     
    Hä...?
    Haben Sie Fragen zum Beitrag? Haben Sie Anregungen, die Berücksichtigung finden sollten?
    Hier haben Sie die Möglichkeit, sich an die Redaktion und die Forschenden im Beitrag zu wenden.
  •  
    Teilen

Die gegenwärtige Zeit sei von Verunsicherung geprägt, die Klarheit eines Kalten Krieges verschwunden. Diese Unsicherheit führt Gysi maßgeblich auf die herrschende Politik und ihre Protagonisten zurück: „Eine Roulettekugel ist im Vergleich zu Politikern wie Donald Trump eine sicher zu berechnende Größe.“ Doch die Unsicherheit gehe nicht nur von politischen Machtinteressen aus, auch die Digitalisierung hänge viele Menschen der Bevölkerung durch das rasante Tempo der technischen Entwicklung ab. Jedoch: „Diese digitale Herausforderung ist Chance und Risiko zugleich“, konstatiert Gysi. Der Mensch sei seit jeher kreativ und könne sich durch Schaffung und Erfindung neuer Arbeit schnell an Veränderungen anpassen.


Wichtig sei, so Gysi, die gerechte Verteilung von Arbeit. Doch auch hier gebe es Risiken: Der Trend gehe heute weg vom Büro, Homeoffice sei die neue Errungenschaft. Doch dass dies auch eine Vereinzelung des Menschen herbeirufe, werde häufig außer Acht gelassen. „So entsteht durch die Globalisierung mit der Digitalisierung ein Widerspruch, rückt die Welt augenscheinlich doch immer näher zusammen, wohingegen der Einzelne zunehmend isoliert wird. Dadurch wiederum bricht die Gemeinschaft auseinander.“

„Deutschland und Europa 30 Jahre nach dem Mauerfall – Verunsicherung und Perspektiven“ lautete das Thema, als Gregor Gysi am 15. November die BürgerUniversität der Zeppelin Universität in Friedrichshafen besuchte. Der gebürtige Berliner Gysi wurde vor 30 Jahren am 4. November 1989 mit seinem Auftritt vor einer halben Million Menschen auf der Massenkundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz zu einem prägenden Gesicht der politischen Linken während der Wende und in den folgenden Jahrzehnten. Zu seinen politischen Erfolgen gehörten der Übergang von der DDR-Staatspartei SED in die PDS und schließlich mit der Partei Die Linke die bundesweite Etablierung einer Partei links von SPD. Der promovierte Jurist gehört dem Deutschen Bundestag seit 1990 an, war zwischenzeitlich Berliner Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in einer SPD-PDS-Koalition, gewann seinen Bundestagswahlkreis Berlin-Treptow-Köpenick seit 2005 dreimal direkt und ist seit 2016 Präsident der Europäischen Linken.
„Deutschland und Europa 30 Jahre nach dem Mauerfall – Verunsicherung und Perspektiven“ lautete das Thema, als Gregor Gysi am 15. November die BürgerUniversität der Zeppelin Universität in Friedrichshafen besuchte. Der gebürtige Berliner Gysi wurde vor 30 Jahren am 4. November 1989 mit seinem Auftritt vor einer halben Million Menschen auf der Massenkundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz zu einem prägenden Gesicht der politischen Linken während der Wende und in den folgenden Jahrzehnten. Zu seinen politischen Erfolgen gehörten der Übergang von der DDR-Staatspartei SED in die PDS und schließlich mit der Partei Die Linke die bundesweite Etablierung einer Partei links von SPD. Der promovierte Jurist gehört dem Deutschen Bundestag seit 1990 an, war zwischenzeitlich Berliner Bürgermeister und Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in einer SPD-PDS-Koalition, gewann seinen Bundestagswahlkreis Berlin-Treptow-Köpenick seit 2005 dreimal direkt und ist seit 2016 Präsident der Europäischen Linken.

Gregor Gysi versteht es, noch so komplizierte Sachverhalte in klaren Konturen greifbar zu machen. Das rund 450-köpfige Publikum im Graf-von-Soden-Forum im ZF Campus der ZU lauscht gebannt seinen Ausführungen. Auf unterhaltsame Weise streut Gysi hie und da persönliche Erlebnisse und heitere Anekdoten ein. Doch der Ernst kehrt schnell wieder zurück, wenn Gysi sich die Weltpolitik vorknöpft: „G7, G8, G20: Wir haben momentan keine funktionierende Weltpolitik.“

 
Auf das dem Abend übergeordnete Thema – den Mauerfall 1989 – kommt Gregor Gysi zunächst anfangs, dann aber erst relativ spät wieder zu sprechen. „Es lag in der Luft und wäre eh passiert, doch der eigentliche Auslöser war ein Irrtum.“ Dass die Grenzöffnung auf einem Missverständnis beruhte, schildert Gysi mit Insider-Wissen: Günter Schabowski verkündete unwissend die Öffnung der Grenzen, die zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht vorgesehen war.

Dass heute überall Mauern errichtet werden – sei es zwischenmenschlich oder tatsächlich physisch als Abgrenzung –, sieht Gysi äußerst kritisch: „Eine Mauer verschafft im besten Falle eine vorübergehende Pause, das Problem verschwindet dadurch allerdings nicht.“ Weiter schildert Gysi, der Kapitalismus habe nach der Grenzöffnung nicht gesiegt, sondern sei lediglich übriggeblieben. Dieser Kapitalismus könne jedoch keinen Frieden sichern, keine soziale Gerechtigkeit garantieren. Heute arte der Kapitalismus mehr und mehr in einen zynischen Egoismus aus, doch „Egoismus ist keine Lösung“, betont Gysi.


In dieser Welt, in der die Globalisierung zu Vereinsamung führen kann, in der die Digitalisierung Menschen abhängt und in der der Egoismus in der Politik weitläufig auf der Tagesordnung steht, nimmt aus seiner Sicht die Religion wieder zunehmend eine wichtige Rolle ein. Gregor Gysi selbst glaubt zwar nicht an Gott, hat jedoch Angst vor einer glaubensfreien Gesellschaft. Denn erst durch die Religion, den Glauben an eine höhere Macht, entstehe eine allgemeinverbindliche Moral. Tradition, Kultur und Zusammenhalt entwickeln sich vor allem und gerade durch Religion, erläutert Gysi.


Bei all den Aspekten, die Gregor Gysi an diesem Abend anspricht, wird eines besonders deutlich: Die Themen, die vor 30 Jahren die Welt bewegten, wie etwa die Verteidigung der Demokratie und die Freiheit jedes einzelnen Menschen, sind heute aktueller denn je.

Titelbild: 

| Samuel Groesch / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)


Bild im Text: 

| Samuel Groesch / Zeppelin Universität (alle Rechte vorbehalten)


Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

8
8
 
 
Zeit, um zu entscheiden

Diese Webseite verwendet externe Medien, wie z.B. Videos und externe Analysewerkzeuge, welche alle dazu genutzt werden können, Daten über Ihr Verhalten zu sammeln. Dabei werden auch Cookies gesetzt. Die Einwilligung zur Nutzung der Cookies & Erweiterungen können Sie jederzeit anpassen bzw. widerrufen.

Eine Erklärung zur Funktionsweise unserer Datenschutzeinstellungen und eine Übersicht zu den verwendeten Analyse-/Marketingwerkzeugen und externen Medien finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.