Museen

Der Wandel zum Lifestyle-Ort

Ein Museum, das nicht forscht, ist tot.

Professor Dr. Martin Roth
 
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    Zur Person
    Professor Dr. Martin Roth

    1955 in Stuttgart geboren, studierte Professor Dr. Martin Roth unter anderem Empirische Kulturwissenschaften in Tübingen. Nach Forschungsaufenthalten in Paris und Los Angeles arbeitete er am Deutschen Historischen Museum, Berlin und leitete von 1991 bis 1998 das Deutsche Hygiene Museum, Dresden. 1996 übernahm Roth zusätzlich die Leitung der Themenausstellungen, Konferenzen und der Best Practice Projekte der Expo 2000 in Hannover. Von 2001 bis 2011 stand er als Generaldirektor den zwölf Museen der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden vor. In der Zeit zwischen 1996 und 2004 war er Präsident des Deutschen Museumsbundes.

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    Factbox
    Mehr zum Umbau des Viktoria and Albert Museums

    Das V&A, das sich im kulturellen Herz Londons, der Exhibition Road, befindet, steht vor einem großen Umbau. Von 2013 bis 2015 wird eine Untergrund-Gallerie entstehen, ein neuer öffentlich zugänglicher Museumsplatz und ein neuer Eingang an der Westseite des Museums. Designed wurde das Projekt von Amanda Levete Architects.
    Als South Kensington Museum wurde das V&A 1852 gegründet. Prinz Albert entwarf das Konzept der heute größten Sammlung von Kunstgewerbe und Design. Es beherbergt unzählige Artefakte in den Bereichen Keramik, Möbel, Mode, Glas, Schmuck, Fotografie, Bildhauerei, Textilien und Gemäle aus 3.000 Jahren Geschichte der verschiedensten Kulturen. 

    Was ist der Museumsboom?

    Eine genereller Museumsboom kann aufgrund der Vielzahl von Museumstypen nicht undifferenziert propagiert werden. Unter dem Museumsboom versteht man nach Kirchberg (2005) einen qualitativen und quantitativen Wandel der Museumslandschaft. 

    Nach Angaben des Instituts für Museumsforschung lag die Zahl der sehr großen Museen in Deutschland zwischen 1981 und 1996 dennoch bei konstant drei und die Zahl der großen Museen sank im gleichen Zeitraum von acht auf sechs. Die Zahl der sehr kleinen Museen verdreifachte sich aber. Der Begriff des Booms sollte zumindest in Deutschland also weniger auf große spektakuläre Neugründungen angewandt werden, sondern auf die gestiegene Bedeutung kleinerer lokaler Museen. 


    Der qualitative Wandel von Museen umfasst die generell gestiegene Aufmerksamkeit für Museen, die professionalisierte Öffentlichkeitsarbeit und die Verwendung neuen Designs und interaktiver Technologien. 


    Quelle: Kirchberg, Volker (2005): Gesellschaftliche Funktionen von Museen. Makro-,meso- und mikro-soziologische Perspektiven. Berliner Schriften zur Museumskunde, Band 20. VS Verlag für Sozialwissenschaften.

    Mehr zur Debatte zur Ausstellung der Kunst der Aufklärung

    „Kunst der Aufklärung“ war 2011 die erste internationale Gastaustellung im renovierten und erweiterten National Museum of China. Die Verhaftung Ai Weiweis kurz nach der Eröffnung und die Verweigerung der Einreise des Kuratoren der Ausstellung Tilman Spengler lösten heftige Diskussionen über den Umgang mit repressiven Regimen wie China aus. Ebenso durfte in China kaum Werbung für die Veranstaltung gemacht werden, was zu einer vergleichsweise geringen Besucheranzahl von 450.000 Personen führte. 

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    Mehr ZU|Daily
    TAKsi zum Theater der Zukunft?
    Ein Theaterbesuch, zwei Autofahrten und jede Menge Fragen – das verbirgt sich hinter dem Projekt TAKsi. Drei Studenten der Zeppelin Universität erforschen die Bedeutung des TAK Theater Liechtenstein für die Gesellschaft. Frei nach dem Motto der aktuellen Spielzeit „teilen mit“, teilen sie die Fahrt mit den Besuchern und diese ihre persönliche Geschichte mit den drei Studierenden.
    Das Stadttheater als Thinktank
    Die über 150 staatlich finanzierten Stadttheater in Deutschland bilden einen wichtigen Bestandteil des Kulturwesens, sehen sich jedoch von der freien Szene in Bedrängnis gebracht. Alexander Keil hat die Zukunft des Stadttheaters erforscht.
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Die Internetseite des weltweit größten Museums für Kunst und Design, dem Viktoria und Albert Museum (V&A) in London, deutet daraufhin, wie sich die Rolle des Museums in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Neben den klassischen Funktionen des Sammelns, Bewahrens und Forschens hat sich nicht nur das V&A der pädagogischen Arbeit, der Organisation von Events und der Vermarktung zugewandt. Das Veranstaltungsprogramm mit Life-Perfomances, Workshops, nächtlichen Partys und Diskussionen lässt erahnen, welch lebendiger Lebensraum ein Museum sein kann. 

Damit einhergehend macht der Konsum vor dem ehrwürdigen Ort des Erinnerns nicht Halt. Um das Museum als ein Rundum-Sorglos-Paket zu präsentieren, kann man im Online-Shop des V&A Schmuck erwerben, zum Sonderpreis. Museen wie das V&A werden heute immer stärker zu Lifestyle-Orten, in denen man sich gern sehen lässt. Die großen, weltweit bekannten Museen wie das New Yorker MOMA, die Londoner Tate, oder der Pariser Louvre haben damit ihren Platz in der postmodernen ereignisorientierten Konsumwelt gefunden. 

Martin Roth im Gespräch mit Professorin Dr. Karen van den Berg.
Martin Roth im Gespräch mit Professorin Dr. Karen van den Berg.

Der gebürtige Baden-Württemberger Martin Roth steht als Direktor dem V&A vor und hat die Entwicklung von großen Kunstmuseen seit den 80er Jahren mitgestaltet. Roth hatte zuvor als Leiter der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden nach der Wiedervereinigung große Bauprojekte initiiert. Seine Arbeit verhalf auch der Stadt zu neuem Glanz. Über diese Anfänge des oft verkündeten Museumsbooms sagt Martin Roth bei einer Veranstaltung an der Zeppelin Universität selbst: „1980 bin ich auf eine Welle aufgesprungen, auf der ich immer noch surfe.“ Es ist eine Welle der Investitionen in große Restaurationsprojekte wie dem Albertinum in Dresden, der Berliner Museumsinsel oder dem geplanten Umbau des V&A in der Exhibition Road.

Mehr zum Umbau des Viktoria and Albert Museums


Der Museumsforscher Professor Dr. Volker Kirchberg spricht  hingegen eher von einem Museumswandel, denn ein Boom von Museumsneubauten und Besucherzahlen könne so eindeutig durch die Statistiken zumindest für Deutschland nicht belegt werden. Vielmehr wird ein Prozess beobachtet, bei dem sich Museum und Öffentlichkeit gegenseitig verstärkt wahrnehmen. 

Dennoch ist klar: Es wurden in den vergangen 30 Jahren in Deutschland zahlreiche Museen neu gebaut und renoviert. So entstand ein vielfältigeres Museumsangebot. Van den Berg betont, dass dabei auch die enorme Zunahme privater Sammlungen und Museen eine entscheidende Rolle spielt. Man denke hier nicht nur an Kunstsammler wie Boros, Götz und Falckenberg, sondern auch an Automobil-Unternehmen wie Porsche und Mercedes-Benz und deren Firmenmuseen, die als selbstverständliche Instrumente der Markenpolitik genutzt werden.  Ebenso stellt The Art Newspaper (No. 234) im Jahr 2012 fest,  dass die Besucher in den großen Museen der Metropolen Rekorde brechen. 

Was ist der Museumsboom?


Laut der Kunstwissenschaftlerin liegt diese Tendenz unter anderem auch darin begründet, dass Museen zu Massenmedien geworden und nicht nur Teil einer Kulturtourismusindustrie seien, sondern auch immer selbstverständlicher als repräsentative Schaufenster von Städten, Regionen und Ländern genutzt werden. Dabei sei man nicht selten dem scheinbar verlockenden Bilbao-Effekt auf den Leim gegangen. Und auch Martin Roth erinnert sich an zahlreiche Anrufe von Kulturbeauftragten verschiedener Städte, die sich durch Investitionen in Kultureinrichtungen und Museen als architektonische Kunstwerke eine systematische Aufwertung ihrer Stadt erhofften. 


Denn so geschah es in Bilbao durch die Eröffnung einer Dependance des New Yorker Guggenheim-Museums im Jahr 1997. Aber auch in anderen ehemaligen Industriestädten wie Glasgow wurde in Kultur investiert, um den ökonomischen Untergang aufzuhalten. Mit dem Erfolg, dass Stadtviertel hip und teuer wurden. Die Mietpreise stiegen drastisch und die gering verdienende Bevölkerung, wurde an die Ränder der Städte getrieben. Bilbao zählt mittlerweile zu den teuersten Städten Spaniens. Das Museum hat seinen Teil zur Gentrifizierung und Vergrößerung der Unterschiede zwischen Arm und Reich beigetragen. Heutzutage spricht man daher eher vom Bilbao-Defekt.

Für die Lösung der Frage, was das Viktoria and Albert Museum angesichts gesellschaftlicher Probleme und Herausforderungen tun kann, fühlt sich Martin Roth besonders verantwortlich. „In Museen können sie die Zukunft aus der Vergangenheit lesen“, sagt Roth. Forschung, Vermittlung und die direkte Arbeit mit den Sammlungen will er wieder stärker in den Fokus der Museumsarbeit stellen, denn „ein Museum, das nicht forscht, ist tot“, sagt er.

Er sieht das Museum darüber hinaus als eine Institution, die zur Völkerverständigung und dem gegenseitigen Kennenlernen beizutragen vermag. Und so kooperiert Roth auch mit nicht-demokratischen Regimen wie China, denn die gegenwärtige politische Lage sieht er als eine große Chance für gegenseitige Annäherung. Eine Haltung, die durchaus für Aufregung sorgte, als er mit der Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ nach Peking ging. Insbesondere wurden die am vom Auswärtigen Amt mitfinanzierten Kulturprojekt beteiligten Akteure aufgrund des wenig kritischen Umgangs mit dem Regime gerügt.

Mehr zur Debatte zur Ausstellung der Kunst der Aufklärung


Konfrontiert mit dieser Kritik, reagiert Martin Roth gelassen. Er findet den erhobenen Zeigefinger der Deutschen unpassend. Mit der Holzhammer-Methode löse man keine Debatte in einem Land wie China aus. So scheint die Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ in den Augen Martin Roths eine subtile Methode der westlichen Wertevermittlung zu sein. Laut Roth ist das Ziel schon erreicht, wenn ein Umdenken in einzelnen Köpfen beginnt. Und das gilt mit Sicherheit auch für die Museumsarbeit im eigenen Land. 

Auch wenn die Kooperation mit repressiven Regimen kritisch betrachtet werden muss, schafft es Martin Roth das Museum mit seiner Arbeit in einen politischen und gesellschaftlich relevanten Kontext einzubetten. Damit gibt er der Museumsarbeit eine neue Facette und sichert gewissermaßen ihre Zukunft.



Fotos: Pressefoto - Victoria and Albert Museum (Titelbild), Bertram Rusch

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