Großbritannien

Pokerspiel um Unabhängigkeiten

von Prof. Dr. Patrick Bernhagen | Zeppelin Universität
29.05.2013
Nationalismus hat derzeit Hochkonjunktur.

Prof. Dr. Patrick Bernhagen
 
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    Prof. Dr. Patrick Bernhagen

    Seit dem Herbstsemester 2012 ist Dr. Patrick Bernhagen Professor für Politikwissenschaft an der Zeppelin Universität. Bernhagen studierte Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft und Medienwissenschaft an der Phillips-Universität Marburg, dem Trinity College Dublin und der Duke University (USA). Er promovierte 2005 am Trinity College Dublin und wurde anschließend zunächst Lecturer und dann Senior Lecturer an der University of Aberdeen. Seine wichtigsten derzeitigen Arbeitsgebiete sind Fragen der politischen Beteiligung von Bürgern und Unternehmen an den politischen Prozessen verschiedener Staaten und internationaler Organisationen.

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Nationalismus hat derzeit Hochkonjunktur. Zu den Staatengründungen durch verschiedene ethnische Gruppen, denen die große nationalistische Welle des 19. Jahrhunderts zunächst keinen Erfolg beschert hatte (zum Beispiel auf dem Balkan), kommen seit einigen Jahrzehnten Bewegungen, die den Nationalismus erst in größerem Stil für sich entdeckten, als diese Welle schon wieder abebbte (zum Beispiel Basken, Katalanen, Schotten). Zu diesen Zuspätgekommenen gesellen sich im Zuge der gegenwärtigen Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise auch in etablierten Nationalstaaten verstärkt Streiter für die nationale Souveränität und gegen eine wahrgenommene Fremdbestimmung durch die Europäische Union.


Im Vereinigten Königreich experimentiert man derzeit munter mit beiden Entwicklungen gleichzeitig. Zunächst haben sich die schottische Regierung in Edinburgh und die britische Zentralregierung in London darauf geeinigt, 2014 ein Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich abzuhalten. Dann dürfen die schottischen Wähler über die Frage abstimmen, ob Schottland ein unabhängiges Land sein soll. Dabei ist noch völlig unklar, was die treibende Kraft hinter dem Referendum, die in Schottland regierende Scottish National Party, darunter eigentlich versteht.

Derzeit werden noch sehr unterschiedliche Szenarien gehandelt. Einerseits wird eine sogenannte „independence lite“ erwogen, die völkerrechtliche Eigenständigkeit beinhalten könnte, aber durch eine gleichzeitig geplante, umfassende Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion mit dem Rest des Königreichs an die DDR in den letzten Monaten vor dem 3. Oktober 1990 erinnert. Andererseits wird unter dem Motto „devolution max“ eine Ausweitung der auf der bereits bestehenden Teilautomonie fußenden Rechte diskutiert, die im Wesentlichen auf erweiterte Steuererhebungsbefugnissen hinauslaufen. Eine Kombination der beiden Szenarien in einer Abstimmung mit drei Optionen wird ebenfalls diskutiert. Und überhaupt, so wird von akademischer Seite kommentiert, seien in einer post-souveränen Zukunft ja alle möglichen Varianten von Teil-, Über-, und Unterstaatlichkeit denk- und machbar.


Neben der Abstimmung über einen möglichen Austritt Schottlands aus der britischen Union hat David Camerons konservativ-liberale Koalitionsregierung nun auch ein Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union versprochen. Cameron selbst betont seit Monaten stetig, wie sehr ihm der Verbleib seines Landes in der EU am Herzen liege. Gleichzeitig wird er aber auch nicht müde zu warnen, dass die britische Bevölkerung für weitere politische Integration nicht zu gewinnen sei und durch arbeitgeberfreundliche Reformen und erweiterte britische Sonderrechte von den Vorzügen einer fortgesetzten Mitgliedschaft in der EU überzeugt werden müsse.

Weder Alex Salmond und seine schottischen Nationalisten noch Cameron legen viel Enthusiasmus für das basisdemokratische Votum über die Zukunft ihrer Länder an den Tag. Das ist auch nicht verwunderlich, denn weder gibt es in der schottischen Bevölkerung eine Mehrheit für den Austritt aus der britischen Union, noch findet sich im britischen Wahlvolk derzeit eine klare Mehrheit für den Verbleib in der europäischen. Überdies wären die langfristigen wirtschaftlichen und politischen Kosten der jeweiligen Austritte beachtlich – lediglich die „devolution max“-Lösung für Schottland ließe sich ohne größere Kosten realisieren.


Wie bei nationalen Referenden oft zu beobachten, versuchen auch hier beide Politiker zuvorderst, die Institution für parteipolitische Zwecke zu instrumentalisieren: Salmond, um im Rahmen der britischen Union ein Abtreten weiterer Kompetenzen und Steuerhoheiten von London an Edinburgh zu erwirken; Cameron, um eine verstärkte Ausrichtung europäischer Politik an neoliberalen Vorgaben zu erwirken sowie Ausnahmen für die Finanzmetropole London von europäischen Finanzmarktreformen zu erreichen.

Dabei erweist sich Salmond, wenn nicht als der bessere Stratege, so doch zumindest als der besser Positionierte. Er konnte seine Strategie für ein Referendum zur schottischen Unabhängigkeit, die er wahrscheinlich weder will noch erreichen kann, in Ruhe und ohne großen Druck entwickeln. Er wird sein bevorzugtes Ergebnis – „devolution max“ – womöglich direkt zur Abstimmung stellen können, wo es auch gute Aussichten hätte, eine hinreichende Mehrheit der Stimmen zu erhalten. Hingegen versucht Cameron mit seinem Referendum zum EU-Verbleib, der rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party sowie starken europaskeptischen Strömungen in der eigenen Partei den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sein bevorzugtes Ergebnis – ein Verbleib des Königreichs mit erweiterten Sonderprivilegien in einer re-regulierten EU – wäre das Resultat eines riskanten Manövers, das sein Ziel durchaus verfehlen kann. Sollten Salmonds Pläne ebenfalls übers Ziel hinausschießen, könnte am Ende ein englischer Rumpfstaat (mit ein paar Grafschaften in Wales und Nordirland) stehen. Mit den EU-Mitgliedern Irland und Schottland als next-door neighbours auf dem Archipel.


Foto: Azmil77

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