US-Kubapolitik

Quo vadis, Kuba?

Erst die vollständige Kubanische Transformation wird zeigen, welche Akteursgruppen gewappnet sind für eine postsozialistische Gesellschaft ohne die Castro’sche Sozialpolitik, eine Gesellschaft basierend auf Leistung und Wettbewerb auch im internationalen Kontext.

Dr. Stephanie Nau
Programmdirektorin der ZU Graduate School
 
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    Zur Person
    Dr. Stephanie Nau

    Dr. Stephanie Nau studierte Diplom-Kulturwirtschaft mit Schwerpunkt auf dem iberoromanischen Kulturraum an der Universität Passau. Sie schrieb ihre Dissertation zur Kubanischen Transformation im Fachgebiet Sozialgeographie und lebte zwischen den Jahren 2002 und 2005 viele Monate in Havanna. Ihr besonderes Forschungsinteresse gilt der einheimischen Sichtweise auf Veränderungsprozesse in lokal geprägten Lebenswelten. Seit 2007 arbeitet die gebürtige Ravensburgerin als Programmdirektorin an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.

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    Factbox
    Dissertation Dr. Stephanie Nau

    Nau, S. (2008): Lokale Akteure in der Kubanischen Transformation. Reaktionen auf den internationalen Tourismus als Faktor der Öffnung. Ein sozialgeographischer Beitrag zur aktuellen Kuba-Forschung aus emischer Perspektive. In: Struck, E.; Anhuf, D.; Gamerith, W. und Rother, K.: Passauer Schriften zur Geographie, Heft 25. Selbstverlag Fach Geographie der Universität Passau. 

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So lautete das Motto Fidel Castros, als er in den 1960er Jahren den gesamten US-amerikanischen Grund- und Bodenbesitz, Vermögen und Firmen enteignete. Charakteristisch für das kubanische Gesellschaftsmodell der damaligen Zeit war eine Periode der soziostrukturellen Entschichtung. Der kostenlose Zugang zu Bildung und Gesundheit, ein einheitliches staatliches Lohnsystem und eine subventionierte, flächendeckend gerechte Grundversorgung – die Eckpfeiler der Sozialpolitik Castros – bewirkten die Auflösung von Schichtgrenzen und damit eine beispiellose Homogenisierung unter den Kubanern. Freilich konnte dieses planwirtschaftliche Modell nur durch Subventionen höchsten Ausmaßes seitens der sozialistischen Bruderstaaten aufrechterhalten werden.

Castro 1959 in den USA. Da schien die Welt noch "gut". Dieser Eindruck und sein Wunsch, als vollwertiger Staatsmann akzeptiert zu werden, schwanden jedoch bald. Er wurde nicht nur von Nixon, damals Stellvertreter Eisenhowers, empfangen, sondern die CIA versuchte auch mehrfach ihn zu töten. Einige feindliche Akte beiderseits später war die Beziehung dann wohl endgültig ruiniert und Amerika des Castro's liebster Feind.
Castro 1959 in den USA. Da schien die Welt noch "gut". Dieser Eindruck und sein Wunsch, als vollwertiger Staatsmann akzeptiert zu werden, schwanden jedoch bald. Er wurde nicht nur von Nixon, damals Stellvertreter Eisenhowers, empfangen, sondern die CIA versuchte auch mehrfach ihn zu töten. Einige feindliche Akte beiderseits später war die Beziehung dann wohl endgültig ruiniert und Amerika des Castro's liebster Feind.

Durch den Zerfall von DDR und Sowjetunion stand Kuba als Monoexporteur von Zucker Anfang der 1990er Jahre plötzlich ohne die Multi-Importe seiner Partner am Rande einer humanitären Katastrophe. Castro steuerte gegen die Krise, legalisierte den US-Dollar und holte den Tourismus ins Land. Letzterer brachte als boomender Devisenbringer die kubanische Wirtschaft wieder in Schwung, private Kleinunternehmen im Dienstleistungsbereich wurden eine quantitative Notwendigkeit. Die vormals homogene Gesellschaft aus Bauern sowie handwerklichen und intellektuellen Arbeitern sah sich durch das duale Währungssystem neuer sozialer Ungleichheit ausgesetzt: Der anfangs nur wenigen Kubanern vorbehaltene Zugang zu Devisen durch eine Arbeit im Dienstleistungssektor stellte selbige besser als den großen Teil der kubanischen Beamtenschicht, die im formalen Sektor und damit im staatlichen Lohnsystem verblieb. Es kam zur Ausbildung soziotemporaler Schichten, charakterisiert durch eine fragile, da konjunkturell und gesetzlich bedingte Kaufmacht aus Devisenbesitz von Kubanern, die nicht zur Bildungselite des Landes gehörten. Zu den neuen Spitzenverdienern Kubas zählten Hausfrauen in der Vermietung, Angestellte im Hotelsektor oder auch Prostituierte. Sie konnten die staatliche Grundversorgung durch Einkäufe in Devisenmärkten ergänzen und genossen mit ihren Familien insgesamt ein höheres Lebensniveau.

Der hohe Stellenwert der Devise im Alltagsleben hatte bis zum Zeitpunkt der Erkrankung Fidel Castros 2006 zur zunehmenden Diversifizierung der familiären Überlebensstrategien und weiteren Restratifikation der kubanischen Gesellschaft geführt. Unzählige Möglichkeiten auch illegaler Devisenverdienste bewirkten einen Braindrain junger Kubaner weg von den Universitäten des Landes in die Informalität. Neid und Missgunst – auch gegenüber vermeintlich reichen Touristen – hatten das soziale Klima stark verschlechtert. Raúl Castro sah sich gezwungen, Veränderungen im Alltagsleben der Kubaner einzuführen, die wieder mehr Zufriedenheit bringen sollten. Einzelne in der Informalität entstandene „Berufe“ wurden offiziell legalisiert, Tauschgeschäfte möglich, der Besitz von Handys, sogar von Autos erlaubt. Kehrseite der Medaille: Kaum ein Kubaner kann in der Praxis davon profitieren, da dies stets mit dem Besitz einer unwirklichen Summe Devisen einhergeht – immerhin muss ein Kubaner für den Kauf eines Autos durchschnittlich 74 Jahre arbeiten. Die neuen Möglichkeiten führten dennoch zu einem nun offensichtlichen Auseinanderklaffen der Schere zwischen devisenreichen und wegen Alters oder Krankheit davon ausgeschlossenen, relativ verarmten Kubanern.

Die Importerlaubnis von Neuwagen - der Anfang des Endes des kubanischen Straßenbildes mit amerikanische Oldtimer aus den 50er Jahren, die durch Havanna rattern?
War der freie Autohandel 1959 weitgehend verboten worden und wurden Neuwagen größtenteils als Prämie vom Staat verteilt, dürfen seit Anfang letzten Jahres diejenige mit dem nötigen Kleingeld kaufen, was sie wollen. Lediglich vor 1959 gebaute Autos durften jahrzehntelang frei gehandelt werden - nur mit Sondergenehmigungen stand der Weg zum Neuwagen offen. 2011 erfolgte eine erste Lockerung - nun durften sämtliche Gebrauchtwagen gekauft und auch verkauft werden. Doch trotz gesetzlicher Erlaubnis bleibt der Traum vom eigenen neuen Auto wohl ein Traum - dank niedriger Löhne und horrender Preise.
Die Importerlaubnis von Neuwagen - der Anfang des Endes des kubanischen Straßenbildes mit amerikanische Oldtimer aus den 50er Jahren, die durch Havanna rattern?
War der freie Autohandel 1959 weitgehend verboten worden und wurden Neuwagen größtenteils als Prämie vom Staat verteilt, dürfen seit Anfang letzten Jahres diejenige mit dem nötigen Kleingeld kaufen, was sie wollen. Lediglich vor 1959 gebaute Autos durften jahrzehntelang frei gehandelt werden - nur mit Sondergenehmigungen stand der Weg zum Neuwagen offen. 2011 erfolgte eine erste Lockerung - nun durften sämtliche Gebrauchtwagen gekauft und auch verkauft werden. Doch trotz gesetzlicher Erlaubnis bleibt der Traum vom eigenen neuen Auto wohl ein Traum - dank niedriger Löhne und horrender Preise.

Während die meisten Kubaner froh sind, überhaupt Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände des täglichen Bedarfs erwerben zu können, sieht Barack Obamas Strategie vor, demokratiefördernde Güter auf den kubanischen Markt zu bringen. Fraglich ist, wie erreichbar diese für die breite Masse sein werden. Ein Ende des US-Embargos und nicht zuletzt eine vollständige, auch politische Transformation Kubas wird nicht nur Besitzansprüche der anfangs erwähnten Enteigneten wecken. Viele Exilkubaner warten seit Langem auf ein Ende der Ära Castro und damit auf eine Rückkehr nach Kuba. Zwischenzeitlich der amerikanischen Mittelschicht angehörig, würde dies das Eintreffen einer vergleichsweise großen Devisenmacht bedeuten, zum Leidwesen der auf der Insel verbliebenen Kubaner. Aktuell privilegierte soziotemporale Schichten würden abgelöst durch solche, die ein hohes Finanz- und Bildungskapital auszeichnet und sich damit besser für eine Übergangsperiode in ein kapitalistisches System eignen. Die ersten zaghaften Annäherungsversuche der USA haben also keine signifikanten Auswirkungen auf die kubanische Gesellschaft. Auch die von Castro prognostizierte Aufhebung des dualen Währungssystems ändert an der restratifizierten Gesellschaft zunächst wenig. Erst die vollständige Kubanische Transformation wird zeigen, welche Akteursgruppen gewappnet sind für eine postsozialistische Gesellschaft ohne die Castro´sche Sozialpolitik, eine Gesellschaft basierend auf Leistung und Wettbewerb auch im internationalen Kontext. Bislang ist es den Revolutionären von damals nicht gelungen, ein neues Gesellschaftsmodell zu schaffen, welches jene sozialen Werte inmitten eines neuen wirtschaftlichen Systems erhalten könnte.


Titelbild: Björn Bechstein / flickr.com (CC BY-ND 2.0)

Bilder im Text: Frank Vervial / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

Fidel Castro - MATS Terminal Washington 1959“. Lizenziert 

unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons


Text (redaktionell unverändert): Stephanie Nau

Redaktionelle Bearbeitung: Maria Tzankow, Alina Zimmermann und Florian Gehm 

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