Großbritannien und die EU

Exit vom Brexit?

Großbritannien kann einen Rücktritt vom Brexit nur erreichen, wenn es einen erneuten Antrag auf eine Aufnahme in die EU stellt, der von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden muss. Ob die für eine solche Ratifikation berufenen Parlamente ohne weiteres einer Mitgliedschaft Großbritanniens zu den alten Bedingungen zustimmen würden, ist allerdings fraglich.

Prof. Dr. Georg Jochum
Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Steuer- und Europarecht und Recht der Regulierung
 
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    Prof. Dr. Georg Jochum

    Prof. Dr. Georg Jochum ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Steuer- und Europarecht und Recht der Regulierung. Seine Schwerpunkte liegen bei europäischem Gemeinschaftsrecht und dort speziell dem Finanz- und Währungsrecht.  

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Der britische EU-Botschafter Tim Barrow hat am 29. März 2017 EU-Ratspräsident Donald Tusk ein Schreiben übergeben, in dem die Regierung des Vereinigten Königreiches der EU ihre Absicht mitteilt, aus der Europäischen Union auszutreten. Im Zusammenhang mit den nun anstehenden Verhandlungen zwischen Großbritannien einerseits und der EU andererseits über die Modalitäten des Austrittes wurde zeitweilig darüber spekuliert, ob die Verhandlungsfrist von zwei Jahren dadurch verlängert werden könnte, dass Großbritannien einseitig den Rücktritt vom Austritt aus der Europäischen Union erklärt, um anschließend erneut den Brexit anzukündigen. Auch wenn dieses Szenario abenteuerlich erscheint, ganz ausgeschlossen ist diese Volte nicht. Dies wirft ganz generell die Frage auf, inwiefern ein Exit vom Brexit nach Abgabe des Schreibens überhaupt möglich ist.

Die einschlägige Vorschrift, die sich mit dem Austritt von Mitgliedsstaaten aus der EU befasst, ist der durch den Vertrag von Lissabon eingefügte Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union (EUV). In Absatz 1 ist zu lesen, dass jeder Mitgliedsstaat – im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften – beschließen kann, aus der EU auszutreten: Maßgeblich für den Austritt ist demnach ein Beschluss des Mitgliedsstaates entsprechend seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften. Dieser Beschluss ist nach den Vorschriften des britischen Verfassungsrechtes nicht etwa durch das Referendum gefallen, sondern durch einen entsprechenden Gesetzesbeschluss des Parlamentes im Februar 2017.

Im Herzen Londons pulsiert nicht nur multikulturelles Leben mit langer Geschichte, sondern auch ein großer Wirtschafts- und Finanzmarkt. Genau der zittert momentan besonders vom Brexit, denn er könnte zum Spielball zwischen der EU und England werden. Erst vor wenigen Tagen drohte die EU damit, dass der Handel mit Euro-Wertpapieren nach dem Brexit nicht mehr in Großbritannien abgewickelt werden dürfe. Dabei ist bisher London der wichtigste Handelsplatz für das sogenannte Euro-Clearing. Dabei geht es um die Abwicklung des Handels mit Euro-Wertpapieren, mit Derivaten. Das sind Finanzverträge, die Banken oder Unternehmen abschließen, um sich zum Beispiel gegen Währungs- oder Zinsschwankungen abzusichern. Zuständig sind dafür in Europa die Clearinghäuser der Deutschen Börse oder eben der London Stock Exchange. Doch die Gewichte sind höchst ungleich verteilt: Drei Viertel des gesamten Geschäfts läuft derzeit über London. Täglich wechseln dort Derivate im Wert von etwa 850 Milliarden Euro den Besitzer.
Im Herzen Londons pulsiert nicht nur multikulturelles Leben mit langer Geschichte, sondern auch ein großer Wirtschafts- und Finanzmarkt. Genau der zittert momentan besonders vom Brexit, denn er könnte zum Spielball zwischen der EU und England werden. Erst vor wenigen Tagen drohte die EU damit, dass der Handel mit Euro-Wertpapieren nach dem Brexit nicht mehr in Großbritannien abgewickelt werden dürfe. Dabei ist bisher London der wichtigste Handelsplatz für das sogenannte Euro-Clearing. Dabei geht es um die Abwicklung des Handels mit Euro-Wertpapieren, mit Derivaten. Das sind Finanzverträge, die Banken oder Unternehmen abschließen, um sich zum Beispiel gegen Währungs- oder Zinsschwankungen abzusichern. Zuständig sind dafür in Europa die Clearinghäuser der Deutschen Börse oder eben der London Stock Exchange. Doch die Gewichte sind höchst ungleich verteilt: Drei Viertel des gesamten Geschäfts läuft derzeit über London. Täglich wechseln dort Derivate im Wert von etwa 850 Milliarden Euro den Besitzer.

Anschließend sieht Absatz 2 vor, dass der Austrittswunsch dem EU-Ratspräsidenten mitgeteilt werden muss, was mit der Übergabe des besagten Briefes durch den britischen EU-Botschafter Barrow geschehen ist. Das weitere Verfahren ist in Artikel 50 EUV wie folgt geregelt: Zunächst stellt der Europäische Rat Leitlinien auf, auf deren Grundlage die EU mit diesem Staat ein Abkommen aushandelt. Dieses Abkommen regelt die Einzelheiten des Austrittes und berücksichtigt den Rahmen für die künftigen Beziehungen zwischen diesem Staat und der EU. Anders als es allerdings häufig dargestellt wird, ist die Aushandlung des Abkommens nicht an die Zweijahresfrist gebunden – gegebenenfalls kann darüber 20 Jahre verhandelt werden.


Unabhängig vom Abkommen regelt Absatz 3, dass die Verträge auf den Mitgliedsstaat Großbritannien entweder ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder – falls dieses Abkommen noch nicht geschlossen worden ist – zwei Jahre nach der Mitteilung über den Austrittswunsch keine Anwendung mehr finden.

Aus dieser Regelung ergibt sich, dass der Austritt Großbritanniens als Willensakt durch das Parlament im Februar 2017 beschlossen und mit der Erklärung gegenüber der EU wirksam wurde – denn beim Austritt handelt es sich um einen einseitigen Willensakt der Großbritannien repräsentierenden Organe, der als empfangsbedürftige Willenserklärung zur Wirksamkeit der Übermittlung an die EU bedarf. Die anschließenden zwei Jahre, in denen die Verträge noch Anwendung finden, sind nichts anderes als eine Übergangszeit, die der EU und Großbritannien Zeit für die organisatorische Abwicklung geben sollen. Der Brexit ist damit seit dem 29. März 2017 wirksam, Großbritannien ist aus der Europäischen Union ausgetreten, die Verträge werden lediglich noch übergangsweise angewendet.

Großbritanniens Premierministerin Theresa May soll die Brexit-Verhandlungen mit harter Hand für das Königreich führen. Um sich dafür auch die Zustimmung des eigenen Volkes zu sichern, kündigte sie im April überraschend Neuwahlen zum Unterhaus an. Am 8. Juni will sich May somit ein klares Mandat für den EU-Austritt sichern. „Wir brauchen eine Parlamentswahl und wir brauchen sie jetzt“, sagte May. Die Entscheidung sei ihr nicht leicht gefallen, sie habe sie nur zögerlich getroffen. Aber Sicherheit und Stabilität ließen sich nur so erreichen. Das Volk habe für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Der Brexit sei ihre Aufgabe – „eine Aufgaben, die ich bewältigen will“. Sie könne nur das Beste für die Briten herausholen, wenn sie die volle Unterstützung des Landes habe.
Großbritanniens Premierministerin Theresa May soll die Brexit-Verhandlungen mit harter Hand für das Königreich führen. Um sich dafür auch die Zustimmung des eigenen Volkes zu sichern, kündigte sie im April überraschend Neuwahlen zum Unterhaus an. Am 8. Juni will sich May somit ein klares Mandat für den EU-Austritt sichern. „Wir brauchen eine Parlamentswahl und wir brauchen sie jetzt“, sagte May. Die Entscheidung sei ihr nicht leicht gefallen, sie habe sie nur zögerlich getroffen. Aber Sicherheit und Stabilität ließen sich nur so erreichen. Das Volk habe für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Der Brexit sei ihre Aufgabe – „eine Aufgaben, die ich bewältigen will“. Sie könne nur das Beste für die Briten herausholen, wenn sie die volle Unterstützung des Landes habe.

Damit stellt sich die Frage, inwieweit eine solche Austrittserklärung widerrufen werden kann. Hier gibt Absatz 5 eine klare Antwort. Die Vorschrift lautet: „Ein Staat, der aus der Union ausgetreten ist und erneut Mitglied werden möchte, muss dies nach dem Verfahren des Artikels 49 beantragen.“ Damit ist ausgeschlossen, dass Großbritannien durch einen Widerruf der Brexit-Entscheidung ohne weiteres wieder seine alten Mitgliedschaftsrechte aufleben lassen kann. Dies wiederum bedeutet, dass Großbritannien auch innerhalb der zwei Jahre, in der die Verträge noch gelten, einen Rücktritt vom Brexit nur erreichen kann, wenn es einen erneuten Antrag auf eine Aufnahme in die EU stellt. Zwar ist es politisch möglich, die bisherigen Bedingungen der Mitgliedschaft einfach als Aufnahmebedingungen zu gestalten. Entscheidend ist allerdings, dass ein Aufnahmeabkommen geschlossen werden muss, dass der Ratifikation durch alle Vertragsstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften bedarf. Ob die für eine solche Ratifikation berufenen Parlamente aller 27 Mitgliedsstaaten ohne weiteres einer Mitgliedschaft Großbritanniens zu den alten Bedingungen zustimmen würden, ist allerdings fraglich.


Das gleiche Szenario gilt damit auch für Schottland. Schottland ist als Teil des Vereinigten Königreiches ausgetreten und müsste sich – sollte es von Großbritannien unabhängig werden – erneut nach Artikel 49 des EUV um die Mitgliedschaft bewerben.

Titelbild: 

| TimoVesalainen / Pixabay.com (CC0 Public Domain)


Bilder im Text: 

| Nicole / Pexels.com (CC0 Public Domain

| Number10 / Flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)


Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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