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Jamaika-Aus

Die drei Mythen der Macht

Minderheitsregierungen sind instabil und widersprechen der bundesdeutschen Regierungstradition. Das stimmt allenfalls auf dem Papier.

Prof. Dr. Markus M. Müller
Honorarprofessur für Politik- und Verwaltungswissenschaft
 
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    Markus M. Müller

    Markus M. Müller hat seit 2009 die Honorarprofessur für Politik- und Verwaltungswissenschaften inne. In seinen Forschungsschwerpunkten befasst sich Müller mit den Regierungssystemen Deutschlands, der USA, Großbritanniens sowie mit internationaler Politik, insbesondere international vergleichender Wirtschaftspolitik.

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Man mag zum Abbruch der Verhandlungen einer Jamaika-Koalition stehen wie man will, Christian Lindner hat aber auf jeden Fall die deutsche Politik wieder spannend gemacht. Der Bundespräsident und seine Reservefunktion rücken auf einmal ins Zentrum der Politik, alle Optionen – von einer Minderheitsregierung bis hin zu Neuwahlen – liegen auf dem Tisch. Die SPD hat den Rückschwung gerade schon wieder eingeleitet, wohlwissend, dass ihre Verhandlungsposition exzellent ist. Andererseits hat die CSU in wenigen Monaten eine Landtagswahl zu bestehen. Sollte die Fortsetzung der Großen Koalition scheitern, hält der Bundespräsident formal den Schlüssel zur Regierungsbildung in den Händen. Dabei ist es allerdings nicht wahrscheinlich, dass er gegen den erklärten Willen der Bundeskanzlerin eine Minderheitsregierung erzwingt. Andererseits: Was ist eigentlich so schlimm daran? Man muss mit drei Mythen Schluss machen!

Dass der Chefsessel im Kanzleramt den Besitzer wechselt, scheint trotz Jamaika-Aus unwahrscheinlich. Aktuell stehen die Zeichen zwar auf einer Großen Koalition, doch selbst wenn es nicht für das Bündnis mit den Sozialdemokraten reicht, könnte Merkel an der Macht bleiben. Das legt jedenfalls CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn nahe: „Wenn es mit der SPD gar nicht geht, machen wir es eben alleine“, sagte Spahn der „Bild am Sonntag“. Eine Minderheitsregierung sei zwar etwas „völlig Neues“, müsse aber deshalb nichts Schlechtes sein: „Angela Merkel könnte mit all ihrer Erfahrung auch eine Minderheitsregierung erfolgreich führen.“ Am Ende sei es eine Frage der Alternativen, so Spahn.
Dass der Chefsessel im Kanzleramt den Besitzer wechselt, scheint trotz Jamaika-Aus unwahrscheinlich. Aktuell stehen die Zeichen zwar auf einer Großen Koalition, doch selbst wenn es nicht für das Bündnis mit den Sozialdemokraten reicht, könnte Merkel an der Macht bleiben. Das legt jedenfalls CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn nahe: „Wenn es mit der SPD gar nicht geht, machen wir es eben alleine“, sagte Spahn der „Bild am Sonntag“. Eine Minderheitsregierung sei zwar etwas „völlig Neues“, müsse aber deshalb nichts Schlechtes sein: „Angela Merkel könnte mit all ihrer Erfahrung auch eine Minderheitsregierung erfolgreich führen.“ Am Ende sei es eine Frage der Alternativen, so Spahn.

Erstens: Es drohen Weimarer Verhältnisse. Das ist aus einer Reihe von Gründen unwahrscheinlich. Zuvörderst ist der Bundespräsident nicht der Reichspräsident der Weimarer Verfassung, die im Bundestag vertretenen Parteien nicht die Weimarer Parteien. Außerdem hat die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland eine stabile demokratische Grundgesinnung dieser Gesellschaft hervorgebracht. Weimar ist in erster Linie an einem Mangel hieran gescheitert – das steht übrigens in jedem Geschichtsbuch. Anders als das Bonner Grundgesetz hat es die Weimarer Verfassung nicht vermocht, einen institutionellen Schutzraum zu gewährleisten, in dem diese demokratische Grundgesinnung hätte heranwachsen können.

Zweitens: Die Bevölkerung möchte keine Minderheitsregierung. Wer auf Umfragen nach den Präferenzen von Wählern etwas gibt, ist selber schuld! Man lasse einfach die Ergebnisse von Umfragen in den vergangenen sechs Monaten Revue passieren: Vor der Bundestagswahl galt Jamaika als die unbeliebteste Variante, nach der Wahl war eine Mehrheit für Jamaika. Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen wollte eine Mehrheit zunächst Neuwahlen, und heute wünscht sich die Mehrheit der Deutschen eine Fortsetzung der Großen Koalition. Inwieweit sollte sich also verantwortliches politisches Handeln nach derartigen Umfragen richten können?

Aus „Zeit für Gerechtigkeit“ wird wohl bald „Zeit für GroKo“. Auf dem Berliner SPD-Parteitag beschwor der wiedergewählte Chef der Sozialdemokratien, die geplanten Gespräche mit der Union liefen keineswegs auf eine Große Koalition hinaus, würden ergebnisoffen geführt werden. Doch das zu glauben, fällt schwer. Der SPD-Parteitag wollte demonstrieren, dass die Partei sich erneuern will: mit einem nahezu gleichen Programm und nahezu gleichen Personal. Neue – Lars Klingbeil – und Aufmüpfige – Olaf Scholz – werden mit schlappen Wahlergebnissen abgestraft. Trotz aller Aufrufe zur Erneuerung stehen die Zeichen bei der SPD auf „Weiter so“. Weiter zur nächsten Großen Koalition.
Aus „Zeit für Gerechtigkeit“ wird wohl bald „Zeit für GroKo“. Auf dem Berliner SPD-Parteitag beschwor der wiedergewählte Chef der Sozialdemokratien, die geplanten Gespräche mit der Union liefen keineswegs auf eine Große Koalition hinaus, würden ergebnisoffen geführt werden. Doch das zu glauben, fällt schwer. Der SPD-Parteitag wollte demonstrieren, dass die Partei sich erneuern will: mit einem nahezu gleichen Programm und nahezu gleichen Personal. Neue – Lars Klingbeil – und Aufmüpfige – Olaf Scholz – werden mit schlappen Wahlergebnissen abgestraft. Trotz aller Aufrufe zur Erneuerung stehen die Zeichen bei der SPD auf „Weiter so“. Weiter zur nächsten Großen Koalition.

Drittens schließlich: Minderheitsregierungen sind instabil und widersprechen der bundesdeutschen Regierungstradition. Das stimmt allenfalls auf dem Papier. Wie in den vergangenen Wochen mehrfach berichtet, leben wir seit Jahrzehnten in einem Zustand permanenter Minderheitsregierungen, allenfalls sporadisch immer mal wieder für wenige Jahre unterbrochen. Die Bundesregierungen konnten sich seit 1969 keineswegs auf eine Mehrheit in der Legislative stützen. Zwar hatten sie die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf ihrer Seite, nicht jedoch auch eine für zustimmungspflichtige Gesetze notwendige Mehrheit im Bundesrat. Trotz zweier Föderalismusreformen sind sogenannte Zustimmungsgesetze die quantitativ und politisch bedeutenden Gesetze, namentlich in der Finanz- und Steuerpolitik. Aber nicht nur aus schierer Notwendigkeit, um Mehrheiten sicherzustellen, praktizieren Bund und Länder im Bundesrat eine ausgesprochene Verhandlungskultur. Sie Ist im Verflechtungsföderalismus der Bundesrepublik auch ein Gebot pragmatischer Politikgestaltung, denn unsere Verfassung sieht in der Regel die Verwaltung in den Händen der Länder vor. Umgekehrt bedeutet das: Die Expertise, was den Vollzug von Gesetzen betrifft, liegt im wesentlichen bei den Ländern. Es ist ein Gebot der pragmatischen Rationalität, auf deren Einschätzungen Rücksicht zu nehmen.

Wie wir von Lehmbruch wissen, wurde diese Tradition des sanior pars von den Entwicklungen im Parteienwettbewerb überlagert, oder vielleicht besser: vereinnahmt. Und deshalb sitzen schon länger faktisch mindestens die beiden großen Parteien mit am Tisch, wenn Bundesgesetze gemacht werden sollen, unabhängig davon, wer die Bundesregierung trägt. Bundesregierungen müssen schon lange Rücksicht nehmen auf diejenigen Oppositionsparteien, die sie für eine Mehrheit im Bundesrat brauchen.


Eine Minderheitsregierung auf Bundesebene wird sicherlich zu einer gewissen Intensivierung dieser Verhandlungskultur führen. Der Vermittlungsausschuss wird dabei mutmaßlich öfters ins Zentrum der Konfliktlösung rücken. Beides wäre qualitativ nicht neu und ganz sicher auch kein Beinbruch. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben ausreichend institutionelle Vorsorge für den aus damaliger Sicht ja nicht auszuschließenden Fall von Minderheitsregierungen getroffen. Nun könnte sich einmal mehr erweisen, dass das Bonner Grundgesetz ein Glücksfall war.

Titelbild:

| WiR_Freebies / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text:

| LoboStudioHamburg / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link

| SPÖ Presse und Kommunikation / Politischer Aschermittwoch der Bayern SPD (CC BY-SA 2.0) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Markus M. Müller

Redaktionelle Umsetzung: CvD

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