Lieferkettengesetz

Unter- oder überambitioniert?

von Lukas Törner | Zeppelin Universität
25.02.2021
Das Lieferkettengesetz sollte mit dem CSR Richtlinien-Umsetzungsgesetz und nicht mit dem französischen Lieferkettengesetz verglichen werden. Durch den passenderen Vergleich wird deutlich, dass das Gesetz dazu führt, dass sich die Berichts- und Dokumentationspflichten von Unternehmen ausweiten.

Lukas Törner
Innovationsmanager beim Bodensee Innovationscluster | BIC
 
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    Zur Person
    Lukas Törner

    Lukas Törner promoviert aktuell am Lehrstuhl für Institutionenökonomik an der Zeppelin Universität zu Softwaresystemen im Nachhaltigkeitsmanagement. Er ist Stipendiat der Deutschen Bundestiftung Umwelt. Gegenstand seiner Forschung ist, welche Softwarelösungen derzeit am Markt angeboten werden, die betriebliche Aufwände qua Digitalisierung reduzieren, wenn Betriebe Nachhaltigkeit messen und steuern. In diesem Zug beschäftigt er sich in erster Linie mit betrieblichen Nachhaltigkeitsberichten. Besonders vergleicht er Kosten und Profite, die Firmen im Berichtsprozess entstehen. Für das Bodensee Innovationscluster | BIC leitet er darüber hinaus den Innovationskreis Digitales Nachhaltigkeitsmanagement. Dort tauschen Unternehmen der Bodenseeregion sich zu Best Practice der Digitalisierung im Thema aus. 

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Der Kompromiss zum Lieferkettengesetz wurde am 12. Februar von den Bundesministern Peter Altmaier, Hubertus Heil und Gerd Müller präsentiert. Er regelt, das große Unternehmen in Deutschland bei unmittelbaren Zulieferern prüfen müssen, dass Menschenrechte und elementare Umweltstandards gewahrt werden. Wenn keine Prüfung vorliegt oder es bei Vorfällen keine Konsequenzen gibt, drohen Bußgelder. Zudem muss ein Beschwerdeverfahren auch für mittelbare Zulieferer eingerichtet werden.


Das Gesetzesvorhaben findet sich im Koalitionsvertrag. Es beruht auf einem seit vielen Jahren laufenden Verfahren. Zunächst kam es zu einer Bestandsaufnahme im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Menschenrechte (NAP). Als diese ein allzu ernüchterndes Ergebnis produzierte und viel methodische Kritik erntete, wurde eine größer angelegte Studie in Auftrag gegeben, was am Ergebnis nichts änderte: Fest steht, dass weit weniger als die Hälfte aller großen Unternehmen in Deutschland Maßnahmen vorhalten, die diese Art Sorgfalt gewährleisten. Die Logik dahinter ist, dass es eine „Bemühenspflicht“ gibt. Ein Unternehmen sollte sich bemühen zu bemerken, wenn ein Zulieferer nicht menschenrechts- oder umweltschutzkonform agiert.

Millionen Menschen leben weltweit in Elend und Not, weil soziale Mindeststandards wie das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit missachtet werden. Der Nationalen Aktionsplans Menschenrechte (NAP) hat gezeigt: In Textilfabriken, Steinbrüchen oder auf Kaffeeplantagen entstehen unkontrollierter Produkte, die in Deutschland verkauft, getragen oder konsumiert werden. Um das zu ändern, hat das Entwicklungsministerium sich mit dem Arbeitsministerium und dem Wirtschaftsministerium auf den Entwurf für ein Lieferkettengesetz geeinigt. Und er gilt als einer der Väter des Vorhabens: Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit. „Wir haben ein angemessenes Gesetz auf den Weg gebracht, das auch Wirkungen zeigen wird. Made in Germany steht in Zukunft nicht nur für höchste Qualität, sondern auch für faire Produktion“, sagte er anlässlich der Vorstellung. Im Kern geht es den Politikern darum, mit einem Gesetz größere deutsche Unternehmen von 2023 an weltweit zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltvorgaben in ihren Lieferketten zu zwingen. Ein Referentenentwurf der Ministerien soll Mitte März vom Kabinett verabschiedet und noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden.
Millionen Menschen leben weltweit in Elend und Not, weil soziale Mindeststandards wie das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit missachtet werden. Der Nationalen Aktionsplans Menschenrechte (NAP) hat gezeigt: In Textilfabriken, Steinbrüchen oder auf Kaffeeplantagen entstehen unkontrollierter Produkte, die in Deutschland verkauft, getragen oder konsumiert werden. Um das zu ändern, hat das Entwicklungsministerium sich mit dem Arbeitsministerium und dem Wirtschaftsministerium auf den Entwurf für ein Lieferkettengesetz geeinigt. Und er gilt als einer der Väter des Vorhabens: Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit. „Wir haben ein angemessenes Gesetz auf den Weg gebracht, das auch Wirkungen zeigen wird. Made in Germany steht in Zukunft nicht nur für höchste Qualität, sondern auch für faire Produktion“, sagte er anlässlich der Vorstellung. Im Kern geht es den Politikern darum, mit einem Gesetz größere deutsche Unternehmen von 2023 an weltweit zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltvorgaben in ihren Lieferketten zu zwingen. Ein Referentenentwurf der Ministerien soll Mitte März vom Kabinett verabschiedet und noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden.

Zurück zur Zahl 2.900: Je nachdem, ob Sie jetzt denken „Das sind aber wenig Unternehmen!“ oder „Das sind aber viele Unternehmen!“, können sie sich den beiden Lagern des öffentlichen Diskurses zugehörig fühlen. In den Tagen nach dem Kompromiss zum Lieferkettengesetz wurden Stimmen laut, die sich aufregten, dass es doch um Menschenrechte gehe: „Wie kann man nur so wenig tun gegen die weltweite Ausbeutung?“ Die andere Seite fordert ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft: „Gerade in Zeiten von Corona neue Bürokratie aufbauen. Wie ist das vermittelbar?“

Was stimmt denn nun? Ist das geplante Lieferkettengesetz ambitioniert oder nicht? Die hier diskutierte Perspektive liefert keine abschließende Antwort auf die im Grunde politische Frage, aber relevantes Hintergrundwissen und einen guten Vergleichspartner. 2.900 ist die Antwort auf die entscheidende Frage: Wen wird das Gesetz betreffen?


Statt mit dem gleichnamigen Nachbargesetz aus Frankreich, ist es eher geboten, das beabsichtigte Lieferkettengesetz mit einem deutschen Gesetz zu vergleichen. Was ändert sich dann für die deutschen, nun stärker regulierten Unternehmen?


Für einen Vergleich bietet sich ein Gesetz mit einem etwas sperrigen Titel an: das CSR Richtlinien-Umsetzungsgesetz (CSR RUG). CSR steht für Corporate Social Responsibility (zu Deutsch: gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen) und Richtlinien-Umsetzungsgesetz verweist darauf, dass das Gesetz 2017 eine EU-Direktive aus Brüssel umsetzte. Das Gesetz verpflichtet große Unternehmen, über ihre betriebliche Nachhaltigkeit jährlich der Öffentlichkeit zu berichten. „Groß“ ist im Sinne des CSR RUG, wer 500 Mitarbeiter hat. Das aktuelle Lieferkettengesetz soll ab 1.000 Mitarbeiter gelten. Ist es also nicht ambitioniert? Auf den ersten Blick scheint der Fall klar.

Für das CSR RUG gilt neben der Mitarbeiterregel, dass die davon berührten Unternehmen kapitalmarktorientiert sein müssen. Diese Einschränkung gibt es beim gegenwärtigen Lieferkettengesetz nicht. Sicher ist, dass alle vom CSR RUG betroffenen Unternehmen nun auch betroffen sind. Aber das sind Schätzungen zufolge lediglich 540 Firmen. Das lässt sich mit der erwähnten Zahl 2.900 direkt vergleichen: Der Geltungsbereich des neuen Lieferkettengesetzes ist also um den Faktor Fünf erweitert im Vergleich zum CSR RUG.


Faktor Fünf! Wenn man die Zulieferer hinzurechnet, die jedes der 2.900 Unternehmen hält, dann wird einem die Bedeutung des Faktors bewusster. Denn auch die Zulieferer werden durch das CSR RUG und das Lieferkettengesetz genötigt, auf ihre Prozesse zu achten, um ihre Kunden nicht zu verlieren. Sie müssen systematisch nachweisen, dass sie umwelt- und menschenrechtskonform arbeiten. Um dies vorzuweisen, müssen unmittelbare Zulieferer Strukturen aufbauen und gemeinsame Managementsysteme mit Ihren Kunden etablieren.

Es sei ein Elend: Eine Teepflückerin im indischen Assam verdient mit zwölf Stunden Arbeit nur einen Euro am Tag, gleichzeitig gibt es den Teebeutel schon für einen Cent in Deutschland. Mit diesem Beispiel illustriert Entwicklungsminister Müller, warum es das Lieferkettengesetz braucht. Doch wie genau soll es dabei helfen, die Lieferketten von Konzernen zu kontrollieren? Zunächst: Die Verpflichtung soll erst vom 1. Januar 2023 an gelten, und zwar nur für Firmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern – von Anfang 2024 an dann auch für Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern. Und dann? Dann sollen die Firmen ihre gesamte Lieferkette im Blick haben, aber abgestuft verantwortlich sein. Wird einer Firma ein Missstand in der Lieferkette bekannt, soll sie verpflichtet werden, für Abhilfe zu sorgen. Eine Behörde überwacht dies. Zudem sollen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften künftig die Möglichkeit bekommen, Betroffene vor deutschen Gericht zu vertreten, wenn es Verstöße gegen Standards in Lieferketten gibt und der Betroffene zustimmt. Das ist neu: Bisher konnten Geschädigte selbst klagen, was aber in der Praxis an den Lebensumständen scheiterte.
Es sei ein Elend: Eine Teepflückerin im indischen Assam verdient mit zwölf Stunden Arbeit nur einen Euro am Tag, gleichzeitig gibt es den Teebeutel schon für einen Cent in Deutschland. Mit diesem Beispiel illustriert Entwicklungsminister Müller, warum es das Lieferkettengesetz braucht. Doch wie genau soll es dabei helfen, die Lieferketten von Konzernen zu kontrollieren? Zunächst: Die Verpflichtung soll erst vom 1. Januar 2023 an gelten, und zwar nur für Firmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern – von Anfang 2024 an dann auch für Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern. Und dann? Dann sollen die Firmen ihre gesamte Lieferkette im Blick haben, aber abgestuft verantwortlich sein. Wird einer Firma ein Missstand in der Lieferkette bekannt, soll sie verpflichtet werden, für Abhilfe zu sorgen. Eine Behörde überwacht dies. Zudem sollen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften künftig die Möglichkeit bekommen, Betroffene vor deutschen Gericht zu vertreten, wenn es Verstöße gegen Standards in Lieferketten gibt und der Betroffene zustimmt. Das ist neu: Bisher konnten Geschädigte selbst klagen, was aber in der Praxis an den Lebensumständen scheiterte.

Bis 2024 werden Unternehmen nun Zeit haben, ihre Kooperations- und Einkaufspolitik zu prüfen. Sicher werden viele Maßnahmen eingeführt, wie sie im NAP abgefragt und als mehrheitlich fehlend beanstandet wurden. Ein Prozess, der beim CSR RUG begonnen wurde, wird damit auf die Lieferkette ausgeweitet. Das Gesetz ist, anders als es häufig heißt, nicht ein erster, sondern ein nächster Schritt. Das zeigt die Hochrechnung: Wenn jedes der 2.900 Unternehmen 150 eigene Zulieferer hat– was eine sehr konservative Annahme ist –, so liest sich der Vergleich so: CSR RUG = 540 x 150 = 81.000 Unternehmen; Lieferkettengesetz = 2.900 x 150 = 435.000 Unternehmen.


Diese Zahlen können keine abschließende Antwort geben, wie ambitioniert der Kompromiss zum Lieferkettengesetz ist. Diese Zahlen berücksichtigen nicht, dass das Gesetz nicht standardmäßig tief hinein in die Lieferkette reicht bis hin zu Rohstoffproduzenten, die häufiger durch Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen auffallen. Diese Zahlen gehen nicht auf die Wirksamkeit der eingeführten Haftungsregel ein. Diese Zahlen sagen nichts darüber aus, wie teuer die veranlasste Bürokratie wird; nichts über die Verhältnismäßigkeit von Softwarekosten, die bei der Dokumentation entstehen werden. Aber diese Zahlen zeigen, das im Vergleich zur bestehenden deutschen Gesetzgebung das Thema auf viele Unternehmen zukommt, auf die es bisher nicht zukam.

Titelbild: 

| NASA / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bilder im Text: 

| BMZ Pool / Janine Schmitz (photothek.net) | Link

| Vivek Kumar / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Lukas Törner

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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