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Non-Fungible Tokens

Intensivierung des Spätkapitalismus

von Felix Krell | Zeppelin Universität
24.03.2021
Wir haben es mit einem Status zu tun, der zuvor noch keinem digitalen Inhalt zugeschrieben wurde: einen einzigartigen und objektiven Materialstatus. Ein Spätkapitalismus, der in immateriell-digitalen Umgebungen verwertbares, tauschbares und unteilbares Eigentum erzeugen kann, hat eine neue evolutionäre Stufe erreicht.

Felix Krell
Lehrstuhl für Allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaft
 
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    Zur Person
    Felix Krell

    Felix Krell promoviert aktuell am Lehrstuhl für Allgemeine Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Zeppelin Universität zu Social Virtual Reality. Gegenstand seiner Forschung sind die Lebenswelten und Alltagspraktiken von Menschen, die neuartige soziale Plattformen wie etwa VRChat mit VR-Headsets betreten. In diesem Zusammenhang forscht er qualitativ und digital-ethnografisch. Er verwaltet außerdem das Medienlabor der Zeppelin Universität und hat dort ein VR-Space für die Universität eingerichtet. Hier finden in Zukunft VR-Seminare und VR-Forschungsprojekte statt.

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    Factbox
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    Seit Jahren wird die Netztechnologie Blockchain heiß diskutiert – meist in einem Atemzug mit der stark schwankenden Kryptowährung Bitcoin und der Angst, die große Chance auf Reichtum zu verpassen oder sein Vermögen zu verzocken. Jetzt ist die Szene um einen neuen Star reicher: sogenannte NFTs. Den Hype dahinter und seine Folgen beleuchten die ZU-Wissenschaftler Florian Horky und Felix Krell.

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Aus dem Blickwinkel von Künstlerinnen und Künstlern – besonders im Bereich Digital Art – wirkt Krypto-Kunst äußerst attraktiv. Zum ersten Mal in dessen kurzer Geschichte hat ein digitales Kunstwerk das Potenzial, dieselbe Exklusivität und denselben Stellenwert wie ein Ölgemälde oder eine Installation zugeschrieben zu bekommen. Trotz der inflationären Preise, die für NFTs gerade aufgrund ihres Neuheitsfaktors gezahlt werden, ist absehbar, dass deren Exklusivität für digitale Kunst eine Wert- und Wertschätzungssteigerung bedeutet. Crowdfunding, fragwürdige Auftragsarbeiten auf halbseidenen Imageboards und abschätzige Blicke seitens physisch „handfest“ arbeitender Künstler könnten in geraumer Zeit der Vergangenheit angehören. Eine ganze Reihe weiterer Berufsgruppen und Medienorganisationen, die bisher mit der Piraterie ihrer Kulturprodukte im Internet konfrontiert waren, werden in der nahen Zukunft einen Rückweg in traditionelle berechenbarere Marktverhältnisse eintreten können, falls Krypto-Güter wie NFTs den Weg in den Mainstream finden.


Das Empowerment der Hersteller von digitalen Gütern hat jedoch Schattenseiten. Demokratisierungspotenziale, die sich Menschen aus unterprivilegierten Verhältnissen aufgrund von digitalem Filesharing anboten, werden durch NFTs drastisch geschmälert. Kostengünstige Zugänge zu digitaler Bildung oder Kunst eröffnen weltweit Mobilitäten in Lebensbereichen, die vor Zeiten des Internets allzu oft ein Spielfeld der Distinktion waren. Grenzen brechen auf, da codebasierte Daten von ihrer Natur her unbegrenzt kopier-, editier- und teilbar sind. In anderen Worten: Bisher sind digitale (Kultur-)Güter ein marktwirtschaftlicher Albtraum, nicht selten jedoch ein humanitärer Segen. Diesen Umstand verändern NFTs: Internetmedieninhalte verlieren ihre potenziell unbegrenzte Replizier- und Teilbarkeit. Damit wird künstliche Knappheit erzeugt und Kulturgüter werden wieder zu Waren, die innerhalb privilegierter Kreise kursieren.

Auch Dateien sind jetzt Kunst. Dieses Bild vielleicht? Nein, das nicht – es unterliegt einer Lizenz, nach der es im Internet nach Lust und Laune und sogar ohne Quellenangabe verwendet werden darf. Doch vor ein paar Wochen zeigte die Musikerin Grimes, Gattin von Tesla-Gründer Elon Musk, auf dem digitalen Marktplatz „Nifty Gateway“, dass Dateien im 21. Jahrhundert wirklich einen Wert haben können. Sie begann damit, Bilder zu veröffentlichen, die an die Fantasy-Ästhetik ihres vergangenen Albumcovers angelehnt waren. Nach knapp 20 Minuten waren fast sechs Millionen Dollar eingespielt – mit genau diesen Dateien. Und die Technologie, die das möglich macht, sind genau jene Non-Fungible Tokens, also nicht austauschbare Zeichen. Bitcoin und andere Kryptowährungen basieren auf Token, die so austauschbar wie Bargeld sind. NFTs indes basieren auf Token, die so einzigartig sind wie ein Paas – oder eben ein Kunstwerk.
Auch Dateien sind jetzt Kunst. Dieses Bild vielleicht? Nein, das nicht – es unterliegt einer Lizenz, nach der es im Internet nach Lust und Laune und sogar ohne Quellenangabe verwendet werden darf. Doch vor ein paar Wochen zeigte die Musikerin Grimes, Gattin von Tesla-Gründer Elon Musk, auf dem digitalen Marktplatz „Nifty Gateway“, dass Dateien im 21. Jahrhundert wirklich einen Wert haben können. Sie begann damit, Bilder zu veröffentlichen, die an die Fantasy-Ästhetik ihres vergangenen Albumcovers angelehnt waren. Nach knapp 20 Minuten waren fast sechs Millionen Dollar eingespielt – mit genau diesen Dateien. Und die Technologie, die das möglich macht, sind genau jene Non-Fungible Tokens, also nicht austauschbare Zeichen. Bitcoin und andere Kryptowährungen basieren auf Token, die so austauschbar wie Bargeld sind. NFTs indes basieren auf Token, die so einzigartig sind wie ein Paas – oder eben ein Kunstwerk.

Soziale Ungleichheit in der Online-Welt ist nichts Neues – in vieler Hinsicht lassen sich Online-Teilöffentlichkeiten bereits als hochkommerzialisiert bezeichnen. Was mit der Popularisierung von NFTs jedoch deutlich wird, ist, dass wir erst am Beginn eines Prozesses stehen, der sich in Zukunft zuspitzen wird. Bisher war meist der Zugang zu einer Netzverbindung oder das Eigentum von Hardware ein digitales Privileg. Gerade als die weltweite Netzabdeckung an Fahrt aufnimmt und globale Angleichungsprozesse spürbar werden, entsteht mit NFTs nun ein neues Werkzeug der Distinktion.


Die vernetzte digitale Welt in ihrem ursprünglichen, gar „archaischen“ Zustand hatte das Potenzial für genuinen sozialen Wandel. Wie dieses Potenzial dann blitzschnell spätkapitalistischen Kommerzialisierungszwängen verfiel, ist heute allerseits erkennbar. Die Blockchain „materialisiert“ und objektiviert in digitalen Umgebungen nicht-fungible Güter aus reinen Informationen. Überall wo das Internet bisher Loopholes aus der stets fortschreitenden Monetarisierung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche anbot, ließen sich in Zukunft NFTs integrieren: 250 Euro Limited Edition Nike Sneaker für den Social-Media-Avatar Ihres Kindes. Eine lizensierte 200-Euro-Ausgabe eines Jura-E-Books als akademische Pflichtlektüre. Eintrittskarten für YouTube-TED-Talks. The List goes on…


Ein absehbarer Effekt der Verbreitung digital-materieller Güter wäre die exponentielle Ausweitung des Digital Divide. Die meisten Käufer von NFTs gehören der Gruppe von Early-Krypto-Adoptern an, die bereits Etherium besitzen. Allein der Übertrag von traditionellen Geldwerten zu Krypto-Währungen überschreitet die Digitalkompetenzen vieler Nutzer mit geringer Technikaffinität. Aktuell werden zwar nur ein paar harmlose Katzensticker und Sporttradingcards gehandelt – in Zukunft aber vielleicht lebenswichtige Dokumente. Als Endstatus des Digital Divide sehe ich an dieser Stelle eine Kluft zwischen „Adoptern“ und „Aussteigern“: die eine Gruppe mit virtuellem Geld und virtuellen Gütern, die andere Gruppe mit physischem Geld und physischen Gütern. Identitäts-, Rollenbilder sowie Gruppenzugehörigkeiten und Wertvorstellungen könnten davon abhängig werden, in welche Welt man finanziell und symbolisch investiert. Virtuell-materielle Güter sind aufgrund ihrer dezentralen Krypto-Objektivität genau so viel, wenn nicht sogar mehr wert als physische Güter.

Mit solchen Vergleichen öffnet man natürlich eine erkenntnistheoretische Büchse der Pandora. Wir haben es mit einem Status zu tun, der zuvor noch keinem digitalen Inhalt zugeschrieben wurde: einen einzigartigen und objektiven Materialstatus. Ein Spätkapitalismus, der in immateriell-digitalen Umgebungen verwertbares, tauschbares und unteilbares Eigentum erzeugen kann, hat eine neue evolutionäre Stufe erreicht. In Referenz zu Jean Baudrillards „Hyperrealität“ (1994 [1970]) träfe vielleicht sogar die Superlative eines „Hyperkapitalismus“ nun endgültig zu: Die Manifestation des Irrealen verbindet sich mit Kommerzialisierungslogiken. Zeichenhafte Darstellungen von Etwas haben nun das Potenzial, den Status des Realen für sich zu beanspruchen. Digitale Dinge, die uns im Kern noch immer wie Simulationen und unecht vorkommen, erhalten einen Grad an Objektivität, der in kommenden Jahren noch unzählige Fragen aufwerfen wird. Aus einer „hyperkapitalistischen“ Perspektive betrachtet werden die Kinderkrankheiten des Internets, wie die natürliche Teil- und Replizierbarkeit von Medieninhalten und damit deren Demokratisierungspotenziale, mit der Verbreitung von nicht-fungiblen Digitalobjekten behoben.


Wie bereits erwähnt könnte sich die Natur des Internets durch NFTs weiter verändern. Wir erleben aktuell in Echtzeit und im Schnelldurchlauf, was Rousseau 1755 als Abkehr von einem natürlichen, archaischen Idealzustand in der materiellen Welt festmachte. Dieser Zustand war vor allem eins: frei von Eigentum. Betrachtet man das Internet in seiner Grundarchitektur, so war es bei seiner Entstehung ebenso frei. Die Implementation von tatsächlichem digitalem Eigentum weckt Erinnerungen:

 

  • „Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen »Dies gehört mir« und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört«.“ — Jean Jacques Rousseau (2011 [1755])
Die ersten digitalen Zäune sind schon eingeschlagen. Auf opensea.io werden bereits Krypto-Grundstücke für ungefähr 15.000 Dollar gehandelt. Ein virtueller Bitcoin Christmas Sweater für Avatare ist dort aktuell für 2.500 Dollar zu haben. Ich sage: Zurück zur (digitalen) Natur!
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Titelbild: 

| GibetMoll / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link


Bild im Text: 

| Computerizer / Pixabay.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Felix Krell

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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Zeit, um zu entscheiden

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