Nachhaltigkeit

(K)ein Thema für alle?

von Dr. Martin R. Herbers | Zeppelin Universität
04.05.2022
Entscheidend ist, dass die Kommunikation von Nachhaltigkeit positiv gerahmt wird: Ein Verständnis von Nachhaltigkeit als Verzicht oder Einschränkung wirkt eher abschreckend auf mögliche Anspruchsgruppen, attraktiver ist vielmehr eine Betonung der Möglichkeiten für ein ,gutes Leben‘ bereits in der Gegenwart – und nicht ausschließlich für folgende Generationen. Schließlich interessiert Nachhaltigkeit alle.

Dr. Martin R. Herbers
Akademischer Mitarbeiter im Fachbereich Kulturwissenschaften und Kommunikationswissenschaften
 
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    Zur Person
    Dr. Martin R. Herbers

    Dr. Martin R. Herbers ist seit September 2012 Postdoc im Fachbereich Kultur- und Kommunikationswissenschaft. Er ist seit Juni 2019 Fellow im Projekt „netPOL – Internationales und interuniversitäres Netzwerk Politische Kommunikation“ und leitet seit Juni 2020 das Projekt „Nachhaltigkeit – Wen interessiert’s?“ Ebenso leitet er seit März 2020 das Zentrum für Politische Kommunikation. Zu seinen Forschungsinteressen zählen die Transformation der politischen Öffentlichkeit durch Digitalisierung und Unterhaltung und die Kommunikation von Nachhaltigkeitsthemen in Theorie und Empirie.

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Unterstützt von einem Team aus studentischen Hilfskräften der Zeppelin Universität wurden auf deutscher und schweizerischer Seite des Bodensees jeweils drei Nachhaltigkeitsprojekte auf ihre Erfolgsfaktoren hin untersucht und Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. Analysiert wurden auf deutscher Seite die Klimanotstandsinitiative der Stadt Konstanz, der Ravensburger Klima-Konsens und das Markdorfer Sonnenkraft-Netzwerk. In der Schweiz wurden die Solargenossenschaft in Frauenfeld, das Solaranlagenbeteiligungsprojekt Chrüzlinge Solar in Kreuzlingen und die Klimagruppe Romanshorn, die dort gemeinsam mit der Stadt ebenfalls den Klimanotstand ausgerufen hatte, analysiert.


Ausgangspunkt der Analyse war, dass diese Nachhaltigkeitsprojekte auf eine breite Beteiligung verschiedener Anspruchsgruppen angewiesen sind – Akteurinnen und Akteure aus der Zivilgesellschaft, der Politik und der Wirtschaft müssen hier an einem Strang ziehen, um sie zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Dabei kann Nachhaltigkeit durch zivilgesellschaftliche Initiativen oder durch die Politik kaum nachhaltig eingeführt oder gar „verordnet“ werden. Die Akteurinnen und Akteure der verschiedenen Anspruchsgruppen müssen vielmehr in die Projekte aktiv eingebunden werden, um sie anzuerkennen und um darauf aufbauend auch das eigene Handeln zu verändern.


Durch Interviews mit beteiligten Akteurinnen und Akteuren aus der lokalen Politik, der Administration, Vertreterinnen und Vertretern zivilgesellschaftlicher Initiativen sowie Bürgerinnen und Bürgern und durch Inhaltsanalysen der jeweiligen Projektkommunikationen wurden Erfolgsfaktoren und Verhinderungsgründe identifiziert und vergleichend untersucht.

Das Forschungsprojekt identifizierte insbesondere drei Themenbereiche, die Potenziale bieten, um die Beteiligung an Projekten nachhaltiger Entwicklung und damit auch deren Reichweite zu erhöhen: (1) Die Kommunikation, (2) das Nachhaltigkeitsverständnis und (3) das Partizipationsverständnis.


(1) Kommunikation

In den analysierten Projekten besteht ein Bewusstsein, dass emotionale Kommunikation helfen kann, die entsprechenden Anspruchsgruppen zur Teilhabe zu bewegen. Allerdings gibt es hier Unterschiede:


Die Solaranlagenbeteiligungsprojekte zielen überwiegend darauf, über einen positiven emotionalen Bezug zur eigenen Region die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns zu vermitteln. Das Ziel ist in dieser Kommunikation jedoch weniger, die Emotionen für die langfristigen und globalen Herausforderungen des Klimawandels zu wecken, sondern eine Einbindung in das lokale Energieprojekt über individuelle Investitionsentscheide herzustellen. Darüber hinaus verbleibt die Projektkommunikation weitgehend auf technischen und ökonomischen Argumenten, um aufzuzeigen, weshalb sich eine Investition lohnt. Der Vergleich der Projekte zeigte, dass eine Kommunikation besonders erfolgreich war, wenn der emotionale Lokalbezug das Gefühl vermitteln konnte, dass eine individuelle Investitions- beziehungsweise Konsumentscheidung Teil eines kollektiven Projektes ist – die individuelle Entscheidung kommt der Region zugute.


Hingegen zielt die Projektkommunikation bei den Klimanotstandsinitiativen auf die langfristigen und globalen Auswirkungen des Klimawandels. So konnte beobachtet werden, dass die Projekte – paradoxerweise – versuchen, über die faktenbasierte Kommunikation der Auswirkungen des Klimawandels Emotionen zu wecken: Es wird ein negatives Gefühl bedient, welches mit dem emotional aufgeladenen Begriff „Notstand“ verstärkt wird. In diesem Rahmen vermittelte faktenbasierte Kommunikation soll zur Änderung der individuellen Lebensweisen und des bisherigen Konsumverhaltens anregen. Die Schwierigkeit besteht darin, über einen emotionalen Bezug auf den globalen und zeitlich in der Zukunft liegenden Horizont der Klimaerwärmung eine Betroffenheit herzustellen, die Menschen für gegenwärtige Maßnahmen in regionalen Kontexten motiviert.

Wie viel Geld würden die Menschen in Deutschland ausgeben, um unsere Erde vor Umweltschäden zu versichern? Das wollte das Digitalversicherungsunternehmen Clark herausfinden und hat Menschen in Deutschland im März dieses Jahres repräsentativ dazu befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass immerhin mehr als ein Drittel der Befragten (36 Prozent) dafür nicht in die eigene Tasche greifen würde. Viele sehen hierbei eher die Bundesregierung in der Pflicht: So ist jeder Dritte (33 Prozent) der Meinung, dass Deutschland das Ziel verfolgen sollte, die Klimaneutralität schon im Jahr 2035 zu erreichen. Ebenso stimmen fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) zu, dass der Aufbau von erneuerbaren Energien staatlich gefördert werden sollte. Viele der Befragten geben an, sich auch mit ihrem eigenen Verhalten für eine umweltfreundlichere Welt einzusetzen. So sagen 64 Prozent der Studienteilnehmer, dass sie Energiesparlampen verwenden – und 46 Prozent schalten ihre elektronischen Geräte nachts aus, um Strom zu sparen. Damit die Plastikverschmutzung eingedämmt wird, zieht fast die Hälfte der Deutschen (45 Prozent) das Leitungswasser dem Kauf von Plastikwasserflaschen vor und 74 Prozent bringen ihre eigene Tasche zum Einkaufen mit. Ebenso geben 58 Prozent an, zu recyceln.
Wie viel Geld würden die Menschen in Deutschland ausgeben, um unsere Erde vor Umweltschäden zu versichern? Das wollte das Digitalversicherungsunternehmen Clark herausfinden und hat Menschen in Deutschland im März dieses Jahres repräsentativ dazu befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass immerhin mehr als ein Drittel der Befragten (36 Prozent) dafür nicht in die eigene Tasche greifen würde. Viele sehen hierbei eher die Bundesregierung in der Pflicht: So ist jeder Dritte (33 Prozent) der Meinung, dass Deutschland das Ziel verfolgen sollte, die Klimaneutralität schon im Jahr 2035 zu erreichen. Ebenso stimmen fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) zu, dass der Aufbau von erneuerbaren Energien staatlich gefördert werden sollte. Viele der Befragten geben an, sich auch mit ihrem eigenen Verhalten für eine umweltfreundlichere Welt einzusetzen. So sagen 64 Prozent der Studienteilnehmer, dass sie Energiesparlampen verwenden – und 46 Prozent schalten ihre elektronischen Geräte nachts aus, um Strom zu sparen. Damit die Plastikverschmutzung eingedämmt wird, zieht fast die Hälfte der Deutschen (45 Prozent) das Leitungswasser dem Kauf von Plastikwasserflaschen vor und 74 Prozent bringen ihre eigene Tasche zum Einkaufen mit. Ebenso geben 58 Prozent an, zu recyceln.

(2) Nachhaltigkeitsverständnis


Das Modell der Nachhaltigkeit aus den drei miteinander verschränkten Säulen Ökologie, Ökonomie und Sozialem sowie der Generationengerechtigkeit und des globalen Maßstabes ist allen untersuchten Projekten bekannt. Die sich daraus ergebenden Herausforderungen können jedoch nur teilweise in die eigenen Aktivitäten integriert werden. Bei den näher betrachteten Projekten steht die Ökologie – und allenfalls die ökonomische Auswirkung – klar im Mittelpunkt, soziale Nachhaltigkeit ist kein Thema. Dieser kurzfristige Fokus auf Ökologie dient bei den Solaranlagenbeteiligungsprojekten als (zusätzliches) Argument für ein eigentlich ökonomisch ausgerichtetes Projekt. Die Klimanotstandsinitiativen erweitern die zeitliche und räumliche Perspektive auf lange Zeiträume und globale Zusammenhänge, der Fokus auf Ökologie bleibt aber auch hier bestehen.


Insgesamt hat sich gezeigt, dass Nachhaltigkeit und/oder Ökologie als Thema nur für einen eingeschränkten Personenkreis attraktiv ist. Einerseits sind dies diejenigen in lokaler Politik und Verwaltung, die aufgrund ihrer Position Verantwortung für die Umsetzung Projekte nachhaltiger Entwicklung tragen, andererseits sind dies Akteurinnen und Akteure aus der Mittelschicht, zu deren Selbstverständnis ein „nachhaltiger Lebensstil“ gehört und die sich deshalb engagieren. Beiden Gruppen gemeinsam ist eine eher eingeschränkte Sicht auf andere Lebensverhältnisse und Lebensstile. Nachhaltigkeit wird in diesem Rahmen überwiegend als notwendiger Verzicht thematisiert, nicht als Beitrag zur Erhöhung der Lebensqualität.


(3) Partizipationsverständnis

Das Forschungsprojekt zeigte, dass im Bereich der Politik ein stark institutionalisiertes Partizipationsverständnis vorliegt: Dieses findet durch Meinungsäußerung der Bevölkerung bei Wahlen und Abstimmungen statt oder aber durch Formate zum Abholen von Wünschen aus der Bevölkerung wie Informations- und Diskussionsveranstaltungen, digitale Beteiligungsplattformen, Sprechstunden oder punktuelle Workshops zu einzelnen Themen. Nicht zuletzt wird Partizipation aus der Perspektive der Politik wiederholt als Holschuld der Bevölkerung gesehen. Nicht-Teilnahme an bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten wird damit auch als Zustimmung zum aktuellen politischen Programm interpretiert – bis dahingehend, dass in der Bevölkerung kein Bedürfnis nach (zusätzlicher) Beteiligung besteht. Das Partizipationsverständnis der politischen Ebene ist damit als klassisches Top-down-Verständnis zu sehen.


Auf der Ebene der Zivilgesellschaft zeigte sich Beteiligung vor allem bei einzelnen Projekten nachhaltiger Entwicklung. Hier wurde teilweise ein sehr hohes Engagement beobachtet, welches von wenigen Personen innerhalb einer spezifischen Community gegenseitig gestärkt und bestätigt wird. Über diese Interessengemeinschaft oder das entsprechende Netzwerk hinaus ist jedoch wenig Beteiligung zu erkennen. So bleiben viele Initiativen und Projekte Einzelaktionen mit beschränkter Reichweite, auch für eine koordinierende Gesamtstrategie – etwa über die regionalen Grenzen hinaus – setzt sich kaum jemand ein. Im Partizipationsverständnis der Zivilgesellschaft sind also Bottom-up-Beteiligungen an Einzelaktionen vorherrschend.

Welche Handlungsempfehlungen können aus den Forschungsergebnissen abgeleitet werden? Wie sollten sich Nachhaltigkeitsprojekte mit Blick auf Kommunikation, Partizipations- und Nachhaltigkeitsverständnis positionieren, um erfolgreich zu sein?


Viele der Antworten auf diese Fragen sind vordergründig wenig überraschend. Die Analyse der deutschen und schweizerischen Nachhaltigkeitsprojekte zeigt aber auf, dass in der politischen und zivilgesellschaftlichen Projektpraxis noch Verbesserungspotenziale ausgeschöpft werden können: Im Bereich der Kommunikation und Partizipation ist es zentral, regelmäßig und zielgruppenorientiert zu kommunizieren. Dabei ist zu beachten, dass verschiedene Zielgruppen unterschiedlich angesprochen werden müssen.


Entscheidend ist auch der Zeitpunkt. Die wichtigsten Stakeholdergruppen des Projektes müssen frühzeitig identifiziert und gehört werden. Durch die Möglichkeit, früh Einfluss auch auf strukturelle Prozesse nehmen zu können, entsteht eine Verbindung zum Projekt und dessen Inhalten, die breit mitgetragen werden. Hieraus entwickeln sich potenzielle Mitgestalterinnen und Mitgestalter, die das Projekt in ihre eigenen Netzwerke hineintragen und so weitere Ressourcen mobilisieren können. Das so entstehende Verständnis von Partizipation ist etwas weniger formal, aber durch den einfachen Zugang offen für viele Interessierte. Nur durch diese gezielte und strategische Ansprache kann der Kontext des eigenen Projektes sozial und geografisch erweitert und so auch politisch verankert werden.


Nachhaltigkeit sollte in ihrer ganzen Bandbreite sowie in der gegenseitigen Abhängigkeit der drei Bereiche Ökologie, Ökonomie und Soziales thematisiert werden. Die Fokussierung auf ökologische Nachhaltigkeit allein reicht weder für einzelne Projekte noch für die lokale Entwicklung insgesamt und verschenkt wesentliche Potenziale. Die vollumfängliche Betrachtung zeigt dann Anknüpfungsmöglichkeiten für bereits vorhandene Initiativen oder andere Projekte in der Region auf, die ihren Fokus etwa auf soziale oder kulturelle Themen legen. Entscheidend ist, dass die Kommunikation von Nachhaltigkeit positiv gerahmt wird: Ein Verständnis von Nachhaltigkeit als Verzicht oder Einschränkung wirkt eher abschreckend auf mögliche Anspruchsgruppen, attraktiver ist vielmehr eine Betonung der Möglichkeiten für ein „gutes Leben“ bereits in der Gegenwart – und nicht ausschließlich für folgende Generationen. Schließlich interessiert Nachhaltigkeit alle.

Titelbild: 

| quokkabottles / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Bild im Text: 

| Cherie Birkner / Unsplash.com (CC0 Public Domain) | Link


Beitrag (redaktionell unverändert): Dr. Martin R. Herbers

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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