Was haben Innovationen der Textilbranche, der Luft- und Raumfahrt sowie der Erneuerbaren Energien mit Antriebstechnik zu tun? Sie können Unternehmen aus diesem Bereich wertvolle Innovationsimpulse geben, obwohl sie selbst aus einer völlig anderen Branche kommen. Diese Potenziale standen im Fokus eines Forschungsprojekts des Lehrstuhls für Innovationsmanagement am Dr. Manfred Bischoff Institut für Innovationsmanagement der Airbus Group an der ZU, das in Kooperation mit der Forschungsvereinigung Antriebstechnik e.V. (FVA) durchgeführt und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert wurde. Zugleich entwickelte die Forschungsgruppe um Professorin Dr. Ellen Enkel und Dipl.-Kfm. Sebastian Heil einen Managementbaukasten, der es Unternehmen ermöglichen soll, solche sogenannten Cross-Industry-Projekte erfolgreich abzuschließen.
„Die Antriebstechnik ist in einer starken Position und zählt zu den wichtigsten Branchen der deutschen Wirtschaft. Doch die Wettbewerbsbedingungen intensivieren sich, insbesondere durch Unternehmen in angrenzenden Branchen, die mit ähnlichen Technologien und Verfahren relativ leicht in den Markt eintreten können“, erläutert Sebastian Heil, Leiter des Forschungsprojekts und Akademischer Mitarbeiter am Dr. Manfred Bischoff Institut für Innovationsmanagement der Airbus Group an der ZU. „Darüber hinaus sehen sich viele Antriebstechnikhersteller durch die Neuerung von Produkten und Prozessen durch technologische Innovationen mit beispielsweise fortschrittlichen Materialien und geschäftsmodell-bezogene Innovationen im Rahmen der Digitalisierung industrieller Wertschöpfungsprozesse neuen Chancen und Herausforderungen gegenüber.“ Für die Unternehmen im Bereich Antriebstechnik werde es künftig mehr denn je darum gehen, technologische Trends aus verschiedenen Branchen, vielfältige Marktanforderungen und spezifische Kundenwünsche in innovative Qualitätslösungen umzusetzen sowie ökonomische und ökologische Ansprüche zu erfüllen.
Antrieb aus der Antike: Die Nockenwelle. Die technische Vorrichtung zur Umwandlung rotierender in lineare Bewegungen war schon in der Antike bekannt. Seit dem 11. Jahrhundert wurde die Nockenwelle an verlängerten Wellbäumen oder Achsen an Mühlrädern auch gewerblich genutzt. Eine Nockenwelle ist ein Maschinenelement in Form eines Stabes, auf dem mindestens ein gerundeter Vorsprung angebracht ist. Die Welle dreht sich um die eigene Achse, durch den oder die auf ihr angebrachten Nocken wird diese Drehbewegung wiederholt in eine kurze Längsbewegung umgewandelt.
Die Nockenwelle wird heute unter anderem in Verbrennungsmotoren verwendet. Nun könnte aber beispielsweise der Autoherstellter Fiat der Nockenwelle ein baldiges Ende bereiten: Deren vollvariable, ganz ohne Nockenwelle arbeitenden elektromagnetischen Systeme sind derzeit zwar noch zu teuer, könnte aber bald in aktuelle Motoren integriert werden.
Dabei stellt sich angesichts einer hohen brancheninternen Wertschöpfung für die Zukunft die Frage, wie mittels Cross-Industry Innovation Lösungen von Partnern außerhalb der etablierten Wertschöpfungskette auf die eigene Branche und das eigene Unternehmen übertragen werden können, um so entferntes Wissen zu kombinieren und neue, bisher unbekannte Innovationspotenziale zu heben (Outside-In-Prozess) oder eigene Kompetenzen in einen neuen Anwendungskontext zu multiplizieren (Inside-Out-Prozess).
Im Januar 2014 haben Professorin Dr. Ellen Enkel, Leiterin des Lehrstuhls für Innovationsmanagement am Dr. Manfred Bischoff Institut für Innovationsmanagement der Airbus Group an der ZU, und die FVA dazu das Forschungsprojekt „Methode und Anwendung von Cross-Industry Innovation zur Generierung radikaler Innovationsimpulse für deutsche Unternehmen der Antriebstechnik“ gestartet. Im Zuge der Untersuchung wurden von Enkel, ihren Mitarbeitern Sebastian Heil, Karoline Bader, Annika Dingler, den studentischen Hilfskräften Simon Engels und Pia Hoesl sowie mit koordinativer Unterstützung von Sabine Marx und Peter Kretek Entscheidungsträger der Projektpartner ZF Friedrichshafen AG, Audi AG, Chr. Mayr GmbH & Co. KG, KSB AG, Robert Bosch GmbH, Schaeffler AG, SKF GmbH und Wittenstein AG mittels einer Fragebogenerhebung zu branchenübergreifenden Innovationsvorhaben befragt und Experteninterviews zu über 50 Cross-Industry Projekten mit neuen, branchenfremden Partnern geführt. Eine Vielzahl sekundärer Daten ergänzte die Untersuchung, die von theoretischer Seite auf dem Konzept der „absorptive capacity“ aufbaut, der Fähigkeit von Organisationen, externes Wissens zu identifizieren, aufzunehmen und anzuwenden.
Antrieb aus der Moderne: Das automatische 8-Gang-Getriebe - hergestellt vom Projektpartner ZF Friedrichshafen AG im Werk in Saarbrücken. Das Unternehmen ist der drittgrößte deutsche Automobilzulieferer und zählt zu den weltweit führenden Unternehmen auf dem Gebiet der Antriebs- und Fahrwerktechnik. Der ZF-Konzern verfügt über 122 Produktionsgesellschaften in 26 Ländern und acht Hauptentwicklungsstandorte. Hinzu kommen 32 eigene Servicegesellschaften sowie über 650 Servicepartner. Das Unternehmen wurde 1915 unter dem Namen Zahnradfabrik GmbH zur Herstellung von Zahnrädern und Getrieben für Luftfahrzeuge, Motorwagen und -boote gegründet. Die Produkte von ZF umfassen heute unter anderem Getriebe, Lenkungen, Achsen und Kupplungen für ein umfangreiches Portfolio an Fortbewungsmitteln vom Auto bis zum Helikopter. Damit erzielten die über 72.000 Mitarbeiter im Jahr 2013 einen Umsatz von fast 17 Milliarden Euro.
„Dabei ging es zunächst um die Identifikation und Bestandsaufnahme bisheriger branchenübergreifender Innovationsvorhaben in den Partnerunternehmen und die Analyse erfolgreicher und nicht-erfolgreicher Cross-Industry Projekte, um potenzielle Branchen und Handlungsfelder für eine effizientere und effektivere Entwicklung und Umsetzung von technologischer und geschäftsmodell-bezogener Cross-Industry Innovation zu bestimmen“, erklärt Heil. Insbesondere wurden die positiven Aspekte geringer Planungs- und Führungsintensität herausgehoben, um ohne die Auflage zusätzlicher Prozesse Cross-Industry Innovation in den Unternehmen verankern und durchführen zu können und eine Übertragbarkeit auf künftige Cross-Industry Projekte zu erleichtern.
In einem nächsten Schritt wurden aufbauend auf den Analyseergebnissen Zielbranchen, Synergiepotenziale und Rahmenbedingungen ermittelt. „Es zeigte sich, dass fortschrittliche Materialien aus der Textilbranche, der Luft- und Raumfahrt sowie den Erneuerbaren Energien von höchster Relevanz für die Antriebstechnikhersteller sind und sich damit für technologische Innovationen als besonders Erfolg versprechend erweisen“, sagt Heil. Daneben wurden weitere Zielbranchen identifiziert, um unter anderem durch Skaleneffekte von Technologien – wie sie etwa in der Unterhaltungselektronik eingesetzt werden – Kostenvorteile zu erzielen. In über einem Drittel der untersuchten Projekte ging der Outside-In-Prozess dabei in einen Inside-Out-Prozess über oder umgekehrt. Da die Projekte im Ideal über einen längeren Zeitraum stattfinden und durch eine hohe Interaktion gekennzeichnet sind, findet ein intensiver Wissensaustausch und ein Prozess des gegenseitigen Lernens statt, was die Generierung von Synergien und einen Zuwachs an Wissen zwischen den Projektpartnern in beide Prozessrichtungen ermöglicht.
„Um die Ergebnisse des Forschungsprojekts in die beteiligten Unternehmen zu tragen, erhielt jedes von ihnen ein halb- bis ganztätiges Training, in dem die Potenziale, Rahmenbedingungen und Methoden für künftige Cross-Industry Innovation vermittelt wurden“, erzählt Heil. In einer Verbindung aus Vortrag- und Workshopformat - wie auf diesem Foto symbolisch zu sehen - wurden die Erkenntnisse der Cross-Industry Innovation unter Berücksichtigung von unternehmensindividuellen Interessen durchlaufen und positive wie negative Erfahrungswerte aus dem Kreis der Projektpartner und darüber hinaus diskutiert. Mit an Bord waren dabei unter anderem ZF Friedrichshafen AG, Audi AG, Chr. Mayr GmbH & Co. KG, KSB AG, Robert Bosch GmbH, Schaeffler AG, SKF GmbH und Wittenstein AG.
Darüber hinaus wurde ein Managementbaukasten entwickelt, der Unternehmen dazu befähigen soll, Cross-Industry Projekte erfolgreich abzuschließen. Dabei kommt dem komplementären Zusammenspiel von Routinen (Prozesse, Methoden und Werkzeuge wie breit angelegte Patentdatenbankrecherchen), sozialen Integrationsmechanismen (interne und externe Vernetzung, systematische Kommunikation und informelle Interaktion) und Strukturen (zum Beispiel Inkubatoren zur internen Unterstützung und Betreuung für ein effektives Inside-Out Management) eine zentrale Rolle zu, um auf Projekteebene eine erfrolgreiche Koordination und Kommunikation mit dem Partner sicherzustellen.
„Um die Ergebnisse des Forschungsprojekts in die beteiligten Unternehmen zu tragen, erhielt jedes von ihnen ein halb- bis ganztätiges Training, in dem die Potenziale, Rahmenbedingungen und Methoden für künftige Cross-Industry Innovation vermittelt wurden“, erzählt Heil. In einer Verbindung aus Vortrag- und Workshopformat wurden die Erkenntnisse der Cross-Industry Innovation unter Berücksichtigung von unternehmensindividuellen Interessen durchlaufen und positive (Best Practices) wie negative Erfahrungswerte (Bad Practices) aus dem Kreis der Projektpartner und darüber hinaus diskutiert. Warum ist Cross-Industry Innovation für Unternehmen der Antriebstechnik relevant? Wie lassen sich Potenziale für Cross-Industry Innovation systematisch identifizieren? Was kann von anderen Unternehmen der Antriebstechnik und darüber hinaus im Umgang mit Cross-Industry Innovation gelernt werden? Die Beantwortung dieser Fragen stand im Mittelpunkt der Trainings.
Was hat es also schlussendlich mit Innovationen und Antrieb auf sich? Wörtlich heißt „Innovation" soviel wie „Neuerung“ und kommt aus dem Lateinischen. In der Umgangssprache wird der Begriff im Sinne von neuen Ideen und Erfindungen und für deren wirtschaftliche Umsetzung verwendet. In die Wirtschaftswissenschaft wurde der Begriff durch Joseph Schumpeter und seine Theorie der Innovationen geprägt: Dabei geht es um die Aufstellung einer neuen Produktionsfunktion definiert. Wirtschaft und Gesellschaft wandeln sich, wenn Produktionsfaktoren auf eine neuartige Art und Weise kombiniert werden. Heil sieht besondere Vorteile allerdings nicht zwangsweise in neuen Produktionsfaktoren. „Besonders für kleine und mittlere Unternehmen kann die Integration von branchenfremdem Wissen so zu einer Reduktion des Entwicklungsrisikos bei radikalen Innovationen sowie zu einer Steigerung der eigenen Innovationskraft durch die Übernahme oder den Transfer vorhandener Lösungen beitragen“, resümiert er.
Insgesamt hat das Projekt verdeutlicht, dass vor allem die frühzeitige Integration innerhalb und zwischen Projekt- und Linienorganisation sowie von externen Partnern entscheidend ist, um neues, entferntes Wissen zu übertragen und umzusetzen. Für eine aktive strategische und operative Nutzung branchenfremden Wissens empfehlen sich daher Kooperationsmodelle bis hin zu gemeinsamen Geschäftsmodellen. „Besonders für kleine und mittlere Unternehmen kann die Integration von branchenfremdem Wissen so zu einer Reduktion des Entwicklungsrisikos bei radikalen Innovationen sowie zu einer Steigerung der eigenen Innovationskraft durch die Übernahme oder den Transfer vorhandener Lösungen beitragen“, resümiert Heil, bemerkt aber auch: „Cross-Industry Projekte stellen keinen Selbstzweck dar und sind im Durchschnitt mit relativ hohen Transaktionskosten verbunden, weshalb genau abgewogen werden muss, wann ein Unternehmen auf Cross-Industry Innovation abzielt oder besser mit eigenen Mitteln auf die zunehmende Innovationsdynamik reagiert.“
Die gewonnenen Erkenntnisse werden als ein Teilaspekt in die bevorstehende Promotion von Sebastian Heil einfließen und in der zukünftigen Forschung zur Thematik der Cross-Industry Innovation am Lehrstuhl und Institut von Professorin Enkel fortgesetzt. Darüber hinaus steht das Forschungsprojekt im Wettbewerb um den Hans-Winter-Preis der FVA, ein Förderpreis für ausgesuchte Nachwuchswissenschaftler zur Auszeichnung herausragender Forschungsleistungen.
Titelbild: jarmoluk / pixabay.com (CC0 1.0 Universell)
Bilder im Text: Silarics Inc. / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)
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Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm & Alina Zimmermann