Internationale Beziehungen

Venezuela am Abgrund

Dem venezolanischen Präsidenten Nicolas Maduro bleibt nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Geht es so weiter wie bisher, wird das Land früher oder später in den Abgrund stürzen, ein Kurswechsel hingegen würde einen Großteil der venezolanischen Bevölkerung in die Armut reißen.

Prof. Dr. Wolfgang Muno
Vertretungsprofessur des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen
 
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    Zur Person
    Prof. Dr. Wolfgang Muno

    1968 in Mainz geboren, studierte Muno Politik, Ethnologie und öffentliches Recht in Mainz und Venezuela. Danach hat die Region ihn nicht mehr los gelassen – es folgten Forschungsaufenthalte in Venezuela, Argentinien, Uruguay und auch Thailand.
    Er forscht vor allem zu Entwicklung und Unterentwicklung, warum einige Länder dieser Welt reich sind, andere arm, einige Länder gut funktionierende Demokratien haben, andere große politische Probleme, was Entwicklung fördert oder behindert.
    Nach seiner Promotion 2003 lehrte er in Koblenz, Würzburg und Erfurt. Seit Herbst 2014 ist er Vertretungsprofessor für Internationale Beziehungen an der Zeppelin Universität. 

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Um den Ölpreis zu stabilisieren, fuhr zuletzt der venezolanische Präsident Nicolas Maduro, Nachfolger des schon jetzt legendären Hugo Chávez, unter anderem nach China, Russland, Katar und Algerien. Kernanliegen der Reisen war die Generierung ausländischer Hilfen, um die venezolanische Wirtschaft zu stützen. Darüber hinaus sollte die Reise durch die OPEC-Länder eine gemeinsame Front herstellen, um den Ölpreis wieder in die Höhe zu treiben. Die Verhandlungen verliefen allerdings wenig erfolgreich, da kein Land seine Förderquoten reduzieren will.

Er ist der neue starke man an der Spitze Venezuelas - oder sollte es jedenfalls sein: Nicolas Maduro. Der Politiker, hier links im Bild mit der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff, der Vereinigten Sozialistischen Partei war bereits Außenminister und Vizepräsident, bis er nach dem Tod seines erkrankten Vorgängers Hugo Chávez 2013 selbst zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Dennoch steht Chávez, der kaum übersehbar auf dem Gastgeschenk prangt, weiterhin als venezolanische Ikone unübersehbar für das Land. Seit 1999 leitete er die Geschicke des Landes nach dem Vorbild Simón Bolívars und dessen Einsatz für ein vereintes Südamerika. Person, Politik, Führungsstil und Medienauftritte waren stets umstritten, riefen aber die Anerkennung in der globalen Linken aufs Parkett. Insbesondere sein autoritäres Vorgehen und seine schwache Entwicklungspolitik wurden im vorgehalten.
Er ist der neue starke man an der Spitze Venezuelas - oder sollte es jedenfalls sein: Nicolas Maduro. Der Politiker, hier links im Bild mit der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff, der Vereinigten Sozialistischen Partei war bereits Außenminister und Vizepräsident, bis er nach dem Tod seines erkrankten Vorgängers Hugo Chávez 2013 selbst zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Dennoch steht Chávez, der kaum übersehbar auf dem Gastgeschenk prangt, weiterhin als venezolanische Ikone unübersehbar für das Land. Seit 1999 leitete er die Geschicke des Landes nach dem Vorbild Simón Bolívars und dessen Einsatz für ein vereintes Südamerika. Person, Politik, Führungsstil und Medienauftritte waren stets umstritten, riefen aber die Anerkennung in der globalen Linken aufs Parkett. Insbesondere sein autoritäres Vorgehen und seine schwache Entwicklungspolitik wurden im vorgehalten.

Der Ausflug nach China hat indes seinen Zweck erfüllt und neue Mittel akquiriert. Dennoch sehen linke Kritiker auch darin einen Ausverkauf Venezuelas. China hat mittlerweile über 50 Milliarden US-Dollar an Krediten vergeben und weitere Investitionen versprochen (etwa 20 Milliarden US-Dollar), aber das dürfte die Grundprobleme nicht lösen. Zumal China so etwas nicht aus Freundlichkeit macht, sondern primär ökonomisches Interesse dahintersteht. Denn Venezuela hat als Gegenleistung sein Öl verpfändet: Derzeit gehen mehr als 500.000 Barrel pro Tag nach China, in wenigen Jahren sollen es über eine Million sein, ein Großteil davon nur für Schulden- und Zinszahlungen. Damit wird tatsächlich Venezuelas Zukunft verkauft.


Fest steht, dass der niedrige Ölpreis alle strukturellen Probleme Venezuelas noch verschärft. Seit vielen Jahren – schon lange vor Chávez – leidet Venezuela an der sogenannten „Holländischen Krankheit“, das bedeutet, dass der Ölreichtum die Wirtschaftsstruktur verzerrt. Keiner Regierung ist es bisher gelungen, das Erdöl zu „säen“, wie es in der offiziellen Politik immer wieder heißt. Das Land ist ein Paradebeispiel für eine Rentenökonomie mit allen wirtschaftlichen und politischen Problemen, die sich daraus ergeben.

Ein Ausweg aus der Misere kann nur gelingen, wenn grundsätzliche Strukturreformen angegangen werden. Eine Liberalisierung scheint unausweichlich, ansonsten dürfte das Land weiter „kubanisieren“ (aber ohne die Hilfe, die Kuba von Venezuela bekommt). Insbesondere die Währung müsste abgewertet werden, was allerdings ein Dilemma für die Regierung darstellt. Wertet sie nicht ab, wird es weiterhin einen florierenden Schwarzmarkt, Schmuggel und Korruption geben, die Produktion wird stagnieren, weil Importe künstlich verbilligt und Exporte künstlich verteuert sind. Damit bleibt die venezolanische Wirtschaft nicht konkurrenzfähig. Wertet sie hingegen ab, wird sie zwar den Schwarzmarkt, den Schmuggel und die Korruption eindämmen und die Produktion stimulieren, aber ein Großteil der Bevölkerung wird wieder in die Armut fallen. Und zwar genau der Teil, der unter dem Chavismus aus eben dieser herausgeholt wurde. 15 Jahre chavistische Sozialpolitik würden beinahe wirkungslos verpuffen. Die Regierung versucht es derzeit mit multiplen Wechselkursen und möchte so den Fall der Landeswährung ins Bodenlose verhindern, aber das dürfte nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein und keine dauerhafte Lösung.

Caracas - in der größten Stadt Venezuelas scheiden sich die Geister zwischen arm und reich. 3,3 Millionen Menschen leben im direkten Stadtgebiet. Trotz den Slums, die das Bild der Stadt unweigerlich brandmarken, zählt Caracas laut der britischen Wochenzeitschrift The Economist zu den teuersten Städten der Welt. Ein Brot kostet hier 11,02 Dollar pro Kilogramm. Doch nicht nur die Armut wütet genau deshalb im Herzen Venezuelas - Caracas eine ungemein gefährliche Stadt, die Kriminalitätsraten extrem hoch. Mit 140 Morden pro 100.000 Einwohnern jährlich weist die Hauptstadt die höchste Mordrate der Welt auf. Hier werden 280 mal so viele Menschen wie in Österreich ermordet.
Caracas - in der größten Stadt Venezuelas scheiden sich die Geister zwischen arm und reich. 3,3 Millionen Menschen leben im direkten Stadtgebiet. Trotz den Slums, die das Bild der Stadt unweigerlich brandmarken, zählt Caracas laut der britischen Wochenzeitschrift The Economist zu den teuersten Städten der Welt. Ein Brot kostet hier 11,02 Dollar pro Kilogramm. Doch nicht nur die Armut wütet genau deshalb im Herzen Venezuelas - Caracas eine ungemein gefährliche Stadt, die Kriminalitätsraten extrem hoch. Mit 140 Morden pro 100.000 Einwohnern jährlich weist die Hauptstadt die höchste Mordrate der Welt auf. Hier werden 280 mal so viele Menschen wie in Österreich ermordet.

Auch innenpolitisch sorgt Venezuela derzeit für negative Schlagzeilen. So ist kürzlich erst der Oberbürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma, verhaftet worden. Maduro wirft ihm und einigen anderen oppositionellen Politikern sowie Militärs einen Putschversuch vor. Dabei ist es sehr schwer, die Lage zu beurteilen und etwas Substanzielles dazu zu sagen. Die Putschvorwürfe seitens Maduro könnten erfunden sein, um die Opposition im Vorfeld der Parlamentswahlen Ende des Jahres zu diskreditieren. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass eine echte Verschwörung im Gange ist. Schließlich hat die konservative Opposition bereits 2002 versucht, gegen die gewählte Regierung – damals unter Chávez – zu putschen. Ein Aufstand der Bevölkerung, die zur frei gewählten Regierung hielt, sorgte allerdings für das Scheitern des Putschversuchs. So ist auch im Vorfeld der anstehenden Parlamentswahlen von beiden Seiten eine verschärfte Gangart zu erwarten. Als erste Reaktion hat das venezolanische Parlament, in dem die chavistische sozialistische Einheitspartei die absolute Mehrheit hat, zuletzt Präsident Maduro mit Sondervollmachten ausgestattet, um die öffentliche Sicherheit und die Landesverteidigung zu gewährleisten.

Überhaupt hat die Opposition einen schweren Stand in Venezuela. Es ist zwar nicht so, dass es in Venezuela massenhaft politische Gefangene gibt wie etwa in der damaligen DDR, die Probleme sind subtiler. Oppositionelle Politiker werden mit Korruptionsvorwürfen ausgeschaltet, die oppositionellen Medien drangsaliert. Die UN und Human Rights Watch haben das Vorgehen gegen Demonstranten und die Inhaftierung von Oppositionspolitikern wie Leopoldo López, der seit etwa einem Jahr auf seinen Prozess wartet, kritisiert. Venezuela reagiert darauf mit Gegenvorwürfen, man würde sich in innere Angelegenheiten einmischen und die Vorwürfe seien Teil einer Kampagne oder Verschwörung gegen Venezuela. Fakt ist, dass zunehmend das Militär Polizeiaufgaben übernimmt – wie etwa gegen Demonstranten vorzugehen – und Übergriffe bis hin zur Folter nicht geahndet werden. Die Justiz, die treu zur Regierung steht, kollaboriert beim Vertuschen. Es gibt eine ausführliche Studie von Human Rights Watch im Nachgang der Proteste von 2014, die das belegen.

"Ich protestiere für die Knappheit. Wo bekomme ich die her?" fragt eine Gruppe Demonstranten ironisch auf einem Protestmarsch im Frühjahr 2014. Seit Februar protestierten vorrangig Jugendliche und Angehörige der Mittelschicht gegen die Politik Maduros. Hintergrund waren die anhaltende Inflation, hohe Kriminalität, hohe Korruption und ein Mangel an täglichen Produkten. Die Inflation gehört mit 57% zu den höchsten weltweit. Das Wirtschaftswachstum fielt mit 2% im Jahr 2013 äußerst gering aus, aktuelle zeichnet sich eine Rezession ab. Anstatt den 90 Milliarden Dollar wurde nur maximal für 55 Milliarden Dollar Öl exportiert. Sollte das Land seine Wirtschaft nicht radikal neu ausrichten, könnte Venezuela bereits 2017 pleite sein.
"Ich protestiere für die Knappheit. Wo bekomme ich die her?" fragt eine Gruppe Demonstranten ironisch auf einem Protestmarsch im Frühjahr 2014. Seit Februar protestierten vorrangig Jugendliche und Angehörige der Mittelschicht gegen die Politik Maduros. Hintergrund waren die anhaltende Inflation, hohe Kriminalität, hohe Korruption und ein Mangel an täglichen Produkten. Die Inflation gehört mit 57% zu den höchsten weltweit. Das Wirtschaftswachstum fielt mit 2% im Jahr 2013 äußerst gering aus, aktuelle zeichnet sich eine Rezession ab. Anstatt den 90 Milliarden Dollar wurde nur maximal für 55 Milliarden Dollar Öl exportiert. Sollte das Land seine Wirtschaft nicht radikal neu ausrichten, könnte Venezuela bereits 2017 pleite sein.

Dazu kommen Spannungen mit den USA, die schon seit langer Zeit der Linksregierung kritisch gegenüber steht. Die Obama-Administration hat Sanktionen gegen einzelne Regierungsmitglieder Venezuelas verhängt, Maduro im Gegenzug etliche US-Diplomaten und Botschaftsmitarbeiter aufgefordert, das Land zu verlassen. Die südamerikanische Staatengemeinschaft UNASUR unterstützt Venezuela und kritisiert eine Einmischung der USA in innere Angelegenheiten. Zuletzt hat Venezuela seinen Botschafter aus Washington abgezogen und ein großangelegtes Manöver der Streitkräfte begonnen, in dem die Verteidigung gegen eine US-Invasion geprobt werden soll. Eine solche Invasion ist zwar überhaupt nicht zu erwarten, aber da die USA bereits den Putschversuch 2002 unterstützt hatte, kommen diese Streitigkeiten der venezolanischen Regierung gar nicht ungelegen, hat Maduro doch so mit der Opposition und mit den USA Sündenböcke, die er für alle Probleme verantwortlich machen kann. Dies kann allerdings nur kurz von den eigentlichen wirtschaftlichen Problemen ablenken.

Festzuhalten bleibt: Wenn sich der Ölpreis nicht zeitnah erholt, dann könnte Venezuela nicht nur am Abgrund stehen, sondern dort hineinstürzen. Und mit Venezuela fällt auch Präsident Nicolas Maduro. Der könnte möglicherweise schon vorher stürzen: Denn der Chavismus ist seit dem Tod des sozialistischen Führers uneins, nur eines eint ihn: Wenn der Chavismus endet, dann verlieren alle Gruppierungen die Fleischtöpfe, aus denen sie sich bedienen. Das schweißt wiederum zusammen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass schneller als erwartet Maduro als „Sündenbock“ geopfert wird.
Es steht also mehr als schlecht für den venezolanischen Präsidenten, er hat eigentlich keine sinnvollen Optionen, sondern nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Geht es so weiter wie bisher, wird das Land früher oder später in den Abgrund stürzen, ein Kurswechsel hingegen würde einen Großteil der venezolanischen Bevölkerung in die Armut reißen. Die einzige Hoffnung für Maduro dürfte in einem raschen und großen Anstieg des Ölpreises liegen. Aber das entzieht sich seiner Macht.

Abgrund? Ob sich dies im Endeffekt ereignen wird, kann lediglich die Zukunft zeigen.
Abgrund? Ob sich dies im Endeffekt ereignen wird, kann lediglich die Zukunft zeigen.

Titelbild: Carlos Díaz / flickr.com (CC BY 2.0)

Bilder im Text: "Dilma Rousseff receiving a Hugo Chávez 

picture from Nicolás Maduro" by Valter 

Campanato/ABr - Agência Brasil. Licensed under 

CC BY 3.0 br via Wikimedia Commons

Alex Lanz / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)

"Marcha hacia el Palacio de Justicia de Maracaibo -

Venezuela 16" by María Alejandra Mora (SoyMAM) -

Own work. Licensed under CC BY-SA 3.0 via 

Wikimedia Commons

Nicholas Laughlin / flickr.com (CC BY-NC-SA 2.0)


Beitrag (redaktionell bearbeitet von Sebastian Paul): Prof. Dr. Wolfgang Muno

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm und Alina Zimmermann

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