EZB-Geldpolitik

Wenn das Geld vom Himmel prasselt

Das ,Helikoptergeld‘ ist ein interessantes Konzept, welches der wirtschaftlichen Situation der Eurozone angemessen sein könnte. Aber, gegeben die innere Verfasstheit der Währungsunion, sollte man die Finger davon lassen.

Prof. Dr. Marcel Tyrell
Lehrstuhl für Unternehmer- und Finanzwissenschaften
 
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    Prof. Dr. Marcel Tyrell

    Seit 2009 leitet Prof. Dr. Marcel Tyrell das Buchanan Institut für Unternehmer- und Finanzwissenschaften an der Zeppelin Universität. Vorher lehrte er unter anderem an der Universität Frankfurt, der University of Pennsylvania und der European Business School. Schwerpunktmäßig forscht er zu Veränderungen von Finanzsystemstrukturen, mikro- und makroökonomischen Auswirkungen von Finanzkrisen und der Verschuldungsdynamik von Volkswirtschaften. 

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Die Idee des „Helikoptergeldes“ geistert momentan sehr prominent in der äußerst kontrovers geführten öffentlichen Debatte zur Geldpolitik der EZB herum. Die Befürworter, zu denen interessanterweise auch der ehemalige Präsident der amerikanischen Notenbank Ben Bernanke gezählt werden kann, sehen darin eine – wenn nicht sogar die letzte – Möglichkeit, mit geldpolitischen Maßnahmen die Wirtschaft in der Eurozone anzuregen. Zudem könnte diese Maßnahme gleichzeitig einen leichten Inflationsschub induzieren, der die Inflation an die angestrebte Zielgröße von 2 Prozent heranführt und die Deflationsgefahr bannt. Die Gegner wie der emeritierte Präsident am ifo Institut Hans Werner Sinn oder der ehemalige EZB-Chefökonom Ottmar Issing hingegen halten diese Idee für gefährlich und für eine Bankrotterklärung der Geldpolitik. Auch der Bundesbankpräsident Jens Weidmann warnt davor, „immer waghalsigere geldpolitische Experimente“ zu diskutieren, anstatt sich klar zu werden, dass die Geldpolitik – wie er betont – kein Allheilmittel ist, welches notwendige Reformen in einzelnen Ländern ersetzen und die Wachstumsprobleme Europas lösen kann.

Insgesamt 201 Meter würde ein Geldschein vom Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt segeln, bis er einen glücklichen Finder erreicht. Seit März 2015 residieren die Währungshüter im 1,2 Milliarden Euro teuren Gebäudekomplex im Ostend. Bald könnten von hier 1.300 Euro an jeden Bürger in der Währungsunion fließen. Bei solchen Geldgeschenken dreht sich vor allem Ökonomen der Magen um – viele Banken jubeln hingegen auf. Sie prophezeien die Unterstützung öffentlicher Investitionen und halten sogar eine Überweisung aufs private Konto für möglich. Unter anderem die Deutsche Bank freut sich dann auf einen schnellen Weg aus einer Rezession und hofft auf investitionsfreudige Anleger.
Insgesamt 201 Meter würde ein Geldschein vom Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt segeln, bis er einen glücklichen Finder erreicht. Seit März 2015 residieren die Währungshüter im 1,2 Milliarden Euro teuren Gebäudekomplex im Ostend. Bald könnten von hier 1.300 Euro an jeden Bürger in der Währungsunion fließen. Bei solchen Geldgeschenken dreht sich vor allem Ökonomen der Magen um – viele Banken jubeln hingegen auf. Sie prophezeien die Unterstützung öffentlicher Investitionen und halten sogar eine Überweisung aufs private Konto für möglich. Unter anderem die Deutsche Bank freut sich dann auf einen schnellen Weg aus einer Rezession und hofft auf investitionsfreudige Anleger.

Was aber verbirgt sich hinter dem Begriff „Helikoptergeld“? Und welche Effekte könnte das zugrundeliegende geldpolitische Konzept gerade in der heutigen Zeit entfalten? Der Begriff „Helikoptergeld“ wurde von dem einflussreichsten Monetaristen Milton Friedman in den 1960er-Jahren des 20. Jahrhunderts in die Diskussion eingebracht. Er beschrieb damals durchaus prosaisch ein Gedankenspiel, in dem ein Helikopter über der Bevölkerung kreist und eine bestimmte Geldsumme in Scheinen abwirft, die dann natürlich eingesammelt und von den Findern für Konsumzwecke in dem Bewusstsein ausgegeben werden, dass der Abwurf eine einmalige Aktion war. Nach Friedman würde durch diese direkte Maßnahme, die ja den Transmissionskanal der Geldschöpfung über das Bankensystem umgeht, die Geldbasis unmittelbar erhöht und somit unverzüglich ein inflationärer Impuls gesetzt werden, der das allgemeine Preisniveau ansteigen lässt. Bei Friedman hatte diese geldpolitische Maßnahme jedoch keine direkten realwirtschaftlichen Aspekte. Sie diente allein dazu, über die Geldmengenausweitung die Preise zu erhöhen und damit gegebenenfalls für die Wirtschaft desaströse deflationäre Tendenzen zu eliminieren. Zu dieser Logik passt, dass Friedman selber in der Analyse der Weltwirtschaftskrise der 1920er/1930er Jahre zu dem Ergebnis kam, dass diese Krise durch eine – in Folge des Zusammenbruchs wesentlicher Teile des Bankensystems – Kontraktion der Geldmenge verursacht wurde, welcher die Zentralbanken nicht energisch genug mittels Ausweitung des Geldangebots entgegengewirkt hätten.

Heutzutage versteht man unter „Helikoptergeld“ frisch hergestelltes Zentralbankgeld, welches als Finanzspritze entweder direkt an die Bevölkerung und/oder den Staat abgegeben wird. Dies kann zum einen durch die unmittelbare Ausgabe von Geld seitens der Zentralbank an die Bevölkerung geschehen, was jedoch rechtlich und politisch äußerst umstritten ist. Deshalb wird üblicherweise der Ankauf von Staatsschuldtiteln durch die Zentralbank mittels Zentralbankgeld diskutiert, wobei der Staat die zusätzlichen Geldmittel nutzen sollte, um damit dringend benötigte Infrastrukturinvestitionen durchzuführen oder Steuergutscheine an seine Bevölkerung zu verteilen, die dann in zusätzlichen Konsum beziehungsweise Investitionen münden. Diese geldpolitische Maßnahme sollte – so die Idee – in Zeiten, in denen (1) die Wirtschaft unterausgelastet ist, (2) das Bankensystem nicht gut funktioniert, (3) ein Deflationsrisiko besteht, und (4) die Staatshaushalte hoch verschuldet sind, einen konjunkturellen Impuls setzen können, der zugleich eine Deflation bekämpft.

Gewinnausschüttung – im wahrsten Sinne des Wortes. Soweit wie bei dieser Demonstration für ein Bedingungsloses Grundeinkommen auf dem Berner Bundesplatz in der Schweiz wird es trotz Helikoptergeld nicht kommen. Selbst wenn die Europäische Zentralbank zu diesem Instrument greift – auf LKWs voller Geld in der Stadtmitte brauchen Bürger nicht zu hoffen. Auch wenn eine direkte Auszahlung an Bürger im Rahmen des Möglichen liegt, gehen Ökonomen von der Nutzung einer rechtlichen Hintertür aus. Von der EZB gedrucktes Geld dürfte zwar nicht direkt in nationale Staatshaushalte fließen, Experten bringen aber die Möglichkeit ins Spiel, dass ein öffentlicher Kreditgeber wie die Europäische Investitionsbank Anleihen zu einem Zins nahe Null herausgibt, die dann von der EZB aufgekauft werden. Auf diese Weise könnten öffentliche Investitionen finanziert werden.
Gewinnausschüttung – im wahrsten Sinne des Wortes. Soweit wie bei dieser Demonstration für ein Bedingungsloses Grundeinkommen auf dem Berner Bundesplatz in der Schweiz wird es trotz Helikoptergeld nicht kommen. Selbst wenn die Europäische Zentralbank zu diesem Instrument greift – auf LKWs voller Geld in der Stadtmitte brauchen Bürger nicht zu hoffen. Auch wenn eine direkte Auszahlung an Bürger im Rahmen des Möglichen liegt, gehen Ökonomen von der Nutzung einer rechtlichen Hintertür aus. Von der EZB gedrucktes Geld dürfte zwar nicht direkt in nationale Staatshaushalte fließen, Experten bringen aber die Möglichkeit ins Spiel, dass ein öffentlicher Kreditgeber wie die Europäische Investitionsbank Anleihen zu einem Zins nahe Null herausgibt, die dann von der EZB aufgekauft werden. Auf diese Weise könnten öffentliche Investitionen finanziert werden.

Was ist der Unterschied einer solchen geldpolitischen Maßnahme zu den traditionellen Wegen der Geldversorgung? Üblicherweise, auch im Zuge der jüngst verkündeten Ankaufprogramme der EZB, wird den Finanzinstitutionen beziehungsweise nach neuestem Stand bald auch Unternehmen das frisch geschaffene Zentralbankgeld nur als Kredit gewährt. Es wird verwendet, um diesen Schuldnern marktfähige Schuldtitel abzukaufen – seien sie von Staaten, Finanzinstitutionen oder Unternehmen emittiert. Darauf müssen natürlich diese Schuldner Zinsen an die Zentralbank zahlen. Beim „Helikoptergeld“ wird der Geldbestand permanent durch die Finanzspritze erhöht. Es ist kein Kredit und somit sind auch keine Zinszahlungen an die Zentralbank für das frisch ausgegebene Zentralbankgeld zu entrichten. Genau dieser Unterschied soll helfen, Wachstumsimpulse zu setzen und deflationäre Tendenzen dann zu bekämpfen, wenn orthodoxe und sonstige unorthodoxe geldpolitische Maßnahmen nicht mehr greifen.

Sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei vielen Investoren und Finanzmarktakteuren wie Banken und Versicherungen hat sich der Eindruck verdichtet, dass die EZB ihr Pulver verschossen hat. Das „Helikoptergeld“ könnte in der prekären wirtschaftlichen und finanziellen Situation der Eurozone grundsätzlich ein bedenkenswertes geldpolitisches Mittel sein. Es erfordert jedoch eine weitreichende geld- und fiskalpolitische Kooperation, um positive Wirkungen entfalten zu können. Eine solche Kooperation ist jedoch momentan sicherlich keine treffende Zustandsbeschreibung der europäischen Währungsunion. Insofern ist das „Helikoptergeld“ ein interessantes Konzept, welches der wirtschaftlichen Situation der Eurozone angemessen sein könnte. Aber, gegeben die innere Verfasstheit der Währungsunion, sollte man die Finger davon lassen.

Titelbild: 
| Generation Grundeinkommen / flickr.com (CC BY-ND 2.0)


Bilder im Text: 

Kiefer (Frankfurt, GER) / Neubau der Europäischen Zentralbank (CC BY-SA 2.0)

| Generation Grundeinkommen / flickr.com (Public Domain 1.0)


Beitrag (redaktionell unverändert): Prof. Dr. Marcel Tyrell

Redaktionelle Umsetzung: Florian Gehm

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