Medienwandel

Wie Nutzer die Medien revolutionieren

von Junior-Professor Dr. Marian Adolf | Zeppelin Universität
07.02.2013
Nicht Facebook macht Revolution, sondern seine Nutzer, die es im Rahmen der technischen Möglichkeiten für diese verwenden – oder eben auch nicht.

Junior-Professor Dr. Marian Adolf
 
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    Zur Person
    Junior-Professor Dr. Marian Adolf

    Dr. Marian Adolf ist Juniorprofessor für Medienkultur und Mitglied des Karl-Mannheim-Lehrstuhl für Kulturwissenschaft an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen am Bodensee. Seine besonderen Forschungsinteressen liegen in der Mediensoziologie, den Media Cultural Studies und der kritischen und konstruktivistischen Epistemologie. Zuvor lehrte und arbeitete der gebürtige Österreicher bereits in Wien, Innsbruck und Mannheim.

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    Factbox
    AUF - das Magazin der ZU für Zwischenfragen

    AUF
    Dieser Artikel ist in AUF, dem Magazin für Zwischenfragen der Zeppelin Universität, in Papierversion zu lesen.
    #04 beschäftigt sich mit "Stabile Fragilität. Fragile Stabilität." und kann online bestellt werden.

    Zwischenfrage an Marian Adolf

    Welchen Wert hat eigentlich in einer Medienwelt, in der alles kommuniziert wird, was kommuniziert werden kann, in Zukunft noch das Schweigen?


    „Natürlich wird auch in der Medienwelt der Zukunft noch geschwiegen werden, aber wohl bewusster als bislang: Die ,Werkseinstellung‘einer umfassend mediatisierten Gesellschaft ist die Geschwätzigkeit (Hubert Knoblauch); aber noch stärker als dies bislang schon der Fall war, werden wir hinter dem Schweigen eine Botschaft vermuten: eine Intention, ein Geheimnis, einen Skandal.“

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AUF - das Magazin der Zeppelin Universität für Zwischenfragen


So spektakulär die technisch-medialen Neuerungen der digitalen Medien auch sind: Die bedeutsamsten Veränderungen liegen in der Art und Weise, wie die Menschen diese einsetzen. Dabei rückt erstmals in der Geschichte das Individuum ins Zentrum der gesellschaftlichen Kommunikation. Es scheint, als lebten wir in der Dauerkrise: Globalisierung, Umbau des Staates und seiner sozialen Sicherungssysteme, der Bildungspolitik und seit geraumer Zeit die internationale Wirtschafts-, Finanz- und Staatsschuldenkrise. Fragilität allenthalben. Auch das Mediensystem befindet sich im Umbruch: Zeitungen verlieren Leser, alte Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr, das Programmangebot der audiovisuellen Medien zersplittert in eine unüberschaubare Fülle, und so manch einer sieht in der Allgegenwart von Mobiltelefonen, Tablets und Laptops wieder einmal den Untergang des Abendlandes gekommen. Selten zuvor war die enge Verflechtung von Medienwandel und Gesellschaftswandel so deutlich zu beobachten wie heute. Dabei verdeckt die vielgehörte Krisen- und Umbruchsrhetorik oftmals langfristige und grundlegende gesellschaftliche Wandlungsprozesse. So wie Industrialisierung, Rationalisierung, Globalisierung und andere tiefgreifende, historische Transformationen die moderne Gesellschaft wesentlich mitgeprägt haben, so drückt sich im Begriff der Mediatisierung die wachsende Rolle der Medienkommunikation für die zeitgenössische Gesellschaft aus. Die „neuen Medien“ sind davon aber nur ein Teil und können nur im Kontext des Medienwandels als eines Wandels gesamtgesellschaftlicher Strukturen in den Blick genommen werden.

Medientechnologien und die aus ihnen sich entwickelnden Medien spielten in der Entwicklung der modernen Gesellschaft von Beginn an eine zentrale Rolle: Nur durch die ihnen eigene Überwindung von Zeit und Raum, durch die nun mögliche immense Vergrößerung des Publikums und ihre im Vergleich zu anderen Modi der Kommunikation ungleich größere Kapazität konnten das immer schon fragile Konstrukt Gesellschaft überhaupt zusammenhalten. In der Medienkommunikation entsteht ein gemeinsamer Sinn- und Erlebnishorizont des heterogenen Sozialverbandes: Medien spiegeln und kreieren Gesellschaft im Modus der Kommunikation. Es ist offensichtlich, dass der Medienwandel daher Auswirkungen auf die gesellschaftliche Organisation und Kohärenz zeitigt, ein Umstand, der lange Zeit zu wenig Beachtung fand. Die aktuelle Unübersichtlichkeit ist nicht zuletzt der Komplexität und Diversität der Lebensweisen in modernen Gesellschaften geschuldet. Zeitgenössische Sozialsysteme sind schlicht zu komplex, als dass es noch ein gesellschaftliches Zentrum gäbe, von dem aus man einen umfassenden Überblick hätte.


Während manche soziale Bereiche von der Mediatisierung bereits umfassend erfasst sind, herrscht in anderen noch die Normalität des alten Regimes. Und während die einen ihren medialen Alltag noch zwischen Frühstückszeitung und Tagesschau absolvieren, sind andere längst always-on und leben eingebettet in die kommunikativen Bande von Facebook und anderen sogenannten Social Network Sites (SNS). Neben diesen SNS erlauben Twitter, 4chan, reddit, WhatsApp und andere Plattformen neue Informations- und Kommunikationsmuster, und zahllose Blogs dienen der Reflexion und Debatte aktueller sozialer Themen. Eine hybride Medienkultur entsteht, in der die Inhalte der traditionellen Medien via Links in die mass-self-communication (Manuel Castells) eingebaut werden. So entsteht ein umfassender, personalisierter Informations- und Kommunikationskreislauf, der Familie und Freunde, Bekannte und Unbekannte, Individuen und Organisationen lose koppelt. Nicht nur, dass die kommunikative Alltagswelt jüngerer Generationen radikal anders scheint, als die, die man selbst erlebt (hat): Die netizens – also die Bewohner des Lebensraumes Internet – machen sich heute auch außerhalb ihres angestammten virtuellen Raumes breit. Die Piratenpartei entert Landesparlamente, die Hackergruppe Anonymous liefert sich einen Cyber-Krieg mit Regierungen und Unternehmen, und blutarme WikiLeaks-Aktivisten verbreiten vertrauliche Informationen per Mausklick in alle Welt.

Zwischenfrage an Marian Adolf


Dieses neue Regime ist in der Tat fragil. Aufgrund von divergierenden Adoptions- und Nutzungsmustern der neuen Medien entstehen neue Gräben in der gesellschaftlichen Kommunikation. Manche Medienangebote verschwinden, bevor sie sich etablieren konnten. Politiker und Werbetreibende machen sich auf Twitter lächerlich, die traditionellen Erlösmodelle der publizistischen Medien funktionieren nicht mehr richtig, und die Diskussion um den Umgang mit geistigem Eigentum und gesellschaftlichem Wissen tobt allenthalben. Dabei braucht uns das alles nicht zu wundern: Aus der Mediengeschichte wissen wir, dass neue Medien nicht „fertig“ zur Welt kommen. Sie haben eine Kindheit und Adoleszenz, wie Menschen auch. Die Frühphasen sind meist von Versuch und Irrtum geprägt, denn auch Medien müssen – was etwa typische Präsentationsformen und Inhalte betrifft – erst „zu sich“ kommen. Dabei ist wichtig: Nicht die technologische Form allein bestimmt Gebrauch und Kapazität des Mediums. Erst in der organisatorischen, regulatorischen und praktischen Umsetzung erhalten Medien ihre typische Form. Solche chaotischen Phasen des Experimentierens gehen, auch das wissen wir, mit polarisierten gesellschaftlichen Debatten einher: Medienumbrüche oszillieren in ihrer Beurteilung zwischen Medienutopien („Alles wird besser, und zwar von selbst!“) und dytopischen Szenarien des Unterganges („Tschüss, Abendland!“). Dazwischen entwickelt sich langsam und non-linear durch immer neue Applikationen das eigentliche Potenzial der neuen Technologien. Clay Shirky bezeichnet diese typische Unterdeterminiertheit der Medien als „sozialen Mehrwert“, von dem man noch nicht weiß, was man damit alles anstellen kann. Denn die meisten wahren Innovationen überfordern uns (Donald Schön), ist unser Alltagsverständnis der Welt doch geprägt von Routine (Alfred Schütz) und Imitation (Gabriel Tarde). Die aktuelle Fragilität ist also auch ein Überforderungsphänomen!

Im Gefolge der Medienentwicklung kommt es zu einer beschleunigten Evolution sozialer Beziehungen, die die zunächst reine Potenzialität der neuen technologischen Mittel langsam mit Leben füllen. Die hier vertretene These lautet, dass die neuen Medien- und allen voran die vieldiskutierten sozialen Netzwerke (Social Network Sites wie Facebook) beständig die Architektur sozialer Kommunikation umbauen. Dieser Umbau erfolgt graduell, ungleichmäßig und findet an manchen gesellschaftlichen Orten schneller statt als an anderen. Vor allem aber setzen diese Veränderungen auf nicht-medialen und bisweilen langfristigen sozialen Wandlungsprozessen auf, ohne deren Mitwirkung die konkreten Veränderungen nicht zu verstehen wären. So werden die neuen Medien vor allem zur Aufrechterhaltung und Intensivierung bestehender Sozialkontakte verwendet. Das soziale Leben verlagert sich nicht einfach in neue Sphären, sondern benutzt die laufend entstehenden neuen Kommunikationsnetze zur Weiterentwicklung des Bestehenden. Dadurch vergrößert sich die Handlungsfähigkeit der Individuen und kleiner sozialer Gruppen relativ zum Gesamtgefüge der gesellschaftlichen Kommunikation. Nur in Wechselseitigkeit aller beteiligten Prozesse lässt sich die gegenwärtige Situation verstehen: Wissen, Motivation und andere kognitive wie soziale Ressourcen bilden die Grundlage der Nutzung und somit zugleich der Verwirklichung neuer sozialer Beziehungen. Anders gesagt: Nicht Facebook macht Revolution, sondern seine Nutzer, die es im Rahmen der technischen Möglichkeiten für diese verwenden – oder eben auch nicht.

Im Herzen der aktuellen Entwicklung liegt sodann eine Verschiebung der Architektur der gesellschaftlichen Kommunikation. Im Gefüge der neuen netzbasierten Medien rückt das Individuum ins Zentrum der kommunikativen Ströme. Zur gesteigerten Wahlmöglichkeit der Rezeption angesichts des explodierenden Angebots an Medienangeboten tritt die viel thematisierte Möglichkeit, selbst zum Akteur der öffentlichen Kommunikation zu werden. Schließlich bieten die Netzwerkmedien als dritten wesentlichen Aspekt neue Möglichkeiten der Verteilung von Information: Jedes vernetzte Individuum ist ein Knoten im immer umfassenderen Netzwerk sozialer Kommunikation. Die von Manuel Castells umfassend elaborierte Metapher des Netzwerkes findet ihre Verkörperung in den immens erfolgreichen Social Network Sites wie etwa Facebook (das mittlerweile von über einer Milliarde Menschen weltweit genutzt wird!). Immer häufiger steht das Individuum – nicht mehr die Institution – im Zentrum der medialen Infrastruktur: Wir alle werden zum Bestandteil der kommunikativen Bahnen. Die Entdeckung der Wichtigkeit individueller Sozialkontakte, die schon in den 1950er Jahren der Kommunikationsforschung eine Zäsur zufügte (Katz und Lazarsfeld bezeichneten dies 1955 als „two-stepflow“ der Medienkommunikation), kehrt in neuem Gewand zurück. Der Unterschied besteht darin, dass die einst sozial und räumlich recht eng umschriebenen Sphäre der interpersonalen Kommunikation heute medial verstärkt, potenziell global und für alle zugänglich sind.

Und so treffen sowohl die optimistische wie auch die pessimistische Beurteilung der neuen Medienkultur zu, denn Fragilität ist Chance und Bedrohung zugleich. Die neuen Medien bieten eine nie gekannte Vielfalt des Kommunizierens, Kooperierens und Lernens, und nie zuvor in der modernen Gesellschaft war es leichter, mit eigenen Anliegen an die Öffentlichkeit zu gelangen. Nur gilt dies für neue Ansätze in der Entwicklungshilfe genauso wie für WikiLeaks’ radikales Transparenzverständnis oder die obskuren Machwerke radikaler Islamhasser. Die Liste ließe sich auch mit weniger dramatischen Beispielen lange fortsetzen. Der Leitsatz unserer zeitgenössischen Medienkultur scheint zu lauten, dass alles, was kommuniziert werden kann, kommuniziert werden wird! Doch alle diese Ereignisse haben den gleichen Nenner: die neue Zentralität des Einzelnen im Rahmen einer weiterhin dichter werdenden kommunikativen Infrastruktur. Zum ersten Mal überhaupt steht das Individuum im Schaltplan der gesellschaftlichen Kommunikation dort, wo es die Moderne weltanschaulich immer schon verortet hatte: im Herzen seiner kommunikativen Welt.


Der Artikel erschien in auf#04, Frühjahr 2013.

Bild: Bastografie / photocase.com

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